Dezember 31st, 2021

PETROL GIRLS (#203, 2020)

Posted in interview by Thorsten

Sind im Moment unglaublich angesagt. Ich war letztens bei einem Boxkampf dessen Aftershowparty in einer Art Indie-Rock-Disco stattfand. Und selbst dort lief „Touch me again“ – eine Art Themensong zur #metoo-Debatte. Was zunächst plakativ klingt (und damit trotzdem noch meilenweit von expliziteren Mitstreiter*innen wie War on Women entfernt ist) mischt sich mit den ausgeklügelten Arrangements und einer guten Prise Introspektion, die besonders live deutlich wird. Der eindeutige politische Gehalt wird von Sängerin Ren ergänzt durch persönliche Geschichten und wirkt dadurch umso erhellender. Klar ist das ehemals britische, mittlerweile in Österreich angesiedelte Quartett nicht das erst oder einzige das über Umweltverschmutzung, gegen Nationalstolz und für Emanzipation singt, aber sie sind im Moment einfach sehr gut darin, diese Ideale unter die Leute zu bringen. Gerade das aktuelle Album Cut & Stitch, welches auf Hassle Records erschienen ist, gibt nicht unentwegt Vollgas und lässt Raum für viele Einsprecher, die es zur Klagcollage gegen alles was falsch läuft machen lässt. Vor dem Konzert in Köln, bei dem die eigentliche Petrol Girls Bassistin durch die von Personal Best ersetzt wurde (lässt das auf erste Zerwürfnisse schließen?) sprach ich mit Ren.

Beim Hören des neuen Albums habe ich mich gefragt, ob du die Dystopie Vox von Christine Dalcher gelesen hast. Da geht darum, dass alle Frauen Armbänder tragen müssen, die zählen, wie viele Wörter sie sprechen und wenn man mehr als 100 Worte am Tag sagt bekommt man Elektroshocks durch das Armband. In eurem Song Big Mouth geht es ja auch irgendwie darum, dass die Sprache zu beschränken bedeutet Macht zu beschränken. Dann habt ihr aber den Song The Sound, in dem es so klingt als seien Geräusche auch unabhängig von einem sprachlichen Inhalt Werkzeuge der Revolution – kannst du sagen, was das Album ausdrückt, ohne, dass die Texte verständlich wären.

Ich habe von diesem Roman gehört, aber ich habe ihn selber nicht gelesen. Da ich ja die Sängerin bin, ist es für mich schwierig die Musik für sich selbst sprechen zu lassen. Texte haben ja auch einen gewissen Klang, deswegen finde ich es interessant, dass man es auch so verstehen kann, dass die nicht Teil davon sind, aber für mich wären sie das. Es geht in dem Song aber nicht nur um uns, sondern um Lärm. Die Idee entstand bei einer Demonstration, bei der viel Krach entstand, wie solche außerhalb von Gefängnissen oder Gefangenenlagern und dabei können zwar unsere Körper keine Mauern überwinden, aber unsere Klänge eben schon. Das hat mich interessiert: Es gibt politische Musik, aber was ist das politische Potenzial von Geräuschen im Allgemeinen? Und das scheint mir die Idee zu sein, dass sie Grenzen passieren können. Sprache kann das auch, aber auch der Klang an sich trägt Geschichte in sich – zum Beispiel als Geschichte von Musikgenres, die sich verändern, indem sie sich überall auf der Welt verbreiten. Die hörbare Stimme ist für mich ein Teil davon. Ich habe meine Masterarbeit über das politische potenzial der hörbaren Stimme gemacht, weil sie so anders funktioniert als geschriebene Sprache, im Bezug darauf, was rübergebracht wird. Bei einer SMS kann man einiges missverstehen aber in einer Sprachnachricht merkt man auch, wie sich jemand fühlt. Wie man etwas sagt, kann die Bedeutung eines Satzes komplett verändern.

Das passt auch gut zu eurer Situation als Band. Du lebst jetzt in einem Land, dessen Sprache nicht deine Muttersprache ist, und wie man etwas auf anderen Sprachen sagt, kann einen ja auch fast zu einer anderen Person machen.

Absolut. Ich spreche mit vielen Freund*innen, die in unterschiedlichen Ländern leben und in vielen Sprachen, die sie nicht seit Geburt erlernt haben, kommunizieren, und sie meinen auch, dass sich ihre Persönlichkeit je nach Sprache verändert. Im Vereinigten Königreich war ich sehr gesprächig und in Österreich bin ich sehr still. Das finde ich schwierig und Sprache ist auch ausschließend. Als Englischsprecherin bin ich so privilegiert wie man nur sein kann. Fast jeder spricht Englisch, deswegen kann ich schon mit Leuten reden, wenn ich es will, und ich kann auch ein bisschen Deutsch. Aber wie ist es für jemanden, der die Sprache nicht gut spricht. Gerade wenn jemand in das Vereinigte Königreich zieht, wo niemand Fremdsprachen spricht, wir sind da schrecklich, das muss doch furchtbar sein.

Hattet ihr mal überlegt die verschiedenen Sprachen der Bandmitglieder auch in die Texte einzubauen?

Die Idee kam schon mal auf. Auf unseren ersten EP hat Liepa mir was auf Litauisch aufgeschrieben. Und ich als Sängerin kann das gar nicht verstehen. Am Ende unseres ersten Albums haben wir Samples eingebaut von jemanden, der versucht mir ein paar Sätze auf Kurdisch beizubringen. Er hat das letzte Wort auf der Platte und das hat sich bedeutsam angefühlt, obwohl es keine große Sache ist. Bei Big Mouth geht es auch viel um das Gerichtsverfahren, an dem ich gerade beteiligt bin (für die, die es nicht wissen, Ren hat zusammen mit anderen Frauen eine Verleumdungsklage am Hals, weil sie den Frontmann von King Blues als übergriffig bezeichnet haben) bei dem wir dafür bestraft werden sollen, uns geäußert zu haben. Da ging es zwar um schriftliche Äußerungen, aber dennoch ist es ein ähnliches Konzept. Ich habe mir dann angeschaut, wie unterschiedliche Leute auf unterschiedliche Arten marginalisiert werden, wie mit deren Stimmen umgegangen wird und die Erwartung ist, wenn du still bist, wirst du in Ruhe gelassen, aber wenn du dich wehrst, oder etwas entgegensetzt oder zu viel Raum beanspruchst, dann bekommst du es zurück. Ich habe zu der Zeit, als der Song entstand etwas von Stuart Hall gelesen, der etwas über Herrschaft und Hegemonie geschrieben hat und dabei auf Gramsci aufbaut und ebenfalls sagt, dass man toleriert wird, solange man leise ist und das so Hegemonie aufrecht erhalten wird, durch diese Eindämmung. Wenn man dann aber lauter wird wirst du genötigt und kontrolliert.

Das passt dann auch wieder zu der abstrakten Idee des Klangs. Es gibt diese Performance, die in Chile zuerst aufgeführt wurde, über den „Vergewaltiger auf deinem Weg“, und auch wenn man kein Spanisch versteht, ist es eine überwältigende Botschaft, die dort vermittelt wird. Wie habt ihr euch eigentlich entscheiden, nach Österreich zu ziehen.

Es war eine Notwendigkeit. Wir konnten es uns nicht leisten in London zu leben und in einer Band zu spielen. Man kann dann einfach nicht auf Tour gehen und seine Miete bezahlen. Häuser zu besetzen ist eine Option und ich habe Freund*innen, die das machen und schaffen, aber meine geistige Gesundheit kommt damit nicht klar. Ich wurde aus der Besetzer*innen-Szene vertrieben durch eine Erfahrung mit einem sexualisierten Übergriff, der mir durch jemanden widerfuhr, der dort stark aktiv war. Das wurde zwar geklärt und ich bin wieder in der Lage mich in solchen Räumen aufzuhalten, aber es gibt noch viele andere Gründe, warum sich Menschen das nicht vorstellen können, dort zu leben. Zock und Liepa sind zuerst nach Österreich gegangen, weil sie die Möglichkeit hatten dort in ein Haus zu ziehen, das günstig war und ein Tonstudio beinhaltete. Ich bin dann erstmal nach Schottland gezogen. Ich bin aber so dankbar jetzt in Österreich zu wohnen, in einem WG-Zimmer in einer Wohnung in der Innenstadt, die ich bezahlen kann, indem ich in einer Kneipe arbeite. Mein Zimmer ist warm und nichts ist nass, ich kann auf keine Fall dahin zurück gehen, wie ich vorher gewohnt habe, wo es immer kalt war.

Das Album endet mit der Zeile „We’re never finished“, was irgendwie sehr optimistisch ist. In allen anderen Stücken sprichst du Probleme an, und dann klingt es am Ende so, als glaubtest du daran, dass die lösbar sind, also zum Beispiel bezogen auf Umweltzerstörung.

Was die Umwelt angeht ist es natürlich besonders kompliziert. Es geht noch nicht mal darum ,etwas zu lösen, sondern darum irgendwohin zurückzukehren, auch wenn das jetzt eine Vereinfachung ist. Allein etwas zu stoppen, für eine gewisse Zeit, ist positiv. Wie viele unsere Songs basiert diese Idee auf Rebecca Solnit und ihren Aussagen zur Hoffnung. Mir hat das sehr geholfen. Alle möglichen geschichtlichen und politischen Entwicklungen sind auf eine bestimmte Art und weise zustande gekommen, und es ist sehr kompliziert das nachzuvollziehen. Wandel benötigt immer eine große Anzahl an Menschen, die handeln, und das noch nicht mal im gegenseitigen Bewusstsein, dass es sie gibt.

Was zu eurem Cover mit der Steppdecke passt…

Genau, vielleicht ist man gar nicht in der Nähe des anderen Abschnittes, aber das heißt nicht, das man nicht gemeinsam etwas erreichen kann. Unsere Errungenschaften sind aber schwer zu greifen, so dass man sie oft gar nicht wahrnimmt. Ich glaube daran, dass Musik, Kunst und Kultur zum politischen Wandel beitragen, da sie die Dinge im ihrem Kern angreifen. Und wenn das nur dazu führt, dass eine Person anfängt über etwas nachzudenken, zum Beispiel den Nationalstaat, hat das eine Wirkung. Wir brauchen auch direkt Aktionen aber eben auch ganz viele andere Dinge. Jede Person kann etwas beisteuern. Und wenn ich das nicht glauben würde, wüsste ich nicht, wie ich mit allem umgehen sollte, was so passiert: Klimawandel, zum Beispiel. Wie soll man weitermachen, wenn man nicht daran glaubt, dass man etwas verändern kann.

Klar, und es wird immer Leute geben, die sagen, das es nur ein wichtiges Thema gibt. Früher war das der Hauptwidersprich des Kapitalismus, durch den sich angeblich der Nebenwiderspruch des Patriarchates auflösen würde, aber das macht denn Kampf für Partikularinteressen ja nicht überflüssig. Aber bei deinem Song finde ich es auch spannend, dass kein „Ende“ zu haben für dich was Gutes ist. Es könnte ja auch sein, dass man sich ein Endziel wünscht, nachdem es gar keine Baustellen mehr gibt…

Stimmt, aber in unser beider Leben werden wir so etwas nicht mehr miterleben. Es ist ein ständiger Prozess, in dem wir Utopien nebenbei erschaffen, aber wir müssen uns auch zwischendurch ausruhen und es betrachten, um für Nachhaltigkeit zu sorgen. Es gibt nämlich keine Aussicht auf ein Ende, nach dem wir für immer ruhen könnten. Man muss in Bewegung bleiben, und das gilt auch für meine Kreativität, es gibt kein konkretes Ziel, das erreicht werden kann.

Wie geht es dir denn damit, dass ihr aus einem DIY-Umfeld kommt und im Moment aber immer beliebter werdet?

Ich interessiere mich nicht für Punk-Purismus von Leuten, die meinen man dürfe nur in bestimmten Räumen spielen. Das ist lächerlich, was soll es bringen immer nur mit denselben Leuten über Politik zu sprechen, die eh deiner Meinung sind. Ich liebe diese Orte auch und wir kommen immer wieder an solche Orte zurück, weil die Orte an sich wichtig sind, und wir jetzt auch Leute dorthin bringen können, die dort noch nie vorher waren. Es hat sich jemand darüber aufgeregt, dass wir beim Punk Rock Holiday spielen, aber genau da will ich doch spielen, damit ich den Leuten da was zu Konsens erzählen kann. Bei diesem Festival habe ich beobachtet wie ein Typ einer Frau auf den Arsch gehauen hat, die an ihm vorbeilief. Dazu habe ich etwas zu sagen. Und ich habe echt andere Dinge, die mich beschäftigen, als das Urteil unserer Szene, das oft niemandem hilft. Wenn ich richtig scheiße baue, habe ich immer noch die Möglichkeit eine Zeitlang bei meinen Eltern zu wohnen. Das ist ein Privileg und ich habe Glück, dass das so ist. Viele Menschen, die Musik machen, haben diese Sicherheit nicht, und man muss diese Leute bezahlen. Sonst wird es zu einer Klassenfrage. Manchmal heißt das, dass man an einem größeren Ort spielen muss. Wir schlagen uns irgendwie durch und ich habe Vertrauen in unsere Haltung, da verschiedenen Haltungen einnehmen zu können. Jemanden etwas über Konsens zu erzählen, der davon noch nie gehört hat und diese Person an einen radikalen Ort zu führen sind Ziele von uns und von dort entwickelt sich diese Person weiter.

Und auch an solchen Orten läuft viele schief, auch wenn sich Leute mit Themen auseinandergesetzt haben…

Absolut. Die Diskussion um Konsens hat sich sehr stark weiterentwickelt, seitdem wir „Touch me again“ veröffentlicht haben, und in eine gute Richtung. Je nachdem wo ich bin, sage ich unterschiedliche Dinge zu diesem Thema. Natürlich beurteile ich auf diese Weise die Menge, und wo sie steht. An einem radikalen Ort spreche ich mehr die Nuancen an und an einem größeren Ort würde ich es plakativer formulieren. Ich glaube wirklich an das Konzept der Community Accountability, es ist total wichtig. Wenn du diejenige bist, die etwas erlebt hat, wie Transphobie, Rassismus oder sexualisierte Übergriffe, muss deine Wut erlaubt sein, sie braucht Raum, aber wenn du selber gerade nicht betroffen bist, ist es vielleicht deine Rolle den anderen zu erklären, was sie falsch gemacht haben, um bei ihnen tatsächlich eine Veränderung zu bewirken, anstatt die Situation weiter zu eskalieren.

Ich frage mich dabei, ob es je einen Ort geben wird, den wir tatsächlich als Schutzraum bezeichnen können.

Oweia, nein ich hoffe, dass niemand davon ausgeht, dass ihnen auf unseren Konzerten nichts Schlimmes passieren kann. Wir versuchen natürlich eine gute Ausgangsituation zu schaffen, aber niemand kann kontrollieren, was Leute dort machen und manchmal passiert etwas Furchtbares. Shawna von War on Women hat ein tolles Buch darüber geschrieben, wie wir Orte sicherer machen, aber eben nicht sicher. Dafür müssen alle mitmachen und auch Umstehende müssen aktiv werden. Das ermüdet mich alles sehr, dass wir immer noch über sowas reden müssen, aber wir müssen es. Ich rede gerne über Politik und das ist auch der Grund, aus dem wir diese Band haben. Ich könnte zwar auch lange über Hunde oder Zimmerpflanzen reden, aber das sind eben nicht unsere Themen als Band.

Wer kümmert sich denn um die ganzen Hunde und Pflanzen, wenn du immer auf Tour bist?

Ich habe großartige Mitbewohner*innen, die sich um die Pflanzen kümmern, und einen Hund kann ich leider nicht haben, so lange wir so viel touren.

Und weißt du schon, wie der Rest des Jahres für euch aussieht?

So ziemlich, in Richtung Herbst ist es weniger klar. Wir machen aber etwas weniger als letztes Jahr, weil es sehr anstrengend war. Im Moment ist alles sehr intensiv, aber im Sommer wird es entspannter und ich hoffe, das der Gerichtsprozess dann auch durch ist, in seinem vierten Jahr! Ich will mich um andere Sachen kümmern. Sollten wir verlieren, wäre ich bankrott.

Und es wäre auch ein desaströses Signal für andere Frauen, die sich trauen solche Dinge öffentlich zu machen.

Das sowieso, dafür kämpfen wir ja!

Text/Interview: Alva Dittrich

Both comments and pings are currently closed. RSS 2.0