Januar 15th, 2025

Vergessene Arbeitskämpfe (#221, 2023)

Posted in interview by Jan

Interview mit Vergessene Arbeitskämpfe – Ein Punkabend!

Am 24. November letzten Jahres spielten Litbarski im Rahmen der Konzertreihe „Vergessene Arbeitskämpfe – Ein Punkabend“ in der Volksbühne. Um ehrlich zu sein, war mir die Volksbühne als Konzertlocation gar nicht mehr im Bewusstsein. Zwar hatte ich hier mal vor langer Zeit (2016) ein wunderbares Konzert von Kimya Dawson gesehen, aber Punkkonzerte und Volksbühne hätte ich jetzt nicht zusammengebracht.
Umso mehr erfreute es mich, dass nicht nur Bands spielen sollten, sondern nebenbei noch eine Ausstellung zu den Arbeitskämpfen in Katar gezeigt werden sollte. Vier Tage zuvor war die Fußball-WM der Männer im Emirat eröffnet worden, die wohl so stark wie nie zuvor eine andere WM in der Kritik stand. Nicht, dass die Machenschaften der Funktionäre im Vorfeld der jeweiligen Männer-WM in Deutschland, Südafrika, Brasilien oder Russland nicht auch schon Kontroversen hervorgerufen hätte.

Also pünktlich hin und schon draußen positiv überrascht über das fette Banner, das den Abend ankündigt. Sehr schön, so bekommt die Volksbühne einen kleinen, widerständigen Anstrich, dachte ich. Im Treppenhaus dann überrascht über die liebevolle, detaillierte Aufarbeitung des Unrechts im arabischen Emirat, denn schon dort wurden Porträts von Verstorbenen mit vielen Hintergrundinformationen ausgestellt. Auch der Konzertraum selbst war mit diversen Leinwänden, auf denen Dokumentationen und Fotoabfolgen liefen, sowie weiteren Informationen „geschmückt“ worden. Hätte man alles sehen und lesen wollen, hätte es fast einen zweiten „Punkabend“ gebraucht, oder zumindest einen „Punknachmittag“.

Ehrlich gesagt war ich von dieser Art Präsentation von Infos mit gleichzeitigem Konzert sehr begeistert! Das Konzert selbst war auch sehr cool, was vor allem an Litbarski lag. Daher erwuchs dann doch recht schnell die Idee, mit den Protagonist*innen ein Interview zu führen. Und was bietet sich besser an, als einen der Abende zu nehmen? Richtig, nichts!

Einige Wochen später (genauer gesagt am 30. März 2023) ergab sich dann die Möglichkeit im Rahmen eines Abends, der dem Massaker von Marikana gewidmet wurde. Damals streikten hunderte von Bergarbeiter*innen in Südafrika dafür, dass ihre Löhne zum Überleben reichten, für die vertraglich zugesicherten Unterbringungen in Häusern und direkten Gesprächen mit dem Management (zu dem damals unter anderem der heutige südafrikanische Präsident Ramaphosa gehörte). War auch mal irgendwann Thema in einer meiner Kolumnen (im Frühjahr 2017 durfte ich vor Ort mit Hinterbliebenen und Aktivist*innen sprechen).

Insgesamt 34 streikende Bergarbeiter*innen wurden während des Streiks erschossen, davon viele durch Schüsse in den Rücken (also auf der Flucht!). Die Hinterbliebenen und überlebenden Arbeiter*innen, die Platin abbauen, eines der wertvollsten Metalle der Welt, das aus der Schmelze in Marikana mit Hubschraubern nach Johannisburg geflogen wird, warten zum Teil bis heute auf eine angemessene Entschädigung.

Am Abend selbst – der ebenfalls informativ und toll war – hat mich beim Interview Chrischan (Litbarski) unterstützt. Im Vorfeld hatte ich mich intensiv mit Ben (Moloch) ausgetauscht, der leider an dem Abend nicht konnte, von dem aber viele Fragen und Anregungen beigesteuert wurden. Vom großen Team der Volksbühne waren Jan und Mattias bereit, Rede und Antwort zu stehen. Wir hatten auch explizit nach Akteurinnen aus dem Team gefragt, aber leider wollte sich niemand beteiligen.

Aber, „Vergessene Arbeitskämpfe – ein Punkabend“ ist kein „Just Boys Fun“ und auch keine „Just Boys Work!“. Jetzt aber, Füße hoch, lesen!

Vielen Dank, dass ihr euch die Zeit genommen habt. Vielleicht wollt ihr euch zu Beginn einfach kurz vorstellen. Was macht ihr? Wer seid ihr?
Jan: Sehr gerne! Ich bin Jan Krüger und Teil der Bühnentechnik von der Volksbühne. Ich arbeite als Bühnenmeister hier seit 10 Jahren am Haus. Hier habe ich verschiedenste Stationen durchlebt.

Mattias: Ich bin Matthias Kåks. Ich bin Maschinist, also Bühnentechniker. Maschinisten machen alles, was sich dreht oder hochgeht oder nach unten. Und ich bin seit, oh Gott, 26 Jahren hier.

Wow, Respekt! Wie seid ihr auf die Idee gekommen für die Vergessenen Arbeitskämpfe und seit wann gibt es diese Reihe?
Jan: Gute Frage, wie sind wir auf die Idee gekommen?! Letztendlich gibt es diese Reihe seit 2019, seit dem Februar 2019. Jetzt seit ziemlich genau vier Jahren also. Wie sind wir letztendlich auf die Idee gekommen? Ursprünglich ist die Idee doch gekeimt durch unser Theater-Dart-Turnier. Dort hat Mattias Punk aufgelegt und wir haben irgendwie gedacht: Mensch, mal wieder so ein richtig geilen Punkabend zu haben, hier mitten in der Stadt, das wäre eigentlich total cool.

Und auch einfach mal wieder kleine Punk Bands live hier auf einer kleinen Bühne mitten in Berlin zu haben. So neben dem Schokoladen vielleicht noch, hier in Mitte. Das es eigentlich mal wieder toll wäre, weil wirklich viele Läden hier in Mitte einfach den Bach heruntergegangen sind.

Mattias: Genau! Das war so eine Mischung zwischen, dass wir auf der einen Seite auch genau 2019 ein ziemliches Tief hier hatten in der Volksbühne. Es war, sagen wir mal so, nicht gerade berauschend zu dem Zeitpunkt hier zu arbeiten. Wir hatten nicht besonders viele gute Vorstellungen und die Stimmung war ein bisschen den Bach heruntergegangen. Wir hatten ständig neue Intendanten, die hier vorbei kamen, mit neuen Ideen und so. Und gleichzeitig kam auf der anderen Seite natürlich das was Jan gesagt hat, dass mehrere Läden zugemacht haben. Wir hatten das Syndikat in Neukölln zum Beispiel.

Oder auch die Potse …
Mattias: Ja. Und hier in dieser Gegend gibt es seit langem nichts mehr. Also abgesehen vom Schokoladen und ein paar bis heute besetze Häuser, wie den Kastanienkeller und so. Aber es ist nicht zu vergleichen mit früher. Also dachten wir, vielleicht können wir irgendwas machen mit Punk, ohne dass wir Leute von andere Locations wegziehen. Wir sind eine Senatsfirma und wir können einfach nicht jede Woche irgendwas machen. So haben wir unserem damaligen Intendanten Klaus Dörr gesagt, was wir vorhaben. „Okay“, hat er gesagt, „könnt ihr machen, aber ihr kriegt überhaupt kein Budget. Aber dafür könnt ihr das hier machen und die Eintrittsgelder zum Beispiel für die Bands benutzen.“

Das hat sich für uns so herausgestellt, dass das eigentlich ein ziemlich gutes Budget ist, weil wir oft ziemlich volle Häuser haben und die Bands werden gut bezahlt. Und wir legen ein bisschen was zur Seite, falls plötzlich jemand von außerhalb kommt. Aber in erster Linie wollen wir Bands aus Berlin nehmen, vor allem kleine, unbekannte Bands. Und uns war es auch nicht so richtig genug, einfach nur Konzerte zu machen. Weil: Das machen andere auch schon. Deswegen haben wir das jetzt verbunden mit Arbeitskämpfen. Auch die Volksbühne ist von der Arbeiter*innenbewegung gegründet worden. So konnten wir zwei Fliegen mit einer Klappe erschlagen. Und das macht Spaß: Streiks und Punkmusik. So einfach war es.

Sehr gut. Ihr habt die nächste Frage schon vorweggenommen. Aber wer ist außer euch noch involviert?
Jan: Oh, das sind eine ganze Reihe von Mitarbeiter*innen der Volksbühne. Wir haben Leute aus der Requisite, aus der Ausstattung, wir sind wirklich aus fast allen Gewerken, bin ich der Meinung, sind wir vertreten. Also das ist ziemlich breit gefächert.

Mattias: Also das Interessante ist, es ist zwar ein Volksbühnen-Veranstaltung, sprich die Volksbühne stellt die Räumlichkeiten und die Beleuchtungspersonen, Joachim meistens, und die Tontechniker. Morgen kommt dann auch die Reinigungskraft und macht alles sauber. Aber alles andere machen wir eigentlich in unserer Freizeit. Also wir dürfen eigentlich keinen Dienst haben, wenn wir das machen. Wir machen alles nebenbei und deswegen ist es eine Mischung zwischen offizieller Volksbühnen-Veranstaltung, aber die Arbeit leisten wir uns, weil wir es für richtig und für Spaß halten.

Wie kommt man auf die Idee, in seiner Freizeit mit den Arbeitskolleg*innen noch weiter zu arbeiten?
Jan: Das ist Verbandelung durch Theater, das ist eine ziemlich einfache Geschichte.

Mit welchen Arbeitskämpfen habt ihr euch bisher beschäftigt?
Jan: Gute Frage! Die wievielte Veranstaltung haben wir jetzt eigentlich?

Mattias: Die neunte, glaub ich. Die neunte, kann das sein? Also wir hatten unseren ersten Streik mit den Autozulieferern in Frankreich. Dann hatten wir unseren Lieblingsstreik, vom dem auch unser Logo herkommt: Latinos in Texas 1958. Die haben sich schön gekleidet und alle verarscht. Die sind mit einem Lächeln im Gesicht hinter Gittern gesteckt worden. Und dann hatten wir …

Jan: Es ist schon die zwölfte heute.

Mattias: Die zwölfte? Oh Gott! Wir hatten auf jeden Fall viele Bergarbeiterstreiks, Ukraine und jetzt Südafrika? Dann hatten wir natürlich den englischen Bergarbeiterstreik. Wir haben immer versucht irgendwie eine Mischung herzustellen. Es heißt zwar „Vergessene Arbeitskämpfe“, aber eigentlich kann man das so nicht ganz sagen. Eher unbekannte Kämpfe. Wir versuchen herauszupicken, was spannend klingt. Vielleicht vergessen oder unbekannt. Wir hatten in Deutschland die Ruhrgebietstreiks, dann den Streik von Ådalen im Schweden der 1930er Jahre.

Jan: Was ein wenig aus der Reihe gesprungen ist, war der Generalstreik in der Nazizeit.

Mattias: Genau. Da war auch ein politischer Streik dabei. Eigentlich wollen wir Arbeitskonflikte und nicht politische Streiks präsentieren, aber der Generalstreik gegen die Nazis war dabei.

Jan: Der hat sich damals gejährt, deswegen haben wir uns für den entschieden.

Mattias: Im Mai [2023] werden wir auch aus der Reihe springen, denn da machen wir eine Retrospektive über Punk in der DDR. Also mit Bands und Photos von damals. Eine Wiedervereinigung von Planlos spielt dabei zusammen mit Moloch. Wir versuchen also eine Mischung zu finden, die uns Spaß macht und an der auch andere Leute etwas Interesse haben.

Und welche Veranstaltung hat Euch am wütendsten gemacht?
Mattias: Wütend?

Oder sagen wir, welcher Streik hat euch am meisten bewegt?
Jan: Also ich finde den Südafrikastreik [Anm. Mika: das Massaker von Marikana] schon sehr hart, den wir heute bearbeiten.

Mattias: Da wurden 34 Leute einfach nur abgeknallt. Das zeigt, auch wenn die Apartheidszeit seit 30 Jahren vorbei ist, dass das Erbe der Kolonialzeit und die Apartheid weiterleben. Das hat wenig mit Schwarz und Weiß zu tun, sondern viel mit Konflikten von Norden und Süden, mit Ausbeutung und besonders mit Ausbeutung in Südafrika. Ein Beispiel, wie nah an der Oberfläche die Gewalt liegt. Das ist wirklich brutal!

Zeigt ihr auch den Film Miners Shot Down?
Mattias: Ja!

Eure Veranstaltungsreihe hat im Untertitel den Namen „ein Punkabend“. Warum Punk?
Mattias: Weil wir alle ehemalige oder noch heutige Punks sind und auf die Musik stehen. Wir hätten auch einen Schlagerabend machen können, aber niemand von uns mag Schlagermusik.

Jan: Damit hätten wir keine zwei Abende vollgekriegt.

Auf jeden Fall mit einem anderen Publikum …
Chrischan: Vielleicht mit dem richtigen Publikum …

Wie wählt ihr Punkbands für den Abend aus? Sie erscheinen mir sehr verschieden zu sein.
Mattias: Das ist ein Ding, das wir durch Zufall entdeckt haben. Wir haben sehr viele Ideen, alle bringen etwas ein, was sie mal gehört haben, was vielleicht unbekannt ist. Und dann versuchen wir für jeden Abend zwei Bands zu buchen, die nicht unbedingt zusammenpassen. Wir hatten Hans am Felsen, eher so Folkpunk, mit einer Crust-Punkband. Wir haben Elektronik mit Glam gehabt.

Wir wollen, dass zwei verschiedene Publikums kommen. Das haben wir schon mehrfach geschafft. Die Leute kommen für eine Band, hören aber beide. Klar, sie mögen vielleicht eine Band mehr, aber sie sind bei beiden dabei. Mittlerweile bekommen wir Vorschläge von überall und versuchen alles anzuhören. Und es muss reinpassen, wir machen es halt nicht oft. Und Bands, die sagen, wir können nur im November, sind für uns schwierig. Heute ist der finale Abend der Deutschlandtour der beiden Bands (Anm.: Colored Moth und Riot Spears spielten) und dann haben wir gesagt: Passt! Dann machen wir das da.

Jan: Wir kommen jetzt auch tatsächlich in die Gefilde, in denen wir auch mal angefragt werden, ob manche Bands nicht mal bei uns spielen können. Das ist eigentlich das, was wir erreichen wollen, dass manche kleinen Bands sagen: „Och, hier könnten wir mal Glück haben und da wollen wir mal spielen.“ Das war mein persönliches Ziel, dass mal irgendjemand sagt: „Ich versuche hier mal anzufragen, hier ist irgendwas.“

Mattias: Ich finde es auch ziemlich cool, dass wir mit unserem kleinen Budget Bands doch einiges anbieten können. Alle Bands bekommen 35 Prozent von den Einnahmen und wenn die Bude ausverkauft ist reden wir von etwa 400 Euro. Das ist für einige Kellerbands in Berlin ansonsten überhaupt nicht in der Nähe.
[Zustimmung]

Mattias: Wir haben halt die Möglichkeit das zu machen, weil wir ansonsten nichts zahlen.

Jan: Wir zahlen schon unsere Betriebskosten. Ein Euro von jedem Ticket geht in die Betriebskostenerhaltung.

Mattias: Aber wir können den Rest halt den Bands geben, weil wir nichts verdienen wollen. Das ist für alle eine Win-Win-Win-Situation.

Achtet ihr auch auf den Background der Bands?
Jan / Mattias: Ja!

Auch, ob es da einen Klassenbackground gibt?
Mattias: Nicht Klassenbackground! Wir informieren die Bands und jetzt ist es ein Selbstläufer. Die Bands wissen, dass wir immer einen Klassenkonflikt oder Streik darstellen. Und wir informieren sie, ob sie irgendetwas dagegen hätten. Auf der anderen Seite schauen wir natürlich, dass wir nicht irgendwelche vaterländische Bands haben. Aber da sind wir eigentlich tief genug in der Szene, dass das klar ist.

Jan: Wir kennen uns jetzt auch alle und niemand schlägt jetzt irgendwelche Bands vor, die anderen missfallen. Das ist schon ein kollektiver Entscheidungsprozess.
Wie nehmt ihr die Klassendebatte in der Punk-Szene war? Am Theater gibt es das durch Eribon und anderen schon seit langem. Im Punk ist die Debatte doch eher randständig. Bekommt ihr Feedback aus der Punkszene, mal abgesehen von den Bands, die hier spielen wollen.

Mattias: Ehrlich gesagt, eher weniger. Es ist kein richtig großes Thema. Einige Bands, die hier waren, sagen danach, dass sie fanden, dass die Umgebung und die Informationen wichtig sind. Einige haben gesagt, dass sie von diesen Themen keine Ahnung hatten. Aber als Klassenthema ist es hintergründig. Für uns ist es sehr wichtig, aber für die Bands reicht es uns – und vielleicht auch denen – dass sie damit einverstanden sind. Nicht viel mehr.

Und wir haben damals, als wir den Bergarbeiterstreik 1984 hatten, der ein riesen Ding ist – oder den Bergarbeiterstreik in der Ukraine. Da hätte man auch viel mehr raus machen können. Aber zwei Stunden Punkkonzert und vorher Seminar mit Fragen und Antworten, das schaffen wir nicht. Das macht auch keinen Spaß. Man hätte einen zweiten Tag dran hängen können, aber die Möglichkeit haben wir nicht.

 

Das können wir einfach nicht leisten. Dafür haben wir Dramaturgen, die manchmal was aufgenommen und weitergeführt haben. Die Gender-Diskussion haben wir ganz gut hinbekommen, finde ich. Da hatten wir den Prostituiertenstreik in Frankreich und gleichzeitig hatten wir Eat Liptstick, die alle Gender-Stränge gezogen haben. Da haben wir gute Vorarbeit geleistet. Das war ein Thema ohne ein Thema zu sein. Das ist einfach so. Das war auch eine unserer besten Veranstaltungen.

Jan: Auf jeden Fall!

Wir haben das gerade schon so ein bisschen angerissen: der Bergarbeiter Streik in Marikana, Südafrika. Der ist aktuell 10 Jahre und ein paar Monate her. Verfolgt ihr auch, wie es weiter geht? Oder ist das Thema für Euch mit dem Abend soweit abgeschlossen?
Jan: Wir versuchen Arbeitskämpfe herauszusuchen, die abgeschlossen sind. Da wir eingeschränkt in unserer zeitlichen Arbeit sind, können wir uns nicht mit noch laufenden Arbeitskämpfen auseinandersetzen. Wenn das immer noch ein dynamischer Prozess ist und dann noch einiges passiert ist, was wir gar nicht mitgekriegt haben, weil wir nicht die Zeit haben, das die ganze Zeit eng zu verfolgen, dann steht man halt auch richtig dämlich da. Das wollen wir einfach nicht. Wir wollen eine Arbeit einfach präsentieren. Die ist jetzt nicht super tiefgründig. Das ist auf jeden Fall erstmal so. Wir geben einen rundum Blick und wecken das Interesse für Streiks. Wo man als Zuschauer oder als Besucher sagt: Ach Mensch, da könnte ich mich ja noch vielleicht ein bisschen mehr beschäftigen, ne?

Mattias: Also klar, wir sind ein bisschen feige. Aber wir sind auch keine homogene Gruppe, die eine Führungspersönlichkeit folgt oder behaupten, dass wir wissen wie genau alles läuft. Wir werden es einfach nicht schaffen, eine gemeinsame Meinung zu einem jetzigen Streik zu formen. Aber manchmal passiert das durch die Wirklichkeit.

Wir hatten hier … was war noch für ein Streik?
Jan: Das Wombats!

Mattias: Das Wombats, das Hostel, wo der Betriebsrat gestreikt hat und die das Haus besetzt haben. Wir haben gleichzeitig einen Abend gehabt und die kamen, haben gefragt: „Können wir hier vielleicht etwas sagen?“ Da haben wir hier Banderolen aufgehängt: „Wombats muss sterben“ oder irgendsowas. Die durften Flugblätter verteilen. Das war super. Dann haben sich die Beteiligten vom Wombats zusammen bei uns vorgestellt und etwas gemacht. Wir mussten nur da sein, nur die Location stellen. Solche Dinge sind natürlich sehr schön.

Oder auch mit diesen Latinos in Texas, da haben wir mit DANN-Merchandise, der Textildruckerei zusammengearbeitet. Die haben gesagt, wie ihre Zusammenarbeit mit Bangladesch funktioniert, wie man mit Leuten vor Ort zusammen faire Textilien machen kann. Die haben ihre eigene Ecke gehabt und eine Rede gehalten, wie man genau mit diesem Nord-Süd-Machtgefälle umgehen könnte, auf eine andere Art und Weise.

Das hätten wir uns so nicht vorstellen können, aber die waren dabei und haben uns und unsere Bühne genutzt. Das war eine sehr schöne Zusammenarbeit für mich.
Wie wichtig ist Euch zum Beispiel eine internationalistische Perspektive? Sagen wir mal eine globalere Perspektive außerhalb Europas oder Nordamerikas, wo man ja eher an Informationen rankommt?

Mattias: Tja, wir wollen es, aber es ist schwierig.

Jan: Ja, wir wollen global irgendwie überall mal reingucken, aber es ist wirklich ganz schön kleinteilig.

Mattias: Wir wollen natürlich auch Streiks finden, von denen es vielleicht schon Informationen, Fotos, Filme oder ähnliches gibt. Ich meine, man kann natürlich den Frauen-Streik im antiken Griechenland nehmen. Dann haben wir erstmal nur Kritzeleien von Frauen, die nicht Sex haben wollen wegen einem Krieg. Aber da kommen wir nicht so weit für so einen Abend.

Wäre wahrscheinlich auch mal spannend. Aber Marikana, Du hast das vorhin schon mal gesagt, Mattias, das ist das größte Massaker in der Post-Apartheidszeit und meines Wissens hat es immer noch keine Entschädigung gegeben. Das Platin geht nach Deutschland, meines Wissens war BASF zum Zeitpunkt des Massakers der Hauptkunde. Zudem bahnen sich immer wieder Proteste und Streiks an, bis heute. Inwieweit spielt diese globale Ungerechtigkeit und der Bezug nach Deutschland für euch eine Rolle?
Mattias: Wir versuchen es einzubeziehen, wenn es tatsächlich eine Verbindung gibt. Du hast uns darauf aufmerksam gemacht [Anm. Mika: Im Vorfeld der Veranstaltung und noch vor der Interview-Anfrage hatte ich eine Email geschrieben und versucht sie mit der Kampagne „Plough back the fruits“, in der die Hinterbliebenen sowie Unterstützer*innen jener organisiert sind, zu vernetzen] auf die BASF-Verbindung. Wir wussten schon, dass es nicht nach, sagen wir, England geht.

Aber sobald es da irgendwas gibt, ist es natürlich interessant. Bei unserem ersten Streik, bei den Autozulieferern in Frankreich, gab es auch gleich Verbindungen mit deutschen Firmen und natürlich deutschen Autos und so. Wo es auf der Hand liegt, wollen wir das zeigen. Wiederum, bei dem Textilarbeiterstreik ist es doch sehr einfach, weil Leute kaufen Klamotten und man will so billig wie möglich kaufen. Bei dem kam es also auch vor. Wir haben keine ideologische Plattform, auf der wir arbeiten und wir versuchen es trotzdem so gut wie möglich.

Jan: Es ist aber auch schon dramaturgisch gesehen einfach, sobald es jemanden irgendwie persönlich berührt. Dann ist es natürlich für denjenigen auch interessanter, als wenn es weit weg ist. Wir sprechen von mexikanischen Textil-Arbeiter*innen und kaum jemand in Europa trägt irgendwelche mexikanischen Textilien. Aber sobald es nach Bangladesch geht, auch heute noch …

Mattias: Habe heute noch was über Levis gelesen …

Jan: Levis ist heute meistens auch schon ostasiatisch. Also das ist tatsächlich so, sobald es einen selber irgendwie betrifft, ist das Interesse und das Aufhorchenlassen natürlich nochmal größer.

Wie steht ihr dazu: Bei Streiks ist man sehr schnell bei der Automobilindustrie und dem Kohleabbau, weil das die sehr stark gewerkschaftlich organisierten Bereiche sind, was total positiv ist und gleichzeitig geht man ins sehr Zerstörerische, Umweltzerstörung und Klimazerstörung. Spielt das für euch auch noch eine Rolle oder sagt ihr, wir fokussieren uns eher auf die Arbeiter*innenkämpfe, weil das andere würde unseren Abend überfrachten?
Jan: Das spielt vielleicht eine persönliche Rolle, aber nicht in unserer Reihe. Vielleicht ist das eine Anmerkung wert. Wenn es natürlich große, Klima zerstörerische Momente gibt, dann wird man darauf eingehen.

Mattias: Wir arbeiten wirklich sehr, sehr unterschiedlich und freiwillig. Zum Mai haben zwei Personen sich die Mühe gemacht und sich um die ostdeutsche Punkszene gekümmert. Um diesen Streik heute hat sich vor allem eine Person gekümmert. Wir hatten den großen Streik bzw. den Arbeitskonflikt in Katar, bei der Fußball-WM. Da haben wir mit dem 11mm-Festival und Brot und Spiele zusammengearbeitet und die hatten natürlich ein sehr großes, hintergründiges Wissen über den Konflikt.

Dadurch hatten wir sehr lange und viele Texte, drei Filme und eine Fotoausstellung. Wir hatten von dem 11-Freunde-Magazin die Plakate. So bekamen wir sehr viele Informationen, die auf mehreren verschiedenen Ebenen anwesend waren. Da ging es dann um die Wohn- und Arbeitssituation der einzelnen Arbeiter in Katar. Wir hatten die FIFA als Problem dargestellt. Du siehst, es ist wirklich unterschiedlich, wie viel Interesse und Material da zusammen gefunden werden kann. Und wir machen das immer noch in der Freizeit.

Jan: Und wir suchen auch immer nach Kooperationen.

Mattias: Genau, wir sind sehr offen dafür mit Leuten, die vielleicht schreiben oder mehr Wissen haben, zusammenzuarbeiten. Wir hatten auch schon eine Rede, die nicht von uns stammte. Beim Prostituierten-Streik haben wir zum Beispiel das Sex-Arbeiter*innen-Kollektiv von Berlin eingeladen. Die haben eine Rede gehalten und hatten einen Büchertisch. Dort konnten Leute auch Einzelgespräche führen. Das ist uns am Ende lieber, wenn jemand diesen Teil von uns mit aufnehmen kann, weil wir nicht alles schaffen und nicht von allem Ahnung haben.

Nicht, dass das jetzt durch die Fragen falsch rüber kommt: Ich finde das total großartig, wie ihr das macht. Den Katar-Abend fand ich auch sehr gelungen. Es war ja auch deutlich mehr, als nur was schon in dem 11-Freunde-Magazin war. Die Karten [Anm. Mika: Es gab kurze Portraits über verstorbene Arbeiter*innen, zum Teil mit Herkunftsort, warum sie ins Ausland gegangen sind und welche Erwartungen sie und ihre Familien hatten. Das war sehr herzzerreißend!] fand ich sehr eindrucksvoll, auch die aktuellen, positiveren Lohnkämpfe, bei denen die Arbeiter selbst für ihre Löhne kämpften und eine aktive Rolle hatten. Weil häufig wirken einige der Geschichten immer, als wären die Menschen Opfer und nicht handelnde Personen. Das fand ich in dem Kontext richtig gut gemacht! Darüber hinaus würde mich aber noch interessieren: Im Vorfeld gab es unweit in diese Richtung [Anm. Mika: Wir sitzen im 2. Stock der Volksbühne und während ich bei der Frage in Richtung Süden zeige, fangen alle Anwesenden an zu lachen …] einen Streik …
Mattias: Aaargh, ja, wir haben das in der Hinterhand. Irgendwann muss es solange her sein, dass es möglich ist etwas zu machen.

Chrischan: Ziemlich genau fünf Jahre …

Mattias: Wir haben sogar ehemalige Betriebsratvorsitzende des Babylons, die bei uns arbeiten. [Anm. Mika: Im Jahr 2015 gab es einen ziemlich langen und ausufernden Streik beim Kinobetreiber Babylon. Das Kino ist nur wenige Meter von der Volksbühne entfernt.]

Jan: Wir kriegen schon Informationen ran …

Mattias: Das kriegen wir auch irgendwann noch hin.

Das führt dann schon über zu der Frage, welche zukünftigen Arbeitskämpfe können wir noch erwarten?
Mattias: Jetzt auf unserer Liste steht – für die weitere Zukunft auch Babylon – aber wir haben noch die Weber aus Babelsberg, ein Arbeitskonflikt im Ruhrgebiet, bei dem Migrantinnen bei einem Autozulieferer gestreikt und Lohnerhöhungen durchgesetzt haben. Die waren als minderwertige Arbeiterinnen angestellt und haben weniger Geld als deutsche Frauen bekommen. Auf jeden Fall viel weniger als deutsche Männer und die haben einfach nur gestreikt. Und haben dann auch etwas erreicht. Wir haben eigentlich eine Hitliste: Es soll ein Streik sein, am liebsten nicht in Deutschland. Dann am besten geglückt.

Jan: Was echt schwierig ist …

Mattias: Genau, was wir eigentlich immer noch nicht geschafft haben. Und was ist der andere …

Jan: Äh, naja …

Mattias: Äh ja …
[Aus der Volksbühne, die nebenan bespielt wird, tönt Applaus zu uns herüber.]

Mattias: Danke!

Zurecht Applaus an dieser Stelle. Die letzte Frage, die wir uns im Vorfeld überlegt hatten: ein Drittel der Wochen-, der Lebenszeit ist ja in etwa Arbeit. Ihr greift sehr viele vergessene Arbeitskämpfe auf, aber gibt es auch unvergessene Arbeitskämpfe? Gibt es Kämpfe, von denen ihr sagt, die sind uns noch präsent?
Jan: Wenn wir jetzt mal ehrlich mit uns umgehen, dann ist der Bergarbeiter-Streik in England auf jeden Fall nicht vergessen. Also, wir haben schon unvergessene Arbeitskämpfe bearbeitet. Auch Katar ist im allgemeinen Bewusstsein vorhanden.

Mattias: Wir hatten eine Diskussion um den Pflegestreik. Aber der war uns zu nah und zu frisch. Außerdem ging da vieles in viele Richtungen …

Jan: Der Streik geht ja eigentlich noch immer …

Mattias: Das ist also auch nicht vergessen. Und vor zwei Tagen war die deutsche Bahn still gelegt. Wir wissen schon was läuft …

Jan: Gucken wir nur mal nach Frankreich!

Mattias: Gott, ich will doch nicht bis 63 arbeiten!

Jan: Das ist auch eine Streikkultur, die uns eigentlich anheizt.

Stimmt!
Jan: Das ist was uns gut gefällt.

Was wäre dann Eure Theorie, warum Streiks zum einen so wenig Solidarität in der Gesamtgesellschaft erfahren und zum anderen aber auch im Punk unterpräsentiert sind?
Mattias: Stimmt das? Wie meinst Du das? Das finde ich nicht.

Zum Beispiel der Bahnstreik: Aktuell streikt in Frankreich gefühlt das halbe Land, in Deutschland beschwert man sich, dass man zu spät zur Arbeit kommt.
Jan: Das ist ganz schön deutsch einfach.

Mattias: Ich teile die Meinung nicht, ehrlich gesagt. Ich finde schon, dass Menschen Verständnis haben. Klar, schwierig wenn es plötzlich vor Dir ist, ohne dass du Bescheid weißt. Aber beim BVG-Streik vor ein paar Jahren, das war auch für einige ärgerlich, aber irgendwie waren Leute nicht völlig dagegen. Weil die Leute, die mit dem Bus fahren, sind genau die gleichen Leute, die den Bus fahren.

Jan: Du umgibst Dich vielleicht mit den richtigen Menschen.

Chrischan: Du siehst das anders, oder?

Jan: Ich sehe das auf jeden Fall anders. Ich kenne viele Leute, die dafür kein Verständnis haben. Zum Beispiel aus der Familie. „Das kann doch nicht wahr sein, die sind doch im öffentlichen Dienst und sollen sich nicht so anstellen.“ Da gibt es schon genug, die so denken.

Und im Punkbereich? Der UK-Bergarbeiterstreik war eines der sehr großen Themen. Jede Band, die was auf sich gehalten hat, hat da einen Song drüber gemacht. 2023 find ich weniger Songs, die solche Themen aufgreifen.
Mattias: Du bist hier doch mit jemanden, der hier als Band gespielt hat. Du solltest die Frage an diese Bands stellen und nicht auch uns.

Bei denen kenne ich die Meinung …
Jan: Vielleicht ist das einfach die Entkoppelung der Musik vom Arbeitsmarkt …

Dann wäre es was Positives …
Jan: Das wäre eine gute Sache, ja. Ich sehe das auch nicht negativ. Eine Politband ist vielleicht anders eingestellt, als eine Punkband. Punkbands haben andere Wege, das System zu kritisieren als Streiks zu thematisieren, vielleicht.

Mattias: Es gibt doch auch Bands, die das verbunden haben. Ich sage mal Crass. Das war natürlich auch 1984. Aber die haben sehr guten Punk gemacht und gute Polittexte.

Jan: Auf jeden Fall, Polittexte gibt es, na klar, aber orientiert sich vielleicht nicht am Arbeitsmarkt. Aber vielleicht ist das eine ganz andere Geschichte. Das ist schon weit gefächert und ich denke, da gibt es schon Punkbands die sich damit beschäftigen, würde ich mal meinen.

Ansonsten ist Arbeit ja auch Scheiße! Habt ihr ansonsten noch Antworten, auf Fragen, die ich nicht gestellt habe?!
Mattias: Danke für die guten Fragen.

Die Antworten waren super! Vielen, vielen Dank! Macht so weiter! Der nächste Abend „Unvergessene Arbeitskämpfe – ein Punkabend“ findet übrigens am 19. Oktober 2023 statt. Thema: „Streikführer: Stalin“ und es spielen Rosa Beton & Pink Wonder. Ab 21:00 Uhr in der Berlin Volksbühne.

Mika

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