Dezember 31st, 2021

13 CROWES (#202, 2020)

Posted in interview by Thorsten

Arbeiterhymnen aus dem Herzland

Zehn Songs in genau 33:30 Minuten befinden sich auf dem neuen Album „Solway Stars“ von 13 CROWES. Wäre das Medium Radio in irgendeiner Form noch relevant, läge der Gedanke nahe, dass hier jemand ein Auge auf die eine große Radiosingle geworfen hat. Nun haben sich die Zeiten wohl oder übel geändert, was erfrischenderweise bei der Band aus Schottland nicht angekommen ist, zu sehr scheinen sie in einer romantisierten Vergangenheit gefangen zu sein, die vermutlich niemals existierte und gerade deswegen so schön ist. „Das ist aber nicht mit Vorsatz passiert“, werde ich sofort nach Interviewbeginn unterbrochen, „eigentlich waren die meisten Songs auf dem Album deutlich länger und wurden erst im Studio zurechtgestutzt. Aber es stimmt schon, ich mag natürlich Springsteen und so. Ich denke, das hört man.“

Und schon sind wir beim Thema. Denn natürlich weckt das Album der 13 CROWES Erinnerungen an New Jerseys Helden, und wer die zwei oder drei Künstler aus dem Garden State kennt, kann sich ungefähr vorstellen, wo die (eindeutigen) Vorbilder der Schotten liegen. Das ist anfangs etwas irritierend, zumal mein Interviewpartner, Sänger Cammy Black, von Beruf Maurer, Familienvater und Boxer, in einem Song fordert „aufrecht“ und „hungrig“ zu bleiben, aber statt „frei“ zu bleiben oder „sein Bestes zu geben“ will Black weder „jung sterben“ noch „erwachsenwerden“. Das wäre dann also die dritte Überlebensmetapher für Typen und Typeninnen in Jeans und weißen Shirts und dem Herz am richtigen Fleck.

Eröffnet werden die zehn Heartlandattacken bedeutungsschwanger von „Gypsy Queen“, mit ruhigen Keyboardtönen und geflüsterten, erzählenden Gesang. Es bleibt, bis kurz vor Schluss, der einzige ruhige Song auf dem Album und hat den Anschein, der prominenteste Platz auf dem Album, nämlich der Opener, blieb als einziger möglicher Platz über. Aber das ist nicht der einzige Grund: „Der Abschlusssong vom letzten Album war „Indiana“ und nun singe ich „do you remember me“, das fühlte sich wie ein guter Übergang, eine Art Verbindung zum neuen Album an.“

Stellenweise strotzen die Texte aber vor Platituden, „only the sad songs make me happy“ oder „after all there is only one life“ wird mit Pathos vorgebracht – das sind Textbausteine, die schon hundert Mal gesungen wurden, vielleicht nicht besser oder schöner, dennoch haben sich diese Gedanken abgenutzt. Hier hätte der eine oder andere eigene Gedanke vielleicht gutgetan. Cammy sieht die Sache natürlich etwas anders. „Ich bin ziemlich einfach gestrickt und ganz sicher kein genialer Texter. Ich beanspruche nicht mal für mich das Rad neu zu erfinden, ich will es einfach am Laufen halten. Es muss nicht immer kompliziert sein, Hauptsache ein Lied ist ehrlich, das ist mir wichtig.“ Ich muss auch gestehen, anfangs wirkte das alles, die Texte, Videos, Fotos, Presseinfo, zu aufgesetzt und gewollt, ohne diese Leichtigkeit, von der sich normalerweise Bands mit dem gewissen Etwas vom Rest unterscheiden. Allerdings stellt sich mein Irrtum bereits nach Sekunden heraus, denn Cammy und die gesamte Band sind supernett, freundlich, aufmerksam, nehmen sich Zeit und meine vorbereiteten Fragen fühlen sich nicht nach einem Interview, sondern nach einem Gespräch auf Augenhöhe an, was stets ein gutes Zeichen ist. „Es ist nicht immer leicht. Mein Bruder gerät oft in Schwierigkeiten, über solche Sachen schreibe ich. Ich bin einfach nicht clever genug, um mir Geschichten auszudenken, darum schreibe ich, über mein Umfeld und was da passiert. Mehr kann ich darüber nicht sagen.“ Dass das Album mit jedem Hören besser wurde, bestätigt meine Einschätzung schließlich. Oder anders ausgedrückt, stören spätestens nach dem fünften Durchgang (ihr erinnert euch, 33:30 Minuten, also nach insgesamt knapp zweieinhalb Stunden) meine angesprochenen Kritikpunkte nicht mehr. Denn das Album „Solway Star“, „das war ein Fußball Club aus meiner Heimatstadt. Es gab bei mir zuhause ein altes Mannschaftsfoto, das ich als Kind schon toll fand, und da ist mein Ururgroßvater drauf zu sehen, der Trainer des Vereins“, ist gut geschrieben, aufgenommen und vorgetragen. Die Geschichten die erzählt werden beschreiben das Arbeiterleben, kleine Gaunerrein – die selbstverständlich allesamt auffliegen – und natürlich ein Übermaß an Romantik, sowieso übertreibt Black in den Texten gerne, überhöht die Freunde, Frauen und die guten Seiten des Lebens, kennt sich aber selbstverständlich auch mit den dunklen Seiten, verlassen werden, Kackjobs und das Wegbrechen eben jener, aus. In Großbritannien bestimmen noch immer Herkunft und die damit verbundene Klassenzugehörigkeit über die Zukunft eines Menschen. Das erklärt sicherlich ein stückweit die inbrünstige Singstimme, die an den richtigen Stellen eine Portion Wut in sich trägt (und an anderen etwas zu viel Schmalz). Das geht so weit, dass das lyrische Ich bereit ist, das Haus eines reichen Pinkels bis auf die Grundmauern niederzubrennen. Diese Kompromisslosigkeit findet man, im ansonsten häufig folkangehauchten Punk ’n’ Roll, doch eher selten und stellt deswegen eine erfrischende Abwechslung dar. Der Wunsch nach einem eigenen Heim, vielleicht mit einem Garten und einer Familie, bleiben trotz der Tat (im Lied) unerfüllt. „Das Lied war eins der letzten, das wir geschrieben haben, ich war zu dieser Zeit auf der Suche nach einem Zuhause, indem ich mit meiner Tochter leben kann, mit einem Garten, in dem ich ihr ein Baumhaus bauen wollte. Das erste Haus, welches wir uns ansahen, stand leer, aber sie wollten es mir nicht vermieten. Es war ein reicher Vermieter, der mehrere Häuser besaß. Er sah mich von oben herab ab und hat mir das Haus nicht vermietet, ich weiß bis heute nicht warum. Es tat mir für meine Tochter leid, weil ich es ihr versprochen habe. Aber nachdem der Song fertig war, boten sie mir ein anderes Haus an und da lebe ich nun. Haha, hoffentlich hören sie das Lied niemals.“

Zurück zum Album: Samstags geht es mit den Kumpels natürlich zum Fußball und anschließend in die Kneipe. Davon erzählt „Dying Breed“, welches wieder die „gute alte Zeit“ heraufbeschwört, in denen das Leben noch einfacher oder zumindest weniger kompliziert, weil ohne Social Media, deutlich langsamer ablief. Ein Leben für das Wochenende, nach einer harten Arbeitswoche. Manche Abende enden hin und wieder böse, vor Gericht oder gleich im Knast, eine der wenigen Punkte, die Cammy in seinen Texten nicht grundsätzlich glorifiziert, aber natürlich gab es stets „gute“ Gründe oder zumindest Absichten für die begangenen Taten.

Und dann sind da natürlich die Frauen. Von denen wimmelt es auf „Solway Stars“ nur so. Sie sind Anker, Hoffnung und Antrieb zugleich. Nur auf sie kommt es am Ende des Tages an. Ausnahmslos sind es starke Frauen und stets handelt es sich um Liebe, nie (bloß) um Sex oder Spaß. Auf dem Vorgängeralbum „Young Poets“ (wieder dieser Pathos, darauf stehen 13 Crowes einfach und übertreiben es hier und da auch damit) gab es Lieder (und dazugehörige Videos) über eine Jenny Rose, einer Indiana und über Lady Luck. „Es handelt sich immer um dieselbe Person“, wird nun in einem Hotelzimmer ewige Liebe geschworen. Lady Luck tanzt derweil in einer weiteren Geschichte mit einem redegewandten Mörder. Cammy selber hat eine neue Freundin, Mathilda, mit der er um die Häuser zieht. „Ich war lange Single, vielleicht brauchte ich eine Frau, die mich errettet. Vielleicht braucht das jeder von uns irgendwann. Keine Ahnung. Ich bin wieder in einer Beziehung, das ist schön.“

Was 13 CROWES deutlich von ihren Vorbildern unterscheidet, ist der Working Class Überbau, den so nur britische Bands hinbekommen. Auf dem Album wimmelt es von Anspielungen auf alte Fabriken und Industrien und den Menschen die dort einst ihren Lebensunterhalt verdienten und nun mit dem Folgen (lyrisch unausgesprochenen) Globalisierung zu Recht kommen müssen. Dem ganzen wird, mit einem für die britische Arbeiterklasse nicht unüblichen Trotz begegnet. Aufgeben war und ist eben nie eine Option. „Das ist einfach in mir, in uns, wie in dem Lied „We broke the rocks“, schon unsere Väter und deren Väter haben im Bergwerk gearbeitet. Ich will das nicht politisch verstanden wissen. Ich arbeite mit meinen Händen und das macht mir Spaß, ich finde es schön mit dreckigen, aufgerauten Händen nach Hause zu kommen. Es fühlt sich gut an mit seinen Händen Geld zu verdienen. Darum geht es mir. Ich bin ein hart arbeitender Mensch und dieses Bild von mir gefällt mir gut, ich will es nicht anders haben.“

Es ist leicht 13 Crowes als Abklatsch abzutun, das wäre mir beinahe auch passiert, und zugegeben, Cammy Black verwendet in seinen Lyrics Textbausteine und Metaphern, die andere schon nutzen und das anfängliche Gefühl, es mit einer Kopie zu tun zu haben, unterstütz, aber damit wird der Band Unrecht getan. Musikalisch mag das alles US-amerikanisch orientiert sein, die Texte und Geschichten, sind hingegen zutiefst britisch und erzählen von Menschen, von Verlierern, die sich durchschlagen, versuchen das Beste aus ihrer Situation zu machen, die Hoffnung nie verlieren und auf das Happy End warten und solange das nicht eintritt, ist es eben nicht das Ende. Die Welt kann manchmal so einfach, so schwarz/weiß sein, da die Bösen (die Reichen), hier die Guten (die Working Class) und das tut eben auch mal gut. Und wie bei allem holt die Realität uns alle ein, steht am Ende das Erwachsenwerden. „Beim letzten Song fasse ich die schrecklichen Dinge, die auf dem Album passieren zusammen. Das Leben ist manchmal wie der Versuch unter Wasser zu atmen. Aber ich will nichts davon missen, denn alles hatte seinen Sinn und mich zu dem gemacht, der ich bin.“ Bei Cammy klingt das so: „Spent my whole life just trying to leave, now I’m just trying to get back home.“ Da ist sie wieder, diese Sehnsucht.

Text/Interview: Claas Reiners

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