Dezember 31st, 2021

REPTILIANS FROM ANDROMEDA (#207, 2021)

Posted in interview by Thorsten

Reptilians from Andromeda ist nicht etwa ein B-Horror-Movie. Es handelt sich um eine Garage Punk Band aus Istanbul. Ende November 2020 erschien ihr neuestes Album „Must be Destroyed!“ als Schallplatte auf dem türkischen Label ADA Müzik.
Für die Interview Reihe #PunkToo haben Sängerin Aybike Celik Özbey und Gitarrist Tolga Özbey Auskunft über Punk Rock und Sexismus in der türkischen Underground Szene gegeben. Und natürlich wurde auch über Musik gesprochen.

Hallo und vielen Dank, dass ihr euch Zeit für das Interview nehmt. Möchtet ihr euch den Lesenden des TRUST Zines kurz vorstellen?

Tolga: Wir sind Reptilians from Andromea, eine Garage Punk Band aus Istanbul. Wir haben im Jahr 2013 angefangen, als Band zusammenspielen und haben seitdem einiges an Musik veröffentlicht und haben unter anderem in Spanien, Griechenland, den Niederlanden, Belgien und Deutschland Konzerte gespielt. Unser neuestes Album „Must be destroyed!“ ist kürzlich als 12„ Vinyl veröffentlicht worden.

In der Reihe #PunkToo geht es vorrangig um Gender und Sexismus in der Punk Rock Kultur. Welche Erfahrungen habt ihr hier gemacht? Gab es Situationen, in denen ihr anders behandelt wurdet als rein männliche Bands?

Aybike: Zunächst ist da der klassische Satz „Für eine Frau bist du echt gut“, den ich selbst schon oft gehört habe, und über den mir viele andere Frauen berichtet haben. Oft werde ich von Leuten (meistens von Männern) über andere weibliche Musikerinnen ausgefragt und es wird erwartet, dass ich schlecht über sie rede. Obwohl wir nicht mal ähnliche Musik spielen wie diese Frauen, wird unser Geschlecht als einzige Gemeinsamkeit herangenommen. Solche Äußerungen empfinde ich als sexistisch.
In der Vergangenheit hatten Reptilians from Andromeda auch weitere weibliche Mitglieder, die bei uns Bass und Schlagzeug gespielt haben. Sie wurden nach Shows oder Soundchecks oft von Männern belagert, die ihnen Sachen erzählten, die die Musikerinnen bereits wussten. Das ist ebenfalls sehr nervenaufreibend.
Bei Konzerten in der Türkei habe ich oft sexistische Beleidigungen oder Sprüche aus dem Publikum gehört, wenn ich die Bühne verlassen habe. Das kam sowohl von Männern als auch von Frauen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass rein männliche Bands so etwas im gleichen Umfang erleben – oder zumindest habe ich davon noch nicht gehört.
Manche Kollektive, die Konzerte in der Türkei veranstalten, weigern sich auch, Bands mit Frauen als Headliner zu setzen. Sie bekommen nur Slots am Anfang oder höchstens zur Mitte einer Show. Wenn ich so etwas mitbekomme, sage ich meine Teilnahme am Konzert oder dem Festival ab.
Tolga: Ich komme aus der Punk Szene Istanbuls der 90er Jahre. Sexismus war schon immer ein Problem der Underground Bewegung. Selbst Menschen, die sich selbst als „Antisexisten“ bezeichnen sind oft patriarchal eingestellt. Oft sind das Menschen, die aus traditionellen türkischen Familien stammen oder aus muslimischen Milieus kommen. Sie haben in die Underground Szene gefunden und engagierten sich musikalisch und sozial, und gaben ihr Bestes, keine Arschlöcher zu sein. Leider muss man erkennen, dass es manchmal Hindernisse gibt, die sie in ihrer Denkweise nicht überwinden können. Selbst Leute, die in einer antisexistischen Anarcho Punk spielen, finden dass Frauen im Hintergrund stehen sollten. Oft habe ich bei diesen Leuten gesehen, dass sie kein Interesse an Bands haben, bei denen Frauen am Gesang oder Instrumenten sind. Oder sie waren tatsächlich der lächerlichen Überzeugung, dass Frauen diese musikalischen Rollen nicht so gut erfüllen können wie Männer. Aber ja, diese Art von Arschlöchern gibt es leider überall.

Wie sieht es mit der Sichtbarkeit nicht-männlicher Künstler_innen in der türkischen Punk Rock Szene aus? Gibt es viele Bands und Konzerte mit nicht-männlichen Personen? Und wie präsent sind sie im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen?

Aybike: Natürlich gibt es diese Konzerte, aber es können nie genug sein, wenn du mich fragst. Zusammen mit nicht-männlichen Menschen aus meinem Umfeld haben wir einen Vergleich gefunden: für manche Männer ist der Gang zu einem Punk Konzert etwas Ähnliches wie ein Fußballspiel, wo Frauen höchstens dabei sind, wenn sie ihren Freund begleiten. Ich kann mir vorstellen, dass diese Leute sich nicht einmal der patriarchalen Natur ihrer Aussage bewusst sind.
Vor zwei Jahren habe ich zusammen mit Hatice Arici (Hexe Music), Bikem Ekberzade (War Reporter-Journalist) und Oya Kalkavan (AVTO) eine Compilation mit dem Namen „Not your Turkish Delight“ veröffentlicht. Die Erlöse des Albums gingen an zwei NGOs für Opfer von sexistischer, homophober und transphober Gewalt. Auf dem Album sind viele Menschen vertreten, die nicht in konventionelle Geschlechter- oder Sozialrollen passen; darunter viele Bands mit nicht-männlichen Mitgliedern, Frauen oder Queers. Neben Reptilians from Andromeda sind darauf Spinners, The Hollow Dolly, Softa, Bewitched as Dark, Vae Victis, Tampon, Jtamul, Neon Jisatsu, Crudez, Secondhand Underpants, Dispute, Soft Rains of April, Fani Kedi, Posteriti, Bang, Lin Pesto, Cansu Turgut, und Kim Ki O zu hören. Auch außerhalb dieser Compilation hat die türkische Punk Szene viele interessanter Band zu bieten, die ihr mit einfacher Recherche finden könnt.
Tolga: Ich hasse vor allem, dass viele Männer glauben, die Underground Szene sei eine Art „Spielplatz für Jungs“ in dem Frauen nur erlaubt sind, solange sie sich nicht zu aktiv beteiligen. Viele männliche Künstler sehen Frauen in der Szene am liebsten als Geister oder Schatten. Dieses widerliche Phänomen sieht man bei Shows, in den Kollektiven, und grundsätzlich überall.

Welche Rolle spielt Feminismus in der türkischen Punk Szene? Und würdet ihr Reptilians from Andromeda als feministische Band bezeichnen?

Aybike: Ja, Reptilians from Andromeda sind eine feministische Band! Menschen sollten nicht aufgrund angeborener Eigenschaften diskriminiert werden. Ich finde, dass Menschen aller Geschlechter dieser Welt Feminist_innen sein sollten. Viele unserer weiblichen Freunde engagieren sich kollektiv und andere arbeiten lieber individuell. Wir sind alle Frauen aus dem Mittleren Osten und wir erheben unsere Stimme für Menschenrechte und das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben.
Poly Sterene (X Ray Spex) sagte in „Oh Bondage! Up Yours“: “Manche Menschen denken, kleine Mädchen sollten nicht gesehen oder nicht gehört werden“. Und deshalb sind wir laut, um gegen ebendiese Menschen vorzugehen.
Tolga: Ich finde, es gibt neben „Not your Turkish Delight“ viele gute Beispiele dafür, dass Feminismus im türksichen Punk Rock eine wichtige Rolle spielt. Gleichzeitig sehe ich, dass viele Frauen in der Underground Bewegung sich nicht organisieren wollen. Viele von ihnen möchten sich in ihrem Freundeskreis oder Kollektiv nicht einbringen und sind stattdessen lieber still. Und diese Stille hat viel damit zu tun, dass sie Angst um ihre soziale Stellung haben.

Lasst uns auch über Musik reden. Euer neues Album „Must be destroyed!” ist eine Vollgasladung Garage Punk. Gehe ich recht in der Annahme, dass ihr von Bands wie The Slits und Blondie beeinflusst wurdet?

Aybike: Ich liebe The Slits und Blondie. Abgesehen davon wurden wir von vielen weiblichen und queeren Musiker_innen beeinflusst. Ich finde, dass die Musik jeder Band einzigartig ist, ganz gleich was die Musiker_innen selber hören. Ich selbst habe viel Einfluss von The Cramps, Dead Boys, Plasmatics, Wayne County & Electric Chairs, Toilet Böys, The Gizmos, The Stooges, und New York Dolls erhalten.
Tolga: Es gibt so viele großartige Einflüsse, die du aus unserer Musik erkennen kannst. Wir sind stark im 50er Rock’n’Roll, 60er Garage Rock, 70er Punk verwurzelt. Und ich stimme zu: Acts wie Wayne County, Niagara Detroit, Plasmatics, X Ray Spex, The Slits, die frühen Blondie, The Stooges und New York Dolls haben ihre Spuren hinterlassen. Wir verpacken die rebellische Attitüde von Rock’n’Roll und Punk Rock in einem modernisierten Soundbild. Wir verbinden die Sounds, die wir selber lieben.

Wann und aus welchem Grund habt ihr euch entschieden, englische statt türkische Songtexte zu schreiben?

Aybike: Englisch ist die Sprache, in der wir am meisten kommunizieren; dieses Interview eingeschlossen. Musik ist ebenfalls eine Form der Kommunikation. Allerdings war es nicht wirklich geplant, dass wir auf Englisch singen. Am Anfang war das eher spontan und dann haben wir einfach so weitergemacht. Es gibt hier Bands, die auf Englisch singen und andere, die ihre Muttersprache verwenden. Keins von beidem ist besser oder schlechter als das Andere.

Und wie sehen eure Pläne für die nahe Zukunft aus? Arbeitet ihr schon an neuem Material, oder können wir mit Live Streams rechnen?

Tolga: Unser Album „Must be Destroyed!“ ist ja erst kürzlich erschienen. Aber während des Lockdowns konnten wir bereits einige neue Songs aufnehmen. Im Frühling erscheint wahrscheinlich eine neue 7„. Außerdem hoffen wir, dass wir einige Festivals nachholen können, die ausgefallen sind. Dazu gehören das Back to Future Fest in Dresden, das Kapunk Fest in Tokyo und die Canadian Music Week.

Noch einmal vielen Dank, dass ihr den Lesenden des TRUST Zine einen Einblick in eure Erfahrungen und eure Arbeit gegeben habt. Möchtet ihr abschließend noch etwas loswerden?

Vielen Dank für das schöne Interview! Wir hoffen, ihr bleibt alle gesund und sicher, bis die Situation sich entspannt hat.

Interview: Raphael Lukas

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