Januar 1st, 2024

Slime (#215/August/September 2022)

Posted in interview by Jan

Vor ziemlich genau zwei Jahren plante ich, ein Interview mit SLIME zu führen, dieser Band, über die jeder punkinteressierte Mensch in den letzten 40 Jahren früher oder später einmal stolperte. Mindestens mit dem selbstbetitelten Debütalbum aus dem Jahr 1981, der erste (erfolgreiche) Versuch von den Parolen („Wir wollen keine Bullenschweine“, „Yankees Raus“, „Deutschland muss sterben“), mit dem Album „Alle Gegen Alle“ wegzukommen und der, es muss wohl so genannt werden, (Hardcore-)Großtat „Schweineherbst“, haben SLIME Punk-Klassiker geschaffen. Dem könnte sich das neue Werk „Zwei“ bald anschließen. Solche Einordnungen lassen sich erst nach einigen Jahren zweifelsfrei bestimmen. Das Zeug dazu hätte „Zwei“ allemal.
Nur gab es zwischen dem Interviewwunsch vor zwei Jahren und dem neuen Album einen kleinen Vorfall, weswegen ein Gespräch bisher nicht zustande kam. Ich war noch dabei mir Fragen, zu notieren, als der Slime-Sänger Dirk „Dicken“ Jora über diverse Fanzine Seiten (Ox, Plastic Bomb, Mind the Gap) seinen Ausstieg aus der Band bekannt gab. In dem knappen Text ging es u.a. um gelebte Solidarität, was auf einen Titel eines jüngeren SLIME-Songs anspielte. Anschließend verkündete Dirk kurz und knapp das Ende von SLIME. Eine Reaktion der restlichen Bandmitglieder ließ nicht lange auf sich warten. Das kurze Statement schloss sinngemäß mit den Worten ab, es bliebe abzuwarten, wie es mit SLIME weitergeht.

Unumstritten waren SLIME selbst in der linken Szene nie, aber zu diesem Zeitpunkt schien für die meisten Anhänger der Band klar zu sein, dass ein „weiter so“ nicht funktionieren kann und eine Auflösung die einzig sinnvolle Maßnahme wäre, auch um das Erbe nicht zu zerstören. Doch die restlichen Mitglieder der Band entschieden sich anders, fanden mit Tex Brasket einen neuen Sänger, der obendrein eigene Texte schreibt. Gemeinsam nahmen sie zunächst ein paar (alte) Songs auf und fingen schließlich an, an einem (neuen) Album zu arbeiten. Das Ergebnis „Zwei“ ist kurzgesagt mindestens das beste SLIME Album seit fast dreißig Jahren und somit seit „Schweineherbst“. Wie es dazu kam, erzählt Gründungsmitglied und Gitarrist Elf im Interview:

Normalerweise fange ich gerne am Anfang an.
Das ist immer gut.

Ja, aber wo genau ist das bei Euch jetzt?

Der Anfang von SLIME ist 1979.

Würdest du das immer noch so zählen?

Ja klar. Ich habe die Band mit dem Bassisten damals gegründet, seitdem bin ich dabei. Ohne den Sänger, ohne den anderen Gitarristen, mit einem ganz anderen Drummer. Von daher war es immer ein stückweit meine Band. Aber eben nicht meine Band alleine.

Das ist ja die Frage! Siehst du SLIME als Deine Band an?

Im Sinne von, dass ich da immer gespielt habe und ganz viele Songs geschrieben habe, auf jeden Fall. Und ich habe das immer, glaube ich, am liebsten gemacht von allen Bands, in denen ich gespielt habe. Ich habe nie so gerne vorne gestanden und gesungen. Das habe ich bei den Solosachen nur gemacht, wenn wir keinen Besseren gefunden haben.

Ich hätte jetzt gedacht, dass du überlegst, ob das nicht (mit Tex als neuen Sänger) ein Neuanfang ist.
Das kann schon so gesagt werden. Andere Stimme und ein Sänger, der eigene Texte schreibt, hat Dicken halt nie gemacht, außer zweimal: „1,7 Promille“ und „Guter Rat ist teuer“, die beiden Texte sind von Dirk. Mahler hat ganz viele Texte geschrieben. Ich glaube, Mahler und ich kommen so auf halbe/halbe und Musik habe ich mehr als er geschrieben. Wenn wir mal die Phase ab der zweiten LP nehmen, dann haben Stephan (Mahler) und ich die meisten Songs geschrieben und Dirk hat das gesungen. Deswegen ist das jetzt was anderes.

Es gibt ja durchaus (im Netz) Diskussionen, ob ein Sänger ausgetauscht werden kann.
Ja, Dead Kennedys ohne Jello sagen einige. Finde ich aber nicht. Jello hat bei den Dead Kennedys alle Texte geschrieben. Außerdem hat der so eine außergewöhnliche Stimme, das ist kein Vergleich. Die restlichen Dead Kennedys spielen ohne Jello mit einem halb-garen neuen Sänger ausschließlich alte Songs. Das wollten wir nie machen. Darum haben wir nach 2010 auch ein neues Album mit den Texten von Erich Mühsam aufgenommen. Wir hatten damals keine anderen Ideen, aber wir hatten bock live zu spielen, nur nicht immer die gleichen alten Songs. Es war uns wichtig, den Leuten was Neues zu bieten.

Wie stehst du denn dazu, unter dem alten Namen SLIME weiterzumachen?
Warum denn nicht? Wir spielen gerne die alten Songs. „Deutschland muss sterben“ zum Beispiel, viel von der „Alle gegen Alle“ und vor allem von der „Schweineherbst“. Mit dem neuen Sänger natürlich. Wir haben einfach ausprobiert, was zu ihm passt und ihm liegen die Stücke von der „Schweineherbst“ am besten.

Finde ich musikalisch auch am nächsten dran zum neuen Album.
Ja, da sind jetzt viele persönliche Erlebnisse in den Texten. Er schreibt Geschichten auf, die er selber erlebt hat und keine Politparolen. Das war auf der „Schweineherbst“ auch schon nicht mehr da.

Ich muss jetzt einmal nachfragen. Ich fand den Abgang von Dirk merkwürdig.
Wir auch.

Es gab da so einen skurrilen Vorwurf, der aber nicht weiter beschrieben wurde. Da wurde von ihm etwas in den Raum gestellt, was etwas halb-gar war.
Solidarität.

Genau. Fand ich etwas fies. Entweder nennst du das Kind beim Namen oder eben nicht, aber dann ist es besser, gar nichts zu sagen. Ihr habt da aber ziemlich ruhig drauf reagiert.
Das bringt die Erfahrung mit den asozialen Medien mit sich, dass es am besten ist, nichts zu kommentieren. Das machen die Leute schon. Wenn du das selber machst, dann geht das immer weiter. Vor allem wenn das so einen negativen Touch wie bei Dirk hatte, das war unglücklich und hätte nicht sein müssen. Mittlerweile haben wir uns längst verständigt, dass wir dazu nichts mehr sagen, er auch nicht. Ein Ding hatte er noch mal rausgehauen, zum ersten Song mit dem neuen Sänger. Da gab es aber tatsächlich viel Gegenwind von den Leuten. Dirk ist und bleibt der Sänger von SLIME, der ausgestiegen ist. Zu aller nächst einmal aus gesundheitlichen Gründen. Das war einfach so.

Die langen Konzerte und immer wieder auf Tour, das wollte er nicht mehr. Ist ja in Ordnung. Darum sind wir bei unserer Darstellung geblieben, weil er das als Erstes so gesagt hatte. Eigentlich wollten wir eine Abschiedstour machen, dann kam Corona. Wie lange sollen wir warten, bis wir eine Abschiedstour machen? Zwei Jahre vielleicht? Siehst du ja, so lange hätte das gedauert. Die Terrorgruppe wollte letztes Jahr auch auf Tour gehen, dann haben die drei Konzerte gemacht und den Rest der Tour wegen Corona abgesagt. Das ist doch scheiße. Aber das Gleiche wäre uns auch passiert.

Dann verschiebst du eine Abschiedstour um ein Jahr? Dann kannst du auch weitermachen oder gleich sagen, es ist Schluss. Erst danach kam die Idee, Tex zu fragen, der zu der Zeit gerade bei Christian (Mevs – Gitarrist von SLIME) im Studio aufgenommen hatte. Wir haben das einfach ausprobiert und das hat funktioniert. Warum sollen wir dann aufhören? Wir haben ja schließlich Bock, als Band noch was zu machen. Und wir sind nun mal die Band. Die Band ist ja nicht der Sänger alleine. Wem das jetzt nicht gefällt, die alten Songs mit neuem Sänger, da kann ich nur sagen, wartet mal ab Leute. Das wird super.

Ich kann mir das auch gut vorstellen. Vielleicht nicht jeden Song, aber…
Ne, das meinte ich ja eben. Wir können das schon gut auswählen oder er selber sagt, das passt nicht zu mir. Es wird kein einziger Song von der „Sich fügen“ Platte dabei sein. Das ist überhaupt nicht seine Welt und das kann er nicht überzeugend singen. Tex ist sehr emotional und ein richtiger Sänger mit Blues und Soul in der Stimme und kann auch leise Sachen singen. Ich denke manchmal, der hat was von Rio Reiser.

Aber einem wütenden Rio Reiser.
Etwas kräftiger vielleicht. Mit dem Gefühl, wie Rio gesungen hat, das kann der auch. Das hätte auch sonst nicht funktioniert. Wo nimmst du einen neuen Sänger her? Das geht nicht über einen Aufruf oder den Sänger von einer anderen Band zu nehmen. Das funktioniert nur über eine Connection, ohne dass das jemand mitbekommt, sodass in Ruhe mal etwas aufgenommen werden kann und nur wir als Band beurteilen das.

Mir ist aufgefallen, ihr habt vier Phasen mit der Band. Die erste dauerte fünf Jahre (79-84), die zweite vier Jahre (90-94), dann war die letzte (2009-2020) tatsächlich länger als die ersten beiden Phasen zusammen. Und dann jetzt der Neuanfang.
Das ist jetzt ein Grund, weswegen wir nicht einfach aufhören. Das waren elf richtig geile Jahre, jede Menge schöne Konzerte, wir haben auf dem Rebellion in Blackpool gespielt und in Bath auf dem Bob Fest. Wir haben in der Zeit drei schöne Platten gemacht. Damit wollen wir nicht einfach aufhören. Ich meine, ich werde jetzt 60 Jahre alt. Klar, das kann auch reichen, so wie Dirk es gemacht hat. Aber mir reicht es nicht, ich habe Bock, Musik zu machen, und zwar so, wie wir es mit Slime (jetzt) machen.

Warum soll ich das unter einem anderen Namen machen? Ich fang doch nicht noch mal ein Soloprojekt an und spiele wieder irgendwo vor zehn Leuten. Da habe ich keinen Bock drauf. Entweder funktioniert das mit dem SLIME-Hintergrund oder wenn das völlig in die Hose gehen sollte, hören wir auf. Wir finden aber alle, es lohnt sich, das mit Tex auszuprobieren. Selbst wenn es nur dazu reicht, dass Tex einen Schub in seiner Popularität bekommt. Auch dann wäre es das wert gewesen. Denn der hat es verdient! Nur für ihn würde ich das schon machen.

Würde SLIME noch ohne Tex existieren?
Ne. Das war die einzige Möglichkeit, die sich durch Zufälle ergeben hat. Aber irgendeinen anderen Sänger zu finden oder ich singe womöglich, das hätte nicht funktioniert.

Also war es die einzige realistische Möglichkeit, so machen wir weiter und nicht anders.
Ja. Mitten in der Coronazeit und dem Zoff mit Dirk habe wir gesagt, wir lassen das mit der Abschiedstour. Das ist Bullshit.

Wie schnell war das denn klar mit Tex?
Im Sommer 2020. Die Idee kam von Chris.

Hat er einen Punkrock Hintergrund oder hat der eigentlich einen ganz andere Backround?
Als Jugendlicher hat der schon die „Schweineherbst“ gehört. Der ist mehr Punk als wir alle zusammen. Die erste Musik, die einen richtig kickte, das war bei ihm schon Punk. Später kamen andere Sachen dazu. Der ist ja erst 40 Jahre alt.

Erst!
Der Jungspund. Alex ist mit 48 Jahren der zweitälteste.

Rentnerkapelle.
Der drückt den Schnitt jetzt gewaltig nach unten. Jetzt sind wir im Schnitt wieder 50 Jahre alt. Ist doch aber scheißegal. So lange Charlie Harper noch auf die Bühne geht, der ist über 70.

Was bedeutet der Albumtitel „Zwei“? Es ist nicht Euer zweites Album, es ist nicht Eure zweite Phase, es ist nicht die zweite Chance.
Es ist kryptisch gemeint. Das kannst du interpretieren, wie du willst. Zweite Chance würde gehen.

Zweiter Sänger stimmt streng genommen auch nicht.
Zweiter Sänger! Thorsten (sorry) zählt nicht. Wenn du nach Phasen gehst, müsste das Album eigentlich „Vier“ heißen. Aber wenn du die ersten drei Phasen zusammenzählst, dann ist es jetzt die Zweite. Vielleicht so. Aber so ganz genau haben wir uns das nicht überlegt.

Wie schaut ihr jetzt auf eure letzten beiden Platten zurück? Auch im Vergleich zu „Zwei“.
Es war auf jeden Fall eine gute Idee, uns jemand außerhalb der Band zu suchen, der das mischt. Oliver Zülch hat die „Hier und Jetzt“ gemischt und „Wem gehört die Angst“ hat Christian gemacht. Irgendwie waren wir mit beiden Platten nicht so richtig zufrieden. Für den Mix von „Zwei“ haben wir drei Leute gefragt, einen Testmix zu machen und Jörg Umbreit, der auch für DRITTE WAHL arbeitet, da hat es geknallt. Der baut in dem Mix schon das Mastering mit ein. Das ist überzeugend. So sehe ich die beiden letzten Platten, da sind schöne Songs drauf, aber mit dem Sound war ich nicht zufrieden.

Darauf will ich hinaus. Auf der „Zwei“ ist eine andere Dynamik zu hören.
„Zwei“ ist vielleicht einfach modern. Vorher kamen die Power und die Energie, mit der wir das eingespielt haben, überhaupt nicht rüber. Vom Sound her ist es jetzt die beste Slime-Platte, von allen.
Eine Textzeile auf dem neuen Album lautet „Wut ist besser als Verzweiflung“. Ich finde, „Zwei“ ist sehr wütend und Songs wie zum Beispiel „Unsere Lieder“ hatten textlich eine gewisse Verzweiflung in sich.

Habt Ihr in den letzten Jahren auch so ein bisschen nach der eigenen Stimme gesucht?
Ja, klar. Da stand die Idee dahinter, von den Parolen wegzukommen, was wir nicht ganz geschafft haben, aber es sollte ein persönlicher Touch mit reinkommen. „Ich kann die Elbe nicht mehr sehen“ ist so ein Ding. Das war mit Dirks Idee und der Text ist von Max Leßmann, genau wie „Unsere Lieder“ auch. „Sie wollen wieder schießen dürfen“ ist auch von ihm. Den spielen wir auch weiterhin, das ist der geilste Hit der Platte, ach was, der letzten zehn Jahre von uns. Die Texte von unserem neuen Sänger sind hauptsächlich persönlich, die können aber alle auch politisch gelesen werden. Das ist gut gemacht. Na ja, „Safari“ ist auf jeden Fall ein Politiktext gegen Nazis.

„Taschenlampe“ ja auch. Das ist vielleicht ein gutes Beispiel, da wird aus der persönlichen Sicht über Wohnungsnot erzählt, aber das kann durchaus gesamtgesellschaftlich betrachtet werden.
Auch „Komm schon klar“ – da geht es um Obdachlosigkeit. Das gibt einem zu denken. Da spricht jemand über Sachen, die er kennt, in Deutschland, diesem reichen Land. Wie kann das angehen? Wieso gibt es überhaupt Obdachlose? Wieso werden die nicht vernünftig untergebracht und können normal leben. Das ist politisch. Auch wenn er das als eigenes Erlebnis beschreibt. Das finde ich gut daran.

Umgedreht gesehen, Christian hatte das in einem Interview zur Auflösung 1994 mal gesagt, Ihr kloppt Euch halt auch nicht mehr jeden Tag mit Bullen. Darum könnt Ihr wahrscheinlich auch nie wieder so einen direkten Song übers Prügeln schreiben, wie es bei „Komm schon klar“ mit Obdachlosigkeit gelungen ist. Es würde dann vielleicht auch ganz schnell plakativ werden.
Oder der x-te Anti-Nazi-Song – haben wir natürlich immer einen gehabt.

Ja, aber die Nazis haben sich ja auch verändert und einen Text wie „Safari“ hättet Ihr in den 80er oder 90er Jahre sicherlich nicht so geschrieben. Dazu fällt mir ein, es gibt in den Lyrics viele Textbausteine, die die Zeiten verbinden. Es kommt an einer Stelle ACAB vor, an einer anderen Stelle heißt es: „Macht kaputt, was euch kaputtmacht“, ne, warte.
Du machst Punk kaputt, ich mach kaputt, was Punk kaputtmacht.

Genau. Krieg den Palästen, „Halt dich an deiner Liebe fest“ – das finde ich sehr interessant. War das von Tex vielleicht verbindend gemeint. Das Alte mit dem Neuen zusammenbringen?
Das müsstest du ihn fragen. Das kann schon sein. Darüber hat er bestimmt nachgedacht. Da sind ein paar Songs drauf, die hat er schon vorher solo gespielt, „Sein wie die“ zum Beispiel. Aber für die neuen Songs hat er sich darüber sicherlich Gedanken gemacht.

„Erzähl DU mir nichts von Punkrock“ – ist das schon ein kritikvorbeugendes Lied?
Ja!

Und ich finde, dieses DU, ist eine persönliche Ansprache an eine bestimmte Person gerichtet.
Es sind ja auch einzelne bestimmte Personen, die Kommentare ablassen. Das ist natürlich auch ironisch gemeint. Was ist denn heute noch Punkrock?

Das TRUST! „Pseudo“ ging 1980 oder wann, das war ja auch schon in diese Richtung.
Wir sind echt schon alt! Ich meine, wir haben den Scheiß von Anfang an erlebt, die zwei oder drei Jahre, in denen es in Hamburg eine richtige Punkszene gab, mit dem Krawall 2000, wo jedes Wochenende was abging. Da haben wir gespielt, die Razors, KFC, Hans-A-Plast – das war Punkrock, die Anfangszeit. Danach wurde es kommerzialisiert oder es gab neue Szenen wie englischer Hardcore, GBH und Exploited und so, aber es wurde nicht besser. Aber was ist heute noch Punk? Alles Mögliche.

Gutes Schlusswort. Lass hier mal aufhören.

Im Interview sagte Elf, „Zwei“ würde modern klingen und bezog sich damit auf den Klang des Albums, welcher wirklich sehr gut geworden ist. Aber das Album klingt nicht nur modern, sondern auch so aktuell und zeitgemäß, wie es lange nicht mehr vorkam. Das liegt unter anderem an den Texten von Tex Brasket, der der Band nicht nur als Sänger eine neue Dynamik schenkt, sondern nahe dran ist am Zeitgeist.

Im Prinzip bietet „Zwei“ alle Attribute, die SLIME in den letzten Jahren schon auf den Tisch gebracht haben, aber nie so konsequent ausgespielt haben, wie sie es nun auf „Zwei“ schaffen. Da wäre zum Beispiel „Safari“, ein Anti-Nazi-Song, gab es von SLIME schon häufiger, aber der Text bezieht sich nun explizit auf die neuen Strukturen der Rechten und verschont auch eine Linke nicht vor Kritik. Dabei spielt der Song auch kurz mit Hip-Hop-Elementen, was zwar bereits in der Vergangenheit bei SLIME vorgekommen ist, allerdings fließen diese Parts auf „Safari“ besser, als es zuvor der Fall war, fügt sich in den flotten und doch harten Punkrock natürlicher ein.

Ein Lied wie „Sein wie die“ erinnert zunächst mit den eingesetzten Akustikgitarren an die vielen Ex-Punks, die nun Folk und Country spielen, ohne dabei die Wucht und Aggressivität, die Punk überhaupt erst ausmacht, zu vergessen. Zwar kratzt das Stück (und auch andere auf „Zwei“) hart am Pathos entlang, übertritt aber nie eine imaginäre Grenze, dafür sind die Texte zu ehrlich und direkt und die Musik zur dringend. Abgesehen davon klangen SLIME schon lange nicht mehr so jugendlich. Und mitsingen (oder grölen) lässt sich dazu auf Konzerten sicherlich auch bald.

Das Wort „scheiße“ findet überproportionale Anwendungen in mehreren Texten, was ebenfalls zur Dringlichkeit der Musik beiträgt. Vieles ist eben gerade scheiße, aber diese Scheiße wird eben nicht, und das ist sehr wichtig auf „Zwei“ als Entschuldigung für Resignation genutzt, sondern viel mehr als Antrieb etwas zu ändern aufgefasst. Denn nicht nur über die eigenen Erfahrungen wird auf „Zwei“ gesungen, sondern auch über das eigene Handeln innerhalb einer Gesellschaft. So wird das Persönliche plötzlich politisch und die erzählten Geschichten werden auf einmal allgemeingültig.

Dabei klingen SLIME sehr befreit. In den Videos zu den bisher veröffentlichten Songs wird nicht mehr verbissen und kämpferisch in die Kamera geguckt, sondern gelächelt und gelacht. Denn egal wie viel scheiße auch passiert, am Ende bleibt nur dieses eine Leben und es gilt das Beste daraus zu machen. Vielleicht kann niemand darüber besser als Tex singen und mit SLIME hat er ein perfektes Ventil dafür gefunden. Szenewächter*innen werden sich sicherlich an der einen oder anderen Formulierung in den manchmal recht derben Songs stören. Aber auch das ist bei SLIME nichts Neues, sah sich die Band doch schon immer einer (auch) linken Kritik ausgesetzt. Und wie heißt es in einem Stück auf „Zwei“ so schön? „Erzähl du mir nichts von Punkrock, außer du bist dran mit singen.“ Darum halte ich jetzt die Klappe und erzähle hier nichts von Punkrock.

Text & Interview: Claas Reiners

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