Niedergetrampelt von Einhörnern – Die verheerenden Nebenwirkungen von Big Tech, Ein Aufruf zum Handeln, Maëlle Gavet
Wiley-VCH, Boschstrasse 12, 69469 Weinheim, www.wiley-vch.de
Die Autorin, Maëlle Gavet, wurde unter anderem vom Time Magazin als eine der 25 Top – ‚weiblichen Techpreneurs‘ ausgezeichnet, außerdem arbeitete sie als leitende Angestellte für einige große Technologieunternehmen auf der ganzen Welt (u.a. kayak.de, booking.com, compass.com). Das allein ist natürlich kein Grund von so einem Menschen ein Buch zu lesen, eher ein Grund das nicht zu tun, aber in diesem Falle lohnt es sich tatsächlich. Als „Einhörner“ werden Unternehmen bezeichnet deren Börsenwert über eine Milliarde ist, das sind besonders Tech-Unternehmen und die meisten davon aus den USA.
Darunter sind wiederum immer mehr StartUps die oftmals aber eben auch nur diesen Status erreichen, weil sie völlig überbewertet sind und häufig noch nicht mal Gewinn machen. Einiges was hier steht dürfte den kritischen Trust-Lesern bereits bekannt sein, was dieses Buch aber besonders macht ist eben der Blick hinter die Kulissen von der Autorin die selbst ein Teil der Tech-Welt ist und somit aus erster Hand bestätigen kann was da läuft. Außerdem sind all die Ungeheuerlichkeiten hier gut zusammengefasst auf einem Haufen und machen einem nochmal unmissverständlich klar das die „Produkte“ der Big Techs unserer Gesellschaft schweren Schaden zufügen und das alles nur um den Umsatz zu steigern. Damit einher geht eine völlige Empathielosigkeit der, meist männlichen, Macher die ihr Profitstreben immer gern hinter einem „wir wollen nur das beste für alle“ verstecken. In Wahrheit steckt dahinter meist nur der Wille möglichst viel Profit möglichst schnell zu erzielen und dabei am besten auch noch möglichst disruptiv alte oder neue Konkurrenten aus dem Markt zu drängen und zu zerstören. Das Buch hat zwei Teile, im ersten – Machtbeherrschende Monster – mit seinen acht Unterkapiteln beschreibt sie das die digitalen Technologien zwar der Motor für wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt sein könnten, weißt aber auch auf die versteckten Nebenwirkungen hin. Auch ist es oft so das die Software-Entwickler in ihrer sehr eigenen Blase leben und wenig über die Welt da draußen wissen (können). Praktisch ist die ganze Tech-Szene völlig abgehoben von dem Rest der Welt, das merkt man am einfachsten daran das die alle sehr gut darin sind Steuern zu vermeiden. Und was es bedeutet, wenn immer mehr Umsatz, mit immer weniger dafür arbeiteten Menschen, generiert wird und gleichzeitig auch immer weniger Menschen zugute kommt, wird dann klar wenn man sich ansieht, das sehr wohl ganz viele Menschen sich in den sozialen Netzwerken rumtreiben. Diese dann auch noch, um noch mehr Geld zu machen, die Wissenschaft und Fakten untergraben und somit die Demokratien unter Beschuss geraten, unter anderem weil unerbittlicher Hass gesät wird. Im sechsten Kapitel geht es um Risikokapital und den heiligen Gral des Wachstums und hier wird zum wiederholten Male ganz klar das die ganze Branche völlig von der Realität abgekoppelt ist, weil es wirklich nur um schnelles Wachstum geht. Es wird wahnsinnig viel Risikokapital, welches ohne Ende zur Verfügung steht, eingesetzt „100 Millionen sind ja keine wirklich große Summe“ (Zitat Sinngemäß). Weiter gehts mit der Analyse der „Valley-Psychopathen“ die mit einem erheblich übersteigertem Selbstwertgefühl und fehlender Verhaltenskontrolle auftreten und gleichzeitig unfähig für tiefere emotionale Reaktionen sind. Wenn das dann noch durch pathologisches Lügen unterstrichen wird, ist klar, warum die meisten völlig Gefühlskalt sind und noch dazu mangelndes Schuldbewusstsein vorweisen. Kein Wunder das solche Menschen potentiell dafür sorgen könnten das Orwells „1984“ oder Huxleys „Schöne Neue Welt“ – Szenarien Wirklichkeit werden oder, im schlimmsten Fall, sich beide Dystopien gegenseitig antreiben. Der zweite Teil des Buchs, mit dem Titel „Die Chaos Fabrik reparieren“, hat dann auch nochmal sechs Unterkapitel, wo sich die Autorin damit beschäftigt, wie man mehr Empathie in die Branche bringen könnte, was nicht nur dem Führungspersonal zugute kommen darf, sondern allen Angestellten. Dazu gesellen sich Überlegungen über Entscheidungsfindungsprozesse und Geschäftsmodelle die eben nicht nur die Wirtschaftlichkeit beachten. Es werden auch ganz konkrete Vorschläge für die Unternehmensführung in der Tech-Branche gegeben, also wie sich Investoren, Aufsichtsräte, Aktionäre, Investmentbanker, Industriegremien und am besten auch noch die Börsen in Zukunft verhalten sollten oder besser könnten. Denn das dies von der Autorin vorgeschlagene auch tatsächlich in dieser Form passieren könnte, ist eher unwahrscheinlich – aber wer weiß, vielleicht ist die Branche ebenso schnell fähig sich zu ändern wie sie gewachsen ist? Dazu würde auf jeden Fall auch eine Zerschlagung einiger Big-Tech Giganten gehören, warten wir es ab. Im zwölften Kapitel klingt sie wie eine Gewerkschafterin die versucht die in anderen Industrien (in bestimmten Ländern) bereits gültigen Standards auf die Tech Branche zu übertragen (gerechte Besteuerung, Arbeitnehmerschutz, Arbeitsbedingungen, Datenschutz) Und vor allem wichtig für Big Tech ein Umdenken beim Dateneigentum, der Kampf um die Wahrheit sowie die wichtige Definition von Algorithmen und das Problem der Gesichtserkennungstechnologien. Am Ende wird dann klar, das einige der größten Platformen eben viel mehr Medienunternehmer sind und wie sie die Medienlandschaft bereits zerstört haben. Das letzte Kapitel zeigt dem Nutzer auf was er selbst tun kann um sich zu schützen. Zumindest für mich stand da jetzt nichts wirklich viel neues, mit anderen Worten – das machen ja eh alle die noch alle Tassen im Schrank haben. Manchmal erscheint die Autorin extrem naiv bis träumerisch was ihre Vorstellungen von den Änderungen betrifft. Gleichzeit verfügt sie über ein umfassendes Wissen und sehr gute Einsichten aus eigener Erfahrung. Das Buch lohnt sich allein wegen dem ersten Teil und auch der zweite liest sich gut. Und es bleibt zu hoffen das einige ihrer Wünsche und Forderungen in Erfüllung gehen. Obwohl es grade nicht wirklich danach aussieht. Sondern es immer schlimmer weitergeht… wir werden sehen. Derweil kann ich dieses Buch empfehlen. 351 Seiten, gebunden, 24,99 Euro (dolf)
Isbn 978-3527510726
[Trust # 213 April 2022]