Januar 1st, 2024

Team Scheisse (#213/April/Mai 2022)

Posted in interview by Jan

Mit Team Scheisse können wir die Kirsche oben von der Sahne pflücken

Wer etwas über Team Scheisse erfahren möchte, findet im Internet nur wenige Informationen, von denen einige sich in diesem Interview obendrein als nicht richtig herausstellen werden. Die Likes und Follower auf den üblichen Social-Media Plattformen sind (noch) als eher gering einzuschätzen.
Trotzdem hat Team Scheisse in kürzester Zeit einen enormen Zuspruch erhalten, spätestens als das Langspieldebüt „Ich habe dir Blumen von der Tanke mitgebracht (jetzt wird geküsst)“ im Herbst auf dem vom angesagten Trap-Künstler Trettmann und dem Produzententeam KitschKrieg gemeinsam betriebenen Label Soul Force erschien. Ein großer Schritt für eine Band, deren Musiker allesamt seit Jahren in diversen Bands aktiv sind. Team Scheisse übertrifft allerdings alles bisher Bekannte für die vier Bandmitglieder, die zuvor lediglich ein Tape mit dem Titel „8 Hobbies für den sozialen Abstieg“ und eine Split mit Elitepartner aus Bremen veröffentlicht hatten. Sowohl Tape als auch Split können weiterhin online bei Bandcamp angehört werden. Das Album hingegen ist nun auf Vinyl erhältlich, wird allerorts empfohlen und kann auf den bekannten Plattformen gestreamt werden.

Trotzdem wirken Simon (Schlagzeug), Timo (Gesang) und Hannes (Gitarre) überhaupt nicht aufgeregt um den kleinen Hype, der um ihre Band zu entstehen scheint. Bassist Thomas ließ sich zum Interview krankheitsbedingt entschuldigen.

Team Scheisse spielen Deutschpunk. Und obwohl Sound und Ästhetik an die 80er Jahre erinnert, klingt die Musik modern und frisch. Die Texte sind kurz und knapp gehalten, beinhalten unter der meist humorvollen Oberfläche meist einen tieferen Kern und anders als in den 80er Jahren „keine Parolen, keine blöden, wie die: Fick das System“ oder Nazis raus oder irgendwas mit Bullenschweine. Die Haltung und Meinung zu diesen Aspekten des Punkrocks oder zumindest eine gewisse Sympathie wird wohl vorausgesetzt.

Stattdessen handeln die Team Scheisse Songs vom Pfandflaschen wegbringen (Rein ins Loch), Waffenklau bei der Bundeswehr (Frank) einem Kaufhausdetektiv auf der Suche nach Freunden (Karstadtdetektiv) und BWL-Studenten in der Großraumdisko aufmischen (Disko).

Ich würde gerne vorne anfangen, ihr habt euch vor knapp zwei Jahren im Lockdown gegründet, so steht es zumindest im Internet geschrieben, ohne euch vorher gekannt zu haben. Stimmt das alles?
Hannes: Nein!

Nein? Das Internet lügt?
Hannes: Mythen und Legenden.

Dann möchte ich gerne wissen, wie es wirklich war.
Hannes: Es ging schon im Jahr 2016 los, als Trump gewählt wurde, war ich in Amerika und habe meinen Computer ausgemistet und Demos durchgeguckt, die dort gespeichert waren. Davon habe ich dann einfach Sachen an Timo geschickt und gefragt: hast du Bock, dir einen Text zu überlegen und darüber zu singen? Und nur ein paar Stunden später hatte er mir die Sachen zurückgeschickt. Daraus entwickelte sich etwas, allerdings ohne ein Ziel zu haben, was wir damit anfangen können. Es gab Aufnahmen, die ganz gut klangen und mit denen wir auch etwas machen wollten, aber nicht wussten was und schließlich lagen die jahrelang bei Soundcloud rum. Bis Simon sich die noch mal angehört hat und meinte, lass uns die noch mal neu aufnehmen, weil das Schlagzeug lediglich in den Computer eingetippt war. Daraus entstand schließlich „8 Hobbies für den sozialen Abstieg“.

Simon: Wir waren damals noch keine Band. Die Idee war, das wie eine fiktive Compilation mit dem Titel Team Scheisse aufzuziehen und jedes Lied stand für eine eigene Band und hatte einen eigenen Bandnamen und Songtitel. Aber die Stücke passte alle so gut zusammen, dass es auch eine Band sein konnte und Team Scheisse ist ein geiler Name. So entstand das Tape.

Es gab da schon einige (meist) wohlwollende Reviews auf diversen Blogs und anschließend recht schnell hinterher eine Split.
Hannes: Genau, mit einer Band von Plauzenotto.

Simon: Richtig witzige Story zu der Split: Plauzenotto wollte die Split nicht mit Team Scheisse machen, sondern mit Mercedes Jens (wo Hannes spielt) und hatte das falsch verstanden. Und wir wollten die eigentlich mit Plauzenotto machen, aber haben das auch falsch verstanden, denn es war seine andere Band Elitepartner, mit der wir nun zusammen zu hören sind. Eigentlich fehlt immer noch die Plautzenotto und Mercedes Jens Split.

Und danach ist Timo nach Erfurt gezogen?
Timo: Das war, als die erste Kassette fertiggemacht wurde.

Grundsätzlich ist Team Scheisse aber durchaus so was wie eine Internetband?
Timo: Wir waren nie zusammen im Proberaum und haben einen Song geschrieben. Das ging immer über Mails hin und her.

Hannes: Ich glaube, im November, ein paar Wochen vor dem Releasekonzert, standen wir zum ersten Mal zusammen im Proberaum und haben richtig live gespielt.

Und wie war das für euch?
Hannes: Das war verrückt, wie sich selber covern. Ich mache die Musik am Computer und das ist ein anderes Gefühl, als wenn die live gespielt wird. Erst beim livespielen fiel mir auf, dass die Songs nicht immer nach Schema F aufgebaut sind, sondern gerne mal 6 oder 8 Takte haben und dann noch mal was drangehängt wurde und dann passiert noch etwas Komisches, was im Proberaum sofort auffällt, am Computer aber nicht.

Simon: Jeder, der eine Band hat, weiß, wie schön, aber auch schlimm das ist. Bei uns ist die ganze Proberaumerfahrung einfach nicht vorhanden. Die Songs sind fertig, jeder kann sie zu Hause üben und dann müssen wir uns nur drei Mal treffen und an Kleinigkeiten arbeiten. Aber das Wochenlange über einen Song tüfteln gibt es bei uns nicht. Das ist erfrischend.

Timo: Es ist was anderes. In Bands gibt es sonst immer einen sozialen Aspekt, das Riff ist nicht geil, spiel mal leiser, spiel mal lauter. Bei uns ist einfach alles vorher schon da. Das ist ein ganz anderes Ding und das ist geil.

Ihr spielt ja in anderen Bands und habt andere Erfahrungen gemacht. Ist Team Scheisse deshalb die Konsequenz aus diesen Erfahrungen?
Hannes: Ja. Ich spiele immer noch bei Mercedes Jens und viele Team Scheisse Sachen sind aus Mercedes Jens Demos entstanden. Burnout Ostwest mache ich noch mit Felix von Alltag.

Simon: Ich habe noch Schutt und nehme Bands aus dem Freundeskreis gerne auf.

Also habt ihr das beste aus zwei Welten gefunden, reale Bands, mit denen ihr im Proberaum steht und eben die Band, die anders funktioniert.
Timo: Ich glaube, wenn das anders wäre, würde uns wahrscheinlich etwas fehlen. Aber so ist es echt erfrischend, weil es anders ist und deswegen flutscht das teilweise besser.

Hannes: Wir haben auch einen viel höheren Output als mit den anderen Bands. Mit Mercedes Jens haben wir am Anfang zwei Mal die Woche geprobt und konnten dadurch Lieder kloppen, aber das kannte ich von keiner anderen Band vorher. Bei Team Scheisse haben wir in einer Hochphase jede Woche zwei oder drei neue Tracks. Denn wir müssen uns dafür nicht treffen, sondern ich muss mich kurz hinsetzen und die Sachen fertigmachen.

Und die Texte entstehen dann nach der Musik und kommt der Texter bei diesem Output hinterher?
Timo: Wenn ich die Lieder von Hannes kriege, bin ich meistens sofort mit Stift und Papier dabei und dann gehe ich ans Mikrofon und das Ding ist im Kasten. Ich will auch nicht tausend Jahre daran rumdoktern. Entweder Hannes mag es sofort oder es gibt Kleinigkeiten und dann besprechen wir das mit Simon und Thomas. Deshalb haben wir einen Haufen Songs, zu denen jeder seine Meinung sagen kann, welche Stücke auf das Album kommen. Die besten Lieder sind sehr schnell fertig, so viel kann ich sagen.

Um in der Reinfolge eurer Entstehung zu bleiben, dann kam es, das Angebot von Bayern München oder in eurem Fall eben von KitschKrieg bzw. dem Label Soul Force.
Timo: Es kam eine E-Mail, ey, wir sind KitschKrieg, lass mal was machen.

Gab es in diesem Zusammenhang Meinungen oder Kommentare aus der(en) Hip-Hop-Community zu euch und eurer Platte? Ich meine, musikalisch und ästhetisch ist das, was ihr macht und was die bisher gemacht habe ein großer Unterschied.
Timo: Ich würde schätzen, 1% der Leute waren davon vielleicht etwas irritiert und haben einen Kommentar geschrieben. Die Mehrheit finde es gut oder klickt halt weiter. Es gibt viele, die das feiern und wenig hate. Die KitschKrieg Leute haben das ja gemacht, weil sie sich damit identifizieren können und nicht, weil die das lustig oder spaßig finden. Die nehmen das ernst.

Simon: Wir hatten viel mehr hate erwartet. Ich dachte, alle hassen uns dann bestimmt. Die Hip-Hopper beschweren sich und die Punks finden es uncool.

Trotzdem habt ihr das gemacht und kürzlich gab es ja ein Feature von Linus Volkmann im Musikexpress. Das ist ja eine ganz andere Liga als Internetblogs und Fanzines. In diesem Zusammenhang fand ich es interessant, was ihr über den Entscheidungsprozess zum Vertrag gesagt habt, so einen Weg zu gehen, weil da ganz viel dranhängt. Was macht das jetzt mit euch in so einer Musikpresse zu sein?
Hannes: Ich bin da immer noch hin und hergerissen. Als alles losging und die ersten Reviews reinkamen, merkten wir, wo wir plötzlich überall stattfanden. Das war wie in einem Spiel den Cheatcode benutzt zu haben und ganz viele Levels zu überspringen. Wir spielen ja alle in anderen Bands und kennen die Mühen, ein Tape zu machen, dazu einen netten Brief zu schreiben, das irgendwo hinzuschicken, zu hoffen, eine Besprechung zu bekommen, dann in den Laden zu gehen, um sich die Zeitung zu kaufen und sich über die drei Zeilen zu freuen, die geschrieben wurden. Jetzt ist es so, ach, die TAZ hat was geschrieben und die haben auch was geschrieben. Ich verliere manchmal das Gefühl und die Relation dazu. Das ist irgendwie komisch.

Timo: So geht’s mir auch. Ich versuche mich damit nicht so viel zu beschäftigen, weil ich nicht möchte, dass uns das behindert. Ich möchte weiterhin frei sein, das zu machen, was uns Spaß macht. Wenn ich jetzt mit den Gedanken rangehe, was andere darüber denken könnten, wäre ich blockiert und alles vorbei. Einerseits ist das schon so, aber ich versuche mich auf das Positive zu konzentrieren und freue mich, wenn ich von Hannes neue Songs bekomme. Jetzt machen wir zwar eine Corona-Pause, aber wir haben bisher nur einen (1) Gig gespielt. Das war unser Releasekonzert, wofür wir geübt haben, aber nicht wussten, ob das funktioniert. Aber leider war das geil.

Und leider war das für die Leute geil, die da waren. Das müssen wir weitermachen. Normalerweise fragen Bands irgendwo an, dürfen wir bei euch spielen. Jetzt ist es ein anderes Level, wir werden gefragt, ob wir bei ihnen spielen wollen. Daran haben wir uns noch nicht gewöhnt, weil es zu schnell ging. Deshalb halten wir den Ball flach und konzentrieren uns erst mal auf die Musik. Es geht uns ums Musikmachen und nicht um Fame, Klicks und Money. Und wenn wir irgendwann keinen Bock mehr haben, hören wir auf, aber jetzt haben wir Bock. Die großen TAZ Reviews und das alles darüber freuen wir uns. Mehr aber nicht.

In diesem Zusammenhang ist Corona vielleicht gar nicht schlecht, weil ihr automatisch etwas ausgebremst werdet. Stellt euch mal vor, im Dezember hättet ihr noch 10 Konzerte spielen müssen.
Simon/Hannes/Timo: Ja.

Simon: Die wurden eh alle abgesagt. Wir hatten ein paar Sachen gebucht und noch weitere Anfragen, aber das wurde dann alles schnell wieder abgesagt. Bis April haben wir erst mal Pause. Das ist ganz cool, jetzt können wir Musik machen.

Welche musikalischen Vergleiche (Genre oder Bands) wären denn für euch akzeptabel?
Hannes: Sportfreunde Stiller.

Das ist gelogen!
Hannes: Irgendwann gab es den Vergleich mal. Das hat mich ein bisschen gefreut.

Timo: Ich habe mich über den Vergleich „frühe Ärzte“ etwas gefreut. Das fand ich gut.

Simon: Pisse finde ich immer komisch, weil musikalisch ist das doch noch was anderes.

Hannes: An meine großen Vorbilder kommen wir musikalisch eh nicht ran, weil es Genretechnisch vielleicht was anderes sind. Ich freue mich schon, wenn wir nicht als Funpunk beschrieben werden.

Simon: Tocotronic fand ich auch seltsam.

Sind solche Sachen wie Schlachtrufe BRD ein Thema für euch?
Hannes: Ja, voll.

Wie entstehen die Texte, die immer sehr knapp gehalten sind, aber sehr pointiert sind?
Timo: Zettel und Stift! Naja, die Texte werden schon mal sehr stark durch die Musik geprägt. Es gibt verschiedene Herangehensweisen. Entweder habe ich zuerst eine Melodie und schreibe einen Text dazu oder ich habe einen Text zuerst oder ich breche mir halt einen ab. Manchmal laufe ich durch die Stadt und höre ein Instrumental immer wieder auf Kopfhörer an und entweder passiert was, oder nicht.

Weißt du schon vorher über welche Themen du schreiben willst?
Timo: Es gibt kein Muster, das immer funktioniert. Ich habe eine Liste mit Wörtern, die ich lustig finde. Der Rest ist meine Erfahrung und gestohlene Waffen bei der Bundeswehr (spielt auf den Song „Frank“ an) macht mich so zornig und wütend, dass ich ein starkes Gefühl dadurch habe. Wir haben viele Supermarktlieder: „Karstadtdetektiv“, „EDK“ „Rein ins Loch“ – ich gehe voll viel einkaufen, wie wahrscheinlich alle anderen auch. Die Themen sind nicht nah an mir dran, sondern in mir drin. Ich kann mir nicht ein Thema aussuchen und darüber was schreiben, wenn es da keine Verbindung zu gibt. Das geht so nicht.

Sehr oft schwingt in den Texten etwas mit, was unter der vermeidlich lustigen Oberfläche einen tieferen Kern hat. „Karstadtdetektiv“ ist ja ein sehr trauriges Lied, auch wenn es total lustig ist. Das ist ja eine gebrochene Person.
Timo: Eine gebrochene Person, der aber von allen gehasst wird. Und alles, was er will, ist geliebt werden. Shakespeare-mäßig (lacht).

Im Grunde, wie wir alle.
Timo: Aber das macht das identifizieren ja so schön. Ich will nichts konstruieren, sondern ein starkes Bild zeichnen.

Das gelingt. Welche eurer Songs haltet ihr in diesem Zusammenhang denn für zu wenig gewürdigt?
Simon: „Steakhaus“

Timo: In diesen Playlisten auf Spotify kann gesehen werden, welche Lieder am häufigsten gespielt werden. Je weiter hinten ein Song auf dem Album platziert ist, desto weniger Klicks gab es darauf. „Steakhaus“ ist das letzte Lied auf der Platte. Aber ich habe keine Meinung dazu. Die Leute, die gerne Team Scheisse hören, hören das gerne.

Simon: In diesen Listen gibt es eigentlich keine Ausreißer. Das hat mich gefreut. Es gibt nicht diesen einen Song, den alle weiterskippen, es ist relativ gleichmäßig, dass es von vorne bis hinten etwas weniger wird, aber das finde ich nicht schlimm.

Und wer hat von euch hat BWL studiert (Anspielung auf „Disko“)?
Timo: Ich hoffe keiner.

Ähnlich wie bei „Karstadtdetektiv“ sind die Rollen in „Disko“ auch vertauscht. Da ist zwar jemand, der sich danebenbenimmt, aber es sind ja die anderen, denen was fehlt.
Timo: Genau. Richtig beobachtet. Keine Ahnung, ob du schon mal in so einer richtigen Disko-Disco warst. Da bekommt man ja Gefühle. Ganz vieles, was dort gesehen werden kann ist ja nicht schön und das Lied ist Ausdruck dieser Gefühle.

Tänzer oder Hänger in der Disko gewesen?
Timo: Ich tanze gerne.

Hannes. Ich hänge eher so ab, verstecke mich an der Bar.

Simon: Hm. Ich auch.

Wie soll es denn jetzt weitergehen mit euch?
Hannes: Wir produzieren schon wieder neue Sachen. Ein neues Album wird kommen. Mitte nächsten Jahres werden hoffentlich ein paar Konzerte stattfinden. Aber wir haben keinen Dreijahresplan und deswegen keinen Druck, auch nicht vom Label. Wir hätten die Platten raushauen und uns dann trennen können. Das gibt mir ein gutes Gefühl. Wir müssen keine Konzerte spielen und können uns die aussuchen, auf die wir Bock haben. Wir müssen keine Promo machen. Außerdem haben wir alle noch andere Bands, mit denen wir Musik machen können. Mit Team Scheisse können wir die Kirsche oben von der Sahne pflücken. Das ist gerade gut.

Interview: Claas Reiners

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