Dezember 31st, 2022

School Drugs (#212, 2022)

Posted in interview by Thorsten

Die aus New Jersey stammenden SCHOOL DRUGS überraschten und begeisterten mich bereits 2019, mit ihrer großartigen und nahezu perfekten Hardcorepunkscheibe „Modern Medicine“. In der Plattenbesprechung schrieb ich damals folgendes:

Der Bandname School Drugs leitet sich ab von den Pharmakonzernen in Jersey Shore, wo zur angeblichen Konzentration und Leistungssteigerung Schulmedikamente hergestellt und später verabreicht werden. Damit nähern sich die Kids schon in jungen Jahren, an die „legalen Drogensubstanzen“ der schmutzigen und geldgierigen Pharmaindustrie. Nichts wirklich Neues aus Amiland, wo es wegen der Absetzung des starken Schmerzmittels OxyContin, die bisher schlimmste Heroinepidemie ausgelöst wurde, die alle Gesellschaftsschichten einnahm. Musikalisch sind School Drugs einer der überzeugendsten, modernen Hardcorebands, die ich im Jahre 2019 zu hören bekam. Der Background bezieht sich zwar auf ältere Ami-HC-Bands, aber doch sind sie bei weitem kein naiver Abklatsch, sondern es kommen auch modernere Stilelemente hinzu. Oder sagen wir es so, das School Drugs zu ihren schon unfassbar geilen Frühwerken, eine Weiterentwicklung durchmachen, die mich an die Mitt-80er Werke von Offenders oder Raw Power erinnern. Und doch gleiten sie nicht ab ins Metallager, sondern werden infiltriert und aufgepeitscht durch die Urgewalt von Black Flag oder Poison Idea. Diese nahezu perfekte Mischung wird in einer brodelnd enthusiastischen Hingabe zelebriert und jeder der zehn Songs besitzt das gewisse Etwas. Was soll ich dazu noch anderes sagen, als dass sie Alles richtig gemacht haben?!

Nun erscheint ihre nächste LP  „Funeral Arrangements“, die auf vier Singles aufgeteilt wird. Der erste Single-Output, unter dem Namen „Visitation“ erschien diese Tage und schließt nahezu an ihre Killer-LP „Modern Medicine“ an, bzw. rollen die drei Songs, wie in Öl geschmiert alles nieder, was ihnen in den Weg kommt. Und dabei haben sie es auch gar nicht nötig, möglichst schnell oder hart zu spielen, denn SCHOOL DRUGS sind schlichtweg zu große „Genies“, um den Hörer mit einem Orkan aus Powerriffs zu bombadieren. Herausragend ist auch das aufwendige und detailverliebte Artwork. Und natürlich haben SCHOOL DRUGS auch nach wie vor in ihren Songtexten etwas zu sagen. Weshalb ich mich dafür entschloss, den durchaus motivierten Sänger Josh zu interviewen.

Soweit ich mich informieren konnte, leitet sich euer Bandname SCHOOL DRUGS von einem Pharmakonzern aus New Jersey ab, der zur angeblichen Konzentrations und Leistungssteigerung Schulmedikamente herstellt. Was gibt es über diese School Drugs und dem Konzern zu sagen? Sind solche School Drugs weit verbreitet in den USA? Und wie sieht es mit den Nebenwirkungen und der Suchtgefahr aus?

Der Name der Band war ursprünglich als Anspielung auf jegliche Art von ADD/ADHD-Medikamenten gedacht. Medikamente wie Ritalin, Adderall, Vyvanse, usw. Es gibt zwar keine Firma mit dem Namen „School Drugs“, aber es gibt eine Apotheke mit dem Namen „Home Drugs“, nicht weit von meinem Haus entfernt. Ritalin und Adderall werden von College-Kids gerne genommen, um die ganze Nacht durchzulernen. Die Nebenwirkungen reichen von Schlaflosigkeit über hohen Blutdruck bis hin zu Selbstmordgedanken. Keiner in der Band ist ein Arzt, aber ich würde empfehlen, mit deinem Hausarzt zu sprechen, bevor du eine Behandlung beginnst.

In den europäischen Medien wurde auch von dem Schmerzmittel OxyContin berichtet, das schnell von den Ärzten verschrieben wird, aber auch genauso schnell süchtig macht. Wenn das Medikament abgesetzt wird, suchen die Leute nach einem Ersatzstoff und so begann in Amerika, die bisher schlimmste Heroinepidemie, die alle Gesellschaftsschichten erreicht hat. Mit welchen Worten würdest du diese Epidemie beschreiben und hattet ihr oder eure Freunde auch Probleme mit dem Medikament oder Heroin?

Ich glaube nicht, dass jemand von uns jemals ein Heroinproblem hatte, aber wir alle kennen jemanden, der es hatte. Der Fall ist fast immer genau so, wie du es beschrieben hast. Jemand verletzt sich auf irgendeine Weise, geht zum Arzt und bekommt Schmerzmittel verschrieben. Schon bald läuft das Rezept aus, und der Straßenpreis ist viel höher als das, was man über die Versicherung bezahlt hat. Das nächstbeste Mittel, also Heroin ist viel billiger und leichter zu bekommen. Multipliziert man diese Gleichung immer wieder, befindet man sich inmitten der schlimmsten Opioid-Epidemie in der Geschichte des Landes.

Nun erscheint eure kommende LP „Funeral Arrangements“, die auf vier einzelne Singles aufgeteilt wird. Was ist der Grund dafür das Album nicht auf einer LP-Länge und stattdessen auf vier Singles zu veröffentlichen?

Die Aufteilung des Albums auf vier Teile, gibt uns die Möglichkeit, das was wir herausbringen, besser zu gestalten und zu überlegen. Wir können mehr Zeit auf das Schreiben, Arrangieren und Aufnehmen verwenden. Jedes Stück von „Funeral Arrangements“ ist durchdacht und aus einem bestimmten Grund geplant worden.

Ihr spielt mit School Drugs einen sehr energischen Hardcorepunk mit jeder Menge Powerriffs. Ich fühle mich dabei sehr an Poison Idea erinnert. Von welchen Bands seht ihr euch beeinflusst?

Poison Idea ist für uns alle eine absolut große Band. Allein die Produktion von „Feel The Darkness“ hat einen Maßstab dafür gesetzt, wie außergewöhnlich ein Hardcore-Album klingen kann. Es scheint kein wirkliches Geheimnis zu sein, dass wir alle große Fans von 80er Jahre Hardcore sind. TSOL, Descendents, Black Flag, Big Boys, VOID, etc. etc.

Ihr hattet wegen Corona eure US-Tour absagen müssen. Wie seid ihr mit der Situation umgegangen und gibt es schon Ersatztermine?

Es war eine unglückliche, aber absolut notwendige Sache, die wir tun mussten. Es war ein seltsames Gefühl, etwas in wenigen Minuten abzusagen, für das man wochenlang gebucht hatte. Es ist wie ein Wolkenkratzer, der einstürzt. Es gibt ein paar Termine, die für Anfang September auf dem Weg zum Muddy Roots Fest, neu gebucht werden. Alles andere werden wir zu einem späteren Zeitpunkt nachholen, wenn es sinnvoll ist.

Gibt es derzeit in den USA diverse Orte, wo die Punk- und Hardcoreszene besonders groß oder lebendig ist?

Connecticut hat sich in letzter Zeit in der Szene einen Namen gemacht. Viele großartige Bands kommen aus dieser Gegend z.B. Zipper oder Bulletproof Backpack und viele Punks, die gerne zu Konzerten gehen und uns unterstützen, stammen aus dieser Gegend. Und auch in Virginia Beach hat sich in letzter Zeit, einiges erstaunliches getan. Die Jungs von Street Weapon waren immer großartig. Ich würde auch Wet Specimens aus Albany NY empfehlen, denn das ist eine weitere großartige Gruppe von verrückten Leuten.

Und wie sieht es in eurer Heimat New Jersey aus, mit Bands und Konzertmöglichkeiten?

Die Dinge kommen langsam wieder ins Rollen, Chris und ich haben wieder an unseren jeweiligen Veranstaltungsorten angefangen zu arbeiten. Leider kann man es noch nicht abschätzen, ob die Veranstaltungsparte wieder stillgelegt wird. Wir sind alle sehr dafür, dass die Besucher einen Vax-Nachweis einbringen und sich eine Maske aufsetzen, weil es für die Konzertbesucher dann sicherer ist. So wie es derzeit aussieht, ist die Szene noch vorhanden, und Punks gibt es in NJ auch noch.

Gibt es einen Themen-Schwerpunkt auf „Funeral Arrangements“?

Verlust. Das größte Thema in „Funeral Arrangements“ ist der Umgang mit und das Erleben von Verlust.

Deine Texte sind sehr düster gehalten und veranlassen wenig Grund zur Hoffnung. So heist es in „Overrated Life“, „I fucking doubt I’ll see the sun tomorrow. I’m overdue on all the time I borrowed. I never asked to fucking be created. Now I’m over life, because it’s over rated“. Was macht allgemein das Leben für dich überbewertet und was nervt dich an diesem überbewerteten Leben an meisten an?

Texte sind der einfachste und gesündeste Weg, den ich gefunden habe, um mit meiner Depression umzugehen. Alles was ich an einem bestimmten Tag denke, in einen Song zu packen, fühlt sich an, als würde ich mich einem Freund anvertrauen. Zum Glück wache ich nicht jeden Tag mit dem Gefühl auf, dass das Leben überbewertet ist, aber an manchen Tagen fühle ich mich so. Die Gefühle, die in diesem Song ausgedrückt werden, sind viel weniger spezifisch als eine allgemeine „Scheiß drauf“-Mentalität.

Sehr gut finde ich auch den Text von „Gimme Doubt“ mit den auffordernden Textzeilen: „You’ll always be a price tag. You’ll always be a mark. You’ll never get your voice heard. Until you fucking start. Start thinking, start moving, start doubting. Question the world, Question your life, Question the voices from the other side, Question what’s right, Question what’s wrong, Question the voice that sings the fucking song“. Hast du das Gefühl das in den letzten Jahren, die Gesellschaft unpolitischer und weniger kritisch agierte? Oder dauert dieser kritiklose Zustand, schon seit einer Ewigkeit an?

In „Gimme Doubt“ geht es genau darum, kritisch zu denken. Nimm alle Informationen auf und stelle Fragen, die du gegen alle Seiten hast. Du stimmst hier nicht für deine Lieblingssportmannschaft, sondern für die Menschen, die das letzte Wort und die Macht darüber haben, was in deinem Land passiert oder nicht passiert. Dieser Gedanke geht auch weit über die Politik hinaus. Du solltest alles und jeden in Frage stellen. Zum Teufel, du stellst mich gerade in Frage. Das ist großartig!

Wie hat sich allgemein die Stimmung in den USA verändert, sein Donald Trump an die Macht kam?

Dumme Menschen gab es schon lange vor Trump, er hat es für sie nur akzeptabel gemacht, ihre Dummheit ans Licht zu bringen.

Du beschreibst in deinen Texten ganz offen depressive Zustände und die Musik scheint für dich wie ein Katalysator zu wirken. Im Grunde genommen sind deine Texte das direkte Gegenstück der Posi-Core-Hardcorebewegung. Ich denke mir auch oft, das Posicore in Zeiten, wo die ganze Welt zerstört wird und alles außer Kontrolle gerät, ziemlich weltfremd ist. Was hältst du persönlich von Posicore?

Ich nehme an, du beziehst dich auf die allgemeine PMA-Sache? Auf dem Papier ist es eine absolut bezaubernde Idee, die ganze Zeit positiv zu sein, ich wünschte, ich hätte daran gedacht. Die Realität ist weit von dieser einfachen Vorstellung entfernt. Davon abgesehen werde ich niemanden angreifen, der versucht, so zu leben, oder mich über ihn lustig machen. Das funktioniert für Sie, und das funktioniert für mich. Wir würden in einer noch deprimierenderen, beschisseneren Welt leben, wenn alle so denken würden wie wir.

Noch ein abschließendes Wort oder Lebensmotto:

Sag deinen Freunden öfter, dass du sie liebst.

(bela)

Both comments and pings are currently closed. RSS 2.0