Dezember 31st, 2022

Razorcake, Daryl (#208, 2021)

Posted in interview by Thorsten

„Aber im Ernst: scheiß auf die Olympischen Spiele.“

Interview mit Daryl vom Razorcake Fanzine

 

DIY POR VIDA

Schauen wir uns für die nüchternen Fakten zum Razorcake (RC) Fanzine aus Los Angeles online um. Laut englischer Wikipedia gilt es, folgendes zu konstatieren (übersetzt von mir):  „Razorcake ist eine 501(c)(3) Non-Profit-Organisation, die das Razorcake Fanzine herausgibt, ein DIY-Punkrock-Fanzine, das zweimonatlich erscheint. Es wurde 2001 von Todd Taylor (ehemaliger Flipside-Chefredakteur) und Sean Carswell (Autor und Gorsky Press-Mitbegründer) gegründet.“ Daryl ist der „Managing Editor“ der ganzen Operation. Im März 2001 erschien die erste gedruckte Ausgabe vom RC, gestaltet eben von einer Crew, die teilweise früher für das Flipside Fanzine von Al Flipside geschrieben hat (1999 kam deren letzte Ausgabe).

Non-Profit-Status, Inhalte, Schreiber/innen

Ende 2005 bekam das Heft den offiziellen Status der Gemeinnützigkeit und firmiert seitdem unter dem Namen Razorcake/Gorsky Press, Inc. Ausführlich wird auf razorcake.org/mission-statement eben jenes ausformuliert, von mir übersetzter Auszug: „Hauptaufgabe ist die Herausgabe von Razorcake, einem Magazin, das sich dem DIY-Punk und der unabhängigen Kultur widmet.“ An Inhalten sind Punkrock-Fanzine-Typische vorhanden, das Merkmal vom RC sind vielleicht die oft sehr ausführlichen Gespräche, da unterhielt man sich in den letzten 20 Jahren zum Beispiel schon mit Fucked Up, Marked Men, Adolescents, Dead Moon, T.S.O.L., Ian Mac Kaye (in der #4/2002, die zugleich auch meine Premiere mit dem RC war), Superchunk (!), Melvins, Career Suicide, Edward Colver, Alex Cox (Filmregisseur von „Repo Man“), politischen Theoretikern wie Howard Zinn (!!) und Noam Chomsky. Natürlich sind auch nicht unselten Beiträge zur Punk-Gegenwart und Vergangenheit in Los Angeles drin. Seit der #46 gibt es unregelmäßig längere Texte zu verschiedenen Spezial-Themen, diese Serie ist sehr cool und trägt den Titel „One Punk’s Guide to…“, einige Topics waren beispielsweise Otis Redding, Stummfilme und Outlaw Country. Um die 150 weltweit verstreute Schreiber/innen, Fotografen/innen und Grafiker/innen arbeiten ehrenamtlich für das RC, einige Namen sind euch vielleicht gelüufig wie Todd Taylor und Sean Carswell (eben die 2 Gründer), Donofthedead, Jimmy Alvarado, Designated Dale, Nardwuar the Human Serviette (etwas unregelmäßiger zuletzt am Start, aber immer zum Totlachen), Cassie J. Sneider, Chris Boarts Larson (die „Legende“ vom Slugs and Lettuce Fanzine) und Jim Ruland (der auch das Keith Morris- und das aktuelle Bad Religion-Buch schrieb). Abschließend noch etwas von der Heft-Homepage, das als Aufruf seit Jahren auch etwas kürzer im Impressum des gedruckten Heftes drin steht und das mir immer sehr gut gefüllt, deshalb hier nun im Original:

„We feel when we work together, life is a little more bearable. On one side is a terrifying culture of manipulation, and on the other side are all of us. If you don’t see or hear what you’d like covered, lend us a helping hand. If you’re knowledgeable about DIY punk, are open to the editing of your work, can meet deadlines, and follow instructions, we’ll consider your contribution. All creative content is done on a volunteer basis. Razorcake does not tolerate racist, sexist, homophobic, transphobic, or ableist bullshit and we’ve held these ethics since our start in 2001. DIY punk can’t be fully captured, understood, or expressed by white men. Diversity makes us a better punk organization. We’re encouraging people who are marginalized by ethnicity, gender, sexuality, class, and personal experience to submit material to Razorcake. Let’s work with each other.

Well, ich hatte einfach Lust, mal wieder in L.A. anzuklingeln, Daryl fand meine Fragen klasse und antwortete sehr fix bei einigen Tassen Morgenkaffe, das Resultat findet ihr im Folgenden.

Lieber Daryl, willkommen! Das letzte Mal hatten wir das mächtige RC im Trust mit Jimmy Alvarado vor zwei Jahren drin, seit 2006 habe ich noch mit Todd Taylor, The Rhythm Chicken und Rev. Nörb gesprochen, es ist so schön zu sehen, dass diese Leute immer noch an Bord vom RC sind, deshalb nochmal: schön, dass ihr wieder bei uns seid! In einem Interview mit der Get-into-this-Seite erwähntest du, dass du 2005 zum RC gekommen bist (Leser warst du seit 2002), gutes Zitat von dir dort: „Es ist eine beängstigende, verrückte Welt, und der Gedanke, dass es sie ohne RC gibt, das ist etwas, das ich mir nicht vorstellen möchte… Wir sind immer als Print-Heft da wegen der Großzügigkeit und Unterstützung unserer Leser. Wir verdanken ihnen alles. Wir könnten stundenlang über die momentane Situation reden, kurz gesagt: RC ist auch dieses Jahr noch als Print-Diy-Punk-Fanzine am Start. Fuck yes! Wie läuft’s momentan im Highland-Park-Headquarter?

Daryl: Ich denke, die Dinge laufen gut! (lacht) Viele Jahre lang war es ein wirklich hektischer und besorgniserregender Kampf, nur um sich über Wasser zu halten, aber heutzutage, mit unserer jährlichen Spendenaktion in Verbindung mit dem „Sponsor A Space“-Programm und der Juni-Abonnementaktion, seitdem haben wir unseren Scheiß wirklich im Griff. Ich kann einen Schritt zurücktreten und sagen: „Ok! Die Leute unterstützen, was wir tun, wir haben funktionierende Wege geschaffen, wie sie diese Unterstützung zeigen können. Cool!“ Und jetzt, wo das alles geregelt und der Großteil meines Gehirns nicht mehr damit beschäftigt ist, das Geschäft am Laufen zu halten, da kann ich mehr Zeit und Energie darauf verwenden, die verdammt besten Interviews für das Heft zu schreiben! Also, ja, natürlich ist das Geld immer noch knapp, und wir machen nie nur Blödsinn. Aber ich kann sagen – und das haut mich um – dass die Dinge besser laufen als je zuvor!

Wie lief die UK-Tour von dir und Donna Ramone für RC/Gorsky Press, Inc. ab? Waren es Lesungen aus euren Heft-Beiträgen, ist das RC „bekannt“ in Großbritannien?

Daryl: Diese Tour war knallhart! Wir sind in elf Tagen die Insel rauf- und runtergerast, haben unseren Scheiß vorgelesen und so viele tolle Leute getroffen. Donna hat aus ihrer Kolumne vorgelesen und ich habe ein Stück vorgelesen, das in einem eigenen Zine erschienen ist und „Loitering and Benevolence“ heißt. Es ist meine Sicht auf zwanzig Jahre, die ich bis tief hin zu meinem Arsch im Punk verbracht habe. Die Triumphe, die Rückschläge und letztendlich, warum es immer noch wichtig ist, auch wenn man sich wie ein abgestumpfter alter Penner fühlt. Wenn die Leute in Großbritannien noch nie von uns gehört hatten, dann ließen sie sich nichts anmerken. Zwei Fanzinern mit einem Rucksack voller fotokopierter Zines, die durch ein fremdes Land touren, das war ein ziemlich haarsträubender Plan, also bin ich jedem ewig dankbar, der mitgemacht und uns geholfen hat und uns das Gefühl vermittelte, willkommen zu sein.

Meine beiden Lieblingsinterviews von dir waren bisher das mit „Guy P. von Fugazi“-Gespräch (sehr gut, Daumen hoch!!!) und das „NOlympics L.A.“-Interview. Welche Interviews betrachtest du als deine „besten“, welche sind rückblickend eher scheiße? „Wir“ von der deutschen Presse wollen natürlich die „horrible truths“ wissen, um Mission of Burma zu zitieren! (lacht)

Daryl: Das Guy-Interview war eine große Sache für mich. Diese ganze Erfahrung war eines meiner persönlichen Highlights im Jahr 2020. Und auch ein Beispiel dafür, wie Punk auf die schönste Art und Weise funktionieren kann. Man ist immer nur eine E-Mail oder einen Anruf von jemandem entfernt, den man bewundert. Also gebe ich diesem den Titel meines „besten“ Interviews. Und was mein „schlechtestes“ angeht, da gibt es viele! (lacht) Aber ich bedauere das mit NOlympics L.A. sehr. Ich habe das Gefühl, dass ich nicht genug konkrete Beweise angeboten habe und einfach zu viele Argumente gegen die Olympischen Spiele 2028 in L.A. auf den Aussagen der Interviewpartner basierten. Und wenn das Ziel war, Leute zu überzeugen, die bisher entweder auf der langen Leitung standen oder eben 100 Prozent dafür waren, dass die Olympischen Spiele in L.A. stattfinden sollen, dann denke ich nicht, dass es überzeugend genug war. Aber im Ernst: scheiß auf die Olympischen Spiele!

Es gibt immer diese Diskussion über das „richtige“ Format für Interviews: die einen sagen „nur Face to Face, d.h. live, zählt“, Telefon und Emails niemals. Ok, im Moment ist es anders, aber was sind eure Richtlinien dazu, besteht ihr auf Live-Gespräche oder ist es eher eine Frage von… na ja, den Fragen!?

Daryl: Vor Covid haben Todd und ich Interviews nur persönlich gemacht, meistens musste der Interviewpartner in unser Podcast-Studio kommen. Wegen dieser Hartnäckigkeit unsererseits war die Auswahl der Interviewpartner sehr begrenzt. Sie mussten entweder in L.A. wohnen oder auf Tour hier sein und genug Zeit haben, um vorbeizukommen. Aber als die Kacke am Dampfen war und niemand mehr sein Haus verließ, waren wir gezwungen, unsere Vorlieben anzupassen, und davon haben wir sehr profitiert. Das „Guy“-Interview wäre nie zustande gekommen, weil ich kein Interview am Telefon hätte machen wollen. Also heißt es jetzt: „Scheiß drauf! Wir können jeden in der verdammten Welt interviewen!“. In den letzten Monaten habe ich sogar zwei Leute interviewt, die in L.A. leben, und beide haben wir über Zoom gemacht, weil es einfach eine sehr zuverlässige und bequeme Möglichkeit ist, ein Gespräch aufzuzeichnen.

Du machst ja eh gerne Podcasts, dazu sagtest du mal in einem älteren Interview: „Wir haben 2008 angefangen, Podcasts zu machen, ohne eine Ahnung davon zu haben, was wir da tun. Und ehrlich gesagt, die machen einfach Spaß. Wenn man gerne auflegt oder Mix-Tapes macht, dann ist ein Podcast einfach die naheliegende Wahl“. Ich liebe den, den du mit Jimmy Alvarado gemacht habt (#81 von 2009), das liegt auch an der tollen Auswahl der Stücke, z.B. Charlie Parker – Leap Frog, Shattered Faith – Right is Right, Inferno – Steinkopf, The Rotters – Thank God I’m Damned und JFA – The Day Walt Disney Died. Spiegelt das den Geist von Punk wieder, so wie ihr vom RC Punk seht, weil soooo oft würde man einen Podcast von zwei Punk-Fanzinern nicht finden, die (überhaupt) Charlie Parker spielen – und dann ein Shattered Faith-Stück.

Daryl: Ehrlich gesagt, das liegt mehr an der einzigartigen Brillanz von Jimmy Alvarado als am Razorcake, er ist einer der originellsten und informiertesten Köpfe im Punk. Das klassische Zitat ist wahr: „Er hat mehr vergessen, als ich mir merken kann.“ Er verfügt über einen unendlichen Reichtum an Wissen und hat außerdem einige der chaotischsten und lustigsten Geschichten von „damals“.

Ein weiterer großartiger Podcast von dir war der #491 mit den „Thirsty Thursdays. Presented by The Dollar Boys“. Auch eine tolle Auswahl mit The Damned, Chocolate Watchband, Birthday Party, Bauhaus, Roky Erickson und Stooges. Findet das immer in eurem Haus in Highland Park statt, wo du und einige der Dollar Boys auch wohnen (und wo wir uns 2019 auf einige Bierchen getroffen haben)?

Daryl: Ah ja, die Dollar Boys! Wir nehmen unsere Shows im Podcast-Studio bei Razorcake auf. Aber als „Thirsty Thursdays Presented By The Dollar Boys“ begann die monatliche einstündige Show ursprünglich auf einem Piratensender in Chinatown namens KCHUNG. Wir wohnten alle in dem Haus, das du besucht hast. Im Jahr 2017 haben wir den Betrieb auf einen Razorcake-Podcast verlagert.

Gibt es eine Art „Konsens“-Band unter all den verschiedenen RC-Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen, vielleicht die Ramones? Bei uns wären es wohl Fugazi.

Daryl: Hoffentlich wären es die Ramones! Aber das ist unmöglich zu sagen. Ich treffe auf eine überraschend große Anzahl von Leuten, die Fugazi nicht mögen. Wie auch immer, mehr für mich!

Ich habe ein Review von dir zu der Wiederveröffentlichung der DIE KREUZEN „Cows and Beer“-Single von 2008 gefunden: Diese klassische Midwestern-Hardcore 7″ wurde zu ihrem fünfundzwanzigsten Geburtstag offiziell wiederveröffentlicht. … Wenn du ein Fan von Sorry State Records, No Way Records, Grave Mistake Records oder sogar Fashionable Idiots bist und diese Songs noch nie gehört hast, bitte ich dich inständig, dir das zu besorgen und herauszufinden, warum alle so stolz auf dieses ganze Hardcore-Ding sind“. Ist das auch in den Staaten so wie in Deutschland, dass ein neuer Zyklus von Trends im Punk zurückkommt? Zum Beispiel waren vor Jahren die „Wipers-and-related“-Sounds wieder beliebt, davor der „Tragedy-Crust“-Stil, dann kam Oi! zurück durch die Beliebtheit von Hard Skin.

Daryl: Ja, sicher! Trends im Punk sind ein bizarres Phänomen. Für eine Subkultur von vermeintlichen Freidenkern ist der Herdentrieb sehr ausgeprägt. Weißt du, es wird immer ein paar Bands geben, die es wirklich gut machen und dann diese Legionen von Nachahmern. Und ehrlich gesagt, es nervt mich, weil Bands, die originelle und interessante Arbeit produzieren, nie so viel beachtet bzw. Gehör finden werden, weil sie nicht in die sehr engstirnige Vorstellung davon passen, was im Moment „cool“ ist.

Du bist ja auch für die Anzeigen verantwortlich, wie unfassbar nervig ist diese Tätigkeit eigentlich? Gibt es viele negative Reaktionen, wenn man eine Platte von einem Label, das eine Anzeige geschaltet hat, nicht rezensiert?

Daryl: Das mit den Anzeigen ist über die Jahre einfacher geworden, aber diese Arbeit ist in der Tat echt nervig. Ich habe definitiv eine Menge Frust abbekommen und das ist eben Teil des Jobs. Ich nehme es nicht persönlich, ich mache mir nur eine Notiz, dass diese Person nicht chillig und es nicht wert ist, mit ihr zu arbeiten. Wir tun unser Bestes, um alles zu überprüfen, was uns zugeschickt wird. Und zum größten Teil denke ich, dass wir dabei gute Arbeit leisten. Ob der Rezensent bzw. die Rezensentin das mag, was jemand uns eingereicht hast, darauf habe ich keinen Einfluss und letztendlich ist es dann auch nicht meine Schuld.

Warum machen die großen Punkrock-Labels in Südkalifornien keine Anzeigen bei euch, ich meine, wie viele gedruckte Punk-Zines gibt es noch in den Staaten? Oder hat „SoCal“ so eine riesige Szene von Print-Zines?

Daryl: [lacht] Das ist etwas, das ich auch nie verstehen werde. Ich schreibe oft ne E-Mail an ein Label, das hunderte von Platten und dutzende von Klassikern veröffentlicht hat, und bekomme immer eine Antwort wie: „Wir haben im Moment nichts zu promoten.“ Aber ich glaube, dass die meisten Labels, die bei uns schalten, nicht geschäftsorientiert sind. Und weil sie nicht nur den monetären Ertrag ihrer Werbung im Auge haben, verstehen sie auch, dass es das eben auch eine kulturelle Bedeutung hat. Sie wollen, dass wir überleben, also machen sie eine Anzeige. Ein professionelleres Label zieht das vielleicht nicht so in Betracht, weil sie zu sehr damit beschäftigt sind, Anzeigen auf Facebook zu kaufen oder so einen Quatsch.

Apropos Geld, ein Zitat von eurer Webseite: „Razorcake.org wird zum Teil durch Zuschüsse der Stadt Los Angeles (Abteilung für kulturelle Angelegenheiten) ermöglicht und wird von der Abteilung für Kunst und Kultur des Los Angeles County unterstützt. Alle hier aufgeführten Erkenntnisse, Meinungen oder Schlussfolgerungen sind nicht notwendigerweise die unserer Förderer“. Gibt es wirklich keine Versuche der Stadt L.A., euch für bestimmte Inhalte zu „motivieren“, ich könnte mir vorstellen, dass die euch sanft dazu drängen, mehr L.A.-Themen zu machen, oder ist alles gut so, wie es ist?

Daryl: Es gibt absolut nichts dergleichen von denen. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob irgendjemand da drüben liest, was wir hier machen. Ich meine, wir haben eine Organisation auf unserer Titelseite gebracht, die versucht, die Olympischen Spiele zu verhindern, d.h. davon abzuhalten, nach L.A. zu kommen und die ständig den Bürgermeister und Stadtrat beschimpft – und sie geben uns weiterhin Geld. Ich denke, sie mögen es einfach, dass wir weiterhin existieren.

Verstehe ich das richtig, dass Todd und du im HQ alle zwei Monate 6000 Hefte rausschicken, weil es landesweit keinen Indie-Vertrieb für Fanzines mehr gibt? Fuck, was für eine Arbeit!

Daryl: Das ist richtig, und wir sind dadurch so viel stärker geworden.

Zwei spezielle RC-Sachen sind für mich eure jährliche Sommer-Spendenaufrufe und die „Sponsor a space“-Geschichte. Ich habe online eine Passage dazu gelesen, in der es heißt, dass euer „Sponsor a Space“-Programm einen wesentlichen Anteil an dem Erfolg des Heftes hat. Steuerlich absetzbar, da das Magazin als gemeinnützig anerkannt ist, ermutigt RC interessierte Leser zu einer Spende von 150 Dollar und wählt dann einen Ort (wie zum Beispiel einen Tatto-Laden, Punkkneipe, Punkpizzeria etc. ), an den dann 25 Exemplare jeder Ausgabe geschickt und ein ganzes Jahr lang verschenkt werden. Ohne die Spendenaktion und „Sponsor a space“ könnte RC also nicht überleben oder würde die Stadt L.A. dann aushelfen? (lacht) Erzähl doch mal was zu „Sponsor a Space“, grossartig, dass es funktioniert!

Daryl: Das „Sponsor a Space“-Programm hat uns die Türen zu Möglichkeiten eines Vertriebs weit aufgestoßen. Großhandel, Wiederverkauf, scheiß drauf! Eine Person legt eine Spende von 150 Dollar auf den Tisch – und dann schicken wir sechsmal im Jahr 25 Exemplare an jeden Ort im Land, um sie dort gratis zu verschenken. Das hat das ganze Spiel komplett zum Positiven verändert! Von Zuschüssen allein könnten wir nicht überleben. Wir könnten nicht nur von einer Einnahmequelle leben. Anzeigen, Abonnements, Spenden, Zuschüsse – sie alle sind überlebenswichtig für uns.

Wie seid ihr in Kontakt mit eurem deutschem Vertrieb Kink Records gekommen?

Daryl: Ralf hat uns eine Nachricht über unsere Website geschickt, weil Leute nach Razorcake gefragt haben. Wahrscheinlich durch das Lesen der begeisterten Kritiken im Trust! (lacht)

Auf Discogs sehen wir deine ehemaligen und aktuellen Bands wie Bird Strike, Black Triangles, Desidia Doghart Trio, God Equals Genocide, Marriage Material und Spokenest – ich mag die beiden Bands und Bandnamen von GEG und MM sehr, wessen Idee war das, sehr gute Namen! Du spielst immer Gitarre, richtig?

Daryl: Danke! Ich hatte die Idee zu GEG und Andrew Schubert hatte die Idee zu Marriage Material. Ich habe wahrscheinlich in der Hälfte dieser Bands Bass gespielt. Und in einer von ihnen habe ich Mundharmonika gespielt, das ist ein echter Leckerbissen, wenn man es noch finden kann. Nur für die wirklich Aufgeschlossenen.

Was sind deine Lieblingsplatten auf RC Records, vielen Dank, dass ihr mich mit Tiltwheel, Toys that Kill und natürlich GEG bekannt gemacht habt!

Daryl: Es ist lustig, denn wir hingen auch bei den Veröffentlichungen der Summer Vacation LP und der ersten Crusades LP mit drin und die Leute scheinen uns nie zu erwähnen, wenn sie über diese LPs sprechen – und die beide meiner Meinung nach echte Klassiker sind. Und das war auch einer der Gründe, einfach aufzuhören, Platten zu veröffentlichen. Wir sind kein Label, wir sind ein Zine und so sehen uns die Leute auch. Wenn du aber nach großartiger Musik suchst, die leider etwas unter dem Radar geflogen ist, dann empfehle ich dir die Blood Buddies 7″ und beide White Murder LPs. Großartiger Scheiß!

Was sind deine Lieblingsbücher bei Gorksy Press, sorry, ich kenne nur Tood Taylors großartige „Born to Rock“-Interview-Essay-Sammlung. Ich war nie ein großer Kurzgeschichten-Leser, das ist eher das Ding bei Gorsky oder?

Daryl: Ich denke, jeder sollte sich „All Blacked Out“ und „Nowhere to Go“ von Bucky Sinister besorgen. Selbst wenn du nie gedacht hättest, dass es dir Spaß machen würde, einen Gedichtband zu lesen, hier wirst du es lieben!

Ist Sean noch in das Tagesgeschäft in RC/Gorsky involviert? Er ist ja Professor für politische Theorie an einer Universität in SoCal, nicht wahr?

Daryl: Sean ist Englisch-Professor an einer Universität eine Stunde nördlich von Los Angeles. Er ist nicht in das Tagesgeschäft bei Razorcake involviert, aber offensichtlich weiterhin eine der philosophischen Säulen unserer Organisation.

Durch RC wollte ich schon immer mal die Footies-Kneipe in L.A. besuchen. „Eure Lieblingswasserstelle“, wo ihr auch regelmäßig RC-Partys schmeißt. 2019 war ich endlich dort und habe mich mit Axxl „The Gears“ getroffen. Ich habe The Gears über euch kennengelernt (es hieß: „Ihre Platte von 1980 ist die beste L.A.-Punk-Platte aller Zeiten“, fuck, ich liebe LA-Punk, hatte den Namen aber noch nie gehört). Ich wollte ihn live treffen, nachdem ich ihn per E-Mail für Trust interviewt hatte. Er brachte dann ein weiteres Gears-Mitglied mit, einen gewissen Rikk Agnew, der dann wiederrum noch seine Frau Gitane Demone mitbrachte. Tolles Treffen mit drei L.A.-Punk-Legenden, toller Ort zum Trinken! (lacht) Wie seid ihr zu der Kneipe gekommen?

Daryl: Ich habe keine Ahnung, wie Razorcake bei Footsies gelandet ist! (lacht) Es ist in der Nähe einer „Gold Line“-Haltestelle (Anm. JR: eine der wenigen Metrolinien) und auf der richtigen Seite des Flusses, also machte es einfach Sinn! Mein Busanschluss befand sich genau an dieser Kreuzung, also starrte ich mehrere Jahre lang sehnsüchtig darauf und träumte davon, ein Bier dort zu trinken, während ich mitten auf dem Weg woanders hin war. Aber ich glaube, wir sind dort gelandet, weil Party-Botschafter Joe Dana mit einem Barkeeper dort befreundet ist.

Und du legst ja auch noch in der Bar OFFBEAT auf, musst ja dann auch cool sein. Gibt es noch andere gute alte Punk-Bars in L.A. oder ist alles zu Weinbars mit Käseverkostung gentrifiziert? (lacht)

Daryl: Das Offbeat-Ding war eigentlich eine monatliche kostenlose Show, die dort stattfand. Es waren drei lokale Bands von 19 bis 21 Uhr. Es war einfach eine zusätzliche lustige Sache, die man an einem Samstag machen konnte. Zum Glück gibt es noch ein paar gute Bars!

Letzte Sache zum Footsies: als Breeders-Fan und ihrem Song „The Huffer“ von 2002 (die Deal-Schwestern lebten damals ja einige Jahre in L.A. mit den damals bei auch den Breeders spielenden Fear-Mitgliedern) – tja, da fiel mir erst neulich auf, dass der Videoclip ja im „Footsies“ gedreht worden sein könnte, denn mich erinnerte das „Oben-Ohne“-Frauen-Gemälde im Video an ein ähnliches Bild 2019 im Laden (Foto anbei).

Daryl: [lacht] Das ist definitiv ein sehr ähnliches Gemälde, aber leider war das nicht im Footsies.

Du bist ja aus L.A, eine Frage: es wurde sehr oft gesagt, dass L.A. die Stadt der Kontraste ist, wie würdest du das Leben dort beschreiben? Jemals daran gedacht, woanders hinzuziehen? Meine deutschen Kumpels, die Musik aus den Staaten lieben, lieben immer mehr Städte wie Seattle wegen Sub Pop, San Francisco („Gilman“) und besonders NY („Agnostic Front“). Alles drei natürlich sehr interessante Orte, die ich auch besuchte, aber LA scheint mir so total einzigartig zu sein. „Ein Alptraum von Autobahnen in der schönsten Landschaft überhaupt“, na ja, ein Einheimischer ist immer besser darin, seine Stadt zu erklären.

Daryl: Es gibt ein gewisses Maß an Kampf und Aggression in L.A., das ich sehr zu schätzen gelernt habe. Von außen betrachtet fördern Städte wie Seattle, San Francisco und New York den künstlerischen Geist und das ist großartig. Aber L.A. will dich brechen und ich mag die Herausforderung. In den letzten Jahren hat sich diese Dynamik abgeschwächt, weil viele Leute aus San Francisco und New York verdrängt wurden und nach L.A. gezogen sind. Aber ich spüre es immer noch. Ich habe meinen College-Abschluss in einer kleinen Strandstadt in der Nähe von San Francisco gemacht, die Santa Cruz heißt, und ich wollte den Sommer über nach L.A. kommen und einfach mal durchatmen und abhängen. Vielleicht einen Job in einem Lagerhaus oder so machen, um dann nach Oakland ziehen, um bei den Punks dabei zu sein. Aber etwa nach einer Woche, nachdem ich nach Hause gezogen war, bot mir Todd diese Stelle beim Razorcake an und seitdem bin ich hier. Ich beneide niemanden, der nach L.A. zieht, um zu versuchen, sich hier ein Leben aufzubauen. Es klingt wie ein teurer verwirrender Albtraum, der sehr wettbewerbsintensiv ist und nicht viel bietet.

Wenn Du einen L.A.-Metal-Hip-Hop-Sixties-Mix kuratieren müsstest, wie würde der mit 15 Pflicht-Songs aussehen?

Daryl: Das ist etwas, für das ich völlig unqualifiziert bin. Und auch wenn diese Songs vielleicht nicht „obligatorisch“ sind, so verkörpern sie doch zumindest etwas Authentisches. Wenn jemand Teile dieser Liste für blöd hält, glaubt mir, ihr liegt nicht falsch! Für Sixties: Cannibal And The Headhunters – Land of 1000 Dances. Love – Bummer in the Summer. Monkees – I’m a Believer, – Gidget Theme Song. The Doors, – Come On, Touch Me (aber nur, weil das wirklich der lustigste Song aller Zeiten ist!). Für Hip Hop: N.W.A. – Express Yourself, Pharcycde – Passin‘ Me By, Murs – Yesterday & Today (Murs hält den Weltrekord im Rappen für 24 Stunden!), Kendrick Lamar – DNA, Reverie – Hoe Ass Bitch (eine aktuelle Künstlerin aus der Gegend ist. Gutes Zeug!). Und für Metal: Slayer – Angel of Death, Hirax – Hate, Fear, and Power, Suicidal Tendencies – How Will I Laugh Tomorrow (Heavy Emotion Version), Excruciating Terror – Divided We Fall, Snakes – Psychic Rats EP (nicht unbedingt Metal, aber stark davon beeinflusst, die Welt muss die Kraft dieser EP kennen!).

Ist Al Flipside in den letzten Jahren wieder aufgetaucht oder für immer „weg“ im normalen Zyklus des Lebens? Es ist immer noch seltsam, dass jemand, dessen Leben so viele Jahre lang 7/24 Punk war, dann komplett verschwindet.

Daryl: Einfach Burnout. Die Welt ist voll von Ex-Punks und Al ist anscheinend einer von ihnen. Ich hatte noch nie mit ihm zu tun.

Steht ihr in gutem Kontakt mit den Leuten hinter der Flipside-Memorial-Facebook-Seite?

Daryl: [lacht] Ich weiß nichts über deren Account.

Nochmals vielen Dank für deine Zeit Daryl, zwei letzte Fragen: KISS oder AC/DC?

Daryl: Blue Öyster Cult bzw. noch besser: Thin Lizzy!

Und wann kommt der „One Punks Guide to Punk“? (lacht) Irgendwelche letzten Worte für uns? Lang lebe RC!

Daryl: Ich warte immer noch auf jemanden, der den „One Punk’s Guide to Being a Poser“ schreibt! Danke Jan! Und Dolf! Lang lebe Trust!

Interview: Jan Röhlk

Fotos/Credits: Donna Ramone und Daryl vor dem All Ages Records Plattenladen London: Mycul Davis. Marriage Material: Paul Silver

Kontakt: razorcake.org

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