Januar 1st, 2024

ANNA ABSOLUT (#212/Februar/März 2022)

Posted in interview by Jan

Deutschpunk ist nicht tot. Und das gilt nicht nur in der BRD, sondern auch in der Bundesrepublik Österreich. ANNA ABSOLUT aus Graz in der Steiermark präsentieren im Interview tiefe Einblicke in ihr neues Album „2×3“. Es ging im Gespräch um antifaschistischen Widerstand, um Konfrontation gegen Sexismus, und darum sich den Spaß am Leben nicht nehmen zu lassen.

Hallo und vielen Dank, dass ihr euch die Zeit nehmt! Wie geht es euch nach Veröffentlichung von „2×3“ und wie läuft es generell zur Zeit in Graz?
Joschi: Uns geht es blendend, weil uns die Resonanz auf „2×3“ enorme Freude bereitet. Nicht zuletzt, weil wir das gute Stück in Eigenregie in unserem Proberaum und auf einer Almhütte in den Kitzbühler Alpen in Tirol während unseres Bandurlaubs produziert haben. Und dass sich jetzt plötzlich Fanzines, Blogs etc. mit unserem Album auseinandersetzen, ist neu und aufregend für uns. Danke also auch an euch für die Interview-Einladung!

Mo: Was Graz anbelangt, so haben wir ein kleines politisches Erdbeben erlebt, das auch um die Welt ging: die KPÖ wurde für ihre Sozialpolitik zur stärksten Partei gewählt, wird wohl auch die nächste Bürgermeisterin stellen und der langjährige ÖVP-Bürgermeister ist zurückgetreten. Von diesem Wechsel in der Stadtregierung erhoffen wir uns auch im Kulturbereich einen Wandel hin zu einer stärkeren Förderung der Grazer Subkultur. Generell ist es um Konzerte in Graz aber nicht schlecht bestellt und es gibt einige geile Locations wie z. B. das Music-House, Explosiv, SUB oder P.P.C., in denen immer wieder tolle Events, auch im Punk-Bereich, über die Bühne gehen. Und an großartigen Bands mangelt es Graz ohnehin nicht!

Wer eure bisherigen Veröffentlichungen kennt, wird sich beim neuen Album fragen, wo die Zebras abgeblieben sind. Habt ihr mit „2×3“ eine neue Ära in der Bandgeschichte eingeläutet?
Joschi: Eine lange Geschichte, ich versuche mich kurz zu halten. Eigentlich besteht „2×3“ ja aus den EPs „Zerzauste Zebras“ und „Zornige Zebras“. Wir wollten das Album dann ursprünglich auch „Zwischen Zwei Zebras“ nennen und als Album Nummer 3 dann die „Zahlreichen Zebras“ nachschießen. Drei Gründe, warum wir diesen Plan verworfen haben: Erstens sind auf der A-Seite mit „2×3“, „Keinen Millimeter Zurück“ und „Überfahrt“ sehr ernste Anna-Absolut-Songs enthalten. Zweitens hat uns Fotojournalist Alexander Danner seine Fotos, die während den Migrationsströmen in den Jahren 2015 und 2016 auf der sogenannten „Balkan-Route“ entstanden sind, für das Artwork zur Verfügung gestellt.

Im Song „Überfahrt“ haben wir daraus auch ein Video gebastelt. Vor diesem Hintergrund empfanden wir einen Witz-Albumtitel pietätlos. Drittens ist das mit den Zebras ein Band-Insider und ab einem gewissen Punkt anstrengend, den eigenen Insider abzukulten. Wir haben also gewissermaßen die Notbremse gezogen und der Zwischen-Zwei-Zebras-Story einen kurzen Klappentext am Album-Cover gewidmet. Damit ist es auch gut. Das Zebra wird uns aber als Merch-Logo und Maskottchen erhalten bleiben.

Mo: Was die neue Ära in der Bandgeschichte anbelangt: „2×3“ ist im Gegensatz zu „Zebra“ eine klare Deutschpunk-Platte, mit Songs, die wir genau so in die Welt schreien wollten. Es ergänzt damit auch perfekt unser Live-Repertoire. Zudem hatten wir mit unserem neuen Label „30 Kilo Fieber“ unglaubliches Glück: Sie haben uns unterstützt und dadurch die Basis dafür geschafft, dass wir das Album nun in dieser Form unter die Leute bringen können. Am nächsten Tonträger, den wir schon fertig produziert haben, weil wir im Frühling etwas Zeit hatten, übrigens wieder im legendären STRESS-Studio bei Tom Zwanzger, geht es dann wieder in eine andere Richtung. Man möchte sich ja auch entwickeln.

Im Lied „Hantelpunk“ motiviert ihr eure Zuhörer*innen zum „Pumpen für den Widerstand“. Welche Übungen empfehlt ihr persönlich für den antifaschistischen Widerstand?
Joschi: Haha, gute Frage. Bandintern eine Runde Tennis oder Squash, da schenken wir uns nichts. Zumindest bei mir schürt das den puren Widerstand (lacht).

Mo: Das stimmt. Da kommt in uns allen gut und gerne der Ehrgeiz hoch. Viel harmonischer geht es da aber bei einer Bergrunde mit ein paar Dosen Bier zu.

Auf eurem aktuellen Album legt ihr einen mächtigen Rundumschlag hin. Ihr teilt gegen Sexismus, neue und alte Faschist*innen, Selbstgerechtigkeit, und Ungerechtigkeit aus. Wie viel Wut und wie viel Freude steckt im Entstehungsprozess von „2×3“?
Joschi: Die Freude an der Musik, eigentlich am Punk, steht bei uns immer im Vordergrund. Nur möchten wir nicht vorwiegend über irgendwelche belanglosen Dinge singen, sondern über die Musik Stellung beziehen.

Mo: Außerdem war das ja auch unsere Grundüngsintention: die damalige politische Lage in Österreich. Eine (zum wiederholten Male) rechte Koalition, in der selbst ernannte Bürgerliche mit offenkundigen Deutschnationalen den Staat zu führen versuchten. Das war für uns eine absolute Katastrophe. Faschistische Züge schienen nach und nach wieder salonfähig zu werden. Über die Musik wollten wir uns damals Luft verschaffen und diese Bedenken nicht nur thematisieren, sondern sie auch kritisieren. Aber ja, wie Joschi schon gesagt hat, an erster Stelle steht für uns schon immer die Freude am gemeinsamen Musizieren, Songs schreiben und diese live zu performen. Politik wird dabei aber immer ein wichtiger Teil sein – man sieht ja leider was tagtäglich quer durch unser Land und unseren Kontinent passiert.

Joschi: Und dass Freude und Wut bei uns einhergehen, zeigt sich auch daran, dass wir politische und sozialkritische Themen, ich denke da an „Mazda“, „Hantelpunk“ oder „Windows Me“, oft auch mit einer Portion Ironie abhandeln.

„Wir weichen keinen Millimeter zurück“ erinnert unweigerlich an die Ansage von Herbert Grönemeyer „Keinen Millimeter nach rechts“. Sind die beiden Sätze unabhängig voneinander entstanden?
Joschi: Huh, die Ansage von Herbert Grönemeyer kenne ich persönlich gar nicht. Die Line „Wir weichen keinen Millimeter Zurück“ entstand am nächtlichen, verregneten Heimweg aus einer Bar. Das Thema „Regen“ wollten wir ursprünglich mitverarbeiten, haben wir dann aber durch die „Stalingrad, Normandie“ Line ersetzt. Etwas an diesem Abend hat dazu geführt, dass wir das Bedürfnis hatten, den Leuten mit diesem Song eine unmissverständliche Message ohne jegliche Ironie um die Ohren zu hauen, quasi Positionsbestimmung. Das war uns mit diesem Song wichtig.

„2×3“ befasst sich vor allem mit Sexismus, Transphobie, Homophobie, und verwandten Formen von Patriarchat oder Kyriarchat. Könnt ihr erklären, welche Rechnung hinter der Zeile „Zwei mal drei macht vier“ steckt?
Joschi: Dahinter steckt eine Anspielung auf Pippi Langstrumpf, die in den Lindgren-Erzählungen ein selbstbewusstes, selbstständiges Mädchen verkörpert und tut was ihr gefällt. Die Zeile „Common Sense in meiner Welt“ in Verbindung damit soll aussagen, dass wir so aufgewachsen sind, dass Gleichberechtigung Teil unseres Weltbilds war und ist. Daher auch der Bezug zu diesem Kinderbuch. Heute müssen wir aber leider zunehmend feststellen, dass sich viele Männer das Thema Gleichberechtigung so zurechtlegen, wie es ihnen gerade in den Kram passt. Zum Beispiel einerseits predigen, wie gleichberechtigt Frauen in unserer Gesellschaft doch sind und andererseits vor Zorn rot anlaufen, wenn man sich um eine geschlechtergerechte Sprache bemüht oder Frauenquoten andenkt. Wenn dann noch die „Schutzbedürftigkeit“ der Frau betont wird – ich denke da an Stammtischsätze im Zusammenhang mit dem Thema Migration wie „heute kann ja keine Frau mehr am Abend allein heimgehen, wir müssen unsere Frauen beschützen“ – passt das alles hinten und vorne nicht zusammen. Ich sage nur: Educate your son!

Spätestens sei #PunkToo wird Sexismus als Phänomen innerhalb der Punkszene wieder thematisiert. Wie viel bekommt ihr davon mit und wie erlebt ihr gruppenbezogene Diskriminierung innerhalb der subkulturellen Sphären?
Mo: Die Musikszene fühlt sich für uns Männer-dominiert an. Allein, wenn wir überlegen, mit wie wenig Frauen oder queeren Personen wir uns bis dato die Bühne geteilt haben. Bands, die nicht dem klassischen Männer-Klischee entsprechen, aktiv fördern und so auch ein Stück weit Vorbilder für junge Menschen schaffen, die sich mit jemandem identifizieren können und dadurch wiederum motiviert sind selbst Punk-Rock zu machen, das ist da aus unserer Sicht ein wirksamer Ansatz.

Joschi: Was Sexismus anbelangt, so erlebt man immer wieder Situationen oder bekommt diese geschildert. Wichtig ist es, diese Vorfälle ernst zu nehmen, anzusprechen, zum Thema zu machen und auch zu sanktionieren, etwa durch den Verweis von einer Veranstaltung. Erst unlängst hatten wir einen Fall auf einem Konzert, von dem wir Wind bekommen haben und wo wir beim Veranstalter genau diese Schritte urgiert haben. Und das hat Wirkung gezeigt.

Zum Abschluss möchte ich euch die letzten Worte überlassen. Was wollt ihr den Lesenden des TRUST noch mit auf den Weg geben?
Mo: Zunächst mal danke, dass ihr unseren Worteschwall bis hier her gelesen habt. Hut ab! Und jetzt würden wir uns natürlich unheimlich freuen, wenn ihr in unsere Musik reinhört. Volume ganz rauf und hineinkippen lassen! Danach lasst uns natürlich gerne wissen, ob und warum es euch gefallen hat. Und wenn’s euch taugt, dann wäre es absolut großartig, wenn ihr mal bei einem Konzert von uns vorbeischaut, denn das ist einfach das Geilste an der Musik: gemeinsam live genießen!

Interview: Raphael Lukas Genovese

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