Oktober 9th, 2017

PASCOW (#151, 12-2011)

Posted in interview by Jan

PASCOW: Alles muss kaputt sein!

Die Band aus Gimbweiler, Saarland gibt es schon seit 13 Jahren und hat Ende 2010 ihr viertes Album veröffentlicht. Sie spielen klasse Punkrock mit klugen deutschsprachigen Texten (und da schreibe ich bewusst nicht Deutschpunk). Auch mit dem neuen Album, Alles muss kaputt sein, das bei Rookie erschien, beweisen die vier, dass sie zu Recht zum Besten gehören, was Punkrock hier zu bieten hat. Dazu kommt, dass die Band Live eine sichere Bank ist und einfach gefallen muss. Dass ich die Band erst spät schätzen lernte wird im Interview noch gesagt werden.

 

Hallo! Gibt es ein bestimmtes Thema über das ihr gerne mal sprechen möchtet? Dann befassen wir uns damit ein wenig.

Ollo: Wir könnten ja mal über das leckere Essen reden, das einige Konzertveranstalter zaubern…

Das fasse ich als Lob für die Kochkünste im Exhaus, Trier, auf!

Ollo: Das kannst du auch gerne!

Alex: Ich finde es immer interessant über gute Bands zu sprechen, die kaum einer kennt. Fast jeder hat ja so seine geheimen Schätze im Plattenschrank und das halte ich für ein gutes Thema. Das Gleiche gilt natürlich auf für Filme, Bücher und Internetseiten. Ich meine hey, deswegen kauft man sich doch Fanzines. Neue interessante Sachen kennen lernen, von denen Amazon keine Ahnung hat.

Das sehe ich genauso. Zu den Bands kommen wir später ohnehin noch. Was sollte ich mir denn (derzeit) ansehen, anhören, durchlesen?

Alex: Eine Internetseite, die ich mir regelmäßig anschaue ist www.adbusters.org. Die Seite beschäftigt sich mit Umdeutung und Umgestaltung von Werbung (adbusting), sozialen Themen und Weltpolitik. Das Ganze ist sehr unterhaltsam und informativ gestaltet. Man merkt, dass die Leute dort wissen was sie machen. Außerdem bekommt man dort Tipps, Anleitungen und Materialien für eigene Aktionen, die teilweise auch sehr unterhaltsam und wirkungsvoll sein können. Zum Thema Lesen: Ich lese derzeit „Die Gonzo-Generation“ von Hunter S.Thompson und schon nach wenigen Seiten wurde mir wieder klar, warum ich diesen Typen so mag. Einfach großartig und ebenfalls unterhaltsam, kurzweilig und doch so weit weg vom Mainstream. Schade, dass es nicht so viele Sachen von ihm in deutscher Übersetzung gibt. Mein Englisch ist leider zu schwach für die Originalausgaben.

Ollo: Lesen, falls noch nicht geschehen: DER FLIEGENFÄNGER, ist schon was älter, aber durch seinen Bezug zu Morrisey Songs fast Zeitlos. Hören: THE ESTRANGED mag ich derzeit besonders gerne. Anschauen: ???

Mit dem neuen Album gab es offensichtlich einige überraschende Reaktionen – mich eingeschlossen – und viele stellten fest, dass Pascow eine großartige Band sind. Wie kann es sein, dass das nicht schon früher passiert ist? Ich habe da meine eigenen Überlegugen zu. Aber wie erklärt ihr euch das?

Ollo: Tja die Frage müsstest du ja besser beantworten können als wir. Wir haben ja nicht so viel verändert. Vielleicht haben sich manche durch das Etikett PLASTIC BOMB „abschrecken“ lassen und alles, was von dem Label kommt, als uffta uffta Prollpunkband abgestempelt. Was allerdings ein wenig ignorant wäre, da Plastic Bomb die Heimat einiger verdammt guter Bands ist und war, nicht nur, wenn es um guten klassischen Deutschpunk geht, siehe Trend, Raketenhund, etc.

Swen: Keine Ahnung, warum das nicht schon früher bzw. überhaupt passiert ist. Wir haben wie bei jeder anderen Platte versucht das Optimum zu erreichen. Natürlich haben wir mittlerweile viel mehr Erfahrung und ziemlich konkrete Vorstellungen wie wir unsere musikalischen Ideen bestmöglich umsetzen. Ich finde, dass das Umsetzen unserer Vision von Platte zu Platte immer etwas besser gelungen ist. Aber eine Erklärung für das derzeitige Interesse an der Band habe ich auch nicht.

Alex: Eine wirkliche Erklärung habe ich dafür auch nicht. Und es fällt mir schwer zu glauben, dass es nur an den neuen Namen auf der Verpackung liegt. Sicher gibt es einige Leute, bei denen die Namen Kurt Ebelhäuser oder Rookie Records Interesse wecken, das heißt aber noch lange nicht, dass sie die Platte dann auch gut finden. Ich sage es immer wieder gerne. Bei genauerer Betrachtung ist deutschsprachiger Punkrock viel besser als sein Ruf und hin und wieder wird eine Band, warum auch immer, plötzlich außerhalb dieses Deutschpunkuniversums wahrgenommen. Vielleicht ist das jetzt gerade bei uns so. Aber wie sind denn deine Überlegungen dazu?

Ich bin mir nicht sicher, woran es liegt. Ihr habt ja alle drei verschiedene Möglichkeiten genannt, was Gründe sein könnten. Möglicherweise ist es wohl wirklich eine Mischung aus mehreren Gründen. Dass der Name Plastic Bomb abschrecken könnte, kann ich mir eigentlich für eure Musik nicht so recht vorstellen. Dass sich musikalisch nicht so viel geändert hat stimmt wohl, und so müssten Leute das ja erst einmal gehört haben, um dann zu sagen: „Ist nicht mein Ding.“ Mit der neuen Scheibe hätte sich das dann auch nicht geändert. Dass neue Namen Interesse bei weiteren potentiellen Hörern wecken, das kann ich mir schon vorstellen. Aber beim alten oder bei den neuen Namen kann ich mir jedenfalls keine abschreckende Wirkung vorstellen. Bei mir liegt es sicherlich daran, dass ich aus verschiedenen Gründen nie richtig hingehört habe – weder live noch auf Platte oder CD. Aber ich habe pascow auch nie auf Albumlänge gehört und so die Gelegenheit verpasst, da früher einzusteigen. Das kann aber kaum bei vielen anderen der Grund sein…obwohl, aus dem Freundeskreis höre ich da tatsächlich SEHR ähnliche Geschichten…

Ollo: Was hast du denn für Freunde??

Ha! Warum seid ihr von Plastic Bomb auf Rookie gewechselt?

Ollo: Wir haben gemerkt, dass wir an einem Punkt waren, an dem wir eine Änderung gebraucht haben. Es ging darum, einfach mal was anderes zu sehen, sich zu entwickeln. Das Kribbeln im Bauch war wieder stärker und wir haben uns in den letzten Monaten so intensiv, wie schon lange nicht mehr, mit der Band auseinandergesetzt.

Swen: Zu Jürgen von Rookie zu wechseln war ein Schritt in die richtige Richtung. Es macht einfach Spass neue Wege zu beschreiten. Das hält die Sache spannend.

Alex: Bei Plastic Bomb war jederzeit alles in Ordnung. Sie haben uns sehr geholfen und keine Ahnung wo wir jetzt wären, hätten sie nicht unsere Platten gemacht. Sie waren die ersten, die bereit waren, etwas in die Band zu investieren und sie haben an die Sache geglaubt. Wir haben auch lange darüber geredet, ob wir die Platte wieder mit ihnen zusammen machen sollten und der einzige Grund es nicht zu tun, war der Wunsch nach Veränderung. Wir wollten was Neues ausprobieren und sehen, wie es ist mit anderen zusammen zu arbeiten. Wir machen den Kram ja auch schon mehr als 10 Jahre lang und dieses Mal sollte einfach mal frischer Wind in den Ablauf kommen. Neues Studio, neues Label, neue Erfahrungen.

Verstehe. Und nun ist das Album seit einigen Wochen zu haben. Auf der Release Show haben schätzungsweise ein Drittel der 450 Besucher eure neuen Songs schon mitgröhlen können. Hat euch das nicht verblüfft? Zuletzt habe ich das bei Leatherface beobachtet, wo das noch extremer war. Das zeigt mir wieder, wie schnell sich die Musik heute durch Kopien über das Internet verteilen kann.

Ollo: Na, das war schon sehr verblüffend. Da hat das Web 2.0 schon einen großen Anteil dran und bietet Bands schon eine gute Gelegenheit die Musik für Interessenten zugänglich zu machen. Es freut einen natürlich, wenn sich die Zuhörer mit den Texten identifizieren können.

Swen: Wir hatten das auch schon bei Songs, die noch gar nicht veröffentlicht waren. D.h. Leute haben Songs mitgesungen, zu denen de facto noch nicht einmal ein fertiger Text existierte. Aber es freut und verblüfft mich immer wieder, dass wir solch ein Feedback erhalten. Danke dafür!

Alex: Wir selbst waren auch gespannt, ab wann es das Album in Netz zum saugen geben würde. Und soweit wir es wissen, gab es das Album dann recht pünktlich zum Release auch im Netz, also nicht schon 6 Wochen vorher, worüber ich erstmal froh bin. Ich finde es nämlich schade, wenn sich eine Platte schon lange vor Veröffentlichung im Netz verbreitet. Vor allem, wenn man sich auf eine Platte freut, diese dann 2 Monate vor Veröffentlichung schon in mieser Qualität zu hören bekommt, womöglich das Cover noch nicht kennt und von den Texten ganz zu schweigen. Ich meine, ein Band gibt sich Mühe mit dem Sound, den Texten und dem Cover und dann gibt es Monate vor Veröffentlichung die Platte in schlechtem Sound, ohne Textheft und Cover im Internet. Das ist dann schade, für die Band und die Zuhörer. Und ich spreche hier nicht von irgendwelchen Urheberrechten etc. Ich bin der naiven Meinung, dass sich diejenigen, die Platten ins Internet stellen auch ein wenig Mühe dabei geben sollten.

Und wie kamt ihr auf den Titel des neuen Albums „Alles muss kaputt sein“? Auf der Platte steht geschrieben, es sei auch „genauso gemeint“.

Ollo: Als wir im Studio waren haben wir uns fast jeden Abend Gedanken über den möglichen Titel der Platte gemacht und es kamen ein paar wirklich abstruse Ideen zusammen. ALLES MUSS KAPUTT SEIN! hat einfach bei jedem von uns gezündet. Es ist natürlich provokant und trotzdem lässt es Raum für Spekulationen.

Alex: „Alles muss kaputt sein“ ist eine Erkenntnis, welche die Sache ganz vereinfacht auf den Punkt bringt. Manchmal braucht es nicht viel um alles zu sagen.

Was sagt ihr zum Thema „Punker-Nachwuchs“? Im Saarland scheint mir die Situation etwas besser zu sein aber in Trier halten wir das hier für eine schwierige Sache. Als Konzertgänger und –veranstalter sehen wir, wieviel Jugend zu den Konzerten kommt (euer Konzert war da eine Ausnahme – allerdings auch ganz klar stark aus dem Saarland besucht!), wir finden selten Bands, die wir als Support spielen lassen können und oft ist der Altersdurchschnitt eher Ü-25… Das gibt zu denken.

Alex: Im Saarland scheint es in der Tat etwas mehr Interesse bei den jungen Leuten zu geben. Es gibt recht viele Bands und es gibt viele Leute, die sich für alternative Musik im weitesten Sinn interessieren. Im Gegensatz zu früher gibt es heute allerdings unheimlich viele „Subgenres“, so dass die Punk- oder Hardcoreszene wieder stark unterteilt und individualisiert ist. Es gibt dann ein paar Bands, auf die sich viele einigen können, aber allein der Begriff „Punkrock“ zieht heute lange nicht mehr alle Leute an, die mit dem Thema was anfangen können. Dies ist aber nicht nur in unserer Szene so. Einerseits ist es ein Luxus unter tausenden Bands und Haltungen wählen zu können, andererseits wird die Wahrscheinlichkeit einer Bewegung geringer. Beides hat seine Vor- und Nachteile. Davon abgesehen glaube ich aber schon, dass die Inhalte der Szene auch für junge Leute interessant sind und in manchen Städten merkt man das auch. Ich denke es wird nicht mehr wie früher und das ist gut so…aber es wird auf jeden Fall weitergehen.

Wie verhält es sich mit eurem Label, Kidnap Music? Wurde da auch eher weniger Veröffentlicht, weil es eben an entsprechenden (Nachwuchs-) Bands fehlt(e) oder war das schon bewusst so gehalten? Neben der eigenen Platte gibt es ja dort nun die neue Band Prinzessin Halts Maul!

Alex: Kidnap Music ist aus der Not heraus entstanden. Niemand wollte die erste Pascow Platte machen, also haben wir es selbst gemacht. Von da an helfen wir ab und an eine Platte zu veröffentlichen. Das Ganze ist aber eher eine familiäre Geschichte und wir veröffentlichen bewusst wenige Platten. Vor allem auch, da wir viel zu wenig Zeit und Geld für eine ordentliche Promo haben. Wir können einer Band nicht allzu viel versprechen und manch einer Band haben wir schon abgesagt, weil wir der Meinung waren, dass sie mit einem anderen Label mehr erreichen können. Wir können manchmal Starthilfe geben, sind und bleiben aber ein sehr kleines Label mit chaotischen Strukturen.

Welche Platten – abgesehen von der neuen Pascow – muss ich mir momentan unbedingt mal anhören?

Ollo: Ich hab mich in der letzten Zeit eher mit älterem Zeug eingedeckt. Meine letzte aktuelle Platte war die BAD RELIGION – DISSENT OF MAN, wieder ein gelungenes Werk. Ein paar Freunde feiern die neue LES SAVY FAV ganz schön ab, muss ich mir mal anhören.

Swen: Ich muss gestehen, dass ich etwas faul geworden bin was das entdecken von neuen Bands angeht. Aber der Band „Freiburg“ mit ihrer Platte „High Five Zukunft“ sollte man eine Chance geben. Aus denen kann was werden.

Alex: Ich halte Jay Reatard für einen verdammt guten Songwriter, den ich erst vor kurzem entdeckt habe. Außerdem finde ich die Doppel LP „Single File“ von M.O.T.O. richtig gut. Überhaupt finde ich einfache Songs mit minimalistischem Sound im Moment großartig. Ramones 2.0 sozusagen. Ach ja, die „The Evil One“ von Roky Erickson geht auch immer. Und die „Goldenen Zitronen“, egal welche Phase.

Und was ist mit der aktuellen Roky Erickson Platte?

Alex: Du meinst Roky Erickson mit Okkervil River? Ich habe sie erst einmal gehört und das auch nur nebenher. Von daher mag ich noch gar nichts darüber sagen. Ich finde es auf jeden Fall schön, dass er wieder was veröffentlicht hat. Roky Erickson hat ein paar unsterbliche Hits geschrieben und zählt trotzdem zu den tragischsten Figuren im Rock´n´Roll Zirkus. Ich hoffe, dass ich „you´re gonna miss me“, den Film über sein Leben, mal zu sehen bekomme.

Danke!

Bandseite: www.pascow.de

Interview: Andreas Lehnertz

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