Dezember 31st, 2022

Tischlerei Lischitzki (#212, 2022)

Posted in interview by Thorsten

Wir ahnen Böses

Es gibt im Moment wahrlich wenig Anlässe zum Feiern. Klar, alle sind längst alles satt und obendrauf kommt jetzt noch so eine Punkband und veröffentlicht zu allem Überfluss auch noch eine Konzeptplatte über Familiengeschichte und NS-Vergangenheit. Der Auftakt für ein deprimierendes Interview? Kann schon sein. Vergangenheit und Schuld geht uns aber alle an. Hinschauen, drüber nachdenken, auch wenn’s lästig ist und weh tut. Tischlerei Lischitzki haben in Archiven ihre Familiengeschichte recherchiert und dabei einiges über die doch teilweise recht unterschiedlichen Rollen ihrer Angehörigen während des NS-Regimes herausgefunden. Keine leichte Lektüre. Um das Ganze zu verarbeiten, hat sich die Band vor ein paar Jahren vorgenommen, darüber eine Platte zu machen. Dieser musikalische und antifaschistische Beitrag zur Erinnerungskultur ist nun auf Elfenart Records erschienen. Ich habe mich mit Ralf, dem Sänger und Texter von Tischlerei Lischitzki, unterhalten und heraus kam dabei dieses ausführliche Interview. In unserem Gespräch folgen wir Lied für Lied der Tracklist des Albums, das die Band nun veröffentlicht hat. Die Bilder und handschriftliche Bildunterschriften, die das Interview begleiten, entstammen zum Teil Feldpostbriefen von Ralfs Großvater. Das wieder einmal bleibende Fazit: Aufstehen gegen Faschismus und Rassismus! Gestern – Heute – Morgen.

Das Konzept

Benni: Hallo Ralf! Schön, dass wir uns mal über eure neue Platte unterhalten können. Das Ganze ist ziemlich offensichtlich eine Konzeptplatte. Faschismus, Rassismus und die vergangene und aktuellere deutsche Zeitgeschichte stehen im Zentrum: Eine antifaschistische Aktion und weniger ein weiteres Tischlerei Lischitzki Album. Absolut passend, aber so ein konsequentes Konzeptalbum ist doch eher ungewöhnlich für eine Punkband. Wie kam es zu diesem Entschluss?

Ralf: Ich sehe das schon als weiteres Album der Tischlerei, aber eben thematisch eingegrenzt. Der Entschluss das so zu machen war eher ein Prozess, zuerst gab es aus damals aktuellem Anlass tatsächlich das Lied „Konzertanfrage“ als Text und die Musik für andere Sachen war auch schon fertig. Ist ja alles auch schon eine Weile her und wir haben sehr, sehr lange für dieses Album gebraucht…und meine Idee vom Konzept, stand einer baldigen Veröffentlichung teilweise auch im Weg, weil ich Ideen im Kopf hatte, die aber nicht in Form bringen konnte. Grad das Lied „Familiengeschichte“ hat Jahre gedauert und ist auch noch nicht fertig, meine Familie, bzw. meine Mutter und ich finden manchmal wieder Puzzleteile. Die Antwort auf die Anfrage, was mein Opa bei der Wehrmacht gemacht hat, hat 2 Jahre gedauert…taucht aber im Lied nicht mal wirklich auf…nur etwas im Artwork. zum Teil hab ich auf Informationen gewartet, zum Teil hatte ich Informationen die mich erstmal geplättet hatten… „Feldpost“ und „Familiengeschichte“ haben ewig gedauert…waren aber als Idee die ganze Zeit im Kopf. Auch als jetzt das Textblatt fertig war, da hat meine Mutter mir noch diese Fotos geschickt, die sie am Tag vorher bei meinem Onkel entdeckt hat…also, musste ich Chrischan, der uns bei der Grafik unterstützt hat schreiben, „Ähem…ja also, sieht super aus, vielen lieben dank…aber ich hab da grad noch diese Fotos, kannst du die noch reinbasteln“. so war das oft…Textidee fertig, neue Infos…das muss mit rein…

Letztlich ist die Zeit auch wie sie ist, es ist gefühlt viel konservativer in vielen Bereichen geworden, die Mitte hat sich verschoben, deutlich nach rechts…und als Punkband wird Mensch dazu jawohl noch wat sagen dürfen…und Punk ist Antifaschismus ohne wenn und aber, da hatten wir als Tischlerei nie das Gefühl oder das Bedürfnis, das als Label auf eine Platte schreiben zu müssen. Haben wir diesmal auch nicht, aber wer sich die Texte durchgelesen hat kann jetzt ein Plakat der antifaschistischen Aktion in die Stadt kleistern. Und es fühlt sich für mich auch gut an jetzt thematisch wieder freier zu sein…aber auch jetzt bietet die Realität jeden Tag Steilvorlagen für Texte gegen das vergessen, gegen Rassismus, gegen die … den Tag ohne Nein haben wir noch nicht erlebt.

 

Konzertanfrage

Benni: Du sagtest, der erste Song der Platte („Konzertanfrage“) hatte einen aktuellen Anlass. Das Problem, dass man auch im Punkbereich relativ schnell auf rechte bis rechtsoffene Trottel trifft, is ja sowieso größer als man meinen möchte… Kannst du vielleicht nochmal von euerer damaligen Absage erzählen?

Ralf: Klar, es waren 3 Absagen in einem Jahr, alle tatsächlich von „irgendwie“ bekannten Veranstalter*innen. Da war ein Friedensfest in Lüneburg, da hieß es es kämen nur Lüneburger Bands…kleines ding im Park wo „unsere“ Konzerte stattfinden, ich kannte die anderen Bands nicht und hab die im Netz gesucht…so Rock Krams aus Lüneburg…hab nicht alle nachgesehen, die Hiphop Band kannte ich nicht…und hab nicht nachgesehen, wenig später lachte mich ein Bekannter an: was ihr spielt mit denen, ist nicht euer Ernst? Das war mir peinlich und ich hab recherchiert…da kam ich dann sehr schnell auf deren Querfront Aktivitäten…und das die auch nicht aus Lüneburg waren…das hab ich den Veranstalter*innen dann gesagt und auch das wir mit denen nicht spielen werden. Da sich die Veranstaltungsgruppe dann erst beraten musste und nicht sofort dieser Band abgesagt hat, haben wir das natürlich nicht gemacht. Hätten die gesagt: „Sorry…wir haben die ausgeladen“, hätte ich trotzdem nachgefragt, wie sie drauf gekommen sind, die einzuladen…und daraufhin über unsere Teilnahme entschieden.

Ein anderer Lüneburger Veranstalter fragte uns für eine seiner Veranstaltungen an, die Bands die ich in seinen Lineups gefunden hatte, schrieben dann so Sachen, das sie auf der G.O.N.D gespielt hätten etc. und hatten so Links zu dem ganzen deutschrocksumpffreiwildinternetradioscheiss. die f-book Fotos von manchen der „Rockzone“ Veranstaltungen zeigten dann auch Publikum mit Freiwild etc. Merch, natürlich passt da ne Profi-Hobbypunkband wie wir nicht rein. Der hat sogar mehrfach gefragt, aber erstmal nix verstanden. Beim dritten mal war das wieder so: Lineup in die Suchmaschine und tschüss…das Enttäuschende daran war allerdings, wie normal die Scheisse ist und das die es nicht verstanden haben…da hab ich mich gefragt warum ich das überhaupt erklären muss… Nee, 4 waren es…das letzte war dann auch traurig, „Strasse der Begegnung“ auf dem Lüneburger Stadtfest, so ein Abschnitt von Leuten der Geflüchtetenhilfe in Lüneburg, da waren wir das Jahr davor auch und es war sehr schön…die haben dann aber auch die Band des einen Lüneburger Veranstalters gebucht, der hat gleich ein Paket angeschleppt. Mittlerweile ist zumindest seine Labelseite frei von diesem Deutschrock Krams, ob der aber was verstanden hat, weiss ich nicht..ich glaub die hatten zu der Zeit ein Video aus dem Proberaum, Slime und Krawallbrüder Poster, wenn ich mich recht erinnere, will ja niemanden Böses andichten…da wirkt viel wie normales Rockband Marketing…zumindest hat seine Band ein Lied gemacht mit der Zeile „auch wir sind keine Nazis“ oder so…vielleicht ist die Zeile mir gewidmet. Mit dem hab ich ne Menge geschrieben… die Google Ergebnisse geschickt und so…sind wir da kleinlich? Scene Kontext ist deutlich angenehmer

Benni: Ob das kleinlich ist? Nein. Ist ja eine Frage der Haltung. Du willst ja irgendwann diesen einen Tag ohne ein Nein haben. Den bekommst Du aber nicht, wenn Du zu allem Ja sagst. Ich denke, dass es wichtig ist, dass Veranstaltende, die vielleicht nicht so sehr in einer linken Szeneblase hängen, aber auch andere Bands, die es zumindest dem Anschein nach tun, mit solchen Genauigkeiten und Fragen genervt werden. Anders wird das leider nicht zum Standard…

Ok… nächstes Lied? Es wird immer düsterer: „Feuer“!

 

Feuer

Benni: Das kommt mir vor wie 2015 geschrieben. Ein zweiter „Schweineherbst“.

Ralf: Ja, es wird düsterer. Wie gesagt, die Platte hat lang gedauert…auf der Bedeutungsschwanger LP war „Weil wir leben wie wir leben“ da heißt es „dann wird’s ganz schön eng hier und das macht große Angst hier“, dann kam 2015 und neben einer großartigen Willkommenskultur und Solidarität, kam die dreckige Fratze des Hasses zum Vorschein. Diesmal auch schlagzeilen-wirksam in Form von brennenden Häusern die für Geflüchtete sein sollten, mal erst geplant und mal schon bewohnt. Es brannte wieder in diesem Land, das sich gern als schlaues Land verkaufen möchte…die Politik redete von Obergrenzen, heute reden die gleichen Menschen vom großen Fehler. Die AfD schaffte es ohne Anlauf in viele Parlamente und zeigte immer offener ihr Gesicht. Da haben viele Menschen ihr Kreuz an diese Stelle gemacht, da sind viele Dämme gebrochen. Nix gelernt aus der deutschen Vergangenheit. Die Wahlergebnisse zeigten, das auch in meiner Nachbarschaft viele Menschen Hass gewählt haben, die mich vielleicht freundlich begrüßen wenn ich vor der Tür ne Kippe rauch.

Goethe oder Göbbels? Dem einen sind sie näher.

Benni: Und das Schlimme daran: neben all diesem Hass gegen Geflüchtete wird mit der Not der Menschen Profit gemacht. Es gibt aufschlussreiche Recherchen von z.B. border line europe dazu (https://www.borderline-europe.de/), die zeigen, wer alles so vom EU-Grenzregime profitiert: dazu gehören nicht zuletzt die, die hier immer lauthals fordern, diese Menschen sollen doch bitte zuhause bleiben. Aus der Not eine kapitalistische ‚Tugend‘ machen, das können sie. Ich finde es dann noch unheimlich deprimierender, dass überall über Verschwörung gerochen wird, aber diese glasklaren Dinge, die Menschenrechtsverletzungen, das permanente moralische Scheitern, gegen all das, wird sich wenig bis gar nicht empört. Es geht den Kartoffel-Deutschen einfach zu wenig an die eigene Substanz.

Ralf: Ja genau. Aber es geht an unsere eigene Substanz, positiv eben, wir werden fetter. Wir profitieren von der Ausbeutung hierzulande oder woanders. Ach ach ach.

 

Feldpost

Benni: Du bist über Archive und über Familienbestände an Feldpost und Fotos gekommen, die ein Familienangehöriger im Krieg an die Familie geschickt hat. Im Text eures Liedes heißt es: „Das Foto von Max, wir sehen glücklich aus, / die Mühle da, was für ein Kontrast. / Wir lächeln brav in die Kamera. / Am Horizont der Rauch aufsteigt, / an den Flügeln das, das könnten Leichen sein. / Was willst du / Wir Ahnen Böses / was für ein Foto / du uns hinterlässt. / Wer warst du? / Warum dieses Foto?“ Wenn Du Dir die mitgesandten Bilder und Feldpostbriefe, die ja alle durch die Zensur gingen, so anschaust: Hast Du Antworten finden können, warum Menschen während der NS-Zeit so gehandelt haben wie sie gehandelt haben? Warum sie vielleicht geworden sind wie sie waren?

Ralf: Hier ist es ja persönlich, es ging um meinen Opa, ich habe wenig Erinnerung an ihn, weil er gestorben ist als ich 5 war. Dieses Foto von der Windmühle hab ich seinerzeit in der Schule mal in einer Foto AG reproduziert und vergrößert, weil ich tatsächlich gedacht hatte es könnten Leichen sein. Waren es eher nicht. Das das Foto nun tatsächlich auch im Textblatt auftaucht ist eine der Wirrungen, die diese ganzen Akten und Informationen zu uns gespült haben. Bei „Feldpost“ ging es weniger um Schuld, mehr um Motivation…warum haben die das gemacht? Warum schicken die das dann auch noch nach Hause? Ein anderes Foto aus dieser Feldpost zeigt Soldaten die vor brennenden Gebäuden stehen, ohne Kommentar auf der Rückseite, manche der Fotos sind kommentiert. Wir haben, bzw ich habe neben den Recherchen zu Robert Salau und Wolfgang Mirosch (Czaja), die ja Opfer waren, auch versucht rauszufinden was andere meiner Familie so getrieben haben und Anfragen gestellt, um zu erfahren was meine Familie an Tätern hervorgebracht hat. Dieser Opa war Sanitäter. Ich bin heute Krankenpfleger. Was mein Opa nach dem Krieg gemacht hat weiß ich gar nicht, meine Schwester sagt wir hätten manchmal Angst vor ihm gehabt. Auf der Fahrt zu Archiven hat meine Mutter mir dann auch Sachen aus ihrer Kindheit mit diesem Vater erzählt. Das bringt natürlich ganz andere Puzzleteile in Bilder, die man hat. Das mit der „Schuld“ in unserer Familie hab ich bisher nicht rausgefunden, meinen anderen Opa werde ich auch noch beim Archiv anfragen, da weiss ich aber etwas mehr, weil er viel später verstorben ist. Da hieß es Flak in Hamburg und Straßen reparieren, Bomben entschärfen, wobei ich heute weiß, das Bomben oft durch KZ-Häftlinge entschärft wurden und die Soldaten sie nur bis in die Nähe gezwungen haben, vielleicht auch mein Opa. Wie es zu den ganzen Verbrechen kam ist ja teilweise gut erforscht, da wäre es anmaßend zu glauben, ich hätte da etwas Neues gefunden. Oma und Opa waren jung und verliebt, die haben oft nur von dieser Seite erzählt, ich habe aber auch viel zu spät bis gar nicht gefragt, als meine Oma dement wurde, hat sie oft das gleiche erzählt: „…auf dem Fliegerhorst Wenzendorf Kartoffeln geschält für 250 Soldaten, der eine war Opa…“ und genau wie wir Teile unseres Gedächtnisses rosa oder grau färben, haben die das natürlich auch gemacht. Ist eben die Frage was da gefärbt wird, die Trinkmenge? Ehemalige Beziehungen? Die Cum-Ex Unterhaltungen? oder eben: es sind viele Menschen von Deutschen ermordet worden. Heut sagen manche, das es ein Vogelschiss war, was da passiert ist, aber es ist eben nicht einfach passiert wie Ebbe und Flut oder ein Vogelschiss. Freund*innen und Bekannte mit denen ich darüber geredet habe berichteten dann auch von ihren Familien, teilweise vom Konflikt, als Kind die Oma zu lieben, um dann später festzustellen, diese Oma hat ihre Kinder bis in die 60er Jahre mit auf Nazitreffen genommen und den Sieg der Alliierten sehr bedauert.

Hier ist einiges erforscht, aber immer noch viel zu wenig. Hier ist einiges aufgearbeitet, aber viel, viel zu wenig….das will niemand hören, das ist unbequem. Allein wie die Politik damit umgeht, bei der Wiedervereinigung keinen Vertrag der Friedensvertrag heisst zu vereinbaren, sondern den „2+4 Vertrag“, da ein anderer alter Beschluß Deutschland erst mit einem Friedensvertrag geeint, zu Reparationszahlungen verpflichtet. Großen Respekt hatte ich für eine ehemalige Vermieterin von mir, die war ziemlich alt und für die Grünen im Gemeinderat aktiv. Die hat mir von sich aus erzählt, das ihr Vater SS Offizier war, sie selbst BDM-Führerin und wie sie ihre Jugend geliebt hat und irgendwann gemerkt hat, das war alles scheisse. Ich hab natürlich keine Ahnung ob und was sie von ihrer Vergangenheit verklärt erzählt hat, aber sie hätte es nicht erzählen müssen, wir haben uns auch so viel unterhalten. Da wurde mir wieder mal so richtig klar, das diese Generation eben komplett dabei war. Oma und Opa waren Oma und Opa, als wir das dritte Reich in der Schule hatten, habe ich auch ein paar Fragen gestellt, aber letztlich nicht wirklich. Fragt die Zeitzeug*innen die es noch gibt, sofern ihr das noch nicht getan habt. Ich finde man darf auch über Tote schlechtes reden, wenn die schlecht waren!

Es geht da auch um verquere Gedanken bei mir, da waren die Opfer, meine Familie, nicht Täter, sondern Opfer, uiii supi, weniger Schuld in der Familie….was fär dämliche Gedanken. Mich trifft eh keine Schuld, weil ich Jahre nach der NS Zeit geboren bin…wir tragen aber zusammen die Verantwortung, das sowas nicht mehr passiert. Dazu gehört auch dringend arbeit gegen das Vergessen.

 

Kein Vergeben, kein Vergessen

Benni: Apropos: kein Vergeben, kein Vergessen. Wie Du schon sagtest, es ist unbequem: Die Leute sind es leid, sich an die NS-Verbrechen zu erinnern oder sich daran erinnern zu lassen. Das letzte Lied auf Seite A prangert diese Erinnerungsmüdigkeit ja an. Du singst gleich zu Beginn: „Wenn Du mich fragst, warum immer noch/ Wenn du das fragst, nach all der Zeit“. Gab es auch hier einen oder mehrere konkrete Anlässe für den Text? Ein konkreter Vorfall?

Ralf: Ja, tatsächlich, mein Vater hat während unserer Recherchen und früher hab ich auch häufig gehört das Menschen diese ganzen Dokus im TV nerven. Die sind zum Teil ja auch echt schlecht, aber da schwingt auch das vergessen wollen mit und auch die Generation meiner Eltern die um 45 oder früher geboren sind, sollten mehr Wunsch nach Aufklärung verspüren, gibt es ja auch, das Buch „Die vergessene Generation“, war ja ziemlich populär und beschäftigt sich mit Kindheiten dieser Zeit, die von traumatisierten Eltern erzogen wurden, das ist die Generation meiner Eltern, das Zweite Buch „Kriegsenkel“ ist dann ja meine Generation. Ausserdem fand hier in Lüneburg der Prozess gegen Oskar Grüning statt, einem SS Mann seinerzeit in Auschwitz tätig. Da haben viele gesagt: „so ein alter Mann“, „nach all den Jahren“. Klar, so ein alter Sack. Mich hat eher geärgert das der nicht sein Nachkriegsleben lang, lang in Haft verbracht hat. Er wurde mit über 90 zu 4 Jahren verurteilt, was aber durch Revisionen etc. so lang verzögert wurde das er vor Haftantritt starb. In einer Doku hab ich mal gesehen das etwa 5 Mio Deutsche nach dem Krieg in Haft gehört hätten. Aber Justiz und kalter Krieg haben viele Täter ja schnell wieder in Amt und Würden gehoben. Den Westalliierten waren alte Nazis auch deutlich lieber als Kommunisten oder Sozialdemokraten. In „Kein vergeben, kein vergessen“ geht es eher um Schuld als in „Feldpost“. Hier steht ein Denkmal das eine Lüneburger Division von Kriegsverbrechern ehrt, da ist es in der Presse und bei Leser*innenbriefen eher das Problem, dass das Denkmal so oft beschmiert wird. Ein anderes Denkmal, das die „Legion Condor“ ehrt, der wir schließlich das Gemälde „Guernica“ verdanken, steht hier jetzt weiter in einer Kaserne, nachdem es am ursprünglichen Platz zu oft beschädigt wurde. Die „Legion Condor“ hat im spanischen Bürgerkrieg Franco unterstützt und u.a. die Stadt ‚Guernica‘ in Schutt und Asche gelegt…Täter ehren und Verbrechen und Opfer vergessen, dem VVN zum Beispiel soll die Gemeinnützigkeit aberkannt werden, wo geht’s denn hin? Die tapfere Wehrmacht, die ja für viele nur Befehlen gefolgt ist, das waren doch auch schlaue Deutsche, Sprösslinge der Dichter und Denker, das waren Millionen unter schweren Waffen…die hätten doch sofort, als sie gesehen haben: „Ups…da läuft wat schief! So soldatisch sauber ist das Töten hier gar nicht und wir sind auch schon an Polen vorbei“ ihre Waffen gegen die Nazis richten können, dann wäre der Spuk schnell vorbei gewesen…aber nee, waren wohl auch ein paar Nazis und andere Verbrecher in der Wehrmacht. Das soll vergessen werden? Ein Bekannter empfahl mir den Film „Unter dem Sand“ da geht es um junge Deutsche Kriegsgefangene die Minen räumen müssen. Ja, war doof und oft tödlich für die. Vielleicht auch ein Kriegsverbrechen. Das macht den dänischen Film vermutlich zu einem sehr guten Film für Dän*innen, um sich mit ihrer Geschichte auseinanderzusetzen.

Ich befürchte allerdings das hier in Deutschland Täter zu Opfern gemacht werden sollen. Wäre ich ein gläubiger Mensch, wünschte ich das sie in der Hölle schmoren. Kein vergeben und kein vergessen!

 

28463

Benni: „Familiengeschichte kann spannend sein“ und sehr Unterschiedliches zu Tage fördern. 28463 – Das war die KZ-Häftlingsnummer von Robert Salau, einem Verwandten auf den deine Nichte bei Recherchen gestoßen ist. Das Stück ist instrumental, das Ganze wirkt wie eine Schweigeminute.

Ralf: Oh ja, das mit der Schweigeminute klingt gut, da war ich noch nicht drauf gekommen.

 

Blickdicht

Benni: Manche mögen das pietätlos nennen, wenn ich das im Kontext eines so schwer beladenen Albums sage, aber ich sage es trotzdem: „Blickdicht“ ist mein persönlicher Hit des Albums. Die zentrale Aussage „Asyl – so nicht“ bringt es auf den Punkt. Wenn Du dich erinnerst: Horst Seehofer hatte sich anlässlich seines, ich glaube, 69. Geburtstags ja gefreut, dass genau dieselbe Anzahl an Menschen an diesem Tag aus Deutschland abgeschoben worden ist. Sinngemäß sprach er, wenn ich mich recht erinnere, in dem Zusammenhang sogar von einem „Geschenk“. Kürzlich habe ich gelesen, dass einige dieser damals abgeschobenen Menschen mittlerweile wieder zurück sind (Meine bei Spiegel Online gab es da vor geraumer Zeit mal einen Artikel…). Anyway, Ich würde mal sagen: So wird’s gemacht!

Ralf: Ja shit. Haben wir wieder vergessen Hits zu schreiben. Ärgerlich, grad zum 20. Geburtstag der Band. Nee, ohne scheiss…Europa schottet sich immer weiter ab gegen Fluchtbewegungen, wettert aber moralisch über Herrn Trump, das lenkt schön ab davon, das es im Prinzip in Deutschland nicht möglich ist Asyl zu beantragen, wenn über ein sicheres Drittland eingereist wurde…wer also hier Asyl beantragen möchte, sollte direkt mit dem Boot anlanden oder einfliegen…rings um Deutschland gilt alles als sicher. In der E.U. wird rechtspopulistisch mit Menschenverachtung Politik gemacht…dabei sind wir doch soooo viel besser als Trump und Co, nee, mitnichten…

 

Familiengeschichte

Benni: „Familiengeschichte kann spannend“ sein heißt es in dem Song. Robert Heinrich Salau und Wolfgang Mirosch waren zwei Kinder, die durch das Nazi-Regime ermordet worden sind. Beide hatten über diverse Ecken Verbindungen zu deiner Familie, wie ihr jetzt recherchieren konntet. Wolfgang Mirosch war gerade einmal 7 Jahre und wurde nach Auschwitz deportiert und ermordet, weil er Sinto war. Jetzt, wo Du über all diese Dinge aus den Archiven Gewissheit hast: Wie lässt Dich das zurück? Mit dem Song haben beide nun ihre Namen wieder zurückbekommen. Sind keine bloßen Nummern mehr. Hast Du – neben dieser musikalischen Verarbeitung, die ihr jetzt mit der Platte geschaffen habt – Strategien, wie Du mit diesem Wissen um deine Familiengeschichte jetzt weiter umgehst?

Ralf: Robert war kein Kind mehr, ist am 12.05.1911 in Lüneburg geboren und im Februar / März 45 im KZ-Aussenlager Hannover-Stöcken mit 34 Jahren ermordet worden. Ich hab mich immer, mal mehr mal weniger mit dem 3. Reich beschäftigt, mit Erinnerungskultur. Als Antifaschist natürlich auch mit den heutigen Umtrieben. Aber nie richtig mit meiner eigenen Familie, nur das bisschen was meine Großeltern erzählt haben und da habe ich nicht wirklich explizit nachgefragt, die haben sich da sicher auch was zusammengebastelt. Leider, muss ich da sagen. Eine Schwester von Robert ist Anfang der 2000er gestorben, vielleicht hätten wir da noch mehr Infos bekommen können, hätten wir früher angefangen zu suchen. Vielleicht eben auch ein Foto, wir haben ja nur ein paar von seinen Eltern, bzw. von seinem Vater.

Schlimm ist, das diese ganzen Akten ja nur beschreiben was er durchgemacht, bzw. „verbrochen“ hat, bis er ermordet wurde, von klein auf Kacke am Schuh. Armut, erster Weltkrieg, Alkohol, zu viele Geschwister, Weltwirtschaftskrise, 3.Reich. Wir haben ja nicht ihn kennengelernt, sondern nur Stationen seines Leids anhand von Akten. Die Nazis haben sich da ja auch viel zusammen gebastelt, dass es für sie passt. Roberts „Diagnose“ war „angeborener Schwachsinn“, er wurde aber unter anderem wegen Anstiftung zur Meuterei oder einem Diebstahl beim Verkauf von KPD Zeitungen verurteilt. Aus einem Gutachten ist nur zu lesen, das er wenig gebildet war, da sind vermeintliche Antworten von ihm notiert. Ich hab natürlich aber keinen Plan was Schule seinerzeit so beigebracht hat.

Hat er auch mal gelacht? Mit Sicherheit hat er das, steht da aber in den Akten nicht drin. Da steht ja nur: „verurteilt wegen Diebstahl“, „zum Termin der Sterilisation nicht erschienen“, „Vater Trunksucht“, „vom Kriminalbeamten zurück gebracht“, „aus dem Heim abgehauen“ usw. immerhin war er auch verheiratet, hat gearbeitet…also auch ein anderes Leben neben dem Leidensweg gelebt. Davon haben wir aber natürlich nichts gefunden und weil diese Akten auch heute aus Datenschutzgründen geschwärzt werden, wenn noch lebende Personen erwähnt werden, sind wir da teilweise auch nicht weitergekommen. Das war lang, zäh und immer nur düsteres Zeug. Die letzte Aktenseite die ich bisher bekommen habe war von Roberts Frau. Die Fotografie eines Gefangenenbuches von Bremen Blumental. Da steht dann nicht nur sie drinnen, sondern auch andere Frauen. Viele von denen nur weil sie abgetrieben haben, für Monate, das ist alles so übel. Das hat uns natürlich auch immer wieder runter gezogen. Respekt denen, die sich damit viel auseinandersetzen. Die Liste einer Lieferung von 10.000 Patronen der Wehrmacht an eine Einsatzgruppe, bedeutet ja, das damit dann auch bis zu 10.000 Juden erschossen wurden. Sowas habe ich immer mitgedacht, das zieht runter. Robert wurde von der Haft in Celle in das spätere Landeskrankenhaus nach Lüneburg verlegt, da habe ich gearbeitet, ich weiss wie Scheisse das für viele Patienten dieser Klinik noch war, als ich dort Ende der 80 angefangen habe. Wie muss es dann für ihn da gewesen sein? Ich kenne die Stationen in denen er untergebracht war, hab mich vorher schon mit der Geschichte der Klinik befasst. Die hatten auch richtig Dreck am Stecken. Das die Klinik auch an Konzentrationslager verlegt hat, war bis dahin gar nicht entdeckt. Die Gedenkstätte hat danach bisher auch nur noch eine weitere Person gefunden die nach Neuengamme gekommen ist.

Aber ich schweife ab, wie mich das zurück lässt hast du gefragt. Schwierig. Ich bin richtig froh, dass die beiden durch uns erwähnt wurden, wobei Wolfgang ja auch schon vorher von anderen recherchiert wurde, auf die Verbindung zu unserer Familie bin ich dann ja zufällig gestoßen. Vor seiner Deportation nach Auschwitz lebte er als Pflegekind in der Familie einer Schwester von meinem Opa. Elisabeth Heine. Für ihn gibt es einen Stolperstein und eine Gedenktafel. Aber auch da sind wir jetzt schlauer und haben dazugelernt. Die Nazis haben Sinti und Roma in „Stammfamilien“ eingeteilt und deren Namen geändert, Wolfgang hieß eigendlich nicht Mirosch, sondern Czaja, wie seine Mutter. Auf der Platte oder in dem Buch der VVN/BdA wird er Wolfgang Mirosch genannt, auf dem Stolperstein steht das. Fühlt sich blöd an. Jetzt sind wir schlauer.

Ja, voll gut das wir ihre Namen nennen. Voll gut, dass ich so auch einiges über die Kindheit meiner Mutter erfahren habe, wir haben ja einige längere Autofahrten zusammen gemacht. Meine Nichte konnte irgendwann nicht mehr, eine Veranstaltung der Gedenkstätte im ehemaligen LKH zu Zwangssterilisation konnte sie sich nicht anhören. Ich hatte auch Phasen wo ich das nicht mehr konnte, was dann letztlich auch die Platte betroffen und verzögert hatte. Letztlich ist der Text „Familiengeschichte“ deutlich anders als ursprünglich gedacht, all die Informationen über Robert sind nur zusammengefasst, in den Stichpunkten in der Mitte, weil dann die Verquickungen zu Wolfgang aufgetaucht sind. Im Grunde ist das auch nicht fertig, weil wir ja immer mal wieder was finden oder hören. Wie auch die Fotos, die kurz vor knapp ins Textblatt gekommen sind.

Da ist soviel absurdes passiert, die I.G. Metall Jugend in Hannover hat auch zu Robert recherchiert, die hatten zuerst Kontakt zu einem Onkel von mir aufgenommen, der hat nur gesagt: „kenn ich nicht“, das kam später raus als meine Mutter mit ihm über unsere Suche geredet hatte. Die I.G.-Metall Jugend hat dann unsere Familie eingeladen, da war ich kleena punka offizieller Gast im Rathaus, obwohl ich Hannover ansonsten nur von den Chaostagen 84 und Anti-Atom Demos kannte. Und krass, dann am Ende der Veranstaltung auf dem Ehrenfriedhof am Maschsee zu stehen, wo Robert begraben liegt.

Ja, viel ist da in meinem Kopf umher gegangen, ich habe z.B. meine Arbeit in der Psychiatrie einmal mehr hinterfragt, da ist ja auch ein nicht geringer Teil ordnungspolitischer Funktion. Jetzt bei Corona hat die Klinik (in der ich zu dem Zeitpunkt zum Glück nicht mehr gearbeitet habe) z.B. Betten zur Verfügung gestellt für Menschen, die sich nicht an ihre Quarantäne Auflagen halten. Was bitte hat das mit psychiatrischer Versorgung zu tun? Die ganzen Hotels waren leer, da hätten solche Menschen auch eingesperrt werden künnen oder sonstwo, wenn’s denn überhaupt sein muss, aber die bekloppte Klinik mit Nazivergangenheit schreit: hier! Andere Kliniken sind dafür durch die Presse zurecht kritisiert worden. Das ganze wurde dann nicht gebraucht, weil Quarantäne eh nicht wirklich kontrolliert wurde und es hier auch nicht so dolle kam wie erwartet.

Da vergleichen sich heute Corona Depp*innen mit Sofie Scholl oder Anne Frank, was für ein Vergleich, die sogenannte Corona Diktatur ist doch ein Witz gegen das dritte Reich. Da krieg ich das kotzen, das relativiert das Leid von all den Opfern so dermaßen.

Rassismus, Antisemitismus, Homophobie und diese ganze andere menschenverachtende Scheisse sind ja viel älter als das dritte Reich, das es aber nach diesen Erfahrungen weiter so massiv vorhanden ist, ist das schlimme, viele Menschen haben nichts gelernt oder etwas falsches gelernt. Die stramm Rechten und auch viele Konservative schaffen es weiter gut, ein „Wir“ über Nationalstaat und Grenzen zu definieren und leider glauben da viele dran. Das Grenzen deutlich kurzlebiger sind, als die Strahlung eines Castortransportes, sollten wir alle wissen. Die Deutsch-Deutsche Grenze ist nach dem dritten Reich aufgetaucht und schwupp, schon wieder weg. Was war nochmal Jugoslawien? Zu welchem Staat gehört die Krim? Zum Glück hab ich früh gelernt, das ich auf sowas wie Staat, Nation usw nicht stolz sein kann. Und an den Wahlergebnissen hier kann ich sehen, ui…die meisten denken und wünschen sich hier etwas ganz anderes als ich…für mich gibt es da wenig „wir“. Trust wäre doch was, eine Welt wo wir uns vertrauen können, dann bräuchten wir keine Grenzen und keine blöden Namen wie Deutschland, was ja von den „Deutschländer“ Würstchen kommt.

Du hast auch nach Strategien gefragt. Ob ich da jetzt andere Strategien habe weiss ich gar nicht, Antifaschist war ich schon vorher. Sicher bin ich über die ganze Beschäftigung wieder einmal mehr sensibilisiert worden, was viele der Ismen betrtifft und ich bin nicht frei von denen, stolpere immer mal wieder über eigene Vorurteile. Ich werde auch gelegentlich weiter Ämter anfragen, zu anderen Teilen der Familie. Das kann ich auch anderen nur empfehlen, damit helfen wir Geschichte aufzuarbeiten, es wird in immer weniger Fällen möglich sein direkt mit Zeitzeug*innen zu sprechen. Aber noch gibt es vielleicht alte Fotos zu denen noch Namen und Geschichten in der Familie bekannt sind. Was haben die gemacht als alle Nazis waren? Die ganze Geschichte mit: „Das haben wir nicht gewusst“, ist ja in vielen Teilen wissenschaftlich widerlegt, es sollte da besser heissen: „das wollen wir mal besser nicht gewusst haben“.

Kein Schlussstrich!

 

Outro

 

Benni: – Danke an alle, die aufstehen gegen Faschismus. Gestern – Heute – Morgen. Dem kann und will ich nichts mehr hinzufügen. Ich bedanke mich für dieses so ausführliche Interview mit Dir, Ralf!

Ralf: ja, danke auch dir.

 

[Anm.: Noch während wir an der Redaktion dieses Interviews saßen, wurde bekannt, dass am 6. Oktober im Laden der Falken am Sonja-Barthel-Haus in Lüneburg eine Fensterfront eingeschmissen und eine Fahne mit dem Aufdruck „Antihomophobe Aktion“ entwendet worden ist. Es ist einer der vielen, zuletzt seit Dezember 2020 immer wieder zahlreicher gewordenen Übergriffe auf Menschen, die für eine konsequente antifaschistische Haltung einstehen. Antifaschist*innen sind in Lüneburg und Uelzen durch Nazis zuletzt vermehrt auf der Straße angepöbelt und bedroht worden. Auf der Seite der Falken in Nordniedersachsen könnt ihr Euch weiter informieren: www.falken-nordniedersachsen.de]

 

Links:

 

Musik:

tischlereilischitzki.bandcamp.com

 

Diskographie

www.discogs.com/artist/1340935-Tischlerei-Lischitzki

 

Mehr zum Thema:

(dort auch verlinkt ein Filmbeitrag über Lüneburger Sinti und Roma in der NS-Zeit)

 

https://www.hannover.de/Kultur-Freizeit/Architektur-Geschichte/Erinnerungskultur/ZeitZentrum-Zivilcourage/Meldungen/Meldungen-aus-2016/Gedenkveranstaltung-zum-Antikriegstag

Both comments and pings are currently closed. RSS 2.0