Januar 28th, 2024

Porno – Eine unverschämte Analyse, Madita Oeming

Posted in bücher by Dolf

Rowohlt Verlag, Hamburger Straße 17, 21465 Reinbek, www.rowohlt.de

In diesem Buch geht es eigentlich um viel mehr als um Pornos, es geht um uns und unsere Sexualität und wie tabuisiert – sogar nur das darüber sprechen – die immer noch ist. Oder wann hast du zuletzt jemandem erzählt, das du ganz gern mal Solosex mit einem stimulierenden Porno hast? Ich vermute die meisten erzählen das gar nicht – aus Scham. Weil es eben immer noch ein gesellschaftliches Tabu ist, der Sex und wenn dann auch noch Porno und Lust dazukommt und die Liebe oder die Nachwuchszeugung außen vor gelassen wird – damit wird man auf den meisten Partys keine Gespräche führen können. Aber kommen wir zum Buch, welches in sieben Kapitel eingeteilt ist.

Nach einer Einleitung geht es mit „Alle gucken, keine*r spricht“ los, wo sich die Autorin damit beschäftigt wie wir heute mit Pornos umgehen. Im zweiten Kapitel geht es um die Geschichte der Pornographie, wo das herkommt und entstanden ist, wie sich der Begriff entwickelte – alles sehr interessant. Weiter mit der Kritik von feministischer Seite (PorNO-Kampagne) und der anderen Seite, also Pornos von Frauen. Auch dies sehr interessant, da hier einige lehrreiche Aspekte angesprochen werden. Im vierten Kapitel „Aber die Kinder!!!“ geht es um die verbreitete Medienpanik und ob der Porno-Konsum den Kindern/Jugendlichen schadet und ob das wissenschaftlich untersucht beziehungsweise untermauert ist. Von der Medienpanik geht es im nächsten Kapitel zur Mastrubationspanik und der vermeintlich damit einhergehenden „Pornosucht“, auch hier ist die wissenschaftliche Lage ziemlich dünn. Das vorletzte Kapitel beschäftigt sich damit was denn jetzt genau „normal“ ist und welche Themen im Porno das vielleicht nicht mehr sind. Auch hier betrachtet die Autorin das sehr individuell und zählt unterschiedlichste Pornoformate auf – das ist ein wenig, wenig.. Das viele Pornos ein Spiegelbild der Gesellschaft und deshalb sexistisch, rassistisch oder erniedrigend sind ist sicher richtig, das macht sie aber nicht besser. Was mir hier leider komplett fehlt ist ein eingehen auf die Produktionsbedingungen, denn auch wenn jedem Menschen seine Fantasie im sexuellen Bereich zusteht und er diese mit Gleichgesinnten auch gern ausleben darf, solange alle damit einverstanden sind, darf man eben nicht vergessen das viele der im Porno agierenden das eben machen „müssen“ und wenn es auch „nur“ ihr Job ist, ob sie das dann gern machen, steht auf einem anderen Blatt. Und wenn Zuschauende das dann sehen, also das es so aussieht wie wenn es aus Lust gemacht wird, können sie eben denken das sie genau das auch so wollen. Aber vielleicht war das nicht Teil der Analyse? Zum Schluss gibt es noch eine Liebeserklärung an die Lust und die Ambivalenz und die Aufforderung „Pornos neu denken“. Hier ist das in den Worten der Autorin zusammengefasst: „Pornos sind erregend, und das hat einen Wert. Die Lustfunktion gehört neben der Fortpflanzungs-, der Beziehungs- – und der Identitätsfunktion zu den grundlegenden Funktionen menschlicher Sexualität. Ihre Erfüllung ist für die meisten ein Grundbedürfnis. Dennoch nimmt sie in der gesellschaftlichen Wahrnehmung eine untergeordnete Rolle ein. Während die reproduktive Dimension faktisch mehr und mehr in den Hintergrund rückt, diktiert sie noch immer viele unserer Normvorstellungen von Sex. Genauso sprechen wir bis heute von «Liebe machen», um einer sonst profanen körperlichen Tätigkeit über ihren Beziehungskontext einen sozialen Wert zu geben. Lust nur um der Lust willen bleibt stigmatisiert. Nicht zuletzt, weil wir in einem neo-liberalen System leben und Lust darin nicht gerade als produktiv gilt. Bis heute sind wir in vielerlei Hinsicht eine lustfeindliche Gesellschaft. Erst wenn es uns gelingt, Lust und Erregung selbst als etwas Gutes statt etwas Nutzloses oder gar Bedrohliches zu begreifen, können wir auch Pornos so verstehen. Statt krampfhaft zu versuchen, sie dadurch aufzuwerten, dass sie «mehr als nur Masturbationshilfen» seien, sollten wir sie als solche schätzen. Pornos sind zum Wichsen da, und das ist auch gut so!
Die sogenannte sexuelle Revolution ist ein unvollendeter gesellschaftlicher Emanzipationsprozess — wie können wir ihn zu Ende oder zumindest weiterbringen? Statt weiter wie im 19. Jahrhundert mit Panik und Zensur um uns zu werfen, sollten wir alle Ressourcen in sexuelle Bildung investieren. Es ist höchste Zeit, in unserem Sprechen und Nachdenken über Pornografie von einem Gefahren- und Schutzdiskurs in einen Lust- und Kompetenzdiskurs zu kommen. Dafür braucht es eine Gesprächskultur, die offen, neugierig und achtsam statt ängstlich, repressiv und wertend ist. Ob wir wollen oder nicht: Pornos sind Teil unserer Kultur und bleiben es. Wir müssen aufhören, davor die Augen zu verschließen, und endlich anfangen, als Individuen wie als Gesellschaft einen bewussten und kritischen, aber auch gelassenen und lustvollen Umgang mit diesem Medium zu finden. Denn Pornos sind letzten Endes das, was wir daraus machen.“ Hier kann man auf jeden Fall einiges lernen, was ich auch mitgenommen hab, das der Gebrauch des Begriffs „Kinderpornos“ völlig falsch ist, es sind eben Missbrauchsfilme die nichts mit Porno zu tun haben, Details dazu im Buch. Dies ist kein pornokritisches Buch, obwohl es schon sehr viel zu kritisieren gäbe, aber die Autorin nimmt einen anderen Blickwinkel ein, ich fand es sehr spannend zu lesen. Wenn es dich nicht die Bohne interessiert, kannst du gern mal überlegen warum das so ist, eine Antwort darauf findet sich wahrscheinlich hier. 255 Seiten, Gebunden, 20,00 Euro (dolf)

Isbn ‎ 978-3499012334

[Trust # 223 Dezember 2023]

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