Januar 14th, 2025

Girls In Synthesis (#218, 2023)

Posted in interview by Jan

Girls In Synthesis

Grobes Korn, fehlfarbenes, vergilbtes Schwarzweiß, eine Band im Studio oder Proberaum – sichtlich schlechter Laune: „Cottage Industry“ heißt das erste Video der Londoner Girls In Synthesis, in Wirklichkeit nur zu einem Drittel weiblich, zumindest dem Augenschein nach. Cottage Industry bezeichnet historisch eine dezentrale Produktionsweise, bei der die Arbeiter und Arbeiterinnen beispielsweise Textilien zuhause herstellen.
Zumindest im industrialisierten Westen die Vergangenheit des Home Office, während dessen Gegenwart bekanntlich auch hochqualifizierte Tätigkeiten betrifft. Der zum Song gehörige Text der Girls Of Synthesis scheint sich eher mit häuslicher Gewalt zu beschäftigen . So ganz ausdrücklich wird das Geschehen nicht benannt.

Wie überhaupt in den Texten des zweiten Albums der Band, „The Rest Is Distraction“, eher unbestimmte Gefühlslagen vorherrschen. Ein Gefühl von Angst, Bedrohung, Verzweiflung durchzieht die Verse, die dabei in der Dringlichkeit des Vortrags Zeitgenossenschaft bekommen.

Und „Screaming“ könnte – ohne jene tragischen berühmten Worte zu benutzen – den Tod von George Floyd zu schildern: „a sharp boot in the face of a man / abusing power like no one else can“. Nur dass es eben viele andere Stiefel gibt, die hier gemeint sein könnten. So unscharf wie die Texte und das Video, so deutlich die musikalischen Referenzen. Frühe 80er, Post-Punk, Wave, von der nihilistischen Sorte, in der Sekundärliteratur zur Band fallen Namen wie Crass, Christian Death, PiL, Killing Joke, Rudimentary Peni, Wire, The Fall und so weiter. Gespielt wird aber mit heutiger Vehemenz.

Ausreichend Gründe, die Band mal etwas ausführlicher vorzustellen und zu Wort kommen zu lassen, weshalb ich den Dreien ein paar Fragen zur Beantwortung per E-Mail zukommen ließ, die Bassist und Sänger John Linger umgehend beantwortete.

Da ich eure letzten Veröffentlichungen und nicht zuletzt das neue Album „The Rest Is Distraction“ ziemlich gut fand, wollte ich den GIRLS IN SYNTHESIS ein bisschen mehr Platz im TRUST widmen. Was mir zuerst ins Auge stach, war die schlechtgelaunte Schwarz-Weiß-Ästhetik der Covers und Bandfotos. Ich hörte zum ersten Mal 2019 durch die EP „Arterial Movements“ (X-Mist/In A Car) von euch, aber eure Band ist schon etwas älter…
John Linger: Wir haben uns 2016 gegründet. Die klassische Situation, niemanden zu hören, der das machte, was wir hören wollten. Eine Menge Gitarrenmusik erscheint uns so offensichtlich, es gibt oft wenig Originalität, vor allem bei unseren sogenannten Zeitgenossen. Als wir anfingen, hatten wir eine bestimmte Idee davon, was die Band tun und nicht tun sollte.

Das hat sich mit der Zeit gewandelt, aber wir halten immer noch daran fest, keine Kompromisse bei dem zu machen, was wir erreichen wollen. Seit unserer Gründung sind wir die beste Live-Band im UK geworden. Unsere Veröffentlichungen repräsentieren, wo wir zu einem bestimmten Zeitpunkt sind, und jede Platte ist ein Schnappschuss.

Bis heute habenn wir eine Menge Material veröffentlicht, einiges davon ziemlich unterschiedlich, wenn du in die Nuancen gehst. Wir haben eine hingebungsvolle Fan-Gemeinde aufgebaut. Die Leute, die uns lieben, lieben uns wirklich.

Kommt der Bandname wirklich von einem David-Bowie-Song, wie ich gelesen habe? Was ist eure Verbindung zu seiner Kunst?
Yeah, kommt er! Naja, Bowie war einmalig, oder? Musikalisch haben wir wohl nichts von ihm übernommen. Aber als Band teilen wir die Liebe zu seiner Arbeit. Ich mochte einfach den Klang. Es ist eine interessante Zeile eines lyrisch recht abstrakten Songs. Außerdem wollten wir keinen typischen Punk-Namen, sondern etwas, das mehr bedeutet, wenn man es mit unserer Musik im Laufe der Zeit verbindet, anstatt ein offensichtliches Zeichen für den Inhalt unserer Musik.

Ein paar von euch haben schon vorher in anderen Bands Musik gemacht, die nicht nur mich an Musik aus den frühen 80er-Jahren erinnert. Wie empfindet ihr diese Zeit mit dem Kalten Krieg und der Angst vor der Bombe einerseits, dem ästhetischen und nicht zuletzt musikalischen Aufbruch andererseits?
Ich glaube, wir haben keine wirkliche Verbindung zu dieser Zeit im Allgemeinen. Offensichtlich gab es eine Milliarde guter Bands und Künstler seit den 60er-Jahren. Manche Themen sind heute so relevant wie damals, hinsichtlich der militärischen Macht und der Paranoia vor Kriegen. Schau dir nur die Ukraine an.

Aber im Allgemeinen machen wir Musik, um unsere eigenen Ängste, Befürchtungen und Gedanken auszudrücken. Unsere früheren Songs beschäftigten sich mit eher allgemeinen Themen, die neuen Sachen sind viel innerlicher. Ich hab Leute satt, die davon singen, wie schlecht Regierungen sind und dass wir uns alle mehr lieben und tolerieren sollten. Diese Dinge verstehen sich von selbst. Wir sind keine 1-Euro-Laden-Clash.

Obwohl ihr euer eigenes Label betreibt, habt ihr eure ersten beiden Alben bei Harbinger Sound veröffentlicht. Warum habt euer neues Album selbst herausgebracht?
Naja, Steve Underwood hat Harbinger Sound eingestellt. Nach 25 bis 30 Jahren im Musikgeschäft kann ich ihm das nicht verdenken. Wir sind immer noch in Kontakt und er ist ein lovely fella. Dieses Mal fühlte es sich richtig an, unseren Vertriebsdeal mit Cargo fortzusetzen.

Man kann einfach mit ihnen arbeiten, und sie lassen uns auf unsere Art weitermachen, ohne jegliche Einmischung. Wir verstehen die Mechaniken der Industrie so gut, dass wir sicher sein können, dass die Platte gut geplant und angemessen veröffentlicht wird. Und wir verstehen unsere Musik besser als jeder andere, also…

Als Nichtmuttersprachler finde ich eure Texte zugleich abstrakt und metaphorisch als auch sehr zeitgemäß. Kannst du etwas darüber sagen?
Ich denke, sie sind so abstrakt, wie der Zuhörer es möchte. Für uns sind sie glasklar, aber ich schätze, das ist so, weil wir so auf der Wellenlänge auf der Ideen hinter unserer Musik sind. Wir wählen das, was wir sagen wollen, auf eine Weise aus, die uns interessiert.

Wir möchten keine Statements machen, die man auf ein Plakat schreiben kann. Es ist immer nett, eine Ausdrucksweise zu haben, die die Leute zum Nachdenken anregt. Ich denke, dass einiges davon ziemlich poetisch ist. Da die Musik sehr direkt sein kann, ist es nett, den Leuten ab und zu eine kleine Denkaufgabe zu geben.

„Cottage Industry“ schien mir ein witziger Kommentar auf das berüchtigte Home Office zu sein, aber dann scheint es eher von Trollen zu handeln, oder?
„Cottage Industry“ handelt vom Aufwachsen in Familien, in denen die Eltern reaktionäre, groteske und aggressive Ansichten zeigen, sowohl politisch wie gesellschaftlich. Es geht um die Tatsache, dass Kinder von ihrer Umgebung geprägt werden und ihre Erziehung zu einem Kreislauf von Hass und antisozialem Verhalten führen kann.

Aber die Tatsache, dass du das anders liest, beweist meinen vorherigen Punkt. Die Texte sind so geschrieben, dass sie die Musik einrahmen und dich zwingen, deinen eigenen Blick auf die Materie zu bilden. Was zu einer viel interessanteren Art von Texten führt. Und in diesem Fall waren wir erfolgreich.

Mir sind noch ein paar kurze Fragen eingefallen, wie sie sich bei uns im Heft einer gewissen Beliebtheit erfreuen…

Truss oder Trump?
Both thick as shit.

QE2 oder KCIII?
The Flying Dutchman.

Wire oder Fall?
The Fall.

Pop Group oder Gang of Four?
Gang of Four (nun ja, die ersten beiden Alben).

Interpol oder The Rapture?
Joy Division and Liquid Liquid.

Text und Fragen: stone

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