Dezember 31st, 2023

My Favourite „Punk“ Tape Vol. 1 (#217, 2022)

Posted in artikel by Thorsten

Seit dem letzten Winter geisterte die Idee durch meinen Kopf, über meine wichtigsten und essentiellsten Songs zu schreiben, die in meiner musikalischen Sozialisation stattgefunden haben oder die mir aus persönlichen Gründen ans Herz gewachsen sind. Um den Rahmen nicht zu sprengen, habe ich mich auf die zeitliche Länge eines 90er Tapes „beschränkt“. Weil es aber wiederum eine Sache der Unmöglichkeit darstellt, die allerbesten Songs auf nur einem 90er Mix-Tape zu verewigen, wird eines Tages noch ein zweiter Teil folgen. Der Oberbegriff „Punk“ ist ganz bewusst durchgestrichen, weil mein Geschmack relativ breitgefächert ist und eben auch andere Musikrichtungen beinhaltet. Punk und Hardcore ist aber dennoch der große Nenner, sozusagen das Mutterschiff. Und auch die Song-Reihenfolge ist dem Textinhalt untergeordnet. Im Idealfall würde ich die Songs anders platzieren, denn bei einem gutem 90er Mixtape sollten ja ähnlich wie beim Musik auflegen, auch die Songs gut ineinander überfließen oder zumindest stimmig wirken. Zudem habe ich mich auch fast nur auf alte Bands konzentriert. Die großartigen Ergüsse neuerer Bands, werden ja bereits bei meinen Plattenbesprechungen und meinen jährlich Neu erscheinenden CD-R Sampler „Beat my Head against the Wall“ gewürdigt und berücksichtigt. Aber nun erstmal viel Spaß beim Lesen und ich bin mir sicher dass der ein oder andere Song auch bei euch die ein oder andere Erinnerung wachrufen wird.

Nach zwei Jahren Deutschpunk waren neben den Dead Kennedys und F.U.´S, die ANGRY SAMOANS die ersten Amipunkbands, die ich entdecken sollte. Ihre ersten zwei Alben „Inside my brain“ und „Back from Samoa“ hörte ich unzählige Male und sie entsprachen auch genau diesem nihilistischen, aber dennoch vor Selbstbewusstsein überkochendem Lebensgefühl, das ich mit circa 18 Jahren verspürte. „Right Side of my Mind“ ist vielleicht nicht ihr bester Song, doch er brachte für mich, genau dieses Leck Mich Arsch Gefühl, am eindringlichsten herüber: „It’s our generation, yeah! There’s nothing stopping me now. We don’t listen to you. No, there’s nothing holding me back. I want all the truth. The right side of my mind.”

Mindestens genauso wichtig in meiner jugendlichen Selbstfindung, war für mich die Attitüde von CIRCLE JERKS „World Up My Ass“. Weswegen ich den Songtitel auch fett mit Edding auf dem Hinterteil einer gebleichten, verschliessenen Jeans kritzelte.

Den vollkommenen, multiplen Ohrgasmus an Amipunk/Hardcore hatte ich, als mir ein Altpunk mit höchst leidenschaftlichen und ansteckenden Enthusiasmus, seine Plattensammlung offenbarte und ich beim Ersten Mal hören von DESCENDENTS, M.D.C., J.F.A., VOID, D.O.A., HÜSKER DÜ, FLIPPER und der ersten OVERKILL-Single (nicht die Metal, sondern die alte SST-Band) , aus dem Staunen gar nicht mehr herauskam. All diese Bands wurden auf eine Kassette überspielt und obwohl es im Suff dummerweise auf Mono aufgenommen wurde, hörte ich kein Tape so oft an wie dieses. An meisten bewegten mich aber die maßlos unterschätzten CODE OF HONOR, die eine Split-LP mit SICK PLEASURE veröffentlichten. Der beste Song des Albums „Stolen Faith“, verkörpert für mich Alles, was ich an Amipunk liebe. Schnelle, treibende Rhythmen und ein ausdrucksstarker Gesang der in der Lage ist, dein ganzes Leben zu hinterfragen. An dem Abend ging mir auch ständig der Gedanke durch meinen Kopf, dass ich nie in meinem Leben damit gerechnet hätte, dass Punk sooo verdammt geil, intensiv und energisch sein kann. Denn das war genau die Musik, auf die ich ein Leben lang gewartet habe und überhaupt das geilste daran war, das ich erst am Anfang eines unendlich weiten Universums stand, das es noch zu entdecken galt. Und so stürzte ich mich tief in die Materie herein, saugte die Musik und die Infos nur so in mich auf, weswegen ich 10 Jahre lang, größtenteils nur Punk und HC aus Amiland hörte.

Ebenfalls auf dem Tape befanden sich auch SOCIAL UNREST mit „I am the Nation“. Jason Honea´s schneidend, melodischer Gesang sprach genau die emotionale Seite in mir an und ihr drittes Album „Now and Forever“ vereint für mich auch perfekt die Symbiose aus Aufbegehren, Melancholie und Poesie.

Weil ich mir nie zu schade war mich vor anderen Leuten zum Affen zu machen und auch der Humor ein wichtiger Bestandteil meiner Punkanschauung darstellt, war ich für viel Unsinn oder Schabernack zu haben und so empfand ich Luftgitarrenwettbewerbe für ein wirkungsvolles Ventil, um meine affine Liebe zur Musik darstellerisch ausleben zu können. Nach einer Session der von mir heiß begehrten NEW BOMB TURKS mit „Snap Decision“, wurden ein andermal, hintereinander folgend, die ultraschnellen und kurzen HC-Smash-Hits „Punch Drunk“ und „Bricklayer“ von HÜSKER DÜ vorgetragen, worauf ich die jüngeren Punks zum ausrasten brachte und ich mich selbst in den pogenden Mob stürzen musste. Einmal drosch ich auch bei NO MEANS NO „The Story must be told“, in das imaginäre Luftschlagzeug. Dieser 5-minütige HC-Epos zieht zum Schluss noch richtig an und John Wright verausgabt sich in einer der furiosesten und mitreißendsten Schlagzeugparts – oder nennen wir es eher Schlagzeugattacken, die ich jemals gehört habe. Ach ja und von den fünf Luftgitarrenwettbewerben, belegte ich dreimal den ersten Platz und gewann jeweils eine aufblasbare Luftgitarre und eine Flasche Sekt.

Das für mich beste und intensivste Bassspiel, geht hingegen an Mike Watt, als er in den letzten 40 Sekunden, bevor und während Ed Crawford in inbrünstiger Leidenschaft „In a final Moment“ singt, bei „Locked-In“ von fIREHOSE zu einem überirdischen Bassriff übergleitet, das mich immer wieder kurzweilig von dieser Welt abheben lässt, um vollkommen glücklich in der Musik abzutauchen.

Ein ebenso großartiges Bassspiel, legte auch Bomer von RICH KIDS ON LSD bei „Blocked Out“ dahin. Und selbstverständlich sind die Gitarren und das Schlagzeug genauso genial eingespielt, aber dieses irrsinnig, rasante Bassgeslape on the Max., wo es dir allein schon bei dem Tribal Area Konzertmitschnitt (den es auch auf YouTube zu sehen gibt) schwindelig wird, setzte neue Maßstäbe die irgendwie nie wieder erreicht werden sollten. Und es muss auch mal gesagt werden, dass die RHCP (trotz ihrer Punksozialisation und dem Szenesupport durch Punkcoverstücke etc.) gegen RKL einfach nur Waschlappen sind. Oder zumindest spielen sie auf einer ganz anderen Baustelle. Es ist jammerschade dass ich RKL nie Live sehen konnte. Doch dafür hat Jan Röhlk ein großartiges, zweiteiliges RKL-Special im TRUST veröffentlicht, wofür ihm ewiger Dank gebührt.

Dagegen beförderten mich FREEZE mit ihrer ekstatischen Gitarrenorgie bei „Nazi Fun“ in den Wahnsinn. Andere Leute würden vermutlich von einer Gitarrenwand schreiben, aber ich hasse dieses Wort. Jedenfalls beherrschten FREEZE auf ihrem absolut überwältigenden Debütalbum „Land of the Lost“, ihr Gitarrenspiel so umwerfend gut, um den bereits elektrifizierenden Gesang von Cliff Hanger noch weiter anzutreiben und aufzupushen.

Und wenn wir schon mal bei den lästigen und zugleich überflüssigen Nazis angelangt sind, lege ich noch „Nazis Muertos“ von den spanischen G.R.B. hinterher, deren Demotape „Maqueta“, für mich zu den besten europäischen Hardcore-Releases aller Zeiten zählt. Denn G.R.B. spielten so unfassbar schnell und es gibt für mich auch keinen Sänger, der das „Rrrr“ in solch einer inbrünstigen Leidenschaft rollen lässt, wie Ángel Fernández. Eine ganz große HC-Band, der stets zu wenig Beachtung zukam.

Eine weitere unverzichtbare Euro-HC-Band aus den 80ern, waren für mich die niederländischen B.G.K.. Ihr Anti-Kriegs-Song „Arms Race“ hat leider nichts von seiner Bedeutung verloren… „This world is ruled, by demented old men. Shaking hands all day long. But what they do is breeding hate. We’ve got to stop them, before it’s too late. Stop the arms race not the human race”. Auf der legendären P.E.A.C.E.-Compilation befand sich noch der weitere großartige mit Akustikgitarre vorgetragene Anti-Kriegs-Songs „No Mercy No War“ von der ansonsten weitgehend unbekannten Femaleband BARELY HUMAN.

Noch etwas eindringlicher ist die The DICKS-Nummer „No fucking War“, wo du bei dem prägnanten Refrain „And we don´t want no fuckin´War. And we don´t want to fight no more“, gar nicht anders kannst, als es lauthals mitzusingen.

Hingegen konnte für mich kaum ein Songtext in wenigen Sätzen, die Punkattitüde so umfassend umschreiben wie „We are the one“ von The AVENGERS… „We are not Jesus Christ. We are not fascist pigs. We are not capitalist, industrialists. We are not communists. We are the one”.

Nachdem Die Ärzte als Einstiegsdroge dienten, kam der Initialschuss zum Punk, von einem Tape mit dem ersten TOXOPLASMA-Album und die 84er Pankehallen – Live LP von SLIME. Schon allein die eröffnende „Ansage“ glich in meinem Teenagealter einer Revolution: „Passt auf ihr Scheißer. Uns ist das völlig egal, ob jemand aus Berlin kommt, aus Hamburg oder sonst woher, das ist völlig scheißegal. Verstehst du. Scheißegal ob jemand schwarz ist oder weiß, scheißegal ob jemand Türke ist oder Deutscher, scheißegal. Versteht ihr mich ihr Wichser? Und all die Leute, haben Bock drauf das wir spielen. Und ihr kleiner Scheißhaufen, werdet dieses Konzert nicht in Arsch machen, sonst gibt es was auf die Fresse, so satt und lang, wie ihr noch nie in eurem Leben auf die Fresse gekriegt habt“. Gemeint waren hierbei ein paar Rechtsextreme die sich ins Publikum gemischt haben. Darauf schossen SLIME mit A.C.A.B., Hey Punk und Legal, Illegal, Scheißegal ein ebenso aufrührerisches Tripple-Hardcorepunk-Manifest herunter, wie es bis dato für mich nicht vehementer und intensiver umgesetzt werden konnte.

Einer der besten deutschsprachigen Punkbands, waren für mich NEUROTIC ARSEHOLES. Ihr Song „Gib nicht auf!“ gab mir über viele Jahre hinweg zu verstehen, dass ich nicht, wie so manche andere Leute aus meinem Freundes oder Bekanntenkreis, mich vollends dem Alk oder den Drogen hingebe, um damit einen Selbstmord auf Raten zu begehen. „Gib nicht auf, gib niemals auf! *4. Wenn du denkst es ist vorbei, wenn am Ende steht der Schrei, Du die Pillen in der Hand hältst, wenn Du Dein eignes Fallbeil fällst, dann denke Dir: Dass du vielen Leuten einen Gefallen tust und es Dir und Ihnen einfach machst, wenn du mit dem Teufel lachst. Dann sage Dir: Es ist ein Fehler es zu tun, denn wieviel Leute kann ich nur ärgern und bespucken, indem ich einfach sage: ich bleibe, ich bleibe, ich bleibe!“

Die Krönung in Sachen Deutschpunk, waren aber unbestritten BLUT + EISEN mit ihrem Debüt „Schrei doch!“. Der gleichnamige Song hält zum Schluss eine simple aber wichtige Lebensweisheit parat, bei der es so schön und naiv heißt: „Indem du lebst erfüllst du deinen Sinn, Oh Baby“. Zu einer Zeit, Mitte der 90er, als die meisten Gleichaltrigen sich bei Nirvana, Soundgarden und Co. ihre oftmals selbstbemitleidende Seele aus dem Herz heulten, war die Hannoveraner Punklegende genau das Richtige. Ich sach nur: „Schlimme Kindheit, Schlimme Kindheit, wo bleibt mein Jugendglück?“. Heutzutage wo hunderte von Jens Rachhut / Love A –Klonbands über Umwege, diese weinerliche Erbe hinfort führen, könnte ich oft selbst über Punk in Deutschland heulen, doch dafür sind mir meine Tränen zu schade, weil meist außerhalb von D-Land, eben immer noch wahnsinnig viele geile Punkbands existieren oder sich heute an genau diesem Tage Neu gründen. Oder anders gesagt, haben es für mich die meisten deutschen Bands einfach nicht drauf, auf eine für mich mitreißende Art und Weise, melancholische Emotionen einzufangen oder wiederzugeben. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel…

Neben den deutschen Düsterpunkgötter EA 80 und der ewig wichtigen Institution – Ton Steine Scherben hatten es mir auch BLUMFELD angetan. Ihre letzten drei Alben „Testament der Angst“, „Jenseits von Jedem“ und „Verbotene Früchte“ halfen mir wie ein fiktiver Freund über so manche Tiefpunkte hinweg. Die intelligenten, poetischen Songtexte von Jochen Distelmeyer sprachen mir aus der Seele, um den angestauten Herz oder Weltschmerz zu bewältigen. Und weil es mir bei nüchterner und realistischer Betrachtung, von Jahr zu Jahr immer noch schwerer fällt, positiv in die Zukunft zu blicken, war für mich die „Endzeit-Hymne“ – „Der Sturm“, wie aus einem Guss geschrieben… „Wie er durch die Straßen fegt, tobt und brüllt und wütet. Was er in Schutt und Asche legt, hat der Mensch vor ihm verwüstet“.

Es gibt für mich mehrere Songs wo ich mir als „Endzeitromantiker“ pathetisch und zynisch denke, nach diesem einen Lied wäre eigentlich alles gesagt und es könnte endlich mal die Welt untergehen. Wie auch bei „Beware“ von der aktuellen New Yorker Truppe STRAW MAN ARMY, welche mit „SOS“, für mich einer der beeindruckendsten Alben des Jahres veröffentlicht haben.
Liebeslieder gibt es wie Sand am Meer, doch die meisten von ihnen zerrinnen auch wie Sand in der Belanglosigkeit. Es gibt für mich nur sehr wenige Lovesongs, die mich zutiefst berühren. Ein richtig schöner, simpler aber sehr zutreffender Satz wurde ebenfalls von BLUMFELD in dem Song „Weil es Liebe ist“ niedergeschrieben und lautet: „Liebe ist Freundschaft, Sex und Zärtlichkeit. Liebe ist das Ende der Ewigkeit“. Noch eindringlicher erwies sich für mich „Stella Maris“ von den EINSTÜRZENDEN NEUBAUTEN. In Erinnerung an meine bis dato größte Liebe, heulte ich schon öfters Rotz und Wasser, wenn ich den Klang und Text lauschte: „Du träumst mich ich dich. Keine Angst ich weck‘ dich nicht. Bevor du nicht von selbst erwachst… Bitte, bitte weck mich nicht, solang ich träume gibt es dich… Wir träumen uns beide wach“. Ein poetisches Vermächtnis, einer zum Beginn leidenschaftlichen und zum Schluss lang dahinsiechenden Beziehung zweier Menschen, die sich mal ekstatisch geliebt haben.

Und wenn die Liebe unter bloßen Erinnerungen im Grab liegt, erweist sich DANZIG – „Let it be captured“ als eine grandiose Nummer. Zumindest kenne ich kaum einen Songtext, der in so wenigen Worten und in solch einer musikalischen Minimalistik, so viel auszudrucken vermag. Obwohl NoMeansNo mit ihrem pragmatischen „I need you“, natürlich auch für sich sprechen.
Was melancholische Musik betrifft, fand ich auch immer einen besonders großen Gefallen an diversen Femalebands aus dem Bereich Americana, Akustik, „Modern Country“ wie AIMEE MANN oder NEKO CASE. Schon öfters zu Tränen rührte mich aber das 2006 gegründete, niederländische Akustikduo JODYMOON. Wenn ihre Sängerin Digna Janssen (bei der YouTube „Live Recording Session“) von „I could wait forever“ in leidenschaftlicher, feuriger Dramaturgie aufgeht, so entfacht sie bei mir immer wieder ein Kribbeln, ein Schauern das mich voll und ganz einnimmt.
Und auch wenn ich kein Rockstar-Verehrer-Typ bin, weil mir alle Menschen als gleich erscheinen, so ist „Sacred Life“ von The CULT dennoch eine wunderschöne und ehrenvolle Verneigung, an die zu früh verstorbenen Stars oder Genies der Rockgeschichte.

Und zum krönenden Abschluss meines persönlichen Best Of-Tapes, dürfen natürlich die großartigen TOXIC REASONS nicht fehlen, die mit „Partys Over“ eine bittersüßliche, melancholische Ode, auf das jahrelange und oft selbstzerstörende Feiern niederschrieben. Gefolgt von EA80 – „Auf Wiedersehen“ – „Es ist schon spät und alles, alles ist gesagt. Alle Geschichten sind erzählt. Sicher werden wir uns noch mal wiedersehen. Genau wie es gestern schon geschah. Dann werden wir erzählen, bis tief in die Nacht. Von Abenteuern und Herzen die man brach. Doch wir kennen uns so gut und wir wissen genau… Nichts von alledem ist wahr, nichts von dem ist wahr, nichts von alledem ist wahr“.

(Bela)

 

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