Mai 29th, 2022

Sensibel – Über moderne Empfindlichkeit und die Grenzen des Zumutbaren, Svenja Flaßpöhler

Posted in bücher by Dolf

Klett-Cotta, Rotebühlstr. 7, 70178 Stuttgart, www.klett-cotta.de

Das wird man ja wohl noch sagen dürfen, darf man nicht mehr wirklich sagen, denn wenn man das sagt, dann kann dabei ja nur etwas rauskommen was niemand mehr hören kann. Die Frage ist aber tatsächlich, was ist denn noch sagbar, was ist gut für den der sendet und auch, was ist gut für den welcher empfängt? Soll, darf, muss es da Grenzen geben und wenn ja, wie sind diese zu ziehen und sind diese starr? Ist es wichtiger vor Sagbarem geschützt zu sein oder wichtiger Gesagtes auszuhalten und damit umzugehen? Wann wird Distanzlosigkeit zur Belästigung? Mit diesen, heute wichtigeren denn je, Fragen beschäftigt sich die Autorin in diesem Buch.

Denn es ist historisch und wissenschaftlich belegt das gut gemeinte Sensibilität sehr leicht vom Progressiven ins Regressive kippen kann. Mir scheint diese Kipppunkt ist leider schon erreicht beziehungsweise überschritten und so kommt das Buch wahrscheinlich leider zu spät. Aber das ist wieder eine andere Geschichte. Das Buch bietet einen ausführlichen Einblick in die Geschichte der Sensibilität und durchleuchtet alle Aspekte dialektisch. Das Buch hat zehn Kapitel, nach einer Einleitung, wo es um den Riss in der Gesellschaft, Aktive und passive Sensibilität, die vier Dimensionen der Sensibilität (Leiblich, psychisch, ethisch und ästhetisch) geht und dann auch erklärt wird, welches Ziel das Buch hat. Das erste Kapitel heißt: „Prozess der Sensibilisierung“ mit Norbert Elias gibt es eine kleine Geschichte der Zivilisation, es geht um das sensible Selbst, die Verfeinerung des Verhaltens, Disziplinierung und Empfindsamkeit und den Höhepunkt als Kipppunkt. „Die Kraft der Wunde“ bringt einen kleinen Selbsttest ob man eher resilient oder sensibel ist, ein interessantes Streitgespräch zwischen Team Nietzsche und Team Lévinas, Problematische Verabsolutierungen und Sensible Resilienz oder doch Resiliente Sensibilität? Im dritten Kapitel „Das Jahrhundert der Empathie“ gehts von ‚MeToo über David Hume, Rosseaus und Sade und man landet bei einer höheren Stufe der Zivilisation. In „Die Gewalt in uns“ gehts los mit Freud und Ernst Jünger, Der Gewalt als Disziplinierung und es wird erklärt was ein Opfer ist. Das fünfte Kapitel „Trauma und Trigger“ geht auch um Opfer, traumatische Belastungsstörungen und Algophobie. Interessant auch das nächste Kapitel „Sprachsensibilität“ wo es unter anderem um die verletzende Rede und die Ambivalenz der Sprache geht. Der Titel des nächsten Kapitels „Die Grenzen der Einfühlung“ spricht für sich selbst. Spannend wird es in „Gesellschaft der Sensibilitäten“: Safe Space, Snowflakes, Ok Boomer…. Das neunte Kapitel heißt schlicht „Abstandsregeln“ Distanzverlangen und anthropologische Berührungsfurcht und es wird auch besprochen was zumutbar ist. Und zum Schluss kommt der Schluss wo unter anderem das Tocqueville Paradox erklärt wird, das ist ein ganz unschönes Problem und ich denke es ist bereits da.
Zusammenfassend kann man wohl sagen das die Resilienz nicht die Feindin ist, sondern die Schwester der Sensibilität. Und die Zukunft meistern können sie nur gemeinsam. Außerdem ist es auch so das Ungleichheit nicht verschwinden wird….Ungleichheit darf nicht in Ungerechtigkeit münden. Top Gedanke! Obwohl es eine wissenschaftliche Herangehensweise ist, bleibt das lesen spannend und unterhaltsam.
Endlich mal wieder ein Buch welches ich mit großer Freude gelesen hab. Auf jeden Fall zu empfehlen. 231 Seiten, gebunden, 20,00 Euro (dolf)

Isbn 978-3608983357

[Trust # 213 April 2022]

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