Januar 1st, 2024

SHITNEY BEERS (#212/Februar/März 2022)

Posted in artikel, interview by Jan

SHITNEY BEERS, ein Name so albern wie genial! Und dabei passt dieser auf dem ersten Hören gar nicht so recht zu der Musik der jungen Künstlerin, die auf den bürgerlichen Namen Maxi Haug hört. Nun ist es keinesfalls so, dass es sich dabei um eine Bierlaune, wie bei dem Namen vermutet werden kann, handelte, denn es steckt durchaus eine etwas längere Geschichte dahinter: „Als ich 18 Jahre alt war, fing ich mit einer Freundin an, Musik zu machen. Wir nannten uns die Crackstreet Girls. Nur sollte es nicht bei dem Bandnamen bleiben und ich habe mir Alter Egos für uns überlegt. Und da ich gerne Bier trinke, war ich fortan Shitney Beers. Das ist einfach voll mein Humor“, berichtet Maxi bei unserem Gespräch, welches eigentlich im Rahmen einer ihrer Auftritte kurz vor Weihnachten stattfinden sollte. Doch wie die Situation nun mal ist, wurde das geplante Konzert abgesagt. Deshalb sehen wir uns an einem Freitagmorgen um 9:00 Uhr bei Skype. Das frühste Interview, welches ich je geführt habe. Kaffee statt Bier, nun gut, so sind die Zeiten im Winter 2021 nun mal wieder. Maxi hingegen trinkt Tee aus einem riesigen Bierkrug, den sie freudig in die Kamera hält. Auch so etwas habe ich zuvor nicht gesehen. Gleich zwei Premieren an einem Tag.
Das Debütalbum von SHITNEY BEERS „Welcome To Miami“ erstand ich bei einem meiner letzten Hamburgbesuche. Ich wollte eine Erinnerung an den Tag mit nach Hause nehmen und eine Platte ist dafür bestens geeignet und sehr sinnvoll. Sinnvoller wenigstens als eine Postkarte oder ein lokales Bier. Bei jedem Hören des Albums werde ich mich fortan an einen schönen Augusttag erinnern. „Welcome To Miami“ hatte ich bis dahin nicht einmal gehört. Ich glaubte mich zu erinnern, im Netz positive Bewertungen gelesen zu haben, ohne zu wissen, um was für eine Musik es sich genau handelt. Aber das Album erscheint bei ZEITSTRAFE und das Label genießt einen gewissen Vertrauensvorschuss.

Immerhin ist ZEITSTRAFE für erfrischenden wie intelligenten „Indie-Punk/Hardcore“ bekannt (CAPTAIN PLANET, MATULA, RAUCHEN, DEUTSCHE LAICHEN u.v.a.). Zum Deal mit dem Label kam es für Maxi über eine klassische Freundes- und Bekanntenconnection. „Ich habe früher in einem Schallplattenpresswerk gearbeitet, in dem Zeitstrafe seine Platten hat pressen lassen. Und natürlich bin ich ein riesiger MATULA und CAPTAIN PLANET Fan und stehe einfach auf alles, was bei Zeitstrafe rauskommt. Dann hat Renke von Zeitstrafe irgendwann meine Mucke entdeckt und meinte, ist ja gar nicht so scheiße. So hat sich das dann ergeben.“

Vom Projektnamen der Künstlerin und dem knalligen Cover mit kleinen gemalten Regenbögen stellte ich mir, im Hamburger Plattenladen stehend, die Musik als eine Mischung aus modernem Indie mit krachigen Gitarren, ein wenig elektrospielereien und deutschen Texten vor. Weit gefehlt! Die Musik von SHITNEY BEERS könnte gar nicht weiter davon entfernt sein und lässt sich am besten als zarter Folk beschreiben, in dem Maxis Stimme und die häufig düstere Stimmung der Lieder im Vordergrund stehen. Sie selber nennt es: „Traurige Singer/Songwriter-Scheiße.“

Die Texte kommen mit wenigen Wörtern aus und schaffen es trotzdem, eine Geschichte zu erzählen, die ein Bild im Kopf erzeugen kann, als auch emotional berühren. Zum Beispiel im Lied „Keys“, das in den ersten zwei Zeilen alles beschreibt, weswegen FLINTA* Nachts nicht alleine nach Hause gehen können/wollen. Für eine Anklage braucht es nicht immer eine laute Stimme, um gehört zu werden. Wenn das Richtige gesagt wird, reicht manchmal ein Flüstern. Im Textblatt gibt es zu diesem Lied einen Hinweis, der als Erinnerung an alle fungieren soll, die entweder Opfer oder Zeuge/Zeuginnen solche Geschehnisse geworden sind. Maxi gibt zu, dass sie sich viele Gedanken über den Text und den Kommentar gemacht hat, aber da in dem Songtext schon sehr genau auf diesen Täter eingegangen wird, verzichtete sie an dieser Stelle auf eine Anklage, auch um dieser Person nicht noch mehr Raum zuzugestehen.

„Es geht im Endeffekt auch nicht um die Dudes, sondern um die Flinta* Person. Ich vertrete schon die Meinung, educate your sons, statt Frauen zu sagen, was sie tun sollen“, fasst Maxi noch mal klar zusammen. Ich verstehe diese Haltung und möchte gerne davon ausgehen, dass jemand, der das TRUST in den Händen hält, nicht daran erinnert werden muss, dass Bemerkungen über das Aussehen einer weiblichen Person, „anerkennende“ Pfiffe oder die Aufforderung nach Sex nicht im Geringsten etwas mit flirten oder einem Kompliment zu tun haben. Nur für den Fall das…

Wie vielleicht eben gemerkt wurde, funktionieren die Songs auf „Welcome To Miami“ zweidimensional, indem sie Herz und Kopf gleichermaßen berühren und sowohl Gefühle wie Wut, Trauer oder Angst übertragen, gleichzeitig sich aber ein Bild im Kopf abzeichnet, wann, wo, wie sich diese Gedanken/Gefühle zugetragen haben könnten. Das ist Kunst! Kunst, die allerdings erst mit der Musik richtig funktioniert und dem entsprechenden Gesang. Das wäre dann die dritte Dimension auf dem Album, die Kopf, Herz und Ohr verbindet.

Ein Album übrigens, das überwiegend geschlechterneutral vorgetragen wird, befinden sich in den Songs lediglich ein „du“ und ein „ich“ oder ein „wir“, aber eben nie ein „sie“ und „er“, was ebenfalls zur Dringlichkeit der Songs beiträgt. Was kein zufälliger Aspekt ist: „Ich bin eine nicht binäre Person“, erzählt Maxi, „das ist schon mal ein Ding. Dann ist es die Sache, dass ich lesbisch bin und da lange nicht dran geglaubt habe, da habe ich angefangen, geschlechtsneutrale Lieder zu schreiben. In manchen Liedern geht es eher um Frauen als um Männer, selbst wenn ich da noch mit einem Mann zusammen war. Ich möchte einfach, dass Leute, die sich mit einem Lied identifizieren, das unabhängig vom Geschlecht tun können.“ Prominentes Beispiel für diese Herangehensweise an Text und Musik ist vielleicht das Stück „Parents“.

Anders als der Titel des Liedes vermuten lässt, geht es nicht um die Beziehung der erzählenden Person zu den eigenen Eltern, sondern die Aufgeregtheit, die vorherrscht, wenn der Punkt gekommen ist und jemand die Eltern seiner/seine Partner*in kennenlernen soll. Wie „Keys“ auch sind das Themen, die im Pop tatsächlich nicht häufig thematisiert wurden und deshalb eine große Portion Einfühlungsvermögen voraussetzen. „Ich komme vielleicht nicht so rüber, aber ich bin ein sehr empathischer Mensch“, bestätigt Maxi und teilt mit, woher diese Empathie stammt, „Meine Eltern haben das immer von mir erwartet, dass ich mich in die Lage von anderen Menschen reinversetze. Das hilft mir, Leute besser zu verstehen. Aber es gibt Leute, da habe ich gar kein Bock, da habe ich von Anfang an eine Antipathie, die finde ich von Grund auf scheiße, da ist mir das egal. Manchmal hat das einen Grund, manchmal auch nicht. Da will ich mich gar nicht in andere reinversetzen. Wenn ich du wäre, wäre ich lieber ich – mäßig.“

Womit wir beim letzten Song des Albums mit dem Titel „Marcel“ sind. „Da denken ganz viele, dass es ein Liebeslied ist, aber das ist es einfach nicht.“ Stattdessen wird ein (gentrifiziertes) Stadtviertel beschrieben, mit Cafés und Start-up Unternehmen. Und dann ist da noch der Vermieter, der die Bewohner seiner Häuser raushaben will, zum Sanieren und Neuvermieten: „Hoffentlich bist du jetzt glücklich“, wirft Maxi ihm mit der letzten Zeile des Albums fragend an den Kopf. Wie (fast) alle Lieder auf dem Album übrigens eine wahre Geschichte. Das ist einer der wenigen Menschen, für den Maxi kein Verständnis aufbringen kann: „Boah,“ stöhnt Maxi und ekelt sich für einen Moment, als ob es kalt den Rücken hinunterläuft, „das ist so ein Mensch, da kann ich mich nicht reinversetzen. Das ist so ein schlimmer Mensch. Unfassbar.“

Musikalisch arbeitet Maxi Haug mit einfachen, aber wirkungsvollen Tricks. Stets steht die Akustische im Vordergrund und wird durch zusätzliche Instrumentierung unterstützt. Wenn zum Beispiel in „Lucky“ deutlich hörbar der Barré-Finger über die Bunde geschoben wird, entsteht das Gefühl, dass Maxi gleich nebenan auf dem Sofa sitzt und spielt. Dabei wurden die Songs seit ihrer Entstehung kaum noch verändert. „Tatsächlich habe ich die Songs so im Kopf gehabt, wie sie auf dem Album sind, mit allen Pickings und Rhythmuswechseln. Bei den Aufnahmen kamen dann noch Klavier und Glockenspiel und so dazu. Aber das Grundgerüst stand so wie es jetzt gehört werden kann.“ An einer Stelle des Interviews behauptet Maxi mit dem Punk verheiratet zu sein, was sich weniger in der Musik feststellen lässt als in den Texten. Trotzdem hätte sie Lust, es musikalisch mal krachen zu lassen. Zweifel bleiben dennoch: „Ich weiß nur nicht, ob ich es ein ganzes Konzert durchhalte zu schreien. Ich würde gerne und ich habe richtig viele Punksongs geschrieben. Auf meinem nächsten Album wird sicherlich einer davon drauf sein.“

Es heißt, in der Kürze liegt die Würze und da ist etwas Wahres dran. Alle Titel verzichten auf lange Intros, Outros oder Zwischenpassagen, sondern konzentrieren sich auf das Wesentliche. Die zehn Songs laufen in gerade einmal 30 Minuten durch. Dadurch erzeugen die Stücke eine starke Anziehungskraft, sodass nur zugehört werden kann, ja sogar muss. Weghören ist jedenfalls keine Option bei diesem Album. Ich hätte mich wirklich gerne live davon überzeugt, wie die Songs vor einem Publikum funktionieren. Denn für mich verhält „Welcome To Miami“ sich wie eine Person, die leise und beharrlich in einen laut murmelnden Raum spricht oder singt.

Zunächst hören nur ein paar Menschen auf, sich zu unterhalten, weil sie merken, es passiert etwas, das ihre Aufmerksamkeit verdient. Die dadurch einkehrende Ruhe und vor allem Reduzierung der Geräuschkulisse lässt nach und nach die restlichen Anwesenden zunächst erstaunt, dann neugierig auf das, was da passiert, nach vorne blicken, bis auch sie vereinnahmt werden und ihre Gespräche einstellen und die Musik alleine den Saal beherrscht. So ungefähr stelle ich mir eine SHITNEY BEERS Show als Support vor. Von absolutem Desinteresse zur Hörigkeit innerhalb von 30 Minuten. Dazu braucht es Mut, Talent, Hingabe und eine bedingungslose Offenheit. All das besitzt Maxi Haug und darum ist „Welcome to Miami“ ein wunderbares Album, auch für Punks, vielleicht gerade für Punks. Wer am lautesten schreit, hat nicht recht, aber wer zuhören kann, wird etwas Neues lernen.

Text und Interview: Claas Reiners

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