Dezember 31st, 2022

The Bloodstrings (#210, 2021)

Posted in interview by Jan

Nach dem Release ist vor dem Release. Dieser Satz passt perfekt zum Gespräch, das ich mit Celina von THE BLOODSTRINGS führen durfte. Denn während die neue 10‘‘ EP „A Part“ noch frisch gebacken auf den Plattenspielern liegt, hat die Band bereits das nächste heiße Eisen im Ofen. So kam es zu einem interessanten Gespräch über die Musik der BLOODSTRINGS, politische Themen in Punk Rock und Psychobilly, #PunkToo, und den Begriff „female fronted“.

Celina, vielen Dank dass du dir Zeit für das Interview nimmst. Wie läuft das Punk Rock Leben zwischen Auflagen und Lockerungen?
Jetzt gerade lebt es sich ja verhältnismäßig gut. Der Druck, Liveshows spielen zu wollen (und irgendwo auch zu müssen) steigt mit der Euphorie, aber gleichzeitig trauen wir dem Braten auch noch nicht so recht. Es ist eine komplizierte Zeit und wir versuchen, nicht zu blauäugig dem Ende der Pandemie entgegen zu sehen. Dafür sind wir zu pessimistisch. Aber doch: es ist schon okay bei uns gerade und wir konzentrieren uns alle viel auf Privates. Aber auch nicht zu viel, denn wir produzieren gerade Songs für ein neues Album vor!

Die #PunkToo Reihe im TRUST Zine befasst sich mit den Themen Geschlecht und Sexismus im Punk Rock. Ihr wart im Jahr 2019 zusammen mit Death by Horse und The Sensitives auf „Female Fronted Boy Bands Tour“. Könnt ihr kurz erklären, was die Idee dahinter war und wie es dazu kam?
Wir wollten schon lange eine Tour mit mehr als einer weiteren Band fahren. Eine richtige Tour zusammengerotteter Bands. Da wir uns schon seit wir denken können daran gestört haben dass es zu wenig Bands mit weiblicher Besetzung und allgemein FLINTA- Bands auf den Bühnen gibt, war es uns natürlich ein Anliegen dem mit unserer Tour ein kleines bisschen entgegenzuwirken und ein Zeichen zu setzen. Die Sensitives waren sofort mit an Bord und auch Death by Horse waren von der Idee begeistert. Rückblickend betrachtet hätten wir die Tour aber gern anders genannt. Mitlerweile ist uns der Begriff female-fronted nämlich so ein bisschen ein Dorn im Auge da in dem Begriff auch ein wenig ein Rollendenken und eine gewisse Form von Objektivierung der Frau mitschwingt. Ich will ja nicht als “Bandleader” gesehen, oder auf einen Sockel gestellt werden. Wir möchten dass es zu einer Selbstverständlichkeit wird dass nicht nur Cis-Männer auf Bühnen stehen und es sollte klar sein dass alle Bandmitlieder gleichwertig sind! Death by Horse haben schon den Vorschlag gemacht die Tour “No Boybands-Tour” zu nennen, und ich schätze dass wir diesen oder einen ähnlichen Titel auch für unsere nächste gemeinsame Tour verwenden. Wir möchten das nämlich gerne wiederholen, weil wir uns alle echt lieb gewonnen haben!

Und wie habt ihr das Echo wahrgenommen? War in Sachen Stimmung, Publikum oder Gefühl etwas anders als bei Touren oder Konzerten mit weniger nicht-männlicher Beteiligung?
In Sachen Publikum kann man da glaube ich keine Vergleiche ziehen. Die Stimmung war super wie auch schon auf vielen anderen Gigs – auch denen auf denen sonst nur Bands mit männlicher Besetzung gespielt haben. Was das Gefühl angeht, hat diese Tour für mich einen riesigen Unterschied gemacht. Ich muss wirklich ehrlich sagen dass ich mich noch nie vorher so wohl auf einer Tour gefühlt habe; vor allem weil ich endlich mal mit zwei Frauen reden konnte, die genau die selben Erfahrungen gemacht haben wie ich. Wir achten bandintern zwar immer darauf, dass es allen gut geht, aber nicht alles können meine drei Bandkollegen nachempfinden, weil sie nunmal mit einem Privileg aufgewachsen sind, was ich nie hatte. Dieses und viele anderen Gefühle teilten Jahna (Death by Horse) und Paulina (The Sensitives) mit mir. Jahna sagte am letzten Abend der Tour zu mir: “We are the same you and me”.

Und habt ihr euch mit den anderen Bands ausgetauscht und eventuelle Unterschiede zwischen Geschlechterbildern im deutschen und schwedischen Punk Rock erkannt?
Länderübergreifend jetzt eigentlich nicht. Die positiven sowie negativen Aspekte teilten aber wir drei Frauen aus den Bands. Ob es Annäherungsversuche während Shows oder fehlende Wahrnehmung als ernstzunehmende Künstlerin oder Teil der Band zu sein – da hatte jede ihre Geschichte zu erzählen.

Lasst uns kurz auf Kategorisierungen eingehen. Sarah von Akne Kid Joe hat gesungen „als Frau in einer Band bin ich halt Frau in einer Band“. Und gleichzeitig gibt es ja auch Schubladen wie „Band mit Frau(en)“ oder „Female Fronted Punk Rock“ etc. Wie steht ihr zu solchen Einteilungen und wo seht ihr euch selbst?
Für uns war die Kategorisierung „Female Fronted Punk“ immer ein zweischneidiges Schwert, denn wir haben uns das lange selbst auf die Fahne geschrieben, und ja wie schon gesagt den Begriff female Fronted auch in den Titel unserer Tour integriert. Wir sind damals im Psychobilly gestartet und da war das schon ein markantes Merkmal, wenn eine Frau gesungen hat, denn man hatte gleich andere Assoziationen rein von der Soundfarbe her. Das fanden damals Kolleg*innen auch schon nicht immer cool und eine Band, die für uns Support machen sollte, hat auch mal abgesagt als sie „Female Fronted Punk Bands“ auf dem Flyer gelesen hat. Heute mögen wir diese Kategorisierung selber gar nicht mehr. Es ist aber auch echt völliger Quatsch.

Klingt eine Band vielleicht immer „poppiger“ oder „softer“, wenn eine Frau singt? Das frag mal Bands wie War On Women, Walls Of Jericho usw. Schon Distillers u.Ä. haben nie „poppig“ gesungen sondern eher noch rotziger. Nur weil eine Frau am Mikro steht und die Stimme vielleicht mal was heller ist soll deswegen ja kein Subgenre aufgemacht werden! „Female fronted is not a genre“ trifft es ziemlich gut und wir hoffen, dass es irgendwann auch einfach vollkommen selbstverständlich ist, dass eine Punkband nicht nur aus drei bis fünf Cis-Männern besteht und dass alle aus der Band gleichwertig sind. Ich sehe mich ja wie gesagt auch nicht als „die Frontfrau“ nur weil ich Sängerin bin. Dieses Cliché von wegen, Sängerin steht vorne in cooler Pose, Rest der Band hinten, das machen wir sowieso nie. Wir sind vier Freunde und jeder ist gleich wichtig in der Band. Punkt.

Ist es schon mal vorgekommen, dass ihr aufgrund übergriffiger Handlungen Konzerte unterbrechen musstet oder Gäste rauswerfen musstet?
Ein Konzert unterbrechen mussten wir deswegen zum Glück noch nicht. Ich muss aber schon sagen dass ich einige negative Erfahrungen auf Shows machen musste. Übergriffige Handlungen seitens eines Fans oder sogar anderer Musiker gab es in verschiedenen Formen leider. Während eines Konzertes zum Glück noch nie – das hat noch niemand gewagt! Wir mussten einmal ein Konzert in Belgien unterbrechen, weil eine sehr betrunkene Frau lauthals andere Lieder über unsere drüber gesungen und uns übertönt hat. Aber das ist nicht was du meinst. Daher ist die Antwort: nein. Es hat schonmal jemand versucht, mit uns während eines Songs einen kleinen Plausch zu halten, was sehr strange war.

Und habt ihr Strategien, wie ihr mit sexistischem Verhalten im Punk Rock Universum darüber hinaus umgeht? –sei es bei Konzerten, beim Booking oder in den Weiten der sozialen Medien.
Wichtig ist zum einen, auf Shows als Band zusammen zu halten und aufeinander achtzugeben. Wenn jemand mir einen sexistischen Spruch drückt dann trage ich das zwar meist alleine aus und wehre mich dagegen. Wenn ich aber jemanden brauche, der mir den Rücken stärkt, sind meine Bandkollegen immer für mich da. Zum Anderen muss es klar gesagt und aufgezeigt werden, wenn etwas nicht in Ordnung ist. Sich etwas gefallen zu lassen oder gar wegzulächeln, nur um als Band bloß keinen “Ärger ”zu verursachen, ist keine Option! Beim Booking ist Nick meistens zuständig und kontert ab, wenn mal aus sexistischen Gründen etwas nicht klappt, aber das ist seit Jahren nicht vorgekommen.

Früher wurden wir mit Frau in der Band gern stigmatisiert und sexualisiert von Promotern; das lassen wir uns einfach nicht gefallen. Grundsätzlich beugen wir den Rollen in unserer Außenkommunikation einfach vor und posten immer häufiger, wo wir im Diskurs stehen. Auch in unserem Songwriting wird das Thema Sexismus zur Sprache gebracht. Im Song „Heavy Cross“, welcher auf unserem nächsten Album erscheint, geht es beispielsweise darum dass keine Frau etwas dafür kann, mit zwei X-Chromosomen geboren zu sein, und dass wir es nicht tolerieren, wegen anerzogenen Geschlechterrollen benachteiligt zu werden. Das bringen wir auch klar und deutlich zur Sprache, wenn wir den Song auf der Bühne ansagen.

Lasst uns auch noch über angenehmere Dinge reden: eure EP „A Part“ ist seit Kurzem erhältlich. Was hat sich seit „Born Sick“ am Sound geändert, welchen Stellenwert hat die EP für euch, und wieviel Pandemie steckt in „A Part“?
Die Songs wurden bereits 2019 geschrieben und aufgenommen, es steckt also keine Pandemie in den Songs – höchstens im Namen und Artwork. Wir waren lange von unseren Fans und unserer Leidenschaft getrennt und auch in den Songs geht es um das Getrenntsein – sei es musikalisch, in Beziehungen, politisch oder mit dem eigenen Verstand. Gleichzeitig ist es wie jede unserer Veröffentlichungen auch nur „ein Teil“, also eine Momentaufnahme einer bestimmten kreativen Phase.
Seit wir mit „Born Sick“ vor allem viel auf Metalbühnen waren, fühlte es sich für uns natürlich an, etwas „hellere“ Musik zu schreiben und uns ein wenig zu unseren individuellen Punkursprüngen zu entwickeln. Da wir aber nun mal Songs schreiben, wie wir sie schreiben, sind dann die vier Songs auf „A Part“ herausgekommen. Wir arbeiteten hier viel mit Riffs und verschiedenen Stilmitteln, die Songs sind thematisch aber nochmal etwas anders und gehen eher so in Richtung Skate-/Pop-Punk ungefähr. Uns war wichtig, „German Angst“ rauszuhauen als unseren ersten öffentlichen politischen Song. Gerade in der Rock N Roll Szene werden politische Missstände gerne ignoriert und musikalisch nicht aufgearbeitet und das ist ein Problem!

Würdet ihr unterschreiben, dass ihr auf musikalischer Ebene melodischer und mit Hinblick auf die Texte ernster geworden seid?
Ernst war „Born Sick“ auch, manche Songs auf dem Album waren schon sehr persönlich, handelten beispielsweise von Depression und verlorener Liebe. Melodischer sind wir aber definitiv geworden und wir entfalten uns thematisch und stilistisch einfach mehr. „A Part“ ist dafür, dass es nur vier Songs sind, viel facettenreicher noch als „Born Sick“. Ich kann aber sagen dass wir mit dem Song „German Angst“, welcher auf“ A Part“ zu finden ist, einen ersten Schritt gemacht haben, gesellschaftskritischere Songs zu schreiben und uns politisch klar positionieren. Das werden wir auf dem nächsten Album noch weiter ausbauen. Wie schon erwähnt wird auf dem nächsten Album ein Song gegen Sexismus zu finden sein, aber auch ein weiterer Song gegen Rechtspopulismus und das “Ellenbogendenken” in der Musikindustrie. Wir haben gelernt, dass es wichtig ist, sich als Band zu positionieren und sich öffentlich gegen gesellschaftliche Missstände zu äußern.

In der Hoffnung, dass so etwas bald wieder möglich sein wird: wird es auch wieder Aktionen wie die Tour mit Death by Horse und The Sensitives geben?
Wir hoffen sehr, dass wir wieder gemeinsam auf die Straße können. Die Sensitives sind derzeit bei einer Agentur – da muss man dann immer schauen. Grundsätzlich war aber schon für 2020 eine Rebound geplant in Form eines Weekenders, wo auch ein Festival dabei gewesen wäre. Unsere Wege kreuzen sich auf jeden Fall öfter noch. Wir haben für die Sensitives auch einen Song aufgenommen für deren 10-jähriges Jubiläum, und Paulina sowie Jahna (Death By Horse) werden höchstwahrscheinlich auch auf unserer nächsten Platte zu hören sein!

Ansonsten tauen wir gerade erst auf, was Booking angeht. Wir haben ein paar Sitzkonzerte im Sommer 2022 und lassen es sonst ruhig angehen. 2023 stehen Festivals an. Wir arbeiten an ein paar Clubshows, einer Kanada-Tour und ein paar Überraschungen. Es wird defintiv crazy, wenn auch vorerst nicht so gig-reich wie wir es gewohnt sind – dazu muss die Welt auch erstmal vernünftig in Ordnung kommen!

Vielen Dank für das Interview und alles Gute!

Interview. Raphael Lukas

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