Januar 1st, 2024

Carambolage (#216/Oktober/November 2022)

Posted in interview by Jan

Soweit ich es auf dem Schirm habe waren Mitte der 70er die Flying Lesbians, die allererste reine Frauenband in Deutschland. Musikalisch ging das aber noch stark in Richtung Folk und Bluesrock. Die 1977 gegründeten Carambolage dürften die zweite reine Frauenband Deutschlands gewesen sein und sie orientierten sich dann auch schon an moderneren Musikstilen wie New Wave und schrägen, experimentellen Postpunk. Dabei war die Gründung einer sogenannten „Frauenband“ nie beabsichtigt gewesen.
Vielmehr entstand die Band aus dem Ton Steine Scherben-Umfeld, um Britta Neander (Rip), Elfie-Esther Steitz und Angie Olbrich aus einem gemeinsamen Interesse am musikalischen Experiment unter Freundinnen, das sie miteinander verband. Als ich Carambolage viel zu spät, erst vorletzten Sommer für mich entdecken durfte, flashten sie mich völlig weg und ich bekam gar nicht genug von ihnen. Ich halte ihre ersten beiden Alben für unterschätzte, essentielle Klassikerplatten der deutschen Musikgeschichte.
Denn Carambolage haben genauso wie Nina Hagen und Hans-A-Plast, in einer verrückten Selbstverständlichkeit wichtige, feministische Inhalte angesprochen, ausgesprochen und übermittelt.

Ihre Musik dazu war genauso selbstbewusst und scherte sich nicht um irgendwelche, musikalischen Konventionen. Wer an Nina Hagen oder auch an den englischen Slits gefallen hat oder damit Berührungspunkte findet, der sollte sich unbedingt auch mal Carambolage anhören und dennoch möchte ich sie nicht auf diese beiden Bands beschränken, denn dafür waren sie einfach zu eigen und genial…

Noch besser umschreibt es Julie Mies (Bassistin von Britta´s ehemaliger Band BRITTA), in „Damaged Goods – 150 Einträge in die Punk Geschichte“ … Carambolage gründeten sich (wie die Slits in England, die deutschen Flying Lesbians, Mania D), nachdem die sozialen Bewegungen der 1960er und 1970er Teile der Welt, wenn nicht revolutioniert, so doch kräftig durchgeschüttelt hatten – die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung, die europäische ´68er Bewegung, die zweite Welle des Feminismus, Punk. Ein männlicher Kritiker namens Karl Forster schrieb über Carambolages Auftritt bei den Münchner Rocktagen 1982 von Frauen, die nicht spielen können – es gibt keine Soli und Barre-Griffe werden „nicht vollendet“. Was hätte ich damals über Carambolage gedacht? Wie sehr war ich mit sieben auf Nina Hagens Kleinen Wampie aus dem Song „Auf´m Friedhof“ abgefahren! Ein Song wie „Die Farbe war Mord“ auf Carambolage 1980 – das hätte meine Nummer eins sein können. Diese Rotzgörenstimme von Elfie Steitz, dieses herrliche Call an Response: „Oh, mein Lippenstift ist fort!“ Und der Chor der aufmüpfigen Mädchen gibt zurück: „Wo ist er denn, wo ist er denn?“. Eine Gesangsstimme, die keuchte, andere komische Geräusche machte und dramatisch intonierte, so wie in „Bretter, Bretter, Bretter“, und es war ihr nicht peinlich, sie schien Lust darauf zu haben! Wie Viv Albertine von den Slits in ihrer Autobiographie über Sängerin Ari Up schreibt: „Sie schreit und trällert, ist hingebungsvoll und entfesselt … Sie ist laut, übermutig, unhöflich.“ Vorbilder, die jedes siebenjährige Mädchen haben sollte! Dazu die wilden, dramatischen Trommelwirbel von Britta, die schön gruselig leiernde Orgel, eine Gitarre, die Effekte liebt. Der unermüdlich wandernde Bass, später das schimpfende Saxophon.“ … Ich hätte es geliebt … Und Karl Forster hatte einfach nicht verstanden, dass auch aus Minimalismus große Schönheit entstehen kann.

Sandra Grether schrieb in einem Nachruf in der TAZ über Britta folgendes: „Mit den Scherben fühlte sich die in Rodgau/Frankfurt aufgewachsene Tochter des früheren Welt-Redakteurs Paul Neander so, als würde sich die „Tür zu einer Welt öffnen, zu der mir vorher der Schlüssel fehlte“. Manchmal erzählte die alleinerziehende Mutter Britta Rebellionsstorys aus dem Leben ihrer frühreifen Tochter. Und ich lachte: Gut gemacht! Oder von ihrer Arbeit auf einem Kreuzberger Kinderbauernhof. Regelrecht ins Schwärmen geriet sie, wenn es ums Schlagzeugspielen ging. Noch kurz vor ihrem Tod erzählte sie ihrer Bandkollegin Christiane Rösinger in plötzlicher Euphorie, wie stolz sie darauf sei, eine Schlagzeugerin zu sein. Und wie wichtig das für ihr gesamtes Leben ist. Britta Neander starb am 14.12.2004 im Alter von 48 Jahren in einem Berliner Krankenhaus. Ihre Bassistin Angie Olbrich wurde in der sehr lesenswerten Ton Steine Scherben Biographie „Keine Macht für Niemand“ interviewt. Auf die Frage ob Carambolage eine feministische Band waren antwortete Angie: „Ja, auf jeden Fall. Aber nicht so theoriemäßig, wenn du weißt was ich meine. Nur im Sinne von dem, was ich sowieso bin. Kein Kerl ist mehr wert als ne Frau. Simpel gesprochen. Wegen der paar Zentimeter reg ich mich nicht auf.“

Und zur näheren Erklärung ihrer Bandbiographie und Musik, gibt es hier nochmal die beiden (leicht überarbeiteten) Plattenbesprechungen, meiner Oldie-Rubrik „Neu“, aus der TRUST # 209 zu lesen…

CARAMBOLAGE – st
Carambolage waren einer der ersten deutschen „Frauenrockbands“ und gründeten sich 1977, in dem Umfeld von Ton Steine Scherben. Britta Neander war Perkussionistin der Scherben. Angie Olbrich zog bereits 1972 als 14 jähriges Trebenmädchen ins Rauchhaus ein, wo sie eine langjährige Beziehung mit dem Bassisten Kai Sichtermann begann, aus der wiederrum ihre Tochter Lisa hervorging, für die sie bei Carambolage auch ein Lied widmete. Elfie-Esther Steitz kam als Schwester des zweiten Frontmannes der Scherben R.P.S. Lanrue, auf die Bauernhofkommune nach Fresenhagen. Das Musizieren wurde größtenteils selbstdidaktisch, sowie von Lanrue erlernt und in einem umgebauten Getreidesilo erprobt. Auf dem eigenen Label David Volksmund Produktion veröffentlichten sie ihre beiden LP´s. Trotz guter Kritiken und erfolgreichen Auftritte, u.a. im S.O.36 hegten Carambolage ein ziemlich eigenwilliges Nischen-Dasein. Denn gefühlt waren sie für die ernste, dogmatische Punkszene viel zu schräg und für den erst später aufkommenden, kommerziellen NDW, zu dilettantisch und aufrührerisch. Folge dessen nahmen Carambolage einen völlig unterschätzten Exotenstatus ein, der in seinem sich gegenseitig, aufstachelnden, dreistimmigen Gesangchorus, jede Menge Unterhaltungswert besitzt und irgendwo zwischen Postpunk, New Wave, konsumkritischen Kinderliedern und den leicht psychedelischen Ansätzen der Scherben, seine wilden Blüten trieb.

Jedoch war Nina Hagen von Britta´s Schlagzeug und Gesangskünsten so beeindruckt, das sie gefragt wurde, ob sie in ihrer Band einsteigen wolle, woraufhin Britta konsequent antwortete: „Nein, ich hab doch schon eine Band“. Dafür aber konnte Britta (die 2004 leider viel zu früh verstorben ist), noch mit Die Lassie Singers und Britta, ein paar Achtungserfolge feiern. Einer der Höhepunkte ihrer Debütplatte ist „Die Farbe war Mord“, wo es um einen verloren gegangenen Lippenstift geht und damit die hoch aufgebauschten, „essentiellen“ Ängste einer Tussi auf´s Korn genommen werden. Ebenso in seinem überdrehten Irrsinn ansteckend ist „Roxan“. Dagegen rotieren und rumpeln „Lampenfieber“ und „Tu doch nicht so“ in aufmüpfiger, rotziger Punkmanier nach vorne, um bei „Was hat das für einen Sinn?“ noch einen draufzusetzen. In „City-Supermarkt“ und „Fußgängerzone“ werden frei erfundene, versaute oder skandalträchtige Schlagzeilen aus der Klatsch und Werbungspresse in den Raum geworfen. Und bei den französischen „Je t´aime“, „22 rue Chenoise“ und der „Der Reigen“ orientieren sie sich auch mal an Beat-lastigen Sequenzen. David Volksmund Produktion 1980

CARAMBOLAGE – Eilzustellung Express
Und das zweite Carambolage-Album ist fast noch besser. Der Opener „Vollgeturnt“ – „Vollgeturnt bis oben hin, ich weiß nicht wohin mit mir“ und der zweite Track „Eingeschneit“ sind schon Paradebeispiele dafür, wie guter, mitreißender NDW hätte klingen können, wenn er nicht von der Musikindustrie, in den total, belanglosen Kitsch getrieben worden wäre. Doch Carambolage konnten auch anders und fuhren bei „Was mir widerfuhr“ und „Widerlich“ angepisst und desillusioniert, ihre scharfen Krallen aus – „Ich finde alles widerlich, es ist so ekelhaft… Mensch wäre ich doch bloß nie geboren, hätte ich mir den Schwachsinn erspart. Dann glaubt man mal das Glück zu spüren, schon ist der Zauber wieder weg, wohin soll sowas denn schon führen, als immer weiter in den Dreck – UÄhhh“. Sehr gut kommt auch das im Ska-Offbeat-laufende und arrogant, umherschwenkende „Gehirnwäsche“ – „Ich bin mit dir mit mir nichts, in jeder Hinsicht“. Nach dem guten, sentimentalen Liebeslied „Warum“, kontern Carambolage wieder mit der wuchtigen Instrumentalnummer „Maschine“. Einfallsreich ist der Text von „Psychoeintopf“, wo sämtliche menschlichen Intrigen, wie in einem Kochrezept aufgezählt werden. Und Carambolage kochten vor guten, verrückten Ideen auch nur so über.  David Volksmund Produktion 1982

1984 wurde unter der Führung von Manne Praeker (Gitarrist der Nina Hagen Band und Spliff), ihr drittes Album „Bon Voyage“ aufgenommen, das aber erst 2022 über Tapete Records erschienen ist. Carambolage wollten die Platte einst bei dem Major CBS veröffentlichen, doch das Label war mit den Aufnahmen nicht zufrieden, u.a. aus der Begründung, weil „Frauenrockbands“ anscheinend nicht mehr so angesagt seien. Jedoch fällt „Bon Voyage“ auch weitaus kommerzieller aus, als würden Carambolage auf dem NDW-Hype aufspringen wollen, klingt es in etwa so wie die späteren Neonbabies oder Ideal-Alben, die ebenfalls etwas durchwachsen ausfielen. Elfie ging mit Praeker eine bis heute andauernde Beziehung ein, doch sein damals massiver Einfluss und die Absage von CBS, zerrüttete die Band und es kam zur Auflösung. Nachdem ihre ersten beiden raren Platten zwischen 40-120 Euro gehandelt werden, wurden sie ebenfalls auf Tapete Records Neu aufgelegt.Hier das Interview mit Elfie (Gesang, Keyboard, Gitarre)

Hallo Elfie, du und Angie kennt euch noch aus der Zeit vor den Scherben und Carambolage aus Nieder Roden, wo auch Elfies Bruder Lanrue und Rio Reiser gelebt haben. Wie können wir uns das Leben in den späten 60ern in der Provinz vorstellen? Gab es dort eine aktive Subkultur oder Veranstaltungsorte?
Ja Britta und ich sind beide in Nieder-Roden aufgewachsen, wo auch Rio und Lanrue (mein Bruder) herkommt. Britta ging nach Berlin und ich blieb. Als Britta ihre Eltern in Nieder-Roden besuchte, trafen wir uns und sie fragte mich, ob ich Lust hätte mit ihr ne Band zu gründen. So begab ich mich dann 1978/79 nach Fresenhagen (Nordfriesland), und wir fingen an Musik zu machen. Angie kam dann etwas später dazu und wir gründeten Carambolage.

Ihr habt Carambolage bereits 1977 gegründet, aber erst 1979 so richtig losgelegt. Was war die ausschlaggebende Idee Carambolage zu gründen?
In der Zeit waren Ton Steine Scherben eine reine Männerband, deshalb war es naheliegend, dass wir eine Frauenband gründeten. Wir waren ja schließlich Frauen.

Es heißt dass ihr die erste deutsche New Wave-Band mit ausschließlich weiblicher Besetzung gewesen seid. Inwieweit war euch dieser Zustand bewusst und hattet ihr damit einen gewissen Exotenstatus?
Ich denke schon, dass wir einen gewissen Exotenstatus hatten, denn in der Zeit gab es ja kaum Frauenbands. Wir kamen als Band ganz gut an, auch in Italien, der Schweiz und Österreich, weil wir selbstbewusst, provokant, Lust am spielen und gute Stimmung verbreitet haben. Und vielleicht auch, weil unser Repertoire eben vielseitig war.

Ich würde Carambolage gar nicht unbedingt in das Genre Punk einordnen, denn dafür erscheint mir euer Sound doch zu vielfältig und experimentierfreudig. Und trotzdem entsprecht ihr damit auch wieder dem anarchischen Punkgeist, weil ihr scheinbar ganz offenherzig an die Musik herangegangen seid. Wie verlief bei euch die Entstehung eurer Songs und gab es diverse Bands die euch beeinflusst haben?
Die meisten Texte habe ich geschrieben, einige mit Britta zusammen und einige hat Angie geschrieben. Mein Anspruch meiner Texte war den Horizont zu erweitern und der Fantasie freien Lauf zulassen. Musikalisch beeinflusst haben mich z.B. Siouxsie and the Banshees, Soul Musik, Les Rita Mitsouko, Straycats und Nina Hagen. Britta liebte Reggae Musik. Angie, Blues, Rock, Soulmusik

Und auch die Songtexte sind auf ihre ganz eigene, herrliche Art und Weiße, schräg und konfus. Wart ihr beim Texte schreiben alle beteiligt und aus welchen Kontexten entstanden die Songtexte?
Ja tatsächlich sind unsere Texte und Musik schön schräg und unkonventionell, deshalb findet sich für Carambolage auch keine passende Schublade.

Nina Hagen war bei euch in Fresenhagen auch mal zu Besuch und es heißt das Britta Neander von Nina gefragt wurde, ob sie bei ihr in der Band spielen wolle. Woraufhin Britta konsequent antwortete, das sie doch schon eine Band hätte. Ich empfinde das als eine sehr loyale Entscheidung. Euer zweistimmiger Gesangsstil erinnert auch etwas an Nina Hagen. Habt ihr euch von Nina Hagen beeinflusst gesehen? Und wie seid ihr mit Nina Hagen klar gekommen?
Als Nina Hagen damals in Fresenhagen war, war ich nicht da, sie wohnte aber in meinem Zimmer. Ich habe sie dann später durch Manne Praeker kennengelernt. War eine schöne Begegnung.

Wie kam es dazu dass ihr in einem umgebauten Getreidesilo geprobt habt? Und konnte in dem Silo ein guter Sound erzeugt werden?
Der Silo war der einzige Raum, den wir in Fresenhagen unkompliziert für uns nutzen konnten. Ganz oben im Dach wohnten die Fledermäuse und unten waren wir. Mit Eierpappe, Spiegel und Teppichen haben wir den Raum dekoriert, so dass ein gemütlicher, warmer Sound entstand. Im Sommer 1981 kam dann die Zeitschrift Stern vorbei und interviewte und fotografierte uns in unserem Silo. Titel: „800 Mark für 2 Stunden Ekstase“.

Ihr seid mehrmals durch Deutschland, Österreich und Italien getourt. Wie war für euch das Leben auf Tour? Und gab es diverse Auftritte, die euch besonders stark in Erinnerung geblieben sind?
In Erinnerung geblieben ist mir auf unserer Auslandstour, z.B. dass in der roten Fabrik in Zürich eine sehr große feministische Bewegung war, in Florenz die männlichen Fans sich um unsere Plakate fetzten und in Wien die Herrmanngasse sehr beeindruckend war.

Wieso seid ihr eigentlich nicht mit den Scherben auf Tour gegangen? Das hätte sich doch perfekt ergeben, wenn ihr als Vorband gespielt hättet.
Es hat sich einfach nicht ergeben, daß wir mit den Scherben auf Tour gingen. Außer für die Grüne Raupe Tour 1984 . (Westfalenhalle etc.)

Sehr bizarr ist die Geschichte, als ihr in die Fänge zweier Kokaindealer geraten seid, die euch für ihre Zwecke ausgenutzt haben und ihr unwissentlich in einem Chevrolet 3 Kg Kokain, über die Grenzen „geschmuggelt“ habt. Wie kam es denn zu dieser seltsamen Begegnung? Und was habt ihr euch gedacht, als ihr von den zwei Typen zur Geldwäsche, mit großzügigen Geschenken in Form von neuen Instrumenten, Anlageteile etc. beschenkt wurdet? Seid ihr deswegen vor Gericht gestanden oder zog dieser Vorfall noch andere rechtliche Schritte nach sich?
Die bizarre Geschichte mit der geschmuggelten Ware, höre ich zum ersten Mal. Wir waren ja auch mit mehreren Autos unterwegs. Es stimmt, es gab da einen Typen, der sich als unser Fan ausgab, Sohn reicher Eltern und der fuhr einen Chevrolet. Er schenkte mir eine „wunderschöne“ Linkshänder Gitarre, und meinte das wäre ein Geschenk an mich, weil er in mich verliebt ist. Ich meinte zu ihm, „ich aber nicht in Dich“. Er wollte sie dann partout nicht wiederhaben. Ich hatte leider nur kurz das Vergnügen, denn unser Proberaum wurde kurze Zeit später aufgebrochen und sie war weg. Der Typ war dann irgendwann auch weg, wie vom Erdboden verschluckt.

(Anmk: Die bizarre Geschichte habe ich aus dem Buch „Keine Macht für Niemand“, wo auf Seite 260 steht: Als die Frauen im Sommer 1983 nach Berlin zogen, gerieten sie in die Fänge zweier Kokaindealer. Damit diese ihre Drogengelder waschen konnten, erhielten die Mädels großzügige „Geschenke“ in Form von neuen Instrumenten bzw. Anlagenteilen, die ihnen später wieder abgenommen wurden. Während einer Tour fuhren sie sogar einen großen Chevrolet über diverse Grenzen, in dem drei Kilo Koks versteckt waren, ohne dass sie davon wussten. )

In letzter Zeit gab es nach der Me Too Debatte aus dem Hollywood-Filmbusiness, auch in der Musikwelt die Diskussion darüber, das zu wenige Frauen in Bands spielen, die Frauen oft ignorant behandelt oder nicht ausreichend ernstgenommen werden. Ihr habt als Frauenband eine Vorreiterrolle in Deutschland eingenommen. Welche Erfahrungen habt ihr als Musikerinnen gemacht? Und wieso denkt ihr das früher, sowie auch heute noch, relativ wenige Frauen in Bands spielen und das Musikbusiness hauptsächlich von Männern diktiert und dominiert wird?
Also ich hatte nicht das Gefühl, dass wir nicht ausreichend ernst genommen wurden von der männlichen Fraktion. Und wenn dann ging es uns am Arsch vorbei. Das es leider immer noch so wenig Frauenbands gibt, liegt vielleicht auch darin, dass das Durchhaltevermögen oft fehlt, Kinder kriegen dazwischen kommt und tatsächlich im Musikbusiness zu wenig Frauen vertreten sind.

Es kommt ja leider schon vor, das das männliche Publikum, bei Frauenbands ihr wahres Gesicht zeigen und wie Testesterongesteuerte Machos, dumme Anmachesprüche oder „Ausziehen, Ausziehen“-Rufe durch die Konzerthalle grölen. Wart ihr solchen Situationen auch ausgesetzt und wie seid ihr damit umgegangen?
Es gab bestimmt einige Typen die bei unseren Auftritten, „Ausziehen, Ausziehen“ riefen. Aber so wie ich uns kenne riefen wir zurück: „zieh du dich erstmal aus“. Ich kann mich an einen Auftritt erinnern, ich glaube es war in Köln, da stand ganz vorne an der Bühne ein Punk, der immer nach jeden Song laut rief „Scheiße die haben recht, Scheiße die haben Recht“, das war natürlich genial.

Eure zweite LP „Eilzustellung Express“ bekam ihren Namen, weil ihr alles in kürzester Zeit aufgenommen habt. Wieso entstand den bei der Platte, solch ein Zeitdruck?
„Eilzustellung-Exprès“, wie der Name schon sagte musste relativ schnell produziert werden, da das Studio in Fresenhagen von den Scherben für die „Schwarze“ schon gebucht war.

Trotz des Zeitdrucks halte ich „Eilzustellung Express“ als euer bestes Album. Für mich ist es sogar ein ganz eigenständiges und unterschätztes Meisterwerk der deutschen Musikgeschichte. In welcher Weiße unterschieden sich eure ersten beiden Platten? Und gibt es irgendwelche Songs, die euch an meisten ans Herz gewachsen sind?
Ich mag alle unsere Texte und Songs, sie sind für mich eine Zeitreise. Man hätte hier und da noch etwas an den Songs feilen können, aber es ist so wie es ist.

Bei „Vollgeturnt“ heißt es: „Vollgeturnt bis oben hin, ich weiß nicht wohin mit mir“. Habt ihr viel Drogen konsumiert?
Unsere Texte sind meistens zweideutig zusehen, so ist es auch mit dem Song „Vollgeturnt“.

Ihr seid dann 1983 von Fresenhagen, nach Berlin gezogen? Was war der Grund dafür?
Wir sind nach Berlin gezogen, weil es a.) in Fresenhagen zu eng wurde durch den Einzug von Claudia Roth und Martin Hartmann und b.) wollten wir sehen was Berlin zu bieten hat.

Bei eurer dritten LP „Bon Voyage“ von 1985, die erst jetzt über Tapete Records als LP erschienen ist, durfte soweit ich das mitbekommen habe nur Britta den Bass einspielen. Alle anderen Instrumente wurden mehr oder weniger von eurem Produzenten Manne Praeker (Spliff) eingespielt. Auch der Sound klingt sehr glattgebügelt und die Texte waren auch nicht mehr so aufsässig und gingen bei „Schnuckelbaby“ schon ins kitschige über. Wie kam es zu diesem kommerziellen Richtungswechsel und inwieweit waren das noch die Carambolage, die sich einst in Fresenhagen gegründet haben?
Teils haben wir auf der 3.LP „Bon Voyage“ selbst gespielt, teils wurden die Stücke von Gastmusikern eingespielt, wie z.B. von Rio Reiser, Lanrue, David Sanborn und auch Manne Praeker. Britta hat bis auf einen Song, (die Drums alle selbst gespielt). Wir waren beim arrangieren und produzieren dabei. Für uns war es ein Test um zusehen, wie Carambolage sich kommerziell anhört. Die Vierte sollte dann wieder durch unsere Finger fließen.

Mit welchen Sätzen würdet ihr die Zeit von Carambolage umschreiben?
Die Zeit mit Carambolage: Provokant, Selbstbewusst, Exotisch, Erotisch, Experimentell, Avantgardistisch.

Was mich immer geärgert hat, war das viele Leute die Scherben nur zu ihrer politisch radikalen Frühphase wahrgenommen haben und das Album „Wenn die Nacht am tiefsten…“, mit seinen wunderschönen, aufbauenden Songs wie „Halt dich an deiner Liebe fest“, „Land in Sicht“ usw., gar nicht die verdiente Anerkennung zukommen ließen. Wie habt ihr diese Situation empfunden, dass viele Fans die Scherben nur als ein politisches Sprachrohr reduziert haben?
Mich persönlich hat es auch ziemlich genervt, dass die Scherben in diese politische Schublade gesteckt worden sind. Die Songs sprechen für sich.

Und besonders ihr viertes Album, „die Schwarze“, ist für mich das beste Album, das jemals in Deutschland aufgenommen wurde. Meine Zuneigung geht sogar so weit, dass ich mit meinen besten Freunden ausgemacht habe, dass sie „Kleine Freuden“ auf meiner Beerdigung spielen sollen. Welchen Stellenwert hatte für euch das Scherben-Album „Die Schwarze“ und in welcher Weise unterschied sich für euch diese Doppel-LP, von ihren anderen Alben?
Ja die Schwarze ist wirklich eine besondere LP. Zu der Zeit waren wir in Fresenhagen und haben die Jungs bekocht und den Laden und Haushalt geschmissen. Geheimnisvoll und mystisch war es und die Tarotkarten lagen auf dem Tisch. Das hört man dieser phantastischen, einzigartigen Doppel LP auch an.
(Anmk: Das Album „Die Schwarze“ entstand aus einem Zufallsprinzip, indem aus einem Tarotkartenstapel 22 Karten gezogen wurden um damit den Inhalt und die Bedeutung der Songs festzulegen.)

Aber auch das letzte, eher poppigere Album „Scherben“, hatte einige ganz große Momente. Doch zum einen durch die unkommerzielle Rolle der Scherben, die nie mehr als 10 DM Eintritt verlangen durften und zum anderen durch die missgewirtschaftete Tour von Elser Maxwell und dem kostspieligen Möchtergern-Rockstarleben der Scherben, war die Band zum Schluss hochverschuldet. Wie würdet ihr dieses finanzielle Fiasko und das damit einhergehende Ende der Scherben umschreiben? Hatten diese Schulden, auch auf euer Leben einen negativen Einfluss?
1983 war Carambolage schon in Berlin und hatten mit dem finanziellen Fiasko der Scherben nicht viel zu tun. Das gibt es ja leider oft in der Branche, dass Tourmanager/innen und Manager/innen ihre Aufgaben nicht auf dem Schirm haben, falsch beraten, schlechte Verträge aushandeln, Knete in die eigene Tasche stecken und dadurch Musiker/innen und Bands in den Ruin treiben.

Noch ein abschließendes Wort oder Lebensmotto…
An dieser Stelle, vielen Dank an Tapete Records für die Wiederveröffentlichung unserer LP`s und CD`s . Smile.  Love and Peace  Elfie-Esther  (Carambolage)

Ich bedanke mich bei Isa Schwarzenberg (Tapete Records) und Julie Mies (Britta). (Bela)

 

Both comments and pings are currently closed. RSS 2.0