Dezember 31st, 2021

NOBELSCHROTT (#207, 2021)

Posted in interview by Thorsten

Die Musik von Nobelschrott aus Berlin lässt sich am einfachsten als direkten Punkrock beschreiben, sehr roh und rumpelig, fast etwas dilettantisch, und das ist ein ganz wichtiger Aspekt in diesem Zusammenhang, ist keineswegs negativ gemeint, im Gegenteil, denn genau dieser Umstand ist es, der einen Großteil des Charmes der Band ausmacht und sie so unbekümmert und sympathisch erscheinen lässt. Kaum ein Nobelschrottsong überschreitet drei Minuten und lebt von einem Humor, der so vielleicht nur in Berlin entstehen kann, weil er sich häufig selber auf die Schippe nimmt oder eben auch über sich selber lachen kann.

Berliner Schnauze mögen manche dazu sagen, was häufig eine nette Umschreibung für Unfreundlichkeit ist. Im Fall von Nobelschrott aber eben nicht. Die Band wirkt wie das personifizierte Gegenteil von Unfreundlichkeit. Und dagegen sein ist im Punkrock grundsätzlich nicht das schlechteste Attribut. Über die Stadt Berlin selber gibt es dann in guter Tradition auf dem Album Forever Vorband auch gleich einen Song, denn dort gehören sie hin, wie es in dem Text heißt. Was irgendwie sehr schade ist, denn leider haben es Nobelschrott bisher kaum aus Berlin und Brandenburg herausgeschafft, sodass die, so wurde es mir erzählt, hervorragenden Livequalitäten des Trios mit einem größeren Publikum geteilt werden kann. Zumindest für die hiesigen Bühnen gilt die Aussage. Das europäische Ausland, insbesondere Großbritannien hatte bisher mehr Glück, was der Band hochangerechnet werden muss. Im nicht gerade an Popkulturmangel leidenden England, sich mit deutschsprachigen Texten durchzusetzen, unterstreicht das Talent von Nobelschrott. Doch genug der Einleitung, soll die Band für sich selbst sprechen:

Hallo, sagt doch bitte mal, wer ihr aktuell seid. Im Internet schwirren verschiedene Videos und Bilder rum, immer mit einer anderen Bandbesetzung.

Wir sind seit 5 Jahren zu dritt. Das sind die beiden Gründungsmitglieder Jäin an den Drums und Jenny Dalang Gesang (Gesang ist hier ein großes Wort) und Gitarre.
Und unsere Bassistin macht seit 5 Jahren unsere Lady-combo komplett. Sie übernimmt dank neumodischer Spielereien auch die zu hörenden Gitarrensolos weitgehend.

Abgesehen von den eben erwähnten Videos gibt es wenig Informationen über euch im Netz, meistens handelt es sich um längst vergangene Konzertankündigungen. Wie kommt das?

Dafür gibt es einen sehr plausiblen Grund: Wir sind faul. Wir sind faul wie sonst was. Wir spielen Konzerte meistens nur auf Anfrage und haben sehr viel Glück, dass dies bisher so gut klappt. Natürlich sind auch wir gerade durch die weltweite Pandemie in einem Auftrittsloch. Dadurch besteht die Chance, dass wir nun doch mal nen Arsch hochbekommen und unsere Website aktualisieren.

Euer Album heiß „Forever Vorband“ – Welche Gruppe würdet Ihr gerne einmal supporten und umgekehrt, welche Band wäre für Euch die ideale Vorband?

Das ist schwierig, da wir ja die Vorband sein wollen. Aber wenn wir uns wen aussuchen dürften, würden wir wahrscheinlich Christian Steiffen (Anm. d. Verf. www.christiansteiffen.de) nehmen, denn er versteht uns und es ist immer schön, wenn er da ist.

Ich habe festgestellt, das Album is von 2017, also schon ein paar Tage älter, ist ein neues Album geplant bei Euch?

Ja wir hoffen, dass wir 2021 genug neue Songs zusammen haben, dass wir ein neues Album aufnehmen können. Vier Songs stehen schon. Man darf gespannt sein. Auch auf musikalische Experimente. Ich sag nur: Gangsterrap!!!! Hahaha….

Wie seht Ihr die Situation in Berlin (wenn Corona mal vorbei ist) Gibt es (dann) noch Orte, in denen Deutschpunkonzerte stattfinden können? Ihr habt ja auch schon zweimal bei der Konzertreihe „Vergessene Arbeitskämpfe“ im Roten Salon der Volksbühne gespielt, die ja auch zum Ziel hat, Punkrock in Berlin sichtbarer zu machen.

Vielen Berliner Clubs ging es schon vor Corona nicht gerade blendend und so bedeutet die aktuelle Lage für viele eine große Existenzangst. Wir sind keine Hellseherinnen, denken aber, dass wir nach Corona eine andere Szene vorfinden werden. Dennoch ist der Zusammenhalt sehr groß und die Szene hält zusammen und versucht sich gegenseitig zu unterstützen.

Ich habe öfter das Gefühl, Bands aus Berlin kommen seltener aus der Stadt raus. Habt/hattet Ihr konkrete Tourpläne? Es gibt ja auch ein längeres Video zu einer UK Tour – wie kam es denn dazu und wie war das als deutschsprachige Band in England zu spielen?

Dein Gefühl trügt nicht. Auch wir spielen seltener woanders als in Berlin. Dies resultiert evtl. auch durch die vorher erwähnte Faulheit. In Berlin spielten wir dann mit Charred Hearts aus England und es entstand eine langjährige Freundschaft, welche uns nach England brachte. Witzigerweise ist das Feedback in UK für uns deutlich positiver, als wir vor der ersten Tour dachten. Wir haben in den letzten 10 Jahren (uns gibt es jetzt seit 15 Jahren) mehrfach in England gespielt. Wir hatten die Ehre mit Peter and the Testtubebabies mehrfach auf kleine Tourneen zu gehen, unter anderem auch in Frankreich und der Schweiz. Auch in England singen wir auf Deutsch und es kommt erstaunlich gut an.

Es heißt, Ihr verkleidet Euch bei Konzerten. Als was denn und überhaupt, warum?

Die Frage warum ist eine Gute. Beim ersten Auftritt fanden wir es lustig und haben dann nicht mehr damit aufgehört. Wir machen Musik, um Leute aus ihrem Alltag rauszuholen. Wir sehen uns mehr als Entertainer statt als Musiker. Hinzukommt, dass Verkleidungen Spaß machen und uns in so manche lustige Situation gebracht haben. 3 Rauchende Nonnen mit Pilotenbrillen in einem kleinen alten Nissan Micra, in welchem laut Punkrock läuft, zieht zum Beispiel Blicke auf sich 🙂

Was genau ist eigentlich „Schönmösenpunk“?

Genauer ist es SchönmösenpunkROCK. So viel Zeit muss sein. Der Begriff ist auch schon fast 15 Jahre alt. Es beschreibt frauengemachten Punkrock, der vor allem von uns selbst als schön empfunden wird.

Läuft das für Euch unter „Funpunk“ oder würdet Ihr sagen, es gibt eine Art ernsten Unterboden in eurer Musik?

Ich glaube schon, dass wir in die Kategorie Spaß-Punk fallen. Dennoch entziehen wir uns nicht der Verantwortung, auch Linke Projekte wie „Rock für Links“ oder Soliplatten für Clubs und besetzte Häuser zu unterstützen.

Habt Ihr eine Erklärung, warum Weibliche (nicht Heteromännliche im Allgemeinen) Sexualität so selten im Punkrock vorkommt? Da sind ja selbst Radio-Mainstream-Acts manchmal weiter.

Vielleicht weil es mehr Männer als Frauen auf der Welt gibt? Vielleicht weil Frauen schwanger werden und Männer nicht? Vielleicht weil früher vielen Frauen ein eingeschränktes Weltbild vorgelebt wurde und sich so was nur langsam ändert? Oder vielleicht auch, weil vielen Frauen, welche sich selbstbewusst auf einer Bühne bewegen, viele sexistische und anzügliche Situationen begegnen, welche Männern nicht in gleicher Häufigkeit passieren. Wir kennen einige Frauenbands in Berlin und auf der Welt, würden uns aber auch über mehr weibliche Punkbands freuen.

Vielen Dank.

Das erwähnte Album Forever Vorband gibt es günstig auf Bandcamp zu kaufen oder umsonst als Stream. Die Webseite der Band hat ein paar Jahre kein Update mehr erhalten und falls es im Internet mal so etwas wie Retrochic geben sollte, hätten Nobelschrott gute Aussichten auf einen Award. Die Facebook Seite der Band wird aber aktiv betrieben. Einfach in den entsprechenden Suchmasken eingeben und auf dem Laufenden bleiben. Vielleicht klappt es ja mal mit einem Konzert in eurer Stadt.

Interview: Claas Reiners

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