März 16th, 2007

SPIDER VIRUS (#92, 04-2002)

Posted in interview by jörg

Üblicherweise laufen die Wochenenden, an den ich Platten fürs Trust rezensiere, so ab: Weil der Redaktionsschluss bedenklich näher rückt und Dolf schon seine erste Erinnerungsmail angeschickt hat, wird jede CD so oft wie möglich, aber auch nicht mehr als nötig gehört – private Hörwünsche werden für ein paar Tage zurückgestellt, weil dafür die Zeit nicht bleibt.

Radio Invaders von Spider Virus kam mir da überhaupt nicht recht; ausgerechnet diese Platte, die ich wegen des wenig aufschlussreichen Covers eine Weile lang ignoriert hatte, legte ich als erstes ein. Und bekam ein Problem: Ich war so beeindruckt, dass ich die CD wieder und wieder hören wollte, obwohl ich damit eindeutig in Zeitverzug kam. Am Ende nahm ich das Teil auf Minidisk auf, damit ich es im Wagen hören konnte.

Trotzdem hatte ich Spider Virus zunächst mit gemischten Gefühlen betrachtet: Mittlerweile ist es nämlich immer häufiger so, dass ich CDs bekomme, die eindeutig von solchen Trends wie PostPunk oder New Wave beeinflusst sind und wo die Bands sehr viel At The Drive-In und ähnliche Sachen gehört haben.

Auch Radio Invaders passte in diese Kategorie. Die Platte ist eindeutig durch die Siebzigerjahre beeinflusst, wozu etwa die Coverversion von Rod Stewarts Young Turks oder das Verwenden von Händeklatschen als Stilmittel gehört.

Dinge also, die sich momentan auf vielen Platten innerhalb dieses Genres wiederfinden. Was ich da noch nicht wusste: Radio Invaders entstand weit vor dieser Zeit, die Platte wurde 1998 aufgenommen und erschien ganz einfach wegen Problemen mit ihrer Plattenfirma nicht (warum steht im Interview). Und das macht einiges anders.

Es passt also schon, dass Radio Invaders nun bei Offtime herauskommt, wo auch At The Drive-In ihre ersten Veröffentlichungen hatten. Aber letztlich kann die Band natürlich kein Vorbild gewesen sein, genauso wenig wie andere Bands, die mittlerweile populärer werden.

Da passt es eher schon, was das Maximum RocknRoll mal schrieb: irgendwo zwischen Jesus Lizard und Fugazi liege die Band, so hiess es in einer Kritik über eine ältere Single. Das lässt sich auch auf Radio Invaders noch nachvollziehen.

Wie die neueren Songs werden, lässt sich noch nicht sagen – Bassist Mark, der die Fragen per E-mail beantwortete (und der im übrigen auf Radio Invaders noch nicht dabei war, sondern wohl eher im Namen der Band spricht, wenn er über die Geschehnisse von 1999 berichtet), lässt sich nicht in die Karten schauen.

Zwei Lieder gibt es immerhin auf www.spatrecords.com als rm-file zu hören – da klingt die Band ruhiger, erwachsener als auf dem gerade veröffentlichten Album, das durch seine Mischung aus härteren, noisigen Titeln und ruhigen Balladen sowie wegen des Sängers, der immer mal wieder durchdreht, beeindruckt.

Inwiefern die beiden Titel für die neue Richtung der Band stehen, kann ich allerdings nicht sagen. Nachzutragen ist noch, dass www.SpiderVirus.org mittlerweile online ist – die Seite gab es noch nicht, als ich im November das Interview führte.

***

Fangen wir mal mit der Bandbiographie an: Was ist überhaupt 1999 passiert, als eure alte Plattenfirma eure Platte nicht veröffentlichen wollte? Was störte sie? Und warum dauerte es dann fast drei Jahre, bis die Platte bei Offtime rauskam?

Mark: Im Frühjahr 99 trat John Moynahan von der MTV-Sendung Liquid Vision an unser Label NG heran. Wir hatten damals New York City, wo NG sassen, zugemüllt mit unseren Aufklebern, auf denen wir als Cartoons zu sehen waren. Die fielen ihm wohl auf, er mochte unser Artwork, und er sprach einen seiner Freund darauf an.

Der wiederum kannte zufälligerweise den Besitzer von NG. John wollte einen Cartoon aus Spider Virus machen, in dem wir erscheinen und unsere Songs zu hören sein sollten; dabei ging es ihm wohl aber mehr um den visuellen Teil. John hatte die Band nicht mal gehört, als er sich bei NG wegen uns meldete. Radio Invaders sollte jedenfalls erst herauskommen, sobald alle Details für den Cartoon geklärt sein würden.

Einer der eher ekligen Details waren die Veröffentlichungsrechte für die Lieder – NG wollten sie, genauso wie die Rechte an unserem Bandnamen. Wir konnten uns nicht auf einen Preis für diese Rechte einigen. Die Verhandlungen verzögerten sich und brachen dann ab; zuletzt wurden nicht einmal mehr unsere Anrufe beantwortet. Nach zwei Jahren mit all diesem Wahnsinn kamen wir endlich aus unserem Vertrag heraus und hatten zudem die Rechte für die Platte. NG hatten eines unserer Lieder für den Film The Adventures of Sebastian Cole benutzt, was sie nicht durften.

Das war unser Glück: Sie besassen die Rechte für drei weitere Alben von Spider Virus – wir hätten also ansonsten unter dem Namen nichts machen können. Wenn sie nicht diesen Fehler begangen hätten, wären wir wohl noch damit beschäftigt, Geld auszugeben, um aus unserem Vertrag herauszukommen – Geld, das wir nicht haben. Die andere Wahl wäre gewesen, den Namen auf ewig zu ändern. Bryan Jones, der Offtime Records macht, trafen wir bereits auf einer Tour 1998. Er erzählte uns, dass er gerne was von Spider Virus veröffentlichen würde. Nach diesem Debakel mit NG riefen wir ihn an und vereinbarten, dass Radio Invaders bei ihm erscheinen würde.

Dass das alles so lange dauerte, liegt also nicht an Offtime; Schuld war dieser juristische Hickhack. Die Sache hat uns jedenfalls bewiesen, dass Indie-Labels einen genauso bescheissen wie Majors. Als wir bei NG unterschrieben, waren sie jedenfalls noch ein Indie, sie hatten eigentlich keine relevanten Platten veröffentlicht. Damals dachten wir, dass wir an einen erfolgreichen Typen geraten waren, der genug Geld hatte, um gute Musik rauszubringen. Dass sie von BMG vertrieben wurden, kam erst viel später. Jetzt sind wir definitiv weit vorsichtiger, was Verträge angeht.

Habt ihr jemals daran gedacht, euch aufzulösen, nachdem das alles so lange gedauert hat?

Mark: Nein, auch wenn es ein paar Line-Up-Wechsel gab, seitdem wir Radio Invaders aufgenommen haben. Ich denke, dass wir eine sehr starke Band sind – wir sind Freunde, es gab keine Anzeigen, wo wir all star players suchten. Wir hatten allerdings darüber nachgedacht, ob wir uns nicht umbenennen sollten, weil wir uns nicht sicher waren, ob wir je wieder die Rechte am Namen Spider Virus haben würden. Aber wir haben die ganze Zeit über Songs geschrieben und aufgenommen sowie Shows unter anderen Namen gespielt.

Die Shows waren alle hier in der Gegend, nichts bedeutendes. Insofern war es kein Problem, dass Leute nicht wussten, wer da tatsächlich spielt. Im übrigen waren es letztlich nur anderthalb Jahre, wo wir den Namen aufgeben mussten und ihn wieder benutzen konnten. Wir haben diese Zeit auch dafür genutzt, neue Lieder zu schreiben. Aufzuhören war deshalb definitiv keine Option für uns.

War es zynisch, das Album Radio Invaders zu nennen, wo es keinen Major-Vertrieb mehr gab.

Mark: Witziger Punkt – so haben wir das nie interpretiert. Um ehrlich zu sein, uns kümmert es einen Dreck, wer unsere Platten herausbringt, so lange sie gut klingen und Leute sie hören können. Radio Invaders war genau genommen einer der Namen, der zur Wahl stand, als wir uns wegen unserer rechtlichen Probleme umbenennen wollten.

Jedenfalls lehnen wir Major Labels nicht ab, so lange sie uns die kreative Kontrolle überlassen und wir Platten veröffentlichen können, die wir gut finden. Unsere Beziehung zu Offtime und Bryan Jones ist sehr gut. Bryan ist ein Freund, der eine Platte veröffentlicht hat, die wir toll finden. Und wenn alles okay läuft, würden wir auch eine weitere Platte auf Offtime machen.

Was ich lustig fand: Als ich nach euch im Internet gesucht hab, fand ich heraus, dass es einen Computer Virus gab, der Spider Virus hiess – während ihr ja offenbar nicht einmal eine eigene E-mail-Adresse habt. Woher stammt der Name denn dann?

Mark: Ich glaube, ein Spider Virus ist die Vergiftung, die du erleidest, wenn du von einer giftigen Spinne gebissen wirst. Keine Ahnung. Unser Sänger Jerry hatte die Idee, als er durch die Gegend fuhr, einen Joint rauchte und Ziggy Stardust and the Spiders from Mars hörte. Was ist überhaupt eine E-mail? Und was ist eine Webpage?

Aber ernsthaft: Wir arbeiten an spiderVirus.org, nur haben wir von Technik keine Ahnung und können uns kaum vorstellen, dass es uns überhaupt im Netz geben sollen. Aber irgendwann wird die Seite Realität, also musst du einfach mal nach uns suchen.

Egal. Um mal auf die Platte zurückzukommen: Ich bekam die Promo-CD mit nem Infozettel, wo nichts davon erwähnt war, wie alt Radio Invaders tatsächlich ist. Ich dachte, ihr hättet in letzter Zeit eine Menge von diesen Postpunk/New Wave/At The Drive-In Sachen gehört und daraus eure eigene, weit rockigere Version gebastelt. Vielleicht war 1999 noch nicht der richtige Zeitpunkt für diese Platte, vielleicht war das zu früh. Aber 2001/2002 könnte weit idealer sein…

Mark: Das würde nur beweisen, dass wir wirklich unserer Zeit voraus waren. Wir sehen uns allerdings nicht als Teil jener Szene, die du ansprichst. Wir machen unser eigenes Ding, und die neuen songs klingen eh völlig anders. Radio Invaders war eher ein weiterer Schritt unserer natürlichen Entwicklung. Und natürlich hat all die Verzögerung nichts damit zu tun, dass wir die Platte veröffentlichen wollten, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Aber wenn die Platte in 2002 ein riesiger Erfolg ist, hätten wir auch nichts dagegen.

Wie gefällt euch denn die Platte noch nach all den Jahren?

Mark: Wir lieben sie, wir denken, dass es eine sehr starke Platte ist. Und wir spielen auch noch live eine Menge davon. Natürlich wollen wir jeden ermutigen, irgendeine Spider Virus Platte zu kaufen – egal, ob alt oder neu. Dann können die Leute unsere Entwicklung verfolgen. Ich hoffe doch, dass unsere Fans sich mit uns entwickeln.

Und was hältst du von dem Vergleich, den ich gezogen hab. Geht das okay?

Mark: Klar. es ist grossartig, wenn man mit Bands verglichen wird, die teilweise einige Platten verkauft haben. Aber das hilft natürlich nicht, unsere eigenen Platten loszuwerden. Ich finde einige der Bands in der Szene grossartig, trotzdem denke ich, dass wir etwas anderes machen. At The Drive-In kannten wir natürlich noch nicht, als wir Radio Invaders aufnahmen.

Ehrlich gesagt kann ich mich nicht bewusst an das Original von Young Turks erinnern. Aber wie kamt ihr darauf, ausgerechnet Rod Stewart zu covern?

Mark: Ich werde jetzt bestimmt nicht leugnen, dass Rod Stewart eine Menge Scheisse veröffentlicht hat. Dieser Song ist allerdings grossartig, wobei wir ja noch einiges verändert haben. Wir spielen ganz gerne ein paar Coverversionen: Auf unserem ersten Album haben wir Black Sabbath genommen, ausserdem spielen wir Sachen von Cheap Trick, Badfinger oder The Guess Who. Wir mögen die Lieder einfach. Ich denke, dass wir mehr durch bestimmte Songs als durch Bands beeinflusst sind, wobei die Sechziger- oder Siebzigerjahre definitiv wichtiger sind als irgendwelche Neuerscheinungen. Alte Platten sind auf die wesentlichen Dinge reduziert, sehr roh.

Wir versuchen, unseren eigenen Sound und die Aufnahmetechnik so einfach wie möglich zu halten. Ich denke, dass es ein paar Bands gibt, die ähnlich denken – Guided By Voices oder die Strokes zum Beispiel. Das letzte, was wir wollen, ist, 20 tolle Gitarrenspuren aufzunehmen, wenn wir nur zwei Gitarristen sind, die das dann live spielen. Hey, es gibt nichts, was Songs mehr aufwertet, als ein bisschen Handclapping oder ein Tamburin.

Die neuen Lieder auf der CD, die ihr mit acht Spuren aufgenommen habt, wirken ein bisschen ruhiger als die alten Titel. Liegt das daran, dass ihr sie selbst aufgenommen habt, oder ist das die Richtung, die ihr jetzt gehen wollt?

Mark: Das liegt wirklich nur am Aufnahmeverfahren, natürlich ist bei Aufnahmen mit 24 Spuren mehr Druck dahinter. Aber die Songs entsprechen schon dem, was wir damals machen wollten. Die nächste Platte, die irgendwann in diesem Frühjahr erscheinen soll, wird in vielerlei Hinsicht anders.

Das Album erscheint bei Spat Records aus Nashville und wurde zusammen mit Markie Nevers von Lambchop und einem Freund von uns aufgenommen. Wir schreiben ständig neue Songs und suchen nach Leuten, die sie veröffentlichen wollen (falls also irgendwer da draussen ein paar Lieder von uns herausbringen will, darf er sich gerne melden). Wir haben mittlerweile, 7s und Split-CDs eingeschlossen, auf fünf verschiedenen Labels veröffentlicht.

Some say it`s crazy to live you whole life like you were always 25 – das war eine Textzeile, die mir auffiel, da ich 31 bin und schon darüber nachdenke, wie lange ich noch so leben kann, wie ich es jetzt tue. Was bedeutet diese Zeile für euch?

Mark: Wir fühlen uns häufig weit jünger als 25. Jerry, der den Text schrieb, wollte mit dem Text den Leuten antworten, die meinten, wir sollten aufgeben, weil mit der Band ja eh nichts passieren würde. Die Leute sahen Erfolg nur in den Kategorien Geld und Ruhm.

Natürlich haben wir nichts gegen materiellen Erfolg, aber es ist unsinnig zu glauben, man sei nicht erfolgreich, bloss weil man kein Geld macht. Im übrigen gibt es viele Vormittage nach unseren Proben (die immer Alkohol einschliessen), wo wir uns eher wie 75 fühlen… Ansonsten spricht nichts dagegen, sich zu verhalten, als sei man 25.

Ich hatte grundsätzlich das Gefühl, als ob eure Text eher dahin tendieren, zynisch, sarkastisch oder machmal nicht wirklich verzweifelt, aber sowas ähnliches zu sein. Lieg ich da falsch? Was inspiriert euch?

Mark: Alles und jeder. Insbesondere amerikanische Prime Time Nachrichten. Viele unserer Lieder sind Kurzgeschichten, die nicht zwangsläufig persönlich sein müssen. You`re Daddy Is Thru zum Beispiel handelt von einer Geschichte, die Jerry in den Nachrichten gehört hat. Dabei geht es um eine Skaterin, die an den Olympischen Spielen teilgenommen hat, und deren Bruder ihren Vater umbrachte.

Auf der anderen Seite gibt es das Lied I Hope You Find Yourself, das sich darum dreht, dass man selbst herausfinden muss, was man möchte, und sich das nicht von anderen Leuten sagen lassen sollte. Da hat natürlich jeder seine eigene Interpretation. Keeping Your Dreams Alive handelt von einem ehemaligen Bandmitglied, der die Band für seine 17-jährige Freundin verlassen hat. Ehrlich gesagt kamen wir besser mit ihm klar, als er noch seine Träume am Leben hielt.

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Dietmar Stork

Links (2015):
Bandcamp
Discogs

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