Dezember 31st, 2022

Glasses (#209, 2022)

Posted in interview by Jan

Wiedersehen mit alten Freunden

Interview mit Glasses

Ihr kennt das doch sicher. Es gibt Freundschaften, die irgendwann auseinander gehen. Man hatte eine richtig gute Zeit zusammen, aber irgendwann zieht jemand weg oder beginnt einen neuen Lebensabschnitt, bekommt Kinder oder fängt an zu arbeiten. Man nimmt nie wirklich Abschied. Es geht auseinander, einfach so. Still und leise. Am Anfang meldet man sich noch regelmäßig und verspricht, sich zu besuchen. Man verabredet sich locker, aber dann kommt meist irgendetwas dazwischen. Und ab und an erinnert man sich an die guten Zeiten, die gemeinsamen Erlebnisse. Und dann packt einen plötzlich die Sehnsucht. Und man meldet sich, verabredet sich. Manchmal ist es dann nicht mehr so wie früher. Man hat sich auseinander gelebt, man nimmt Abschied und zieht weiter. Aber manchmal ist es dann auch genauso wie früher. Es fühlt sich an als wäre kein Tag vergangen, immer noch die gleichen Witze und warme Umarmungen. Erst dann merkt man, was man vermisst hat. So oder so ähnlich ist es mit der Band Glasses.

Vergangen heißt nie ganz vorbei
Vor rund 10 Jahren wurde es still um die Band. Wir hörten plötzlich nichts mehr von ihr, nachdem wir einige schöne Jahre miteinander verbringen durften. Legendäre Live-Auftritte auf dem Fluff Fest in Tschechien, diverse Touren, auch jenseits des Atlantiks, zwei Alben und eine Split mit Comadre. Viel Kopfnicken, Faust recken und mitbrüllen. Noch heute werden die Platten ab und an aufgelegt und die guten alten Zeiten erinnert.

Und dann hören wir plötzlich wieder von den Vieren. Ein musikalisches Lebenszeichen. Sie haben sich verändert, soviel ist klar. Auch wir haben uns verändert. Immerhin ist ein Jahrzehnt ins Land gegangen. Doch es ist noch da. Unmittelbar. Der Kopf wippt zur Musik. Vorfreude auf ein Wiedersehen kommt auf. Und es stellen sich viele Fragen. Auf einige findet ihr hier Antworten. Viel Spaß beim Lesen.

Herzlichen Glückwunsch zur neuen Veröffentlichung, aber so neu ist die gar nicht, oder? Erzählt doch mal.
Benni: Ich hole mal weit aus. Nicht ganz unschuldig daran waren unsere Freund*innen von Finisterre. Die hatten, zusammen mit (damals noch) Pleasure & Ink so eine Soli-Aktion für DIY-Venues während der Pandemie gestartet. Und in dem Zusammenhang haben wir unser erstes Shirt wieder neu aufgelegt. Und obwohl wir als Band in unterschiedlichen Kontexten immer in Kontakt standen, begannen wir stärker über die Band zu reden. Die hatten wir übrigens nie wirklich aufgelöst – aber jeder hat sie irgendwie anders ad acta gelegt glaube ich. Naja, irgendwie erinnerten wir uns an ein Discography-Projekt, dass wir alle vergessen hatten. Langer Rede kurzer Sinn – plötzlich ging es nicht mehr nur um Shirts, hahaha. Ich habe dann Philipp angesprochen, der ja nicht nur bei Finisterre spielt, sondern auch Contraszt Records betreibt. Jetzt haben wir plötzlich diese Doppel-LP in der Hand.

Rocko: Genauso war das. Im Zuge der Unterhaltungen über die Shirtsache, die Benni vorhin angesprochen hat, hatte ich die Idee geäußert, dass unsere alten Sachen vielleicht auch mal den Weg zu Spotify usw. finden sollten. In dem Zusammenhang hab ich dann alte Song-Leichen in unserer internen Facebook-Gruppe gefunden, in die reingehört und die für nicht so schlecht befunden. Die Idee war meines Erachtens Anfang 2020, diese Songs als Soli-Sache irgendwie zu veröffentlichen. Ich hab dann angefangen, die Sachen auseinanderzuschnippeln und neu zusammenzusetzen… Das ging dann zwischen uns so’n bißchen hin und her und als alle zufrieden waren, haben wir dann ’nen Studiotermin bei meinem Buddy David gebucht… Den kannte vorher außer mir auch niemand, oder?!
Ich denke, dass uns erst im Verlauf so richtig bewusst wurde, dass das irgendwie ne andre Nummer wird. Spätestens als David – der die Band wohl früher ziemlich gut fand – dann anmerkte, dass er die alten Songs auch remixen könnte, wenn wir das wollten. Naja… und so kam eins zum andren. Irgendwie waren alle angezündet, was die Sache betrifft und auf einmal war’s dann eben ne Doppel-LP und eben keine digitalen Tracks zum Runterladen auf Bandcamp.

Wie kam es dazu, dass ihr nochmal bereits veröffentlichte Songs rausbringt?
Benni: Auch da entwickelte sich eine Eigendynamik. Zum einen fanden wir es interessant, mal frische Ohren über den mittlerweile 10 Jahre alten Stoff hören zu lassen. Und da kam David vom 1408 Studio in Hannover ins Spiel – und da lief dann einiges zusammen. Und es gab bestimmte Aspekte, die uns an den alten Sachen gestört haben. Wir alle waren z.B. mit dem Artwork der „Ills of Life“, bzw. der Umsetzung unzufrieden. Philipp vo  Contraszt Records ließ uns da einen Mega-Gestaltungsrahmen – obwohl wir überhaupt nicht einschätzen konnten, ob sich irgendwer für so eine überarbeitete Neuauflage interessiert. Schließlich hatten wir mit David und Brad von Audiosiege nochmal eine ganz andere, für uns perfekte Kombination. Der Anspruch war, den Sound der alten Platten nochmal auf ein anderes Level zu bringen und ich finde, dass ist uns zu einem großen Teil gelungen.

Rocko: Ich meine, dass ich mich auf die Remix/Remaster-Geschichte eher so eingelassen hab, weil Benni und Sam das interessant fanden. Ich bin da zugegebenermaßen gar nicht so Fan von. Mag sich etwas altbacken anhören, aber schlussendlich sind so Platten ja auch immer so’n Ausweis dessen, wie so Musik etliche Jahre vorher geklungen hat und aufgenommen, gemischt und gemastert wurde. Ich hatte da diesbezüglich eigentlich immer ne recht starke Ansicht. Ich muss aber gestehen, dass mir das im Verlauf zu „Compendium“ etwas abhanden gekommen ist. Um ehrlich zu sein: Ich war schon nach dem ersten Testmix ziemlich überfahren, weil David tatsächlich Sachen rausmixen konnte, die in dem alten Mix einfach gar nicht hörbar waren. Als dann das Master von Audiosiege reingeflattert kam, war ich kurz Fan meiner eigenen Band, to be honest.

Sam: Im Prinzip haben Rocko und Benni schon alles recht gut erläutert. Ich hatte dann noch die Idee geäußert Brad Boatright von Audiosiege anzuhauen, da ich mit seiner Arbeit bedingt durch meine Arbeit bei Southern Lord recht gut vertraut war und fand, dass es dem ganzen nochmal eine besondere Note verleihen würde. Gestalterisch war ich natürlich auch an dem Projekt interessiert. Ich hatte vor 10 Jahren schon mal einen Entwurf für eine Discography gemacht, der aber nicht mehr zeitgemäß erschien. Wie Benni weiter oben auch schon erwähnte, war bei den älteren Releases oftmals die Qualität von Druck und Papier nicht 100% das, was ich mir vorgestellt hatte. Die alten Sachen jetzt nochmal anzugehen, von Gestaltung über Sound, hat sich für mich so angefühlt, als könnte man die Sachen nochmal „ins Reine“ bringen.

Ich habe euren Werdegang ja sehr eng mitverfolgt. Ich kann mich noch sehr gut an eure erste gemeinsame Probe erinnern. Ihr habt in der aktiven Zeit viel gemacht und viel erreicht, wenn man das so sagen kann. Wie kam es zu der Pause und was ist in der Zwischenzeit passiert?
Sam: Die Pause ist zwangsweise mit meinem Umzug in die USA 2011 eingetreten. Wochenenden spielen war somit nicht mehr möglich und nur noch Touren. Ich persönlich war schon immer Fan davon längere Touren zu machen, was für andere Bandmitglieder nicht machbar ist. Wir sind 2012 das letzte Mal getourt, da wohnte ich bereits in Los Angeles. Ich hab’s als unproblematisch empfunden, aber die Dynamik beim Proben war wohl nicht dieselbe und das Songwriting war zu schwierig über die Distanz. Wir hatten damals auch einfach viel weniger technische Möglichkeiten und so hat sich Glasses über kurz oder lang im Sande verlaufen.

In wie vielen Bands habt ihr inzwischen gespielt? Ist da noch etwas dazu gekommen?
Marc: Parallel zu Glasses haben Benni und ich ja in Trainwreck bis 2015 gespielt. Dann spiele ich noch in Knifefight!. 2013 bin ich in The Tidal Sleep eingestiegen und ich spiele noch in einer Band namens Gift hier in Leipzig.

Benni: Ich bin 2019 in Wire Love eingestiegen. Aber momentan ruht das alles. Die scheiß Pandemie.
Rocko: Jo. Bei mir hat sich da auch einiges entwickelt. Ich bin 2012 nach Hannover gezogen und hab dann da zuerst ProblemIsYo  mitgegründet. Kurze Zeit später hab ich mit Michel von November 13th ne alte Idee aufgegriffen, die wir schon auf der Glasses/November-UK-Tour hatten und haben Failing Well gegründet. 2016 hab ich dann mit Denis von Cave Canem und Andre von The Pyre mit Caffeine losgelegt. Und ca. 2018 bin ich zusätzlich noch bei Causes eingestiegen. Mir war auf jeden Fall nicht langweilig.

War es denn immer klar, dass es mit Glasses weitergehen würde? Oder war das eine Pause mit offenem Ausgang?
Benni: Gute Frage. Wie gesagt, wir haben uns nie aufgelöst. Für mich war es irgendwie beendet – aber es hat mich total genervt.

Marc: Klar war es nicht. Zwischenzeitlich war ich mir sogar sicher, dass da nichts mehr gehen wird. Wenn mich jemand gefragt hat, habe ich aber immer gesagt, dass wir irgendwann noch mal was machen. Das habe ich mir jedenfalls immer gewünscht. Und nun ist es passiert.

Rocko: Wir haben das eigentlich immer offen gelassen. Zumindest hat meines Wissens nie jemand von uns das Wort „Auflösung“ in den Mund genommen. Nach der letzten Tour hat das zum damaligen Zeitpunkt mit dem Songwriting nicht mehr so richtig gut geklappt, was – glaub ich – alle Beteiligten ziemlich frustriert hat. Insofern war das zumindest in meinem Kopf irgendwie immer offen.

Sam: Ich kann mich erinnern, das wir circa 4-5 Jahre nach unserer letzten Tour unsere Bandkasse aufgelöst haben – das hat sich schon irgendwie nach Ende angefühlt. Aber ich glaube niemand wollte die Band je beenden. Wir waren auch fast alle privat nach wie vor in Kontakt und ich hatte das Gefühl, alle haben gehofft, dass da nochmal irgendwas was geht. War ja dann auch so – 10 Jahre später, haha!

Auf „Compendium“ sind zwei neue Songs. Wie sind die entstanden, während Pandemie und auf die Distanz?
Marc: Genau. Während Pandemie und auf Distanz. Ich hatte den Song „Forever Is the Wind“ eigentlich fertig geschrieben mit programmierten Drums zu Hause rumfliegen und wollte das immer für Glasses nehmen. Rocko und ich hatten da auch sogar schon mal dran rumgebastelt vor längerer Zeit. Ich habe Rocko die Spuren geschickt, er hat sich das angehört, dann zu ’nem Klicktrack seine Ideen eingespielt und wir anderen haben das dann kommentiert. Das haben wir dann solange wiederholt, bis alle mit der Grundstruktur zufrieden waren. Dann waren Benni und Sam dran. Im Studio kamen dann bei allen noch ein paar Feinheiten dazu. Bei „Spiritcrusher“ lief es ähnlich. Da haben wir aber den ganzen Song Part für Part auseinander genommen und wieder neu zusammengesetzt.

Benni: Wobei man ja sagen muss, dass die Pandemie-Situation aus Songwriting-Perspektive für uns gar nicht ungewöhnlich war. Wir haben als Band immer in Distanz funktioniert. In der Anfangszeit ging es bei uns nur so. Wir haben Songideen rumgeschickt und für alle war klar, dass auf den wenigen Proben diese Ideen sitzen müssen – um von da aus dann weiterzuarbeiten. Das war jetzt im Prinzip ähnlich. Ich erinnere mich, dass Rocko und ich in Hannover nach dem einspielen feststellten, dass wir beide vor dem Studio nicht sooooo 100% mit den beiden Songs zufrieden waren. Da steckte am Ende echt viel Studioarbeit drin – und übrigens auch viel Ohr und Idee von David und Justin während der Aufnahmen. Insofern spielte das Studio dieses Mal eine zentralere Rolle als vorher. Wir haben in der Regel komplett fertiges Material ins Studio gebracht und dann ziemlich straight aufgenommen. Mit David haben wir dann auch in der Produktion sehr eng und kleinteilig gearbeitet. Er hat einen ganz wesentlichen Anteil an unserem aktuellen Sound.

Rocko: Jo… zu dem, was Benni da grad noch angerissen hat: Merkwürdig war an der Situation im Studio schon, dass man da schon irgendwie viel Vertrauen in sich und die Andren vorlegen musste, weil’s zum ersten mal so war, dass wir Songs einspielen, die wir nie zusammen in nem Raum gespielt haben. Das verändert den Blick auf die Sache ganz erheblich, weil’s im Studio dann ja noch dazu so ist, dass die einzelnen Layer erst nach und nach zusammenkommen. Da hatte zumindest ich schon momentweise die Frage im Kopf, ob das Konzept aufgehen wird, oder ob das’n Schuss in’n Ofen wird. Nachdem Marc die ersten Gitarrenspuren über Bennis und meine Spuren drübergebügelt hatte, war mir dann aber klar, dass alles zusammenläuft. Was der Sache ziemlich zuträglich war, war dass irgendwie alle etwas „ergebnisoffener“ waren als ich das von uns noch aus früheren Jahren kenne. Anders hätte das unter den Gegebenheiten auch nicht funktioniert. Nichtsdestotrotz würde ich gern mal wieder mit allen in ’nem Raum stehen, um Sachen zu basteln.

Sam: Ich hatte die Lyrics zu „Forever Is the Wind“ schon ewig rumfliegen, weil wir eigentlich schon vor langer Zeit was machen wollten, das aber wie weiter oben schon angemerkt aus diversen Gründen nichts wurde. Ich fand den Inhalt auch immer noch gut und so hab ich den Text für den ersten Song der fertig war verbraten. Der zweite Song „Spirit Crusher“ hat sich erst so richtig während der Pandemie entwickelt und wie die anderen schon richtig angemerkt haben, da ist noch viel im Studio dazugekommen. Die Lyrics dafür sind auch neu. Da ich im Studio nicht dabei sein konnte, hab’ ich hier drüben eine Studiosituation so gut es ging simuliert. David und ich hatten sehr viel Kontakt in der Zeit, und er hat mich gut angeleitet, von Auswahl des Mikrofons, über Positionierung dessen bis hin zu Leibesübungen um die Stimmbänder aufzuwärmen. Mein Partner hat dann mit der Aufnahme geholfen und sich darüber hinaus noch als sehr brauchbarer „Vocal-Coach“ herausgestellt. Ne Aufgabe, die er wohl auch schon in seiner früheren Band Black Breath oft übernommen hat. Wir haben dann immer wieder neue Sachen ausprobiert und ich fand es super so gefordert zu werden. In früheren Studiosituationen war es immer eher so nach dem Motto „brüll halt mal ins Mikro“ und spätestens beim dritten Take hat man es dann genommen. David ist da schon anspruchsvoller und dieses dynamische Arbeiten im Studio – sowohl bei den anderen Gläsern, als auch bei mir, war was ganz neues und hat den neuen Songs dann noch den nötigen Feinschliff verliehen.

„Spiritcrusher“ habt ihr als erstes rausgehauen. Der Song ist schön evil. Was waren eure Inspirationen oder Einflüsse beim Schreiben des Songs?
Marc: Ich habe zur der Zeit viel Thrashmetal und Entombed gehört und wollte mal einen technischen, schnellen Song mit Solo spielen.

Benni: Ich habe wahnsinnig viel Uniform und The Body zu der Zeit gehört – lässt sich nicht so gut umsetzen bei unserer Mucke. Aber da hat sich generell das Feld für mehr Noise und Experiment geöffnet.

Rocko: Ich hab eigentlich beim Schreiben eher keine Referenzen im Kopf. Ganz konkret: ich saß für die beiden neuen Songs über die Dauer von anderthalb Monaten einfach recht häufig hinterm Kit und hab Dinge zu den Clicktracks ausprobiert. Ich nehm‘ dann das, was in meiner Wahrnehmung am meisten klatscht und sich mit den Vorstellungen der andren vereinbaren lässt.

Sam: Ich hatte da glaube ich gerade eine Dismember-Phase und selbst wenn ich kein Instrument spiele, bin ich schon immer sehr lautstark, wenn es um musikalische Einflüsse geht und trag die gerne an Marc ran. Marc schreibt alle Riffs/Songs, aber ich hab das Gefühl wir „viben“ ganz oft ganz gut, wenn es um Ideen geht. Textlich geht es in dem Song um Abhängigkeiten/Co-Abhängigkeiten, ein Thema mit dem ich mich persönlich letztes Jahr viel auseinander gesetzt habe. Ist ja auch ein eher düsteres Thema und ich fand das hat gut zum dem Song gepasst.

Ich möchte mal eine These in den Raum stellen. Für mich klingt es so, als hättet ihr Euch musikalisch weiterentwickelt. Weniger Schweinerock oder „PamPamPam“ und dafür mehr Death Metal.
Marc: Das würde ich auch unterschreiben. Alle sind mit der Zeit „besser“ geworden. Damit haben wir technisch mehr Möglichkeiten. Die Death-Metal-Kante ist nicht unbedingt bewusst gewählt. Wir machen das, was allen bei uns gefällt und das wird immer von Song zu Song diskutiert.

Benni: Ich glaube auch, dass das alles irgendwie intuitiv passiert. Mir waren die beiden neuen Songs so als Package tatsächlich zu schnell – daran zeigt sich aber auch, dass wir schon recht unterschiedliche Musik hören. Ich kann mit dem ganzen Metal-Zeug nur bedingt was anfangen. Aber darum geht’s letztlich nicht.

Rocko: Das hört sich schon anders an… das lässt sich nicht leugnen. Allerdings sind halt seit unserem letzten Release auch einfach über 10 Jahre ins Land gegangen. Ich persönlich hätt’s lahm gefunden, wenn wir nur mit dem lauwarmen Aufguss damaliger Songs um die Ecke gekommen wären. Unterm Strich fühlt sich das jetzt aber andererseits trotzdem nicht an, als hätten wir ’ne komplett andre Band draus gemacht. Für mich reiht sich das schon irgendwie ein… ob das jetzt „besser“ oder „schlechter“ ist, müssen andre entscheiden.

Was die Studioprozesse betrifft, sind wir definitiv über die letzten Jahre besser geworden: Ich hab den Eindruck, dass jetzt endlich das rüberkommt, was intendiert war.
Sam: Die Einschätzung finde ich schon treffend, aber so formuliert wurde das nie. Es hat niemand in der Band gesagt, „lasst mal was in Richtung Death Metal“ machen. Ich persönlich wollte was machen, was etwas härter ist als die alten Songs, ganz Genre-unabhängig. Damit einhergehend wollte ich natürlich von den Vocals her auch etwas klingen. Ich glaube, es hat funktioniert!

Das Artwork ist total schön geworden.
Sam: Vielen Dank. Ich bin auch sehr zufrieden. Ich hatte, wie weiter oben schon erwähnt, das Bedürfnis, was ganz neues zu entwickeln. Uns allen war es schon immer unwichtig, unser Genre auch ästhetisch zu bedienen und so hab ich mir etwas überlegt, was sich eher auf einer thematischen Ebene bewegt. In den Lyrics geht es oft um Zwiegespaltensein, innere Zerissenheit, Hass, Frust und Zweifel. Aber auch Melancholie und Nostalgie. Ich wollte diesen Inhalt nochmal visuell bündeln.

Benni: Wir sind alle ziemlich glücklich damit. Der Gestaltungsprozess lag ganz bei Sam – und wenn ich mich richtig erinnere, waren wir alle vom Grundentwurf total begeistert.

Ist es für Dich, Sam, etwas anderes ein Artwork für die eigene Band zu machen?
Sam: Total. Ich hab mich diesmal echt schwer getan. Bei anderen Bands bin ich viel distanzierter als bei Glasses. Ist ja auch irgendwie logisch: wir sind alle befreundet und ich schreib Texte, die persönlich was mit mir zu tun haben. Das macht das Artwork eben auch persönlich. Wenn die anderen das Artwork schlecht gefunden hätten, hätte es mich glaub ich schon gekränkt. Bei den Bands, für die ich arbeite, ist es eben nur das – Arbeit. Da habe ich keinen emotionalen Bezug zu.

Dieses Mal hast Du Dich auch in etwas neuem probiert und hast ein Musikvideo zu „Spiritcrusher“ beigesteuert. Wie kam es dazu und würdest Du es wieder tun?
Sam: Ich hatte schon seit einiger Zeit das Verlangen mich in Richtung „bewegtes Bild“ auszuprobieren. Ich wusste allerdings nicht so wirklich in welcher Form. Als es mit Glasses wieder losging, war das für mich die Gelegenheit. Ich hab als Kind unfassbar viel MTV geguckt und fand Musikvideos schon immer total faszinierend. Während der Unizeit hab ich mich mal in Kurzfilmen versucht und ich glaube das merkt man bei dem Video. Ich hab super Bock noch mehr in die Richtung zu machen, für andere Bands und natürlich zukünftig für Glasses.

Was ist als nächstes von Euch zu erwarten? Weitere Songs, Touren, weitere Musikvideos? Festivals?
Benni: Wir gucken einfach was passiert. Wir sind auf zwei Kontinenten verteilt, was es nicht einfacher macht. Aber ja, wir haben Pläne. Ein eher persönliches Projekt, absolute Zukunftsmusik: Ich hätte gerne eine Dekonstruktion unserer Musik in Form echter Remixe. Mich reizt diese Perspektive, dass das, was man mit eigenen Ideen „geschaffen“ hat, mit einem völlig anderen Blickwinkel zusammengesetzt, zerstört, erweitert – keine Ahnung – wird. Ich glaube Du weißt was ich meine.

Sam: Wir haben auf jeden Fall vor noch mehr Songs zu schreiben – bis jetzt ist das erstmal der Plan. Was das dann genau wird und wann es wird, hängt davon ab, wie wir mit dem Songwriting vorwärts kommen. Generell hat glaube ich jede*r Bock auf’s touren, aber da müssen wir jetzt mal abwarten, wie sich die ganze Corona-Lage entwickelt.

Marc: Jo, ich habe schon jede Menge neue Ideen und Dinge, die ich gern ausprobieren möchte. Wir arbeiten zur Zeit auch schon an einigen Songideen. Ich habe jedenfalls Blut geleckt und würde gern auch gern wieder Shows spielen.

Und touren in den USA? Japan? Käme das für Euch infrage in eurer derzeitigen Lebenssituation?
Benni: Darüber lässt sich gerade echt wenig sagen. Die Möglichkeiten von damals haben wir alle aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr – am Ende ist es ne Punkband, die uns Spaß machen soll. Ich bin auch pessimistisch was die Pandemie-Situation angeht.

Rocko: Ich sag mal so: Die vier Leute in der Band unterhalten sich hin und wieder über diverse Optionen. hahaha

Sam: Theoretisch ja.

Marc: Bock auf jeden Fall. Aber im Moment lässt sich so etwas nicht planen. Deswegen lassen wir es auch – aber geträumt wird.

Welche Bands hört ihr zurzeit? Immer noch die alten Sachen oder habt ihr für Euch Neuentdeckungen im letzten Jahr gemacht?
Benni: Dazu muss ich sagen, dass nachdem für mich alle Bands mehr oder weniger beendet waren, ich das Musik hören wieder viel mehr für mich entdeckt habe. Momentan höre ich sehr gerne eine tschechische Screamo-Band die Nulajednanulanula heißt. Naedr aus Singapur finde ich auch gerade megageil. Dann bin ich großer The Armed-Fan und mag deren neues Album „Ultrapop“ sehr. Ach genau, die indische Hardcore-Band Pacifist, die stehen auch gerade recht weit oben in der Playlist. Ne deutsche Band, die mich ziemlich umgehauen haben sind Entropy. Ansonsten zieh ich mir ab und zu gerne noch so Synthwave-Zeug rein. Ich habe irgendwie nie den Ü40-Schritt hinbekommen, Hardcore auf einmal langweilig zu finden und Jazz zu hören. Es gab und gibt immer interessante Bands in dem Kosmos. Der Kosmos verändert sich halt, wäre schlimm wenn es nicht so wäre. Ich würde jetzt hier zu keinem Ende kommen. Das jede Menge Oasis gehört wird, muss ich nicht groß ergänzen.

Marc: Ich höre viel Emo (unbeding Linhay ausschecken) – und Posthardcore Zeugs wie Hum. Ich habe aber auch eine große Schwäche für The Mountain Goats, The Beths, Phoebe Bridgers und Singer-Songwriter Kram wie Adrianne Lenker. Die letzten Platten von Spice, Vacant Position (ex-Takar), Napalm Death, Portrayal of Guilt und Dropdead finde ich auch großartig.

Benni: Da muss ich auch mal Einhaken. Meine Fresse, die neue Napalm Death ist echt ein Brett!

Rocko: Schwierig. Ich bin so’n totaler Heavy-Rotation-Heini. Soll heißen: Ich beiß‘ mich phasenweise an Platten fest, die ich dann höre, bis sie mir zum Hals raushängen. Genretechnisch ist das eigentlich überhaupt nicht mehr festgelegt. Im letzten Jahr war’s bei mir voll viel Anfang-90er-Ami-Gangsta-Rap.
Aktuell hauen mich die neuen At the Gates-Songs aus’n Latschen.

Marc: Die neuen At the Gates-Sachen können überraschenderweise einiges.

Rocko: Überraschenderweise?! Sichere Bank, ey!

Sam: Ich hab grad mal meine Spotify-Bibliothek durchgeschaut. Also ich bin auch überhaupt niemand, die Musik schnell konsumiert. Ich bleibe auch Monate auf denselben Platten hängen. Carcass „Heartwork“ höre ich zur Zeit eigentlich fast jedes Mal, wenn ich ins Gym gehe oder Vulgar Display „Marked For Death“. Dann hatte ich vor kurzem mal wieder ne Fever Ray-Phase. Ansonsten hör ich noch viel so wirren Folk Kram. Linda Perhacs, Robbie Basho, Sarah Louise, Pentangle, Third Ear Band.
Was noch weirdes, nicht so richtig einzuordnendes Zeug angeht, finde ich „Ears“ von Kaitlyn Aurelia Smith zur Zeit total geil.

Vielen Dank für das Interview. Was würdet ihr abschließend noch euren geneigten Lesern mitgeben wollen?
Benni: Kauft Platten! Wenn ihr die „VV“ von Jvlith Krishvn in irgendeiner Kiste rumliegen sieht: kauft sie bitte sofort. Überhaupt, unterstützt in der Pandemie die „kleinen“ Bands – nehmt denen ihr Zeug ab.

Marc: Gebt auf euch und die Menschen um euch herum acht. Macht das, was euch gut tut …. und ja, kauft die „VV“ von Jvlith Krishvn.

Rocko: Ahh! Wir sind im Werbeblock angekommen. Deutsche! Kauft deutsche Bananen!

Lieben Dank

Interview: Claude Müller
Kontakt: glassespunx@gmail.com

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