PERE UBU (#57, 04-1996)
Kult, Kult, Kult! Kult ist in der Beschreibung von Bands oder deren Musik ein sehr strapaziertes Wort. Wer oder was bestimmt, ob die jeweilige Band nun sooo gut oder besonders ist, um dieses Etikett tragen zu dürfen? Egal! Pere Ubu, und deren Kopf David Thomas, sind subjektiv aus meinem Bauch heraus und objektiv via meines Verstandes her betrachtet 1000%ig dazu berechtigt. Ihre frühen Singles, Anfang der 80er auf der 12″ „Datapanic In The Year Zero“ wiederveröffentlicht, und ihre LPs „Modern Dance“, „Dub Housing“, sind einfach phantastische Beispiele für intelligente, innovative Musik.
Auch wenn David Thomas im Laufe des folgenden Gespräches recht eigenartige Thesen über Punkrock und der Stellung von Rockmusikern allgemein aufstellt, bleibt doch anzumerken, daß er sich wirklich als Künstler versteht und nicht nur heiße Luft verbreitet. Anläßlich des Konzertes Ende letzten Jahres im Frankfurter Cooky’s, hatten ich und Daniel ‚Lay Screamin‘ Gelegenheit, mit Herrn Thomas in der Lobby des Hotels Maingusch ein wenig zu plaudern.
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Ist diese Tour eine lange für euch?
Thomas: Naja, für uns ist eigentlich jede Tour eine lange Tour, da wir eigentlich nicht viel touren. Ich weiß nicht… es sind 5…, nein, 6 Wochen. Jetzt haben wir noch 6 Tage vor uns, also in Relation gesehen, nein, dies ist keine lange Tour für uns.
Das Line-Up auf der neuen LP scheint, bis auf wenige Ausnahmen, sehr neu zu sein. Wie kam es zu den heutigen Pere Ubu?
Thomas: Ja…tja… Es kam allmählich zustande. Du mußt verstehen, daß Sachen für Leute von außerhalb oft neu aussehen, viel neuerer, als jetzt für uns selber. Jeder, der jetzt in der Band ist, hat schon lange mit Pere Ubu zu tun. Robert Wheeler, der den EML-Synthesizer (ein Synthesizer, den man dadurch spielt, daß man über Magnete in den Händen, durch die Bewegung der Arme, verschiedene Töne erzeugt, A.d.V.) auf „Ray Gun Suitcase“ spielt, hat schon seit Jahren mit der Band zu tun, hat auch in Scott Krauss‘ Solo-Band gespielt. Durch die Platten von Allen Ravenstine kam er zum EML-Synthesizer. Außerdem ist er ein Jugendfreund von meinem Bruder. Jeder ist auf die eine oder andere Weise mit der Band verbunden. Michele Temple hat auch schon seit langem enge Beziehungen mit Mitgliedern von Pere Ubu.
Würdest du dann Pere Ubu mehr als größere Familie, denn als Band sehen?
Thomas: Nein, es ist nicht wie eine Familie! Es ist so, daß meistens jemand jemand anderen kennt und der sich dann zur Band hingezogen fühlt. Alle kommen grundsätzlich aus der gleichen Community (heißt wörtlich übersetzt zwar Gemeinschaft, ist hier aber im Sinne von Szene gemeint, A.d.V.) in Cleveland. Es gibt natürlich die Generationskonflikte, aber alle sind verbunden. Es ist keine Familie, aber alle kennen sich. So war es schon immer bei uns. Am Anfang war es auch so, daß jemand, jemand anderen kannte, der interessante Ideen hatte, der wiederum jemanden kannte und so weiter…
Seltsamerweise kamen die beiden innovativsten und eigenständigsten Bands der späten 70er aus Ohio, Pere Ubu und Devo. Kannst du dazu etwas sagen? Warum Ohio, und nicht eine der großen Städte an der Ost- oder Westküste? Ich weiß über Cleveland, oder besser Ohio, nur, daß es ziemlich industriell sein muß.
Thomas: Nun erstmal muß ich sagen, daß es zu der Zeit einfach eine große Anzahl wirklich talentierter Menschen gab, aus welchem Grund auch immer. All das geschah in den frühen 70ern…72..73..74, da ist alles passiert, die Menschen haben nur später etwas davon mitbekommen. Es war die Zeit, in der es einfach unheimlich viel Input gab. Eine andere Sache, die jetzt blöde klingt, wenn ich sie so sage, aber es gab unheimlich gute Schallplattenläden, die all die guten neuen Platten hatten. Dazu kam die Tatsache, daß unsere Community ziemlich klein war, alles aber schneller als sonst, wie in einem Treibhaus gedieh. Es war eine tolle Atmosphäre, Menschen tauschten andauerd Ideen aus. Es waren nicht viele, hundert, allerhöchstens zweihundert Menschen, aber die Ideen entwickelten sich prächtig. Dazu kam noch, daß wir relativ isoliert waren.
Die ganzen Medien waren in New York oder in Los Angeles. Niemand dort hatte etwas davon mitbekommen, was in Cleveland passierte und den Menschen in Cleveland waren wir auch egal. Wir hatten schon sehr früh die Einstellung, daß uns sowieso niemand mögen würde und es sowieso keinen Ort geben würde, wo wir spielen könnten und uns sowieso alle für Idioten halten werden. Ergo machten wir, was wir wollten! Es gab von unserer Seite auch keine Wünsche in den Rock-Clubs zu spielen, wo all die anderen Rock-Bands spielten, denn die wollten uns sowieso nicht. Dieser Status gab uns ungeheuere Freiheit. Dadurch entwickelten wir uns auch sehr schnell.
Als Devo ’78 nach Kalifornien gingen und ihren Major-Deal bekamen, wurden sie von der Öffentlichkeit und den Medien sofort als New Wave eingestuft. Auch ihr habt dieses Etikett aufgeklebt bekommen. Hat euch das je gestört?
Thomas: Devo haben diese Community dann verlassen. Devo wollten auch immer erfolgreich sein, das war der große Unterschied zwischen uns und Devo. Wir erhofften uns nichts, uns war es egal. Wegen der Klassifizierung…äh.. Pere Ubu gab es ab 1975, die Bands, die zu Pere Ubu führten, natürlich schon davor, aber zwischen 75 und 78 haben wir einige Singles in Eigenregie veröffentlicht. Die brachten uns etwas Bkanntheit, nur wir neigten nie dazu, uns in irgendeiner Weise zu promoten. Du mußt versuchen zu verstehen, wie unsere Gehirne damals gepolt waren.
Vor 1975 waren wir überzeugt, daß niemand uns mögen würde und daß das auch so bleiben würde. Devo war etwas ganz anderes! Sie wußten, daß sie erfolgreich sein würden. Sie haben auch wissentlich ihren Sound verändert, um noch erfolgreicher zu werden. Das ist ok, und sie haben es sehr gut gemacht. Wir waren…..äh…einfach dümmer. Wenn du aber überzeugt bist, daß dich niemand mag, dann ist dir das auch nicht wichtig und dann wird es auch nicht aufeinmal wichtig. Wir hatten im Grunde genommen schon immer eine negative Einstellung. Uns ist einfach alles Kommerzielle egal.
Fühlt ihr euch denn zumindestens geschmeichelt, wenn andere Bands, wie z.B. Tar, euere Songs covern?
Thomas: Nein…Wenn der Song erfolgreich ist und wir so Geld bekommen, sind wir erfreut..Ha, Ha, Ha.. Es ist mir wirklich egal.. oder besser gesagt… es ist nett, aber was bringt es mir?
Aber es ist doch so etwas ähnliches wie ein Schulterklopfen, der Beweis, daß jemand einen Song so gut findet, daß er ihn nachspielen muß.
Thomas: Naja..ist mir egal..obwohl, ok, es ist nett! (lacht)
Wie kommt es, daß nach mehreren, eher poplastigen Platten, die neue CD wieder teilweise krachig und teilweise ambient klingt?
Thomas: Es hat alles mit der Methode zu tun, wie die Platte gemacht wurde. Pere Ubu ist nicht so sehr eine Ansammlung von Individuen, sondern vielmehr eine Methode. Es hat nichts von Dogmen oder Doktrinen oder vorgeschriebenen Formeln. Es ist eine bestimmte Methode der Arbeit. Zu einer bestimmten Zeit war Polygram bereit, uns sehr viel Geld zu geben und uns in eine Situation zu schicken, zu der wir vorher nie Zugang hatten und auch nie wieder haben werden. Ich meine 48-Track Digitalstudios, massig Zeit, teure Produzenten etc..
Wir sagten uns, ok, das ist interessant. Was passiert, wenn du Pere Ubu in so eine Situation schickst? Genau das haben sie dann bekommen. Die Songs waren dieselben. Wir haben auch schnell entdeckt, naja schnell stimmt auch nicht, wir brauchten ein paar Jahre…wir merkten, daß wir nicht geschaffen waren für so eine Umgebung. Wir mögen es, schnell zu arbeiten. Nicht richtig schlampig, aber doch etwas schlampig. Ich hatte die Idee, wie Pere Ubu produziert werden sollte. Ich sprach also mit der Band darüber, daß ich produzieren wollte und hoffte, daß sie einverstanden sein würden. Deswegen klingt die neue CD so wie sie klingt, denn diese CD haben wir sehr schnell gemacht und so, wie wir es am natürlichsten empfanden. Die anderen waren also keine Experimente in Sachen Popmusik, sondern nur das, was passierte.
Ich habe mich gefragt, warum auf „Ray Gun Suitcase“ eine Brian Wilson Coverversion ist. Gibt es da eine besondere Bewandtnis, kennst du ihn eventuell?
Thomas: Nein. Wir haben aber schon auf unserer dritten Single Brian Wilson gehuldigt. Diese Huldigungen tauchen seitdem regelmässig in unseren Songs auf. Manchmal sind sie sehr vernebelt oder verschlüsselt, ich würde aber sagen, daß in allen unseren Alben etwas ist, was in die Richtung Brian Wilson zeigt. Ich denke, daß Brian Wilson und Don Van Fleet wahrscheinlich die einzigen beiden wirklich wichtigen Rockmusiker der letzten 30 oder 40 Jahre sind.
Ich denke, die Geschichte dieser beiden Menschen zu verstehen, ihre Kämpfe, das zu tun, was sie taten, ihre Vision, ihre Geschichte, ist entscheidend, um Rockmusik zu verstehen und Rockmusik als Kunstform zu verstehen, den Druck, die Spannung und Dynamik von Rockmusikern zu verstehen, die Rockmusik als Kunstform verfolgen als entgegengesetzt zu Modeerscheinung oder wasauchimmer. Die meisten Leute würden sehr schnell Don Van Fleet/Captain Beefheart als so eine wichtige Person ansehen, aber weit weniger Brian Wilson, deswegen unterstützen wir ihn oder seine Seite.
Wie würdest du euer Publikum beschreiben. Bist du sauer, wenn Teile davon nur zum Konzert kommen, um eure alten Nummern zu hören?
Thomas: Nein, ist mir egal…ich habe keine…. Pere Ubu ist alles, was wir je gemacht haben. Das beinhaltet alle eigenartigen Kunstplatten, alle harten Rockalben, alles. CREAM-Magazine hat irgendwann in den 70ern „30 Seconds Over Tokyo“ als einen der „Top-10 Heavy Metal Songs Of All Time“ gekürt. (lacht) Wir waren sehr stolz darauf. Wir haben es ausgeschnitten und herumgezeigt.
Also wir sind alles, was wir je gemacht haben. Wir sind natürlich entzückt, wenn jemand alles über die Zeit akzeptiert hat. In den Staaten sieht es im Moment so aus, daß unser Publikum alt und jung ist. Wie ein Donut, mit einem großen Loch in der Mitte. Die späten 20er fehlen. Irgendwie haben wir die verfehlt. In Europa kann es anders sein, ich weiß nicht.
Es soll eine LP von einer Pere Ubu-Vorläuferformation geben, der auch eine Single beilag, auf der die Urversion von „Final Solution“ drauf ist….
Thomas: Sicher.. Das heißt, die Band vor Pere Ubu hieß Rocket From The Tombs, und es gibt einige Bootlegs, die von anderen gemacht wurden. „Final Solution“ und „30 Seconds Over Tokyo“ waren ursprünglich Rocket From The Tombs-Songs wie auch fast das ganze erste Dead Boys-Album. Es war eine sehr harte Metal-Band. Henry Rollins ist ein großer Fan. Wir waren stark beeinflußt von den MC 5 und den Stooges zu ihrer „Search and Destroy“-Phase.
Werden diese Aufnahmen irgendwann wiederveröffentlicht?
Thomas: Es gab nicht sehr viele Bänder. Bis auf ein Band wurden alle schon als Bootleg veröffentlicht. Eigentlich sind es sowieso nur zwei, plus dem, das wir noch haben. Ich bin mir auch nicht sicher, ob es Sinn macht, sie zu veröffentlichen. Es gibt schon die Bootlegs.
Ich habe gehört, daß alle eure alten Singles auf Tim Kerr Records wiederveröffentlicht werden sollen…
Thomas: Ja, das stimmt.
Wie kommt ein Label, das ja meist eher Sachen aus der Punk/Hardcore Ecke macht zu euch? Haben die euch einfach gefragt, ob sie die Singles….
Thomas: Das neue Album ist in Amerika auch auf Tim Kerr herausgekommen. Der Besitzer ist seit Jahren ein Fan und das Label ist ein neuer, sehr guter, schnell wachsender Indie. Für uns sah es wie eine gute Idee aus, es mit ihnen zu probieren. Außerdem wird Geffen nächstes Jahr ein Box-Set mit den Aufnahmen der ersten 7 Jahre von Pere Ubu und sogar ein bißchen Rocket From The Tombs herausbringen. Es wird eine Box mit fünf CDs sein. Drei CDs mit allem, was wir von 75 bis 82 aufgenommen haben, eine CD wird Live-Aufnahmen enthalten und eine CD wird Cleveland-Raritäten wie Rocket From The Tombs, Electric Eels, Mirrors, meine frühen Solosachen und noch einiges mehr beinhalten.
Wie fühlst du dich, seit über 20 Jahren im Prozeß zu sein… Musik zu erschaffen.
Thomas: Ich weiß nicht. Ich habe nie aufgehört …habe nie darüber nachgedacht…..die Jahre wurden immer mehr. Ich habe Spaß an dem, was ich tue. Ich denke, daß wir Musik machen, die einen gewissen Grad an Qualität besitzt, auch einen gewissen Grad an Kontinuität. Es befriedigt uns künstlerisch und trägt unsere Familien finanziell bis zu dem Punkt, mit dem wir zufrieden sind. Die meisten von uns machen neben der Band noch andere Sachen um zu überleben. Niemand hat Pablo Picasso jemals gefragt, warum er immer weiter malte.
Ja, aber Rock’n’Roll wird immer mit Jugend assoziiert.
Thomas: Das ist nur, was Madison Avenue und das Corporate Big Business uns weis machen will. Nur weil das manche Menschen glauben, muß ich das noch lange nicht. Als ich jung war, als ich heranwuchs Anfang der 70er, gab es dieses spezielle „Fenster der Generationen“. Ich meine die Menschen, die damals 18 Jahre alt wurden, also zu dem Zeitpunkt, wo sie etwas tun wollten.
Wir hatten alle verstanden, daß Rockmusik eine ernsthafte Kunstform war, weil wir es gesehen hatten. Wenn du an diese Zeit zurückdenkst, wir hatten Rock aufwachsen sehen… von den Kindertagen über die 50er und 60er bis hin zu Sachen wie Can, frühe Roxy Music, Eno und noch vieles mehr. Es gab so ein weites Feld und es expandierte rapide. Und wir dachten uns, jetzt sind wir an der Reihe. Es sah für uns aus, als sollte es Kunst sein. In früheren Tagen waren junge Männer zur Dichtung übergegangen oder hatten mit Bildhauerei angefangen, wurden Romanciers, all das war die Kunstform der jeweiligen Stunde. In den 50ern war es wahrscheinlich Jazz oder Malerei.
Ich habe andere Ansichten als die meisten Menschen. Eine dieser Ansichten ist, daß Punkrock im Grunde genommen eine sehr konservative Bewegung war. Punkrock ist eins! Alles ist Punkrock! Der Präsident der Vereinigten Staaten ist ein Punk! Jeder ist ein Punk, alle im Fernsehen sind Punk. Punk war der Sieg von Verhalten über Substanz. Es war der Sieg von Erscheinung und Mode. Das hat Malcom McLaren schon damals gesagt, wir auch, nur uns hat niemand geglaubt und ihm natürlich auch nicht. Alle dachten, er sei nur clever. Attitude war alles. Wie verkauft man ein Auto? Man setzt ein Mädchen auf die Haube!! Die amerikanische Kultur heute ist nur noch ein Attitude-Supermarkt. Du adaptierst diese Verhaltensmuster wie in Jeans-Werbung…Benetton…untereinander tauscht man dann Verhaltensgutscheine… Das ist alles, was Punk uns gebracht hat.
Damit stimme ich, was die Sex Pistols betrifft, zum Teil überein, nur war Punk noch viel mehr! Der DIY-Gedanken zum Beispiel, jeder kann auf einer Bühne das machen…..
Thomas: Ja, ja, genau das ist die Schwäche!! Das ist im Kern die Hauptschwäche des Punk. Weil….es geht nicht. Selbstdarstellung sollte nur von Professionellen gemacht werden. Normale Menschen schrumpfen vor Angst zusammen. Nur echte Professionelle können die Demütigung, die totale Peinlichkeit, die öffentliche Bestrafung ertragen, die mit der Selbstdarstellung einhergehen. Auf der Bühne machst du dich zum Idioten vor vielleicht 1000 Menschen, fährst fort, um es am nächsten Tag nochmal zu tun.
Vielleicht machst du dich an diesem Tag nicht zum Idioten, nur regelmäßig machst du einen absoluten Volltrottel aus dir. Normale Menschen können das nicht ertragen. Ich weiß das, weil ich sie gesehen habe. Es gibt nämlich echte Unterschiede. Musiker fehlt es im Grunde an Phantasie, sie sind blöde und stur und eigentlich kaum zu etwas zu gebrauchen. Das macht sie zu Professionellen, denn sie können die Schmach ertragen. Diese Vorstellung, daß jeder kreativ sei, das haben wir jetzt auch in Amerika und in England. Alle Welt glaubt, sie sei kreativ. Das Internet ist auch so etwas! Das Internet ist das perfekte Beispiel, wie so etwas Berserk geht. Was haben wir hier? Theoretisch eine wunderbare Idee, die von Leuten vollgestopft wird mit weinerlichen Klagen. Die Anschlüsse der Band werden vollgefüllt mit Meinungen, unschlüssigen, unkritischen Meinungen und jeder glaubt, er wisse es besser als alle anderen. Das ist das Problem heute….
Ja, aber ihr habt im Booklet der neuen CD selbst 7 Internet-Anschlüsse angegeben. Ihr seid doch dann Teil des Problems…
Thomas: (Freut sich sehr) Ja, ha ha … Ganz klar verallgemeinere ich hier sehr viel, aber ich finde was ich sage, hat durchaus Sinn.
Das Trust hat auch eine Internet-Seite und da das Medium sehr visuell ist, haben wir hier eine Art Fragebogen auf dem auch Platz für Zeichnungen etc. ist. Ich weiß nicht, ob du dazu Lust hast…
Thomas: Die Sache mit der Visualität ist aber schon wieder eine große Schwäche. Visuelle Information ist schwach! Visuelle Information ist täuschend! Nur das Wort hat ein Fundament. Das Internet wurde für das Wort gemacht, um harte Information zu bekommen. Nun wird es mit Mist angefüllt. Ein Problem, das ich habe, warum ich auch Websides nicht ausstehen kann, ist, daß sie immer diese Graphiken beinhalten, die eine Ewigkeit brauchen, um sich aufzubauen. Danach denke ich mir immer, dafür habe ich jetzt so lange gewartet?
Wir haben auch irgendwo eine Webside, dort sind die Graphiken aber unter Kontrolle. Ich programmiere sehr viel. Es wird bald eine CD-Plus geben mit einer Menge Computer-Informations-Movies, die ich programmiert und bei denen ich die Regie gemacht habe. Ich bin also schon für Multimedia, wobei auch hier schon wieder die Schwäche darin liegt, daß Multimedia auf visueller Information basiert. Visuelle Information ist Müll! Musik ist im Moment unbestreitbar die überragende Kunstform, weil sie als Kunstform weiter geht als das Wort. Musik ist in vielerlei Hinsicht die originale Multimedia. Man verbindet konkreten Ton, Dichtung, Bilder, pure Emotion, Intellekt, Kraft und noch massig mehr. Wenn du jetzt aber diese wunderbare Sache, die nur im Abstrakten existiert, mit plumper, billiger Graphik und Videos vermischt, erniedrigst du die reine Kunst. Das eine ist Kunst, das andere Kitsch.
(Fängt an, den Fragebogen durchzuschauen.)
Ich weiß auch nicht, was man dagegen tun soll…. Mein Alter, das wird Leute erst mal abschrecken, dann wollen sie gleich nichts mehr mit uns zu tun haben…. Wie alt bin ich??? Aja, 43! Es gibt nichts, was ich sagen könnte, das die Leute überzeugen würde, Pere Ubu anzuhören. Pere Ubu ist anders als alles, was sie sonst sehen werden. Sie werden es vielleicht nicht mögen, es ist nicht so, daß wir soo toll sind. Es ist nur anders als alles andere. Wie kannst du das jemandem sagen und erwarten, daß er dir glaubt.
Jetzt aber mal angenommen du lernst morgen jemanden kennen, sagst der Person, daß du Musiker bist…..
Thomas: Ich versuche meistens zu verheimlichen, daß ich das bin. Wenn mich jemand fragt, was ich tue, sage ich, daß ich schreibe oder Computer programmiere. Ich gebe sehr selten zu, daß ich Musik mache, aber was wolltest du fragen?
Angenommen die Person, die du getroffen hast, ist dir sympathisch und sie fragt dich, was für Musik du machst. Könntest du antworten?
Thomas: Nein, ich würde sagen, es sei eine Rock-Band. Wenn du dir die Geschichte der Rochmusik ansiehst, natürlich aus meinem Blickwinkel, der nicht zwingend deiner sein muß, sind Pere Ubu ganz klar Mainstream. So haben wir uns damals gefühlt, als wir anfingen. Wir haben uns für den Mainstream gehalten und Bands wie Yes, und wie sie auch immer alle hießen, waren vom Kurs abgekommen.
Die waren irgendwo an der Seite. Wir konnten es klar sehen, daß wenn man eine Linie von Elvis Presley über Brian Wilson oder Captain Beefheart weiter ziehen würde, träfe sie genau Pere Ubu. Es wäre eine gerade Linie zu uns, Devo, den Mirrors, Television oder Patti Smith. All diese Bands waren direkte Nachkommen. Wir sind Traditionalisten, wir bewahren die feine Tradition der Rockmusik.
Dann müßte es dich doch verrückt machen, daß eure Platten immer in der Avantgarde-Sektion stehen?
Thomas: Nein, das ist ok, du mußt verstehen, daß ich nicht bezahlt werde, um Sachen zu kategorisieren. Ich mache die Musik, es ist nicht mein Job zu sagen, was es ist.
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Interview: Al Schulha & Daniel Röhnert
Fotos: Daniel Röhnert
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