Januar 26th, 2020

TELEMARK aus #143, 2010

Posted in interview by Jan

„Kurzum: Yepp, Herkunft ist überbewertet.“
Interview mit TELEMARK

Im Trust stand über die dritte Platte der Duisburger Noise Band: „Für deutschen Post-Punk mit „weicher“ Kante immer noch eine der Speerspitzen. Songs wie „Schöne Grüße“ und/oder „Hitmaschine“ sollte man mal den ganzen weinerlichen Jammerbands vorspielen, damit die etwas lernen können. Meine Favoriten „Stumme der Verstimmten“ und „Kleine Kopfmusik“ wäre der Anspieltipp für alle, die noch zweifeln, worein sie ihr Taschengeld stecken sollten. Tolles Release.“ Telemark sind längst überfällig im Trust, eigentlich müsste ja hier das hefteigene Noisecore-Kompetenzzentrum Stone-Dietmar ran, jetzt mach ich Punk-Arsch das halt, ätsch. Äh… ja. Noise-Core.

Oder besser Post-Punk mit Noise. Schau an, das Label X-Mist schreibt zur „Informat“ ja direkt: „In Sachen deutschsprachiger Punk-Rock landen Telemark damit einen Volltreffer (musikalisch UND textlich!), der in die engere Auswahl zum Tor des Jahres kommen dürfte.“ Was soll’s, live sind TELEMARK eh erhaben, mit einem genialen Schlagzeuger und einem abgefahrenen Sänger, Max. Dieser ist noch bei dem Verlag und Label Salon Alter Hammer aktiv, über das ich auch einiges wissen wollte, da die Aktivitäten der Band und des Salons teilweise zusammen fließen. Ich lege euch nachdrücklich alle Veröffentlichungen und besonders die zweite LP „Viva Suicide“ ans Herz und … verdammt, wenn ihr doch eh schon alles habt von der Band, zu recht, warum veranstaltet ihr die dann nicht?

Hi Max, mir ist bei der Vorbereitung zum Interview wieder das Bild von ner Anzeige, ich glaube, „Punk im Pott 2009“ im Plastic Bomb, bewusst geworden, neben OHL und Konsorten seid ihr da auch vertreten. Irgendwie bizarr, irgendwie aber auch wieder typisch Telemark: ihr spielt als eine der wenigen Noisecore-Bands in den ganzen Punkläden… somit für die Noisecoreler zu punkig, und für die Punker zu noisig? Spielt ihr oft auf solchen Festivals?
Max: Hi Jan, ach, jetzt hätte ich uns ja schön aufblasen und was Cooles im Sinne von „Scheißegal“-Haltung schwadronieren können. Aber es verhält sich so, dass wir bei Punk im Pott nicht spielen werden. Die Idee hatte ursprünglich sicher eine gute Portion Charme, war aber auch vom Veranstalter anders angedacht. Eigentlich sollte es da programmatisch abwechslungsreicher zugehen. Und wir haben tatsächlich deswegen abgesagt, weil wir aufgrund der neuen Voraussetzungen überlegen mussten, ob man so etwas in dieser Konstellation wirklich machen will.

Und wir haben uns dagegen entschieden. Dementsprechend spielen wir nur sehr selten auf derlei Festivals. Darüber hinaus vertragen sich unserer Meinung nach Noise und Punk – wenn es denn die verständlichsten Bezeichnungen sind – sehr gut. Geschmackssache, wahrscheinlich. Aber vielleicht hast du Recht, es ist durchaus möglich, dass Telemark für die einen zu noisig, für die anderen zu punkig sind. Aber diese eventuelle Erkenntnis ändert ja dann doch nichts daran, was man machen will und macht.

Ihr seid doch bestimmt auch große Shellac-Fans, wann geht’s zum Steve zum Aufnehmen nach Chicago? Was hört, mögt ihr sonst noch für Bands, auf die ihr euch alle einigen könnt, das die geil sind?
Shellac ist gut. Ausgewiesene Fans sind wir dennoch nicht. Aber wenn du einen kostengünstigen Weg zu Albini ins Studio kennst…sag an! Schwierig die Frage nach musikalischen gemeinsamen Nennern, natürlich. Das ist bei den verschiedenen Geschmäckern der einzelnen Leute nur schwer reduzierbar. Oft sind es Bands, mit denen man häufig zusammen spielt. Die schleichen sich in den Gesamtgeschmack ein, denen hört man zwangsläufig mehr zu. Die mag man dann auch noch persönlich. Und wenn es auch noch so gute Bands wie Pleased to meet u, Here comes conclusion oder Ten Volt Shock sind, dann passt das erst recht. Aber sicher können wir außerhalb dessen auch sagen: Bands wie Wipers oder Kurt oder auch Die goldenen Zitronen sind schon großartig.

Wie kamt ihr zu Xmist?
Das ist einfach. Wir bestellen seit Urzeiten unsere Platten bei ihm. Wir verfolgen seit Urzeiten seine Veröffentlichungen. Wir lernen ihn kennen, auch über ein gemeinsames Umfeld. Und dann will der Herr einfach nicht unsympathisch werden. X-Mist ist für uns nach wie vor ein liebenswertes, querköpfiges, aber eben durchaus auch modernes Label. Keineswegs festgelegt. Wir schätzen X-Mist einfach sehr. Und da er auch mit uns etwas anfangen kann, macht es Sinn, gemeinsame Sache zu machen.

Trust Joachim ist ja zusammen mit Stone in eurem Buch „Kritik der ungehörten Platten“ drin, herausgekommen in eurem Verlag „Salon alter Hammer“. Wie ist das Buch gelaufen und was hat es mit dem Salon auf sich? Ihr macht den ja zu zweit, ist das auch ein Label?
Ja klar, der Salon Alter Hammer ist sowohl ein Verlag als auch ein Label. Wir denken, dass sich beides wunderbar ergänzt bzw. vereinbaren lässt. Das Kopfhörer – Buch ist ganz gut gelaufen. Aufgrund der beteiligten Autoren ist es natürlich etwas stärker wahrgenommen worden. Das bedeutet aber leider nicht, dass wir damit einen Verkaufsschlager gelandet hätten, natürlich nicht, schon gar nicht bei solchen Kleinstauflagen. Aber wir sind zufrieden. Ferner veranstalten wir hin und wieder noch Konzerte und Lesungen. Der Salon entwickelt sich stetig und wir sind selber gespannt, was wir noch machen werden. Dazu sollte ich allerdings anmerken, dass Telemark und Salon Alter Hammer getrennt zu sehen sind, weil es zwei verschiedene Dinge mit verschiedenen Leuten sind, wenngleich natürlich enge Beziehungen bestehen.

Denkst du, ihr habt irgendwie einen besonderen geografischen Background mit Duisburg als Standort von Telemark? Ist ja irgendwie… ungewöhnlich, dass eine Noise Band daher kommt, und nicht aus einem Dorf aus dem Schwarzwald oder Neukölln oder Hamburg… der Pott ist so überpräsent als Herkunftsort von Deutschpunk-Oi-Thrash-Metal, dass man vergisst, dass da ja noch ganz andere Menschen leben, har har. Oder ist Herkunft überbewertet? Wobei ihr auch auf euren Platten auch nicht gerade soo den Ruhrpottjargon raushängt, was ich ganz angenehm finde…
Interessante Fragen, mit denen wir uns auch immer wieder auseinandersetzen. Den Ruhrpott raushängen zu lassen ist sicherlich nicht das, was wir wollen. Wir spielen ja nicht, um einen vermeintlich geografisch kulturellen Anspruch vor uns her zu tragen. Und wir weigern uns auch bewusst, Regionalität als Inhalt, als Leitmotiv der Band anzuführen, insofern gibt es keinen besonderen geographischen Background. Die Herkunft allein reicht dafür nicht aus, Szene hin, Szene her. Andererseits kommen wir nun mal von hier. Wir sind hier verwurzelt und schätzen es; auch die offene Entspanntheit, um mal ein weiteres Klischee zu bedienen.

Und dann stellt sich die Frage, wie das Ruhrgebiet wahrgenommen wird, im Alltag nicht. Es fällt uns aber doch schon auf, dass dies gerade bei Leuten außerhalb des Ruhrgebiets eine größere Rolle spielt. Es wäre aber wohl zu einfach, das den anderen zuzuschieben. Es gibt ja auch durchaus Gründe, warum das Ruhrgebiet kulturell so wahrgenommen wird. Das ist ja alles nicht nur Klischee. Es stimmt einfach, dass hier Punk, gerne auch der dumpfen Art, großen Zulauf und manch anderes es schwieriger hat. Aber das ist ja auch nicht nur hier so.

Finde ich im Prinzip aber nicht so schlimm bzw. gehört es auch zur Identität. Angestrengte Kunstfertigkeit blasierter Natur muss ja auch nicht zwangsläufig erheitern. Gähn. Allerdings gehen bei diesem Blick, bei dieser Reduzierung sehr, sehr viele interessante Dinge verloren, die es hier einfach gibt. Und ganz recht, es gibt hier auch andere Menschen, andere Zusammenhänge. Bei dir in Frankfurt gibt es ja hoffentlich auch nicht nur Banker und Adornos. Und in Dörfern im Schwarzwald wachsen die Noise – Bands ja auch nicht auf den Bäumen.

Und da das Ruhrgebiet für uns ein interessanter Ort ist und die Leute, die hier leben, oft einen kleinen unbegründeten Minderwertigkeitskomplex mit sich herum tragen, fühlen wir uns da auch durchaus zu verpflichtet, hier vor Ort, also vor allem in Duisburg, diverse Sachen zu machen. Im Grunde ja kein neuer Gedanke, die Stärkung der lokalen Strukturen. Im Endeffekt: Es hängt an den Leuten, dem Umfeld, nicht an der Stadt. Kurzum: Yepp, Herkunft ist überbewertet.

Zum ersten Mal auf euch im Trust bin ich durchs Joachims Review von eurem Debüt in Trust # 98 aufmerksam geworden, wie ist das bei euch, ihr werdet von intro bis Punk Zines besprochen, jetzt sagen Musiker ja oft, dass sie keine Kritik über sich lesen können / ertragen… sind euch generell Reviews egal oder total wichtig oder sind’s nur die Fanzines aus USA die zählen? „Früher“ konnte man ja eh eventuell mit einem guten Review aus dem Maximum RocknRoll eventuell irgendwie „glänzen“, heute dagegen… MRR? Marcel Reich-Ranitzki?
Nee, da haben wir kein Ranking. Eine Vorauswahl dessen, was okay oder zumindest noch vertretbar ist, um es zu bemustern, wird ja von Vornherein vorgenommen. Und da sich die Magazine mittlerweile eh ziemlich gleichen, kann man ja kaum Vorlieben entwickeln. Aber sicherlich gibt es einige wenige Hefte bzw. eher Fanzines oder Zeitungen, die wir bevorzugen. Das sind aber sicherlich keine amerikanischen Veröffentlichungen und ebenso keine Musik-Style-Magazine, deren popkulturelles Verständnis meist auf hübschen Modefotostrecken basiert.

Und eigentlich hängt es ja auch eher am jeweiligen Autor, ob das Geschriebene Qualität hat und nur selten an der Ausrichtung eines Heftes. Dass man sich bisweilen schwer damit tut, über sich zu lesen, kann ich nachvollziehen. Ein wenig Scham als auch Unverständnis hat noch keinem geschadet. Aber ob ein Review jetzt wichtig oder scheißegal ist? Keines von beiden. Es ist halt. Es ändert zum einen nichts daran, was man macht, zum anderen sind die Zeiten wohl lange vorbei, in denen ein einzelnes gutes Review den Verkauf signifikant anschiebt. Es dient ja eher der Information für eh schon Interessierte. Und insofern macht es dann auch Sinn. Ein Review von Marcel Reich Ranicki wäre allerdings mal wirklich eine erheiternde Geschichte.

Ich finde es ja total super, dass jeder von Telemark noch ganz eigene „vollwertige“ Projekte am Start hat, bei eurem Trommler (den ich an dieser herzlich grüssen will und den goldenen Dave Lombardo-Phil Rudd-Gedächnisschlagstock überreichen will) weiß ich, dass er viel Schlagzeugunterricht gibt und mit dem ex-Pogues Gitarrist dauernd auf Tour ist, eurer Bassist spielt bei Eisenpimmel (wir kommen dazu noch)… was macht der Gitarrist denn, das schwarze Schaf? „Nur“ Gitarre etwa?
Der Bock, so heißt unser Gitarrist, als schwarzes Schaf. Guter Wortwitz. Ja, der ist faul. Tut so, als wären Arbeit und alleiniges Kindererziehen eine gute Ausrede. Da er in Düsseldorf wohnt, genießt er aber einen gewissen Exotenbonus. Aber es stimmt, alle anderen Beteiligten machen auch noch andere Dinge, die oft in direkter Verbindung stehen, aber ebenso oft deutlich voneinander getrennt sind. Das hält den Geist wach, bilden wir uns zumindest ein. Oder ist es Langeweile? Kann auch gut sein. Telemark dient für alle sozusagen als Basis, da sind wir schön familiär kleinbürgerlich.

Echt ey, Arbeiten und Alleinerziehender, der muss sich ja tierisch langweilen… Ich hab’s genau gehört, auf der B-Seite (der großartigen „VIVA SUICIDE“ LP ) war irgendwo ein Sample oder kurz nachgesprochenes von ganz kurz dem Stück von Wire „12XU“ / „Saw you in mag / Kissin a man“…warst du das?
Dabei handelt es sich tatsächlich nicht um ein Sample, sondern um ein Zitat. Dementsprechend wurde es von mir eingesprochen. In Ermangelung eigener Ideen und aufgrund der Wertschätzung der frühen Wire fanden wir das angemessen.

Ihr macht ja die Konterbox Konzerte, dazu schreibt ihr „Die KONTERBOX präsentiert das erste akustische Ping-Pong-Turnier: Zwei gegenüberliegende Bühnen, bestückt mit hochkarätigen, nur selten überschätzten Bands, laden das Publikum ein, sich im taktischen Kugelhagel Hals und Hüfte zu verrenken. Immer im Wechsel wird ein gar aromatisches Potpourri musikalischer Seitenhiebe feil geboten. Ein Schlagabtausch der Sonderklasse. Keine Zeit für Ausreden. Die Herausforderung steht. Die KONTERBOX ist frisch gebohnert.“
Bisher lief das mit Eniac, Kurt, Ten Volt Shock, Here comes Conclusion… habt ihr bei so was nicht auch mal selber mit Craving in Nürnberg mitgemacht als Telemark und wie waren die Konterbox Dinger überhaupt? Da sind wir wieder bei Duisburg… gibt’s da Publikum für? In Frankfurt könntest du so was – denke ich- null machen, es sei den, die spielst auch für 20 Leute, von denen 18 sich nicht bewegen, ha ha.

Die Konterbox gibt es noch und findet in sehr unregelmäßigen Abständen statt. Zum einen, weil es recht aufwändig zu gestalten ist, zum anderen weil die Bandkombination auch passen muss. Musikalisch, zwischenmenschlich, terminlich. – Tolle Veranstaltung. In Duisburg hat sie bisher gut bis exzellent funktioniert. Siehst Du? Die angebliche subkulturelle Wüste schlägt zurück. Stimmt, wir haben vor Jahren mal an einer sehr ähnlichen Veranstaltung in Nürnberg teilgenommen, davor auch schon mal in Bochum. Das Prinzip hat einfach eine Menge Charme, weil es ’ne feine Eigendynamik entwickelt. Sofern die Bands stimmen, klar.

Was sagt ihr denn so zu der ganzen Download Geschichte, Fluch oder Segen? Ihr gebt euch ja schon grafisch auch sehr viel Mühe, fuckt das nich ab, wenn der billo Downloader dann kommt? Oder gibt der dann das Geld für nen Shirt aus?
Hmmh…da hilft kein lamentieren. Das ist einfach so. Wir sind alle Vinylkäufer, aber diesbezüglich eben nicht repräsentativ. Und die Annahme, dass jeder, der die Musik herunterläst, sonst die Platte kaufen würde, stimmt sicher nicht. Viele Bands erhöhen dann einfach den Eintritt bei Konzerten. Das finden wir unangemessen. Uns stört außerdem eher die Beliebigkeit, mit der Musik heute bisweilen wahrgenommen wird. Und generell diese „Hauptsache billig“-Mentalität. Das gilt aber auch und vor allem außerhalb der Musik. „Der Mittagstisch schmeckt zwar scheiße, aber für 3.99 Euro nehme ich den mit.“ Häh?

Am Ende habe ich noch ein paar kurze Fragen… der Name Telemark ist ein Skistil oder wat?
Auch. Und die schicke Landung beim Skispringen. Und ein Örtchen irgendwo in Skandinavien. Glauben wir…

Party Dictator oder Chung?
Party Diktator.

Big Black oder Flipper?
Flipper. Big Black. Flipper. Big Black. Flipper.

Hammerhead oder Cop Shoot Cop?
Dazwischen.

Was denkst du, ist Telemark eher Post-Punk mit Noise dabei oder eher Noise mit Post-Punk? Hammer Frage, ich weiß, ha ha.
…oder noch was anderes. Ganz nach Belieben.

Eisenpimmel, deren Vinyl ihr ja auch mit Salon Alter Hammer herausbringt… wann kommt die gemeinsame Tour und wie gut findet ihr diese Personalunion?
Hübsch-absurde Idee. Nee, da wird es keine gemeinsame Tour geben. Beide Bands sind ja nun mal auch komplett verschieden, in allem. In der Ausrichtung, in der Herangehensweise und textlich/musikalisch sowieso. Na ja, Personalunion. Nur weil unser Bassist bei beiden Bands spielt, gibt’s ja nicht automatisch inhaltliche Gemeinsamkeiten. So lange wir nicht mit derartigen Erwartungen konfrontiert werden, machen wir uns da auch keine großen Gedanken. Und dann sicher auch nicht. Die Veröffentlichung beim Salon Alter Hammer kam eher aufgrund des sehr guten Kontakts zu Siggi und Bärbel, den beiden Eisenpimmel-Aufsichtsratsvorsitzenden, zustande. Und natürlich, weil wir Lust darauf hatten.

Arbeitet ihr schon an neuem Zeug?
Ja. Aber entspannt.

Kiss oder AC/DC?
Dann doch eher AC/DC.

Habt ihr nen Gruß an die Trustleser?
Wir kennen ja keinen persönlich. Aber der Höflichkeit wegen: Hallo!

Interview: Jan Röhlk
Kontakte: telemark1.de, salonalterhammer.de

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