Januar 27th, 2023

Verbot und Verzicht – Politik aus dem Geiste des Unterlassens, Philipp Lepenies

Posted in bücher by Dolf

Suhrkamp Verlag, Postfach 40644, 10063 Berlin, www.suhrkamp.de

Vorausschicken will ich eben: Dieses Buch ist in der „Edition Suhrkamp“ erschienen, die gibt es seit 1963 und jedes Jahr erscheinen dort fast fünfzig Bücher. Man kennt die, gegebenfalls noch von früher, oder aktuell, wegen der auffallenden Gestaltung in Spektralfarben. Dieser Band ist der 2787. – aber mein erster. Doch das alles nur am Rande. Zusammengefasst vertritt der Autor die Meinung das die Regierung eben genau das nicht tut – regieren. Sondern sie unterlässt das regieren – weil die Gesellschaft denkt, jeder Eingriff in ihre sogenannten Freiheiten – wobei es hier meist um Konsum geht – wäre eben der erste Schritt in eine Verbotsdiktatur. Das sieht der Autor anders und argumentiert das Verbot und Verzicht lange Zeit sehr wirksame Instrumente waren um Probleme zu lösen.

Interessant und sehr gut erklärt er auch, wie sich diese Meinung etablieren konnte und welche historischen Vordenker dafür gesorgt haben – hier entwickelt sich das Buch stellenweise zum Wirtschaftsgeschichtsbuch – das nichts wichtiger ist als der Konsum. Weder das Klima, noch die Gesundheit oder geschweige denn die Umwelt. Aber es ist tatsächlich so, man kann es hier nachlesen, wen es interessiert, eine geschichtliche Zusammenfassung spare ich mir jetzt – obwohl es sich lohnt. Aber jeder kennt das sicher aus seinem eigenen Umfeld, sobald mal eine Partei oder „jemand“ von einem Verzicht spricht, tönt es sofort Ökodiktatur oder ähnliches, keiner will auf seinen Urlaub verzichten und shoppen und genießen gehört einfach zum, vermeintlich, guten Leben dazu. Dabei war es beim Kapitalismus auch mal tatsächlich so, das nur arbeiten und sparen erstrebenswert waren und eben nichts zu konsumieren. (auch nicht gut!) Das hat sich dann leider vor einiger Zeit geändert und es etablierte sich eine neoliberale Haltung, die im Staat einen Gegner sieht und individuelle Konsumentscheidungen über moralische und ökologische Bedenken stellt. Und wie sich seit der Finanzkrise oder seit fast drei Jahren Pandemie und jetzt auch noch während dem Krieg in Europa zeigt, reichen Krisen nicht aus um das Verhalten der Menschen zu ändern. Sollte also der Staat mit noch mehr Verboten eingreifen? Wahrscheinlich muss er das, wenn sich was ändern soll. Das dies dem vom Neoliberalismus verseuchtem Volk nicht passen wird, ist leider auch schon klar und deshalb ist es auch nicht klar, ob es funktionieren würde. Obwohl natürlich Menschen Verbote eigentlich mögen, nur nicht wenn sie neu sind, erst wenn sie dran gewöhnt sind (siehe Sicherheitsgurt im Auto, Promillegrenze am Steuer, Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Straßen, hmmm, ist das Auto vielleicht ein Hauptproblem? ;-).). Im Prinzip ist es die immer wiederkehrende Kritik am Neoliberalismus, diesmal aber anders formuliert und mir hat das gut getaugt. Denn es ist schon erstaunlich wie wenig sich das Volk darüber im klaren ist, das seine vermeintlichen Freiheiten eigentlich genau das Gegenteil sind. Was ich aber hier viel spannender finde, ist die Frage wie man das mit den Verboten steuern will, denn, wenn die Regierung jetzt verbieten würde das Menschen nur ein bestimmtes, begrenztes Vermögen besitzen dürfen oder die Massentierhaltung, überflüssigen Konsum usw. usf. nicht mehr erlaubt ist, dann würde sie dafür sorgen das seit Jahrzehnten bekannte Probleme angegangen oder sogar verändert werden. ABER es kann ja auch ganz anders kommen und dann ist der Ruf nach mehr verboten und mehr regieren eine zweischneidige Sache. Denn wird zum Beispiel die freie Presse verboten oder bestimmte sexuelle Praktiken oder die Glaubensfreiheit… in dem Fall wäre man sicher ganz froh wenn man sich nie gewünscht hätte, das die Regierung durchregiert. Weil und das ist das Dilemma, es kann sich ja alles immer wieder ändern. Auch wenn das strenggenommen ein anderes Thema ist – aber man muss es halt mitdenken.
Wer sich gar nicht für Wirtschaftsgeschichte interessiert sollte hier die Finger von lassen, aber dennoch und grade deshalb ist das sehr lesenswert und einiges Futter fürs Gehirn. 266 Seiten, Taschenbuch, 18,00 Euro (dolf)

Isbn 978-3518127872
[Trust # 217 Dezember 2022]

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