Dezember 31st, 2022

MÖRSER (#210, 2021)

Posted in artikel, interview by Jan

Grillen mit Mörser
Grillen ist gesellig – also ganz anders als die Musik von MÖRSER. Zum geselligen Beisammensein bieten MÖRSER wohl nur für ganz besondere Menschen den Soundtrack, eignen sich die Songs der bisherigen Platten der Gruppe doch eher für einen Ausflug in den Moshpit, sollten Konzerte irgendwann wieder möglich sein. So dachte ich jedenfalls am Anfang des Abends, werde einige Stunden später allerdings eines Besseren belehrt werden.

Zwei Wörter, die im Zusammenhang mit der Band in kaum einem Bericht fehlen, sind: kompromisslos und brutal. Beim Eintreffen der Band im Haus von Gitarristen Sven wirken die vier (von sechs) Bandmitglieder allerdings gar nicht hart. Die Band würde auch nie auf die Idee kommen, sich als hart oder krass zu beschreiben. „Wir sind ganz normale Leute, die in einer Band spielen.“ Andre (Schlagzeug) reicht mir zur Begrüßung höflich die Hand und ich schlage ohne nachzudenken ein. Es ist das erste Mal seit über eineinhalb Jahren, dass es keinen Ellbogencheck oder die Faust gibt. Der Handschlag fühlt sich immer noch vertraut an. Dann fällt mir auf, dass das Interview mit MÖRSER das Erste seit Corona ist, das nicht über Zoom, Skype, Telefon oder Mail geführt wird.

Es ist schön, wieder Menschen zu sehen und über Musik zu reden. Und über Musik wird an diesem Abend noch jede Menge geredet werden. So unterschiedlich die Geschmäcker der einzelnen Bandmitglieder (und des hier Schreibenden) auch sein mögen, sie alle teilen eine Liebe zur (nicht nur harten) Musik. Ganz nebenbei ist die Band ein gut gelaunter und lustiger Haufen, indem ständig Allianzen gegen einzelne Mitglieder geschmiedet werden, um diesen zu foppen, die sich anschließend genauso schnell wieder auflösen oder neu bilden. Es wird viel gelacht innerhalb der Gruppe, über und miteinander. Und das ist ansteckend und mitreißend.

Sven bezeichnet MÖRSER als Grind-Pop Band, ich würde dazu Hardcore mit einem guten Schuss Metal(-Core) sagen, die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen und jedes Bandmitglied hat eine eigene Definition. Das neue MÖRSER Album „Thank You For Leaving“ ist aber ein guter Anlass, der Band bei einem gemeinsamen Grillabend ein paar Fragen zu stellen. Manche in der TRUST Redaktion behaupten zwar, MÖRSER würden gefühlt in jeder zweiten Ausgabe vorkommen, was nicht ganz der Wahrheit entspricht, wie ein Blick auf den Index-Seiten auf www.trust-zine.de zeigt, auf der mittlerweile nahezu alle Interviews aus über 30 Jahren TRUST archiviert sind. Das als kleiner Tipp am Rande. Genau ein einziges Mal wurden MÖRSER bislang im TRUST befragt. Das war im Millenniumjahr 2000 und obwohl MÖRSER damals schon als etablierte Band galten, waren sie im Verhältnis der Zeit, wenige Jahre nach ihrer Gründung, eher noch Newcomer. Mittlerweile existiert die Band in ihrem 26. Jahr, und anders als der Titel des neuen Albums vielleicht andeuten mag, soll noch lange nicht Schluss sein. Sogar neue Songs wurden bereits nach den abgeschlossenen Aufnahmen für „Thank You For Leaving“ geschrieben und warten aktuell auf eine Verwertung.

Zwei Stücke auf dem Album handeln von Dennys (tiefer Gesang) Vater, der zunächst an Demenz erkrankt ins Heim musste und dort schließlich starb. Die Familie verlor zwar ein Mitglied, gleichzeitig fühlte es sich für Denny und seinem Bruder wie eine Erlösung an. Der Albumtitel leitet sich von diesen Ereignissen ab. Ein ungewöhnlich tiefes Thema für eine Band wie MÖRSER, die sich stärker über die Musik als über die Texte definiert. Der Text vom neuen Lied „Coward Bay“ wurde zum Beispiel von Denny und DCs (hoher Gesang) Söhnen geschrieben und von den Vätern anschließend lediglich ausgearbeitet. Die Texte zu MÖRSERs Debut „Two Hours To Doom“ wurden teilweise erst kurz vor den Aufnahmen auf Bierdeckel gekritzelt, erinnert sich Sven an die Anfangstage der Band zurück. Und schnell schwelgen drei von vier Mitgliedern (DC war damals noch nicht dabei) in Erinnerungen an die US-Tour, die MÖRSER Ende der 90er Jahre spielten, die die Band zusammengeschweißt hat. Immerhin hat sich die Instrumentalisierung der Gruppe, also Schlagzeuger, Gitarristen und Bassisten seit der Gründung bis letztes Jahr, als ein neuer Bassist dazustieß, nicht geändert. Lediglich die Sänger kamen und gingen über die Jahre.

Nach wie vor treffen MÖRSER sich jeden Montag im Proberaum und haben Bock Musik zu machen, sagen sie. „Ich finde es nicht besonders, seit 25 Jahren in einer Band zu sein“, behauptet Denny, „weil es andere Gruppen nicht schaffen, sondern weil ich immer noch Lust dazu habe. Das gehört zu meinem Alltag.“ Und Andre ergänzt: „MÖRSER sind ohne Scheiß meine Lieblingsband.“ Genauso oft, wie in die Bandvergangenheit geguckt wird, schaut die Gruppe auch nach vorne und freut sich auf bevorstehende Konzerte, wenn es der Corona-Sommer zulässt und sie träumen von einer Japan-Tour. Plötzlich ist es da, das unausweichliche Thema Corona. Bis hierhin hatten wir es vermieden darüber zu reden. „Corona nervt“, fasst Andre die Angelegenheit kurz und knapp zusammen. Deshalb schnell zurück zum eigentlichen Grund des Abends.

Ich mag am Grillen die vielen unterschiedlichen Beilagen lieber als die eigentliche Hauptspeise. In einer rasanten Geschwindigkeit werden Schüsseln mit Salaten, Broten und Dips auf die Tische gestellt. Bier darf nicht fehlen. Das gute alte Haake Beck, wer es nicht kennt, die Regionalmarke von Becks, herber im Geschmack als der große Bruder in den grünen Flaschen, steht kalt. Später kommen noch Gin & Tonic und Grappa hinzu. Es ist schön, dass alle entspannt und gut drauf sind. Die Kohle glüht mittlerweile und die ersten Speisen werden auf das Rost gelegt.

In der Band gibt es Veganer, Vegetarier und Allesesser. Muss ein Konzertveranstalter für MÖRSER eigentlich dreimal kochen oder wird sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner (der in diesem Fall ja eher der größte gemeinsame Nenner genannt werden muss) geeinigt?
Sven: In der Regel essen wir dann vegan, auch weil wir überwiegend in Läden spielen, die grundsätzlich vegan kochen.
DC: Zum Essen gibt es eine Geschichte: Wir haben mal in Köln gespielt. Da gab es Sauerkrautlasagne! Das war nicht so geil. Die hat niemand gegessen.
Denny: Doch! Sven!
Sven: Das war Dosensauerkraut und Lasagneplatten darüber. Das war‘s.
DC: Sonst essen wir alles, was da ist. Mal ist es besser, mal schlechter.

Welches war denn das beste Catering auf Tour überhaupt?
Sven: Kein Plan mehr. Es gab immer mal Clubs, die haben richtig aufgetischt, mit Buffet und allem.
DC: Ich fand es in der Friese (in Bremen) immer ziemlich gut.
Andre: Das stimmt. Die machen immer ganz gutes Essen. Ansonsten ist es halt häufig das Gleiche.
Sven: Oft Reis mit …
Denny: Oder Nudeln und mal ist das halt geil und mal nicht so gut.
Andre: Essen aus der Mülltonne hatten wir auch schon mal.
DC: Das ist echt eine harte Frage: Das beste Essen?
Sven: Nicht in den USA, so viel ist mal sicher.
Andre: Stimmt, in den USA gab es das schlechteste Essen. Aber es ist im Allgemeinen überall weniger geworden, das muss ich auch mal sagen.

Bier oder Essen, was ist wichtiger auf Tour?
Denny: Das eine funktioniert nicht ohne das andere.
Andre: Doch! Bier ist wichtiger.
Denny: Ne, dann geht das so schnell runter und das endet dann meistens doof.
Andre: Trotzdem. Im Zweifel würde ich immer „Bier“ sagen. Was aber nicht heißt, dass wir nichts mehr essen wollen.
Sven: Na ja, wenn wir stattdessen vier Kisten bekommen, wäre das auch okay. Eine Kiste nehmen wir eh schon mit auf die Bühne.

Mal was anderes, im Visions Forum schreibt der User „FertigeSuppe“ über MÖRSERS Debutalbum „Two Hours To Doom“: „Für mich persönlich ist es eines der wichtigsten und besten Alben aller Zeiten.“
Andre: Hat er recht.
Sven: DC findet ja immer noch, dass die erste Platte die beste ist.
Andre: Ne, mal im Ernst. Ich kann das verstehen. Als die rausgekommen ist, gab es so was nicht.
Sven: Die war fresh, oder? Es war der richtige Zeitpunkt für so eine Mucke.
Andre: Vier Sänger in einer Band, so was gab es einfach nicht.
Sven: Wir waren auch noch sehr jung und unbedarft. Einfach im Proberaum und los.
Denny: Es war damals wohl gerade, na ja, nicht angesagt, aber ganz cool.
Andre: Finde ich aber cool, dass der das so schreibt. Das gibt es bei uns ja auch. Das beste Album aller Zeiten stammt natürlich von Slayer. Ich kann das jedenfalls verstehen, dass das jemand geil findet.

Und warum zu Hölle schreit Ihr die Leute immer so an?
Denny: Weil wir nichts anderes können.
Sven: Niemand kann richtig singen.
Denny: Ich glaube, als Sänger haben wir die geringste Entwicklung innerhalb der Band gehabt.
DC: Nö.
Andre: Na ja, ich meine jetzt richtig singen. Schreien muss man natürlich auch können, aber das meine ich nicht. Das passt auch nicht zur Musik.
Sven: Was ich hier sagen kann, es wird bei uns niemals einen cleanen Gesangspart geben. Es geht ja schon um Power.
Denny: Ich empfinde es auch nicht als anschreien, sondern…

In diesem Moment ertönt im Hintergrund aus der Playlist „Clocks“ von COLDPLAY und Sven ist ganz aufgeregt, als er feststellt, dass Rhythmus und Timing so schleppend wie Andres Schlagzeuggroove sind. Andre wiederum kann mit der Popband nichts anfangen, aber so gar nicht. Die Idee eines Covers steht trotzdem im Raum und lässt Sven nicht los. DC soll singen, schlägt Denny vor, „aber dann muss es clean sein.“ Sven schaut entsetzt zu ihm rüber: „Alter, ich habe doch gerade gesagt, so lange ich in der Band bin wird es niemals einen Clean-Gesang geben.“ Gelächter, Sven wurde gerade hopsgenommen. Er braucht ein paar Sekunden bis er es bemerkt, dann lacht auch er.

Wir sind fertig mit dem Essen und es wird geraucht. Wir reden über Musik. Andre will wissen, welche Lieblingsband ich habe und ich sage, nach einigem Überlegen, ist ja eine wichtige Frage, die will nicht leichtfertig beantwortet werden: „Das sind wohl THE HOLD STEADY.“ Niemand kennt die Band und Sven sucht schon bei Spotify danach. Er spielt ausgerechnet „The Feelers“ vom (fantastischen) neuem Album „Open Door Policy“ an. Ein ruhiges Klavier ertönt aus den Boxen. Nicht gerade der repräsentativste Song der Band. DC gefällt es trotzdem. Ich protestiere und verlange nach „Constructive Summer.“ Fortan wird Svens Handy rumgereicht und jeder darf ein Song auswählen, den wir gemeinsam hören, Bier trinken, kommentieren und Geschichten erzählen und Erinnerungen teilen. Es ist mittlerweile dunkel geworden. DC sucht sich einen Song von CHAMBERLAIN aus und ich verweise auf mein Interview im TRUST #208. So geht es die nächsten zwei Stunden weiter, bis Andre und DC aufbrechen müssen, weil in ein paar Stunden der Job wartet. Am Ende will ich noch wissen, welches Gericht am besten zu MÖRSERS Musik serviert werden kann. Langes Zögern – bis Andre sagt: „Grillen passt doch ganz gut.“

Text und Interview: Claas Reiners

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