März 16th, 2007

SPEARHEAD (#101, 08-2003)

Posted in interview by jörg

Ziemlich genau zwei Jahre ist es her, dass ich Michael Franti zum ersten Mal traf. Seine Band, Spearhead, hatte damals das Album ‚Stay Human‘ veröffentlicht.

Aber in dem Interview ging es weniger um Musik als vielmehr um Pazifismus und Gewalt in dieser Welt. Eigentlich war schon das Interview auch fürs Trust gedacht. Aber dann verschob ich das Abtippen auf die Zeit nach meinem Urlaub, der genau am 9. September 2001 begann. Zwei Tage später war ich dann nicht mehr sicher, ob das Interview in dieser Form noch aktuell sein würde.

Aber warum eigentlich nicht? Hat der 11. September 2001 wirklich gezeigt, dass sich Konflikte nur mit Gewalt lösen lassen? Oder hat er nicht viel mehr bewiesen, dass es gerade jetzt wichtig ist, mal andere Wege auszuprobieren? Michael Frantis Antwort ist da eindeutig, wie das nachfolgende Interview zeigt.

Im April, noch während der Krieg im vollen Gange war, kam der ehemalige Sänger der Beatniggs und von Disposable Heroes Of HipHoprisy nach Berlin, um sein neues Album ‚Everyone Deserves Music‘ zu promoten. Zeit also, an das alte Interview anzuknüpfen. Und wieder blieb die Musik aussen vor. Aber das war auch in Ordnung so…

***

Das letzte Mal, als wir uns unterhalten haben, ging es vor allem um Gewalt und Rache. Du hattest eine sehr pazifistische Einstellung. Aber das alles war vor dem 11. September 2001. Insofern würde mich interessieren, ob sich deine Meinung geändert hat.

Michael: Im Gegenteil: Ich halte gewaltfreie Lösungen für wichtiger denn je. Daher kam auch der Albumtitel ‚Everyone Deserves Music‘, zu dem George Bush den Anlass gab. Der hielt nach dem 11. September eine Rede: „Wir sind eine mitfühlende Nation. Aber wir fühlen nur mit jenen, die mit uns fühlen“, sagte er. „Die, die gegen uns sind, werden unsere starke Hand zu spüren bekommen.“

Das ist das Gegenteil von Mitleid, das bedeutet, Liebe in sich selbst zu finden und sie auf andere zu übertragen. Musik hilft uns, Emotionen hervorzubringen – unseren ärger, unsere Frustrationen und Verletzungen. Und zwar auf positive Weise. Ich glaube, dass jeder das Recht hat, geheilt zu werden – ob von Gier, Krankheiten oder Traurigkeit. Jeder verdient Musik.

Was hast du denn empfunden nach dem 11. September? Oder jetzt wegen des Irak-Kriegs?

Michael: Gleich nach dem Ereignis wurde von „muslimischen Terroristen“ geredet, ohne dass da schon jemand wusste, wer die Attentäter waren. Als nächstes waren die Militärexperten zu sehen. Aber niemand fragte nach den Gründen für den Terrorismus. In Amerika will man das Problem des Terrorismus lösen, aber niemand fragt danach, welche Wurzeln der hat. Man muss sich mal anschauen, was die Terroristen angegriffen haben: das World Trade Center – Symbol der Wirtschaft; das Pentagon – Zentrum des Militärs; sie wollten eventuell das Weisse Haus angreifen – also die Regierung. Amerika ist schnell dabei, wenn es darum geht, die Gewalt anderer anzuprangern.

Aber letztlich war Amerika in den vergangenen 50 Jahren die gewalttätigste Nation der Welt. Man denke nur an Korea, Vietnam, die Atombombe, Zentralamerika (El Salvador, Nicaragua, Panama, Granada), Somalia, Afghanistan, Irak, Iran oder Kosovo an. Wir haben mehr zerbombt als jeder andere, weil wir uns überlegen fühlen. Saddam ist ein Diktator, deswegen haben wir das Recht, ihn auszuschalten. Wir sollten vielleicht keinen Kampf gegen Terrorismus führen, sondern gegen Militarismus.

Man hat aber nicht den Eindruck, als ob viele Amerikaner so denken würden. Ich meine, ich kenne viele Amerikaner, die das ähnlich sehen. Aber wenn man sich das Land als Ganzes anschaut, wirkt es anders.

Michael: Wenn wir alle nur CNN als Informationsquelle hätten, würden wir vermutlich auch anders denken. Es liegt letztlich an den Informationen, die einem zugänglich sind und die den Blickwinkel ändern. Aber die meisten Amerikaner bekommen die Nachrichten von ABC, NBC, CBS oder CNN. Und das sind alles grosse Unternehmen, die ihr Material aus dem weissen Haus oder vom Pentagon bekommen und keine kritischen Fragen stellen. Trotzdem glaube ich nicht, dass die meisten Amerikaner für den Krieg sind.

Man versucht zwar immer, uns Umfragen zu zeigen, die das angeblich belegen, aber ich glaube denen nicht. Wenn ich mit Leuten rede, höre ich sehr, sehr viele kriegskritische Stimmen. Man könnte fast glauben, die Umfragen wurden im Pentagon gemacht. “ ‚Tschuldigung, General, was halten sie vom Krieg?“ Allerdings: In meiner Nachbarschaft sind sehr viele Menschen schwarz. Nach dem 11. September haben viele von ihnen eine amerikanische Flagge an ihr Auto gemacht. Das hatte allerdings nichts damit zu tun, dass sie so patriotisch wären. Das hiess vielmehr:

„Ich bin wie ihr. Bitte verletzt mich nicht. Bitte werft keinen Stein in meinen Laden, bloss weil ich vielleicht arabisch aussehen könnte“. Als Afro-Amerikaner haben wir gelernt, in einer Welt zu leben, die uns hasst, und neben Menschen, die uns hassen, und trotzdem zu funktionieren. Jetzt müssen die Euro-Amerikaner plötzlich lernen, damit umzugehen, dass es Menschen in der Welt gibt, die sie hassen. Jetzt wollen sie diese Menschen umbringen, statt die Gründe zu verstehen. Was selbstverständlich mehr Hass erzeugt.

Wie wirst du denn behandelt, wenn du beispielsweise an einem Flughafen ankommst?

Michael: Wenn ich in den USA ankomme, werden mir eine Menge Fragen gestellt: Woher ich komme, was ich dort gemacht habe und so weiter. Ausserdem durchsuchen sie meine Sachen. Auch in Australien ist es ähnlich schlimm. Heute hier in Berlin war ich schwer überrascht: Sie haben sich meine Sachen nicht angeschaut, sondern schauten nur kurz auf meinen Reisepass – das war es. Was mir auch aufgefallen ist:

Ich war zweimal mit den Beatniggs in Ostberlin, was jedes Mal ein sehr furchteinflössendes Erlebnis war mit all diesen Soldaten, Waffen und Wachhunden. Als ich aufgewachsen bin, bestand alles, was ich von Deutschland wusste, aus Dingen über die Nazi-Zeit, den Holocaust und so weiter. Das waren die Informationen, die wir hatten. Als ich das erste Mal nach Deutschland kam, hatte ich genau deswegen Angst. Und heute fühlte ich mich erleichtert, weil ich in einem Land bin, das sich für Frieden ausspricht.

Um nochmal darauf zurückzukommen, wenn du in die USA zurückkehrst: Wirst du dann wie eine verdächtige Person behandelt?

Michael: Definitiv. Sie sammeln offenbar eine Menge Informationen über mich. Jedes Mal, wenn sie meinen Pass scannen, tippen sie ziemlich viele Daten in den Computer. Einer unserer Bandmitglieder hat eine Schwester beim Militär. Sie ist zurzeit am Persischen Golf. Ihre Mutter wurde kürzlich von einer Lokalzeitung interviewt, in dem sie darüber erzählte, dass sie eine Tochter am Golf hat und einen Sohn in der Band Spearhead.

Einige Wochen später bekam sie Besuch von zwei Herren vom Militär. Die fragten sie eine Menge Dinge und erzählten, dass die Spearhead-CDs der Tochter konfisziert wurden. Sie redeten immer davon, dass die Band Teil des „Widerstands“ sei – sie benutzten immer wieder dieses Wort. Sie hatten Fotos von uns, auf denen Auftritte von uns bei Kundgebungen zu sehen waren. Und die reichten Jahre zurück.

Sie haben sämtliche Daten über unsere Flüge – über jeden einzelnen Flug irgendwo in der Welt, den wir genommen haben. Sie wussten unsere Bankdaten und wem wir Schecks ausgestellt haben. Sie wollten wissen, welche Beziehung wir zu Mumia Abu Jamal haben und warum ihr Sohn keine feste Adresse hat. Das war das erste Mal, dass wir mit solchen Dingen Kontakt hatten. Du kannst dir sicherlich vorstellen, dass wir das erschreckend fanden.

Wie nervös macht dich sowas?

Michael: Sehr. In den vergangenen zwei Wochen vor dieser Promotour hab ich viel darüber nachgedacht, wer das beobachtet, was ich mache und sage. Ich dachte mir zwar, dass ich als politischer Texter auffallen würde. Aber ich hätte nicht gedacht, dass es so schlimm ist.

Ihr seid ja noch eine relativ kleine Band, keine Superstars. Da würde man so etwas nicht erwartet.

Michael: Wir organisieren viele Kundgebungen, zu denen 25.000 bis 50.000 Menschen kommen. Das mag der Grund sein.

Denkst du darüber nach, dein Verhalten zu ändern? Willst du nun noch politischer sein? Oder doch lieber ruhiger?

Michael: Anfangs war ich schockiert wegen der Sache. Aber danach dachte ich, dass ich mich mehr engagieren und noch deutlicher sagen muss, was ich denke. Ich rufe nicht dazu auf, die Regierung zu stürzen oder Bomben zu werfen. Ich war immer ein Vertreter von Menschenrechten, menschlicher Würde und Meinungsfreiheit. Darum ging es immer in meinen Lieder. Und das halte ich jetzt für noch wichtiger.

Das Album heisst „Everyone Deserves Music“ – aber genau in diesen Regimes im Mittleren Osten ist Musik, abgesehen von religiösen Sachen, verboten.

Michael: Das ist auch sehr traurig. Ich denke, dass Musik Grenzen überwinden kann und dass über sie Menschen sich näher kommen. Deswegen ist es traurig, wenn Menschen nicht die Möglichkeit haben, verschiedene Arten von Musik zu hören. Aber ich finde es auch traurig, dass in meinem Land eine Firma, Clear Channel, 1500 Radiostationen besitzt. Bands, die nicht auf ihrer Liste stehen, bleiben ebenfalls ungehört.

Es gibt verschiedene Ebenen solcher Probleme. Ich respektiere Religion. Wenn jemand für sich entscheidet, keine Musik hören zu wollen, dann ist das in Ordnung. Aber im Iran und in den anderen Ländern dort ist Musik komplett verbannt. Und gerade dort gibt es wunderbare Musik. Es ist sehr unglücklich, dass es dort das Dogma gibt, die zu verbieten. Aber ich glaube nicht, dass das religiöse Gründe, sondern eher politische hat. Es ist das Regime, das das so will.

Seid ihr denn auf der Liste dieser Radiostation?

Michael: Sie wollen auf alle Fälle keine Lieder spielen, die sich gegen den Krieg richten. Und unser neues Album ist sehr politisch. Das erste Lied, das wir veröffentlicht haben, heisst ‚Bomb The World‘. In dem Text heisst es „you can bomb the world to pieces, but you cant bomb it into peace“. Die Hälfte der Lieder ist politisch, die andere ist positiver, trotz all der Dinge, die in der Welt passieren. Auch die Musik hat sich entwickelt. Früher hatten wir hier einen Reggae-Song, da HipHop und dann einen Rocksong.

Jetzt gibt es einen Spearhead-Sound. Ich war immer ein Fan von The Clash, die es geschafft haben politische Themen anzusprechen und es wie eine Party klingen zu lassen. Auf der ersten Platte gab es all die Punk-Songs und mittendrin einen Reggae-Titel. Später, als sie bekannter waren, hatten sie diesen Sound, bei dem man nicht sagen konnte, ob das nun Punk, Reggae, Disco, HipHop oder Funk ist. Aber es waren immer The Clash. Das haben wir auch versucht, wir wollten einen Sound haben.

Dann ist dieses Album euer ‚Sandinista‘.

Michael: So ungefähr. Die Platte ist allerdings eindeutig kein Dreifach-Album (lacht).

Und deine alten Sachen mit den Beatniggs und Disposable Heroes war dann wie das frühe Material von The Clash.

Michael: Ich hab natürlich keinen Punkbackground, sondern eher HipHop oder alten RnB wie Marvin Gaye und Curtis Mayfield. Als ich Mitglied der Beatniggs war, konnte ich kein Instrument spielen. Deswegen schlug ich auf Metallteilen herum und machte Poesie dazu. Aber ich entwickelte mich als Person, so dass ich nicht nur ärger ausdrücken wollte, sondern auch andere Emotionen. Also musste ich andere musikalische Farben finden. Wenn man älter wird, merkt man, dass ärger oft nur dazu dient, andere Gefühle zu verbergen.

Man ist traurig, aber möchte das nicht sagen. Aber die Alben von Curtis Mayfield oder Marvin Gaye haben so viel Tiefe, dort werden so viele Gefühle angesprochen. ‚What’s Goin‘ On‘ ist eine wütende Platte – Marvin Gaye erzählt davon, wie sein Bruder aus dem Vietnam-Krieg zurückkehrt. Aber er drückt auch seine Traurigkeit aus. Als Songschreiber muss man solche Gefühle kommunizieren, vielleicht sät man damit ja etwas, das wächst. Wenn man nur wütende Dinge ausdrückt, schliesst man viele Hörer aus.

Warst du damals der „angry young man“?

Michael: Das bin ich immer noch (lacht). Aber ich kenne jetzt mehr Möglichkeiten, dieses Gefühl auszudrücken.

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Dietmar Stork

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