Fucked Up (#220, 2023)
Vermutlich muss über Fucked Up an dieser Stelle kein Wort verloren werden. Seit knapp zwanzig Jahren sind die Kanadier nun schon eine Band und spätestens mit der Rock-Oper David Comes To Live aus dem Jahr 2011 und der Weitererzählung Dose Your Dream ist die Band kaum noch aus dem Punk-Kosmos wegzudenken.
Umtriebig waren Fucked Up in all den Jahren. In mehr oder weniger regelmäßigen Abständen werden experimentelle Alben aus der „Tierkreis“ Reihe veröffentlicht, zuletzt Year Of The Horse. Letztes Jahr folgte ein Album mit Outtakes und Demos aus der David Comes To Live Zeit, sowie eine E.P. mit dem Titel Oberon. Im Januar dieses Jahres folgte schließlich ein neues reguläres Album mit dem Titel One Day. Neu erfunden haben sich Fucked Up darauf nicht.
So viel sei an dieser Stelle schon mal verraten. Das ist ja auch nicht weiter schlimm. Gibt es doch bis heute im Punk und Hardcore kaum eine Band mit so einer großen musikalischen und textlichen Bandbreite wie Fucked Up. Da mutet es schon eher seltsam an, dass auf One Day ziemlich konventionell gerockt wird. Das mag am Konzept des Albums liegen. Jedes Bandmitglied hatte genau einen Tag Zeit, ihr jeweiliges Instrument einzuspielen. Hardcore bildet zwar noch immer das Grundgerüst vom recht euphorischen One Day.
Gleichzeitig ist die Musik durchaus Indie-Disco-tanzbar und bändelt hier und da an einem etwas härteren Heartland-Rock oder auch an 77’er UK-Punk Melodien an. Allerdings ist es durchaus wunderlich, warum Fucked Up im Trust bisher nie zu Wort gekommen sind. Passen sie doch mit ihrer Haltung und Ästhetik hervorragend ins Heft. Gut, das ändert sich jetzt ja. Ein paar Wochen nach dem Release von One Day stimmte Gitarrist und Hauptsongschreiber Mike Halieckuk einem Gespräch über Zoom zu.
Wie wichtig war die E.P. Oberon für die Entstehung von One Day?
Eigentlich wurde die E.P. erst nach dem Album aufgenommen. Zumindest mein Anteil an One Day war bereits vor der Pandemie komplett fertig. Oberon haben wir dann während des Lockdowns aufgenommen, als wir etwas Zeit dazu hatten.
Das Album hat also eher die E.P. beeinflusst?
Zumindest was die Art der Aufnahme angeht, ja. Ich habe versucht, Oberon musikalisch etwas anders klingen zu lassen. Aber die Art der Gitarrenaufnahmen ist identisch mit dem Album.
Und warum habt Ihr Euch für das Album der Herausforderung gestellt, alles an einem Tag aufzunehmen?
Ich bin ein eher ungeduldiger Typ. Normalerweise bin ich der Erste, der seinen Kram fertig hat und dann dauert es noch fünf Jahre bis zur Veröffentlichung. Dieses Mal wollte ich ein Album auf die altmodische Art machen, einfach aufnehmen und dann schnell veröffentlichen. Und dann kam Corona und es dauert noch länger als sonst. Abgesehen davon war es eine lustige Idee, die vielleicht für etwas mehr Dringlichkeit sorgen sollte.
One Day ist demnach keins dieser typischen Corona-Alben.
Yeah. Wenn ich darauf zurückblicke, dann fühlt es sich schon wie ein Corona-Album an. Aber die Musik war eigentlich schon vor dem Lockdown fertig. Die Texte wurden allerdings in dieser Zeit geschrieben. Jedoch haben wir versucht, uns nicht von diesem speziellen Thema beeinflussen zu lassen.
Damit hast Du die nächste Frage eigentlich auch schon beantwortet. Normalerweise ist das eh eine blöde Standardfrage, aber hinsichtlich des Konzeptes von One Day sicherlich angebracht. Was war zuerst da, die Musik oder die Texte?
Ganz klar die Musik. So machen wir das immer. Ich habe etwas mehr Zeit als (Sänger) Damian, der eine Familie hat. Deswegen hänge ich mehr im Studio ab und nehme erst mal Musik für mich auf. Wir finden es einfacher, Texte zu schreiben, wenn die Musik schon da ist. In diesem Fall existierte die Musik schon Jahre bevor wir mit den Texten anfingen.
Habt Ihr die Texte auch jeweils an einem Tag geschrieben?
Texte schreiben ist etwas ganz was anderes. Es ist einfacher, dich in den Wörtern zu verlieren und am Ende etwas Falsches zu sagen. Geschrieben haben wir die Texte vielleicht sogar innerhalb von 24 Stunden, da bin ich mir gar nicht sicher. Aber wir haben über die Themen mehr als ein Jahr nachgedacht, Ideen ausgetauscht und überlegt, was wir überhaupt mit dem Album sagen wollen. Das ist auch kein dauerhafter Arbeitsprozess. Es passiert, wenn es passiert. So arbeiten wir.
Wie war es, ein fertiges Album zu haben und es nicht zu veröffentlichen?
Na ja, das ganze Album war ja nicht wirklich fertig und wir haben lange über die Texte nachgedacht. In dieser Zeit haben wir auch versucht, unsere Haltungen während der Coronazeit nicht öffentlich zu machen. Unser letztes Album Year Of The Horse wurde im Jahr 2015 aufgenommen und erst 2020 veröffentlicht. Ich bin das also irgendwie auch gewohnt. Darum arbeite ich immer weiter an neuer Musik, damit ich was zu tun habe. Heutzutage ist es ja auch so, dass du selbst mit einem fertigen Album ein Jahr warten musst, bis du es wirklich rausbringen kannst. Ein Musiker zu sein ist mit viel Warterei verbunden.
Auf One Day gibt es musikalisch weniger Ausflüge und Experimente in andere Genres. Ist das auf das Konzept zurückzuführen, alles an einem Tag aufzunehmen?
Vielleicht. Wenn ich Musik schreibe, bin ich eigentlich nicht besonders kalkulierend. Dieses Mal war die Zeit nur so kurz, dass alles, was aus der Gitarre kam, sofort verwendet wurde, wenn es gut klang. Ich höre sehr viel unterschiedliche Musik und normalerweise beeinflusst mich das beim Schreiben, was sich dann auf unsere Platten niederschlägt. Es kann schon sein, dass One Day eins unserer direktesten Alben ist.
Okay. Ich würde jetzt gerne noch mal auf ein paar Texte zurückkommen. Angefangen beim Opener Found. Das Lied macht auf mich den Anschein, eine Art Entschuldigung für die indigenen Familien zu sein, die ihre Kinder in der Obhut des Staates verloren. Ein Skandal, der es bis in die hiesigen Medien schaffte.
Ich würde es nicht als Entschuldigung bezeichnen. Ein Lied kann niemals eine Entschuldigung sein für die Auslöschung eines Lebensraums von Menschen. Es ist eher der Versuch, ein Bewusstsein zu schaffen. Unser kleiner Versuch zu erkennen, wie privilegiert wir als Band und als Menschen sind. Wir wollten uns klar machen, was Kolonialismus ist und was das bis heute bedeutet.
Gab es dazu in eurem Heimatland Kanada schon Reaktionen?
Ich bin mir nicht sicher, aber ich denke schon. Ohne etwas Genaues aufzählen zu können. Natürlich hoffe ich, den Leuten gefällt es.
Wenn ich Broken Little Boys zusammenfassen müsste, würde ich sagen, dass Männer noch immer das Problem in dieser Welt sind.
Das ist ja Damians Song. Aber ich denke, unsere Texte versuchen schon eine Wahrheit zu beschreiben. Es geht darum, sich selber zu verstehen und welche Verantwortung wir als Individuum in dieser Welt haben. Dieses Lied behandelt männliches Verhalten in unserer Gesellschaft. Aber das basiert wirklich auf Damians Erfahrungen und wie er aufgewachsen oder besser gesagt erzogen wurde. Es ist sein Versuch, sich richtig zu verhalten.
Ich habe noch eine Frage zu einem von Damians Songs, hoffentlich ist das okay. Ich habe das Gefühl, eine Menge Texte auf dem Album drehen sich um Vergangenes. In diesem Fall meine ich Nothing Is Immortal. Aber was kann getan werden, wenn das Alte nicht mehr interessant, aber nichts Neues in Sicht ist? Ich denke, eine Menge Leuten geht es inzwischen so und der Song berührt das Thema ja.
Puh! Ich denke, das gehört zum Älterwerden dazu, oder? In der Popkultur gibt es ja immer neue Sachen, du reagierst nur anders auf sie. Vielleicht verstehst du neuere Kultur einfach nicht mehr so gut, wenn du älter wirst. Es gibt eine Menge Dinge, die mich nicht mehr so anspringen, wie sie es früher taten.
Ich lese eigentlich nur ältere Bücher und gucke alte Filme. Aber als ich 15 Jahre alt war, gab es eine Menge Dinge, die mich angeregt haben. Kultur, Popkultur, Entertainment ist für jüngere Menschen gemacht und ausgelegt. Und junge Menschen sind dann vielleicht einfach offener für neue Einflüsse. Ich glaube, es hängt viel damit zusammen, wie deine Zeit vergeht und wie du Kultur während dieser Zeit aufnimmst. Wenn du 50 Jahre alt bist und junge Bands auf TikTok siehst, dann musst du dich daran erinnern, dass deine Eltern, als du jung warst, die Musik, die aus deinem Kinderzimmer kam, ebenso schrecklich fanden.
Und deine Eltern waren auch mal jung und machten die gleichen Erfahrungen. Es ist keine Reaktion der Kultur, sondern deine Reaktion auf die Kultur. Und vielleicht hast du dich von etwas entfernt. Es gibt immer interessantes Zeug da draußen. Interessantes Zeug zu machen treibt uns an und macht uns menschlich.
Was ist denn deine Leidenschaft? Wofür brennst du?
Ich mache wirklich gerne Musik und wüsste nicht, was ich sonst machen sollte. Ich habe keinen anderen Job. Ich mag das Gefühl, morgens mit nichts in den Händen ins Studio zu gehen und abends rauszukommen und es sind ein paar neue Songs in der Welt. Das gefällt mir am meisten. Das lässt mich seit einer langen Zeit immer weiter machen.
Auf dem Album gibt es einige Songs über Songs, die (in den Texten) entweder gehört oder gesungen werden. Was bedeutet Musik dir noch? Auch wenn Du die Frage indirekt schon beantwortet hast.
Musik ist etwas sehr Menschliches. Und es ist die Kunstform, die einfach überall ist. Du kannst es nicht anfassen oder angucken, es ist schwer, sie zu besitzen und noch schwerer, sie zu verkaufen. Irgendwie ist es was Neues geworden. Einerseits wird Musik gerade von einer Kommodifizierung abgelöst. Andererseits wird Musik immer noch kommerziell verwertet. Musik ist eine große, fast dunkle Sache. Es ist verrückt, wie viel Musik da draußen ist und wie viel Musik produziert wird.
Und das schon für eine sehr lange Zeit.
Ja. Und die Leute kümmert es nicht wirklich. Jeden Tag werden praktisch Hunderte neue Songs veröffentlich. Du kannst nicht in einen Laden oder ein Geschäft gehen, ohne das da Musik läuft.
Hast du einen Lieblingssong?
Ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich möglich ist, einen Lieblingssong zu haben. Das Lied, welches ich am meisten gehört habe, ist: Acperience von Hardfloor. Jedes Mal, wenn ich in einem Flugzeug starte, höre ich dieses Stück. Und das schon seit 15 Jahren.
Die meisten eurer Songs sind aus der Sicht eines Erzählers geschrieben. Ich habe das Gefühl, dass deine Songs immer noch eher eine Geschichte erzählen, während Damians Lieder seine persönliche Sicht wiedergeben.
Damian ist eine offenere Person, als ich es bin. Und er ist vielleicht auch politischer und äußert sich auch gerne dazu. Außerdem ist er deutlich kommunikativer. Ich mache es eher umgekehrt und verpacke meine Gedanken mehr. Oder nutze eben verschiedene Charaktere, um etwas zu sagen. Ich erkläre mich nicht gerne. Also, im Grunde brauchen Songs Texte, also schreibe ich welche. Aber das tue ich nicht unbedingt, um etwas mitzuteilen.
Kannst du One Day in einem Satz beschreiben?
Das Titelstück versucht das ja. Wenn du die Erlebnisse eines Menschen an einem Tag auf der Erde zusammenfassen willst, wo wirst du enden, wenn du nur deinen Instinkten folgst? Der Text versucht festzustellen, du endest verliebt in den Armen einer Person. Alles führt im Endeffekt dorthin, egal ob du nach Geld gierst oder berühmt werden willst. Es geht immer darum, entweder sich selbst zu lieben oder eine andere Person. Ich will nicht wie die verdammten Beatles klingen, aber darum geht es.
Was würdest du tun, wenn du noch einen Tag zu leben hättest?
Keine Ahnung. Darum geht es auf dem Album ja auch nicht, es ist nicht der letzte Tag gemeint. Sondern eher ein normaler Tag. Das ist so nicht zu beantworten.
Das ist schon klar. Lass mich die Frage anders stellen. Wie sieht dein perfekter Tag aus?
Ich werde sehr schnell einschlafen, das gelingt mir sonst nie. Ein Nickerchen, einen Tee, ein Buch lesen. Und dann einfach Fernsehen gucken, noch ein Nickerchen, vielleicht Zelda spielen. Etwas Bewegung, einen guten Film und gutes Essen. Früh ins Bett gehen. Ich würde mindestens den halben Tag schlafen. Und natürlich etwas Musik machen. Ich habe keinen richtigen Job und könnte das jeden Tag machen. Aber meistens wünschte ich mir einfach nur mehr Schlaf.
Weil du jede Nacht auf bist?
Ne, ich habe einfach nur einen sehr schlechten und leichten Schlaf. Ich bin nicht auf der Suche nach Ruhm oder Liebe, sondern nur nach einem gesunden Schlaf.
Okay, letzte Frage. Wie geht es deinen Charakteren von den letzten Alben? Werden wir einige der Personen wiedertreffen?
Mir würde das gefallen. Ich denke, einige werden wieder auftauchen. Als Nächstes kommt aber eine weitere Tierkreiszeichen-Platte.
Danke für deine Zeit.
Interview: Claas Reiners