Januar 14th, 2025

Screaming Females (#220, 2023)

Posted in interview by Jan

Eine Band die ich schon seit etlichen Jahren verfolge und abfeiere sind SCREAMING FEMALES, die ursprünglich aus New Brunswick, New Jersey stammen. Wo ihre Frühwerke „Baby Teeth“, „What If Someone Is Watching Their T.V.?“, “Power Move” oder “Castle Talk” noch eher vom „typischen“ Riot Grrrl Punkrock inspiriert wurden, entwickelte sich die Band von Album zu Album immer weiter.
Ihre letzten beiden Alben „All At Once“ und „Desire Pathway“ würde ich rein musikalisch schon eher in dem Bereich Indie und Alternativerock einordnen, ohne dabei von ihrer Punk-Atttitüde einzubüßen oder gar an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Ganz im Gegenteil, denn obwohl Screaming Females bereits mit größeren Acts wie Garbage, Throwing Muses, Dinosaur Jr., Arctic Monkeys oder The Breeders die Bühnen teilten, so schlägt ihr Herz eindeutig für den Underground und so spielen sie nach wie vor ihre ausgiebigen Touren oder Konzerte in unzählig, vielen kleinen Clubs und Kellern.

Was den Underground anbelangt, hat bei all den Interviews die ich bisher für´s TRUST geführt habe, mir selten eine Band so sehr aus der Seele gesprochen wie die Screaming Females. Ihr starkes und auch selbstverständlich erscheinendes Selbstbewusstsein alles selbst in die Hände zu nehmen ohne dabei auf den großen Ruhm oder Durchbruch zu hoffen trifft es auf den Punkt.

Ihr Schlagzeuger Jarrett Dougherty umschreibt es ansonsten auch noch sehr treffend in dem Satz: „Mich zieht es immer wieder zum Underground zurück, da ich nach neuen Bands suche die mich am Leben halten.“

Und dann ist da natürlich noch ihre begnadete, fantastische Musik, die mich ganz tief in ihren Sog zieht, ob Live oder auf Konserve. Mit Begnadet meine ich dass die Screaming Females genauso dazu befähigt sind kraftvolle, eingängige Powerriff-Nummern herunterzureißen, wie Songs die zutiefst unter die Haut gehen und mich fast schon zu Tränen rühren. Oder sie befinden sich wie zumeist irgendwo dazwischen.

Für irgendwelche zweit oder drittklassigen Songs oder Alben sind sie viel zu perfekt eingespielt. Als Einstieg dient ihr Album „Castle Talk“ sehr gut. Aber genauso eignet sich auch ihr aktuelles Album „Desire Pathway“. Wer es wie ich etwas theatralischer mag, der sollte auch unbedingt mal in den Vorgänger „All at once“ hereinhören. Meine Begeisterung reicht sogar soweit um zu behaupten das Marissa Paternoster einer der besten Underground-Sängerinnen dieser Tage ist.

Ich liebe ihre Stimme, wie sie sich emotional vor und zurücknimmt, wie sie zwischen den Tönen heran und herumschleicht, sich hervortastet, aufwirbelt, um Kratzer hinterlassend (oder auch nicht) wieder das Weite aufzusuchen. Das hat auch durchaus schon die Qualitäten von Sleater-Kinney, Hammerbox, Hole usw.. Manchmal gibt’s auch eine etwas simplere Ramones / Donnas Pop-Punk-Nummer, aber meist ist das schon mehr Post als -Melodic oder Classical-Punk und das ist auch gut so, denn es macht das Ganze beweglicher, unvorhersehbarer und spannender.

Wie kam der sehr gute Bandname Screaming Females zu Stande? Hattet ihr das Gefühl das es zu wenige schreiende Frauen in der Musikwelt gab?
Jarrett: Unser Bandname kommt aus einem Gedichtband der damals bei mir zu Hause rumlag. Ich weiß nur noch dass es ein Gedichtband mit zeitgenössischen Gedichten war. Wir haben zufällig ein paar Seiten aufgeschlagen und nach ein paar Wörtern und Sätzen gesucht, die uns als Inspiration dienen sollten. Als wir auf SCREAMING FEMALES gestoßen sind, wussten wir sofort dass dies unser Bandname wird. Der Name sollte nie wörtlich genommen werden. Deswegen heißen wir auch nicht The Screaming Females. Ich halte es für ein sehr starkes Bild, das aber auch mehrdeutig ist.

Ihr stammt aus New Brunswick, New Jersey, wie groß und aktiv ist dort die Musikszene?
Wir lieben New Brunswick, NJ. Wir haben alle mehrere Jahre dort verbracht, in denen wir in diversen Bands und auch bei den Screaming Females spielten und Konzerte organisierten. Niemand von uns lebt mehr dort, daher kann ich dir auch nicht sagen was dort aktuell so vor sich geht.

Es ist eine ziemlich große Universitätsstadt, die aber keine wirklichen Konzertorte hat, vor allem nicht für Menschen unter 21 Jahren. Daher gibt es in New Brunswick bereits seit Jahrzehnten eine große und lebendige Kultur an Kellerkonzerten, die meist in Privathäusern stattfinden. Letztes Jahr hatten wir das Vergnügen ein Konzert auf dem Gelände der Universität zu geben.

Das Konzert wurde von einem Studentenradio gesponsert. Wir haben mit einigen lokalen Bands gespielt und haben uns über die Möglichkeiten für Konzerte unterhalten. Dem Gespräch zu Folge scheint sich seit unserer Zeit nicht viel geändert zu haben.

Ihr habt euch stetig weiterentwickelt. Auf euren frühen Alben wart ihr noch ein bisschen krachiger, doch im Laufe der Zeit wurdet ihr immer melodischer und ausgefeilter. Mein Lieblingsalbum ist „All at once“. Gab es auch schon Anfragen von diversen Majorlabels?
Wir wurden noch nie von einem Majorlabel angefragt. In den ersten acht oder neun Jahren unserer Existenz wurden wir zwar von einigen Managern aus der Musikindustrie angesprochen, aber das führte nie irgendwohin. Dasselbe gilt auch für die größeren Indielabels die auf uns zugekommen sind. Ich glaube sobald sie merken das uns der DIY-Gedanke und die Haltung die dahintersteht sehr ernst und wichtig ist, realisieren sie das sie mit uns nicht so einfach Geld verdienen können.

Ihr spielt zum einen größere Shows mit u.a. Garbage, Throwing Muses, Dinosaur Jr., The Dead Weather, Arctic Monkeys, Ted Leo & The Pharmacists und The Breeders. Doch eure Touren finden wie zuletzt mit der Band SMIRK auch oft in kleineren Clubs und Kellern statt. Wie wichtig ist euch der Undergroundbezug und welche Konzerte bevorzugt ihr?
Wir sind immer noch eine Undergroundband. Es wäre unehrlich das abzulehnen, denn in dem Moment würden wir uns selbst verleugnen und würden etwas darstellen was wir einfach nicht sind. Ich war schon immer ein etwas komischer Typ und bin es immer noch. Mich zieht es immer wieder zum Underground zurück, da ich nach neuen Bands suche die mich am Leben halten.

SMIRK sind auf einem richtig guten DIY Punk Label namens Feel It Records. Ich verfolge das Label schon seit mehreren Jahren. Wir bevorzugen Konzerte wo wir merken dass es um die Gemeinschaft und die Liebe zur Musik geht. Diese Konzerte finden häufiger in kleineren Lokalen statt, ich war aber auch schon auf Privatkonzerten wo ich merkte dass die Veranstalter sich für uns als Band nicht interessierten. Es ist aber auch aufregend ab und an auf einer wirklich großen Bühne zu spielen.

Was waren bisher eure beeindruckendsten Konzerte die ihr gespielt habt?
Bei den vielen Konzerten die wir schon gespielt haben kann ich dir die Frage unmöglich beantworten. Aber wir hatten gerade das unglaubliche Privileg zum ersten Mal in Alaska zu spielen. Das war der einzige Bundesstaat in dem wir bisher noch nie gespielt hatten. Alaska ist von den USA mehrere hundert Meilen entfernt und abgesehen von ein paar Städten gibt es nur Wildnis und kleine Dörfer. Wir spielten in einem Ort mit 1000 Einwohner am Fuß von Nordamerikas höchstem Berg. Die Leute dort zu treffen und etwas Gemeinsames mit ihnen zu erleben hat unser Leben verändert.

Ihr entwerft eure Albumcovers und auch euer Merchandise druckt ihr selbst. Ist euch diese D.I.Y.-Eigenständigkeit wichtig, um alles selbst in die Hände zu nehmen?
Da wo wir herkamen und bei der Musik die wir spielten, half uns niemand als wir anfingen. Also mussten wir lernen unsere eigene Kunst zu machen, unsere Shirts zu drucken, unsere Platten selbst zu veröffentlichen und unsere Touren zu buchen. Wenn du so anfängst lernst du viel und bist besser vorbereitet wenn dir Leute dann helfen um etwas auf die Beine zu stellen.

Wir verdienen nur wenig Geld mit unserer Musik und jeder Mittelsmann den du dir einsparen kannst ist wichtig, um die Stabilität und Langlebigkeit des Projektes zu sichern. Wenn jemand für uns arbeitet, wissen wir sehr genau, was diese Person machen soll. Wir versuchen langlebige Beziehungen mit Leuten aufzubauen, denen wir auch vertrauen. Wir wissen aber auch, dass wir deren Aufgaben übernehmen könnten.

Eure Plattencoverartworks sind künstlerisch sehr gut gestaltet und umgesetzt. In welcher Weise steht für euch Musik und Kunst in einer gemeinsamen Verbindung?
Marissa: Musik ist für mich etwas sehr Visuelles. Ich hatte nie Musikunterricht und sehe viele Akkorde als Formen oder Muster. Lieder und die verschiedenen Töne der Instrumente sehe ich oftmals als Farben. Aus meiner Kunst kann ich viele Texte ableiten, weil Bilder alleine mir nie reichen.

Eure Songtexte sind oftmals poetisch und kryptisch gehalten und hinterlassen dem Hörer eine freie Inspiration der Gedanken. Ist euch diese Herangehensweise wichtig? Welche Gefühle, welche Message wollt ihr in euren Songtexten ausdrücken?
Marissa: Meine Texte haben sicherlich noch Verbesserungspotential und ich will mich auch wieder mehr auf sie konzentrieren wie ich dies in meinen jüngeren Jahren tat. Wenn ich etwas nur vage formuliere, dann wegen verinnerlichten Schutzmechanismen oder weil ich selbst gerne Musik mit „kryptischen“ Texten höre. Ich versuche mich dazu zu überwinden Dinge niederzuschreiben die universallverständlich sind, bin aber noch zu schüchtern dafür.

Auf was bezieht sich der Songtext von „It’s All Said And Done“?
Marissa: Auf das Anthropozän und die Zerstörung der menschlichen Zivilisation durch den Kapitalismus.

Gehe ich richtig in der Annahme dass sich euer aktuelles Album „Desire Pathway“ in einigen Songs auf eine unglückliche oder beendete Liebesbeziehung bezieht?
Marissa: “Desire Pathway” bezieht sich sicherlich auf eine unglückliche Liebesbeziehung, hat aber noch viel mehr Bedeutungen. Es dient auch als Spiegel unserer kollektiven Erfahrungen als Band und die 18 Jahre die wir damit verbracht haben, unseren eigenen Weg zu unserem jetzigen Leben zu gehen und zu definieren, sowohl in künstlerischer als auch persönlicher Hinsicht.

„Desire Pathway“ entstand während der Coronazeit, womit eure Touraktivitäten erstmal eingestellt waren. Wie seid ihr mit den bestehenden Umständen umgegangen und wie war es nach dieser langen Zeit für euch, wieder auf den Bühnen zu stehen?
Marissa: Ein großer Teil der Platte entstand bereits vor der Pandemie, aber ich denke das uns die erzwungene Pause vom Touren die nötige Zeit gab die Platte und den Schreibprozess dahinter zu beenden. Denn wir hatten Schwierigkeiten viele der Songs fertigzustellen, weil wir andauernd auf Tour waren. Das haben wir so damals aber nicht wirklich realisiert. Wieder auf Tour zu gehen und Konzerte zu spielen war sehr erfüllend, emotional, aber auch herausfordernd. Es war etwas schwerer als wieder aufs Fahrrad zu steigen.

Noch ein abschließendes Wort oder Lebensmotto.
Jarrett: DIY or Die.

Interview: Bela
Übersetzung: Marco Bechtinger

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