Januar 1st, 2024

PHANTOM BAY (#215/August/September 2022)

Posted in artikel, interview by Jan

Es kommt nicht besonders häufig vor, dass eine Band aus dem weiten Spannungsfeld zwischen Emo- und Hardcore heutzutage noch zu überzeugen weiß und vor allem überraschen kann. Oftmals entscheiden lediglich Nuancen über Gefallen oder nicht gefallen. Die Streamingdienste haben diesen Trend vielleicht noch verstärkt. Oftmals wird einem Song oder einer Band nur wenige Sekunden zum Überzeugen bewilligt. Umso erstaunlicher ist es, wie schnell die junge Band PHANTOM BAY sich bei vielen Menschen schon etablieren konnte.

Mir reichten wenige Sekunden des Videos zum Song „Quit Playing The Blues“, bis mir klar wurde, dass ich das mir dargebotene mag. Eine seltsame Mischung aus einem bekannten Gefühl und aufregender Frische erfasste mich beim Hören gleichermaßen. Gäbe es ein Tinder für neue Musik, wären PHANTOM BAY für mich ein perfect match. Einem meiner besten Freunde ging es da ähnlich, als ich ihm den Link zum Video schickte.

Auch wenn PHANTOM BAY behaupten, aus Bremen zu stammen, so leben die drei Mitglieder in unterschiedlichen Städten und treffen sich lediglich zum Proben in der Hansestadt an der Weser. Michi (Sänger) wohnt in Berlin, Laurin (Bass) in Hamburg und Yannic (Schlagzeug) im Bandhauptquartier Bremen. Die drei kennen sich aus vergangenen Bands und von Konzerten der Freiburger Szene, wo sie sich immer mal wieder über den Weg gelaufen sind, entweder als Fans oder als Veranstalter.

Schlussendlich als Band gefunden haben die drei Freunde sich dann aber übers Chatten, wie Schlagzeuger Yannic erzählt: „Michi und Laurin hatten 2020, kurz nachdem Corona anfing begonnen zu chatten, lass doch mal eine Band machen, die so klingt wie 2010er Hardcore/Punk Kram. Dann haben die beiden nach einem Drummer gesucht und Laurin schrieb mir Original: „Bock auf ne TITLE FIGHT Band?“ Da habe ich natürlich gleich zugesagt.“

Die musikalische Richtung war, bevor überhaupt ein Ton gespielt war, demnach schon vorgegeben. Viele Möglichkeiten zu proben und live zu spielen, sich überhaupt einzuspielen, gab es zwischen dem ersten und zweiten Lockdown sicherlich nicht. Umso erstaunlicher ist es, welch hohes Melodieverständnis die elf Songs des Debüts mitbringen, ohne dabei an der nötigen Härte zu verlieren, die diese Form von Musik unbedingt braucht. Dazu gesellen sich einige Disharmonien, die sich wunderbar in den Gesamtsound einfügen. Der Gesang, mal gepresst, mal rau, mal gebrüllt passt sich der jeweiligen musikalischen Ausprägung des Songs, mal geht es mehr Richtung Emocore, mal eher rauer Punkrock und hin und wieder gibt es Hardcoreausbrüche an. Immer mit genau der richtigen Mischung zwischen Verzweiflung und Hoffnung pendelnd.

Für Yannic liegt der Grundstein des Ganzen in der Vorarbeit des Sängers, Gitarristen und Texters: „Michi hatte super Vorarbeit mit Demos geleistet, sodass wir die Songs parat hatten und jeder sich mit der Musik auseinandersetzten konnte. Wenn es dann mal ein Wochenende gab, an dem wir wirklich zusammengekommen sind, waren wir vorbereitet und mussten nicht erst mal ewig rumjammen, bis irgendwas daraus entsteht. Das Album haben wir dann über vier oder fünf Wochen zu Ende arrangiert und geschrieben, unabhängig von den Texten, die hat Michi danach alleine geschrieben.“

Das selbstbetitelte Album, damit „wir im Interview nicht den Titel der Platte erklären müssen“, gibt Yannic lachend zu Protokoll, beginnt zunächst mit einem schleppenden kurzen Intro und war schlichtweg ein übrig gebliebenes Demo, welches noch Verwendung finden sollte und an keiner anderen Stelle wirklich passte, weil es sich von der restlichen Musik deutlich unterscheidet und somit ein perfekter Einstieg in das Album darstellt. „Komplett wegschmeißen wollten wir den Schnipsel Musik auch nicht, so kam die Idee mit dem Intro auf. Der erste richtige Song „Trembling World“ ballert ganz schön los, wir fanden es ganz gut, da noch was vorweg zu setzten.“

Eben jenes „Trembling World“ ist dann wohl auch der „politischste Song auf der Platte“ – “Provocation is part of the game, I suppose / Low comprehension / No common sense / No foundation to any argument” – dröhnt es aus den Lautsprechern. „Trembeling World“ passt als erster Song ganz gut“, findet Yannic, „obwohl das Album als Ganzes sich nicht mit einem Überthema auseinandersetzt. So richtig politisch wird es auch an keiner Stelle. Ich würde das Lied am ehesten als eine Art wachrütteln beschreiben. Was passiert um uns herum und was machen die Einflüsse der Welt mit einem.“

Die weiteren Stücke setzten sich mit Themen wie Frust, Bedauern und Reue auseinander, die Yannic gar nicht erst komplett verstehen will: „Weil ich es schön finde, den Song so zu spielen, wie ich es fühle.“ Auf unnötige Gitarrensolos wird in den Songs verzichtet, aber nicht auf diese geilen Emopickings, die manchmal das Tempo etwas rausnehmen, nur damit eine Hardcorewelle im Anschluss über alles erneut zusammenbricht. Dabei durchbricht kein Song die drei Minuten Marke (bis auf das letzte Stück), auch befinden sich auf dem Album kaum merkbare Pausen zwischen den Stücken, es geht Schlag auf Schlag und es befindet sich kein einziger Ausfall auf dem Debüt. Sehr wohl aber eine überraschende Nummer in der Mitte des Albums. „Nachteinbruch“ sticht nicht nur dadurch heraus, dass auf einmal auf Deutsch getextet wird, sondern überzeugt vor allem mit seinem ruhigen Picking und seiner Blumfeldesken Stimmung.

„Es war schon so geplant, in der Mitte einen Break zu haben, der nicht richtig gesungen ist. Erst dachten wir an ein Sample, dann habe ich gesagt, ich schreibe ein Gedicht zu der Melodie, was dann auch cooler ist, als etwas aus dem Internet zu ziehen. Ich habe mich hingesetzt und mich vom Instrumental inspirieren lassen und welche Bilder in meinem Kopf beim Hören entstehen. Am Ende hat das eine Freundin von uns in Freiburg eingesungen. Nach fünf schnellen Songs ist das natürlich auch eine Möglichkeit, die Aufmerksamkeit wieder zurückzuholen“, erläutert Yannic das Kalkül hinter diesem Track.

Und er hat Recht damit, denn es funktioniert wirklich unglaublich gut. Auch nach wiederholten hören des Albums wirkt das Stück noch immer überraschend und ist dadurch, dass es so anders ist, sicherlich ein Highlight des Albums. Dabei handelt es sich nicht um ein schlechtgereimtes Stück Poesie, sondern eher wie eine mystische Erzählung. Sowieso wird in den Texten weitestgehend auf ein herkömmliches Strophe/Refrain Muster verzichtet.

Dahinter versteckt sich keineswegs Kalkül, versichert Yannic, sondern hat viel mehr praktische Gründe: „Da wir eh wenig Zeit hatten und uns selten sehen, hatten wir auch nicht so viel Bock, an Songstrukturen herumzubasteln. Kann das ein Pre-Chorus werden oder schieben wir das Stück am Ende noch mal rein? Wir haben es so intuitiv wie möglich gestaltet. Dadurch haben wir relativ radikal Teile aus Songs rausgeschmissen. Das hat das Ganze einmal durchgerüttelt. Finden wir super so.“

Die weiteren Höhepunkte des Albums befinden sich dann sogar auf der zweiten Hälfte des Albums. Da, wo die meisten Bands meistens ihr Pulver bereits verschossen haben. Der Song „Separate Ways“ handelt explizit vom Bedauern, wenn sich bewusst von anderen Menschen getrennt wird, die einem sehr nahestanden und sich später gewünscht wird, eine andere Entscheidung getroffen zu haben.

Es ist einer der wenigen Songs mit einem Refrain, indem die ganze Enttäuschung ausgedrückt wird, die jemand fühlt, der/die alles in eine Sache gelegt hat und trotzdem gescheitert ist: „I feel so empty, feel discouraged / poured all my blood out, for nothing.“ Direkt im Anschluss folgt der Song, mit dem ich die Band entdeckt habe. „Quit Playing The Blues“ handelt davon, an seine körperlichen und psychischen Grenzen zu gehen, etwas so sehr zu wollen, dass es wehtut. Wie es sich für eine ordentliche Emoplatte gehört, überwiegen textlich also eher die schweren und düsteren Themen.

Musikalisch ist das Album dem Gegenüber allerdings äußerst euphorisch besetzt. „Da ist sicherlich auch ein bisschen Nostalgie mit dabei“, gibt Yannic zu und ergänzt, „obwohl ich erst 26 Jahre alt bin und mit den Bands, auf die wir uns überwiegend beziehen, kaum was zu tun habe. Aber trotzdem habe ich natürlich Videos gesehen, von Bands, die in kleinen Proberäumen Konzerte geben und das Publikum total euphorisch abgeht. Diese geile DIY-Atmosphäre hat mich fasziniert. Bei Michi und mir kommt sicherlich noch hinzu, dass wir beide vorher in Bands gespielt haben, die eher Mid-Tempo und Indie waren. So ganz losgekommen von lauterer Musik sind wir trotzdem nie“, erläutert Yannic den Ursprung von PHANTOM BAYs Musik.

Trotz des kurzen Bestehens des Dreiers hat sich schnell ein Label gefunden, welches ebenso begeistert von der Musik war wie die meisten Menschen, die PHANTOM BAY zum ersten Mal hören. „Da haben wir natürlich von Kontakten profitiert, die wir von unseren anderen Bands hatten“, gibt Yannic offen zu, „Jordan von Krod kannte ich von meiner alten Band und wir sind immer im Kontakt geblieben. Er hat gleich gesagt, er würde das Album machen und hätte sogar die Demos unbearbeitet als Rough Mixe rausgebracht, als wir ihn stoppen und erklären mussten, dass es noch eine Studioaufnahme geben wird.“ Das Debüt lebt von einer langnichtmehr gehörten Energie, und wenn die Demoaufnahmen noch etwas Roher und weniger geschliffener sein mochten, so kann ich Jordans Entscheidung bei PHANTOM BAY sofort ja zu sagen, was im Übrigen grundsätzlich viel öfter gemacht werden sollte, ja sagen, sehr gut nachvollziehen.

In dieser Form von Musik, die PHANTOM BAY spielen, ging es nie um starke oder feste Meinungen, sondern immer um Zweifel. Und Zweifel ziehen sich durch alle Texte hindurch, selbst wenn Yannic eingangs meinte, es gäbe kein wirkliches Überthema auf diesem Album. Und gerade dieses zweifeln, macht die Musik für mich in diesem Moment so unwiderstehlich. Zweifeln, aber auch ein Aufbegehren sich nicht von diesen Zweifeln niederreißen lassen. Denn nur wer zweifelt, stellt sich selber mal infrage, und nur wer sich infrage stellt, reflektiert sich und die Welt um einen und kann daraus (hoffentlich) richtige Entscheidungen treffen und sich gegen Missstände, sei sie politischer oder persönlicher Natur wehren.

Text & Interview: Claas Reiners

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