Dezember 31st, 2023

Molly Punch (#213, 2022)

Posted in interview by Thorsten

Grunge is not dead! Im Gegenteil: Wenn er sich mit Riot Grrrl-inspiriertem Punk zusammentut, wie es bei dem Kölner Trio Molly Punch der Fall ist, dann klingt das so frisch und nach-vorne-gehend, dass musikalische 90er-Jahre Nostalgiegefühle und Songwriting-Talent eine wunderbare Symbiose ergeben, die auch heute wahrscheinlich sogar besser denn je funktioniert. Ihr im ersten Lockdown 2020 erschienenes Debütalbum „A monster a day“ hat dementsprechend auch einiges zu bieten: Songs wie „Hemingway“ gehen gar nicht mehr aus dem Ohr, „soup for the rich“ knallt einem die Wut über herrschende Verhältnisse ohne Umschweife ins Gesicht, ohne dabei tausend Mal gehörte Parolen zu bemühen. Generell: Zuhören bzw. Texte lesen lohnt sich hier, nicht oft findet sich in englischsprachigen Texten deutscher Bands eine solche lyrische Feinfühligkeit.
Von Glück war die Band in letzter jedoch nicht unbedingt verfolgt. Mit Sängerin und Gitarristin Nine sprach ich unter anderem über ungewöhnliche Plattenverkäufe, noch ungewöhnlicheren Pandemiekonzerten und überflutete Proberäume. Und was Molly Punch vielleicht mal mit Hyänen und Hamstern zu tun haben werden…lest selbst.

Hi Nine, stell dich und deine Band doch gerne erstmal kurz vor. Wie lange gibt es euch schon, wo habt ihr euch gegründet?

Nine von Molly Punch hier – uns gibt es seit 2018 und wir kommen aus Köln.

Habt ihr vorher schon in anderen Bands gespielt?

Faro und ich haben früher schon zusammen gespielt. Damals hatte ich ein Akkordeon in der Hand und er einen Hut auf, man stelle sich vor. Ich hab mich (gerne und erfolglos) an allem möglichen versucht, während Faro von Haus (und früheren Bands) aus im Deutschpunk zuhause war. Sveta singt und spielt neben Molly Punch auch bei Lorda Red (die dieses Jahr ein ganz tolles Album rausgebracht haben).

Ihr habt euer Debüt-Album 2020 im ersten Lockdown veröffentlicht. Wie habt ihr das Release-Datum damals verbracht? Konnte da überhaupt so etwas wie Freude über die Veröffentlichung aufkommen?

Das Album stand generell unter einem schlechten Stern: Erst Release pünktlich zu Beginn des ersten Lockdowns und dann wurde letzten Sommer auch noch ein Großteil unserer Platten vom Regen vernichtet.
Am Anfang der Pandemie haben wir noch Platten in Köln persönlich ausgeliefert, daran erinnere ich mich gern: Wie wir mit Maske in fremden Hausfluren standen und uns gegenseitig verwirrt aber fröhlich alles Gute wünschten. Jetzt nehmen wir einfach Anlauf fürs nächste Album – wenn man schon nicht spielen kann, dann schreibt man eben Songs und die neuen wollen langsam raus.

Ihr konntet ja in letzter Zeit immerhin ein paar Konzerte spielen, u.a. auch komplett digitale Live Streams ohne Publikum. Wie war das für euch? Gab es vorher groß Diskussionen in der Band ob ihr so etwas überhaupt machen wollt oder hattet ihr einfach bock zu spielen?

Für die Sommerschlacht hab ich letztes Jahr detailliert skizzieren dürfen, wie sich das angefühlt hat mit den Livestreams. So nämlich:
Wie im Labor! Muss ich nicht unbedingt wiederholen. Trotzdem haben wir natürlich am Anfang alles mit Kusshand genommen, was auch nur entfernt nach Konzert aussah und sind immer noch wahnsinnig dankbar, dass Menschen entgegen aller Widrigkeiten safe Möglichkeiten dafür geschaffen haben.

Gab es etwas was du als besonders absurd oder zumindest völlig anders empfunden hast bei Konzerten unter Pandemiebedingungen im Vergleich zu sonst üblichen Konzerten?

Mikrofone aus der (UV)Mikrowelle und das gruselige Gefühl, wenn du dich bei einem Livestream voll reinlegst, fertig bist mit dem Song, und nach dem letzten Akkord im ganzen Raum kein Mucks zu hören ist.

Das jeweils erste, richtige, ausgelassene Konzert letzten und vorletzten Sommer und das geschärfte Bewusstsein dafür, wie wichtig mir das Spielen, Organisieren, Zuhören, Lernen, Rumfahren geworden ist. Aber auch, wie schwierig es ist, da wieder reinzukommen, nach einem oder zwei Wintern im Lockdown.

In der weitgehend konzertfreien Zeit habt ihr über euren Instagram-Kanal immer mal wieder Bilder veröffentlicht unter dem Motto, was ihr am meisten als tourende Band vermisst. Jetzt wo die Möglichkeit für Konzerte wieder absehbar ist: Worauf freust du dich am meisten wenn ihr wieder als Band unterwegs seid?

Siehe oben. Ich freu mich sogar auf den ganzen Kleinscheiß, der sonst nervt: Endlich wieder Backline ins Auto stopfen! Kater! Kabelsalat!

Euer Proberaum war letztes Jahr direkt von der Flut betroffen. Wenn du magst, erzähl gerne mal wie ihr die Situation erlebt habt und was das für euch als Band für Konsequenzen hatte.

Muss immer erstmal Danke sagen an dieser Stelle, weil ich es immer noch nicht ganz fassen kann – die größte Konsequenz war einfach Hilfsbereitschaft. Wir wurden nach der Flut nicht nur superschnell mit Instrumenten und Equipment versorgt, es gab sogar einen Spendenaufruf von Freundinnen, der so erfolgreich war, dass wir davon tatsächlich das allermeiste reparieren, erneuern oder ersetzen konnten.
Als ich den Proberaum, beziehungsweise das Gebäude, betreten wollte, hab ich allerdings laut aufgeheult – es ging nämlich gar nicht. 1,70 hoch stand das Wasser über Nacht im Raum, die Tür am Ende der Treppe zum Eingang war kaum mehr zu sehen. Darin schwamm unser ganzes Equipment, unsere Platten, ein Laptop voller Aufnahmen und und und. Der Proberaum und die Gemeinschaft drum rum, die es schon länger gibt, ist uns allen superwichtig – ein zweites Zuhause sozusagen, das wir allerdings erst wenige Monate zuvor und nach langer Suche gefunden und bezogen hatten. Dass das alles über Nacht hin sein sollte, war ganz schön fies.
Aber, wie gesagt, die Geschichte hat ein happy end: Im Winter haben wir unseren neuen Raum fertig renovieren können. Home sweet Home, hoffentlich diesmal für länger.

Du schreibst die Songs bis dato ausschließlich in englisch. Gefühlt haben ja deutschsprachige Texte in letzter Zeit wieder größere Konjunktur, teilweise sind sogar „ältere“ Bands von englisch auf deutsch umgestiegen. Ich finde bei euch funktioniert es auf englisch extrem gut, aber war das mal bei euch auch Thema bzw. gibt es Überlegungen zukünftig auch deutsche Texte zu schreiben?

Keine Ahnung weshalb sich das so fest in meinen Schädel gegraben hat, aber Texte für Musik kann ich nur auf Englisch. Ich nehme an, das hat damit zu tun, dass ich immer mehr englischsprachige Musik gehört habe und sich der Sprachklang festgesetzt hat als die Sprache, die zur Gitarre passt (obwohl es ja genügend hervorragende Gegenbeispiele gibt…). Manchmal erlaubt einem eine fremde Sprache auch einfach ganz andere Spielereien oder Bilder, auf die man sonst nie käme. Also: Nein, war eigentlich nie Thema. Ich spucke nur Englisch aus, sobald ich die Gitarre in der Hand hab.

Was ist dir bezüglich der Texte denn besonders wichtig? Also zum einen thematisch, aber auch die Art und Weise. Phrasenhaftes zum Beispiel findet sich bei euch ja eher nicht.

Ich bin in den Texten zuhause, mehr noch als in der Musik vielleicht, obwohl sich das natürlich auch immer bedingt. Bin im Herzen aber eben eine alte Lyrikerin und werde dabei immer versuchen, eine Geschichte zu erzählen – eine, die nicht nur persönlich oder politisch ist, sondern auch ein bestimmtes Gefühl ausmalt, vielleicht ein ganz präzises sogar. Phrasen, also Großflächiges, braucht es natürlich auch, aber darin bin ich nicht besonders gut. Ich kümmer mich lieber um die Lücken!

Wer ist deiner Meinung nach der überschätzteste Autor/Schriftsteller?

Houellebecq? Precht? Rilke? Muss aufhören zu grübeln, sonst wird’s ne Liste.

Ihr bezieht euch ja explizit auf Riot Grrrl. Welche Bands haben euch da besonders inspiriert?

Die üblichen Verdächtigen, allen voran Sleater Kinney.

Daran anschließend: Wie schätzt ihr den Einfluss von Riot Grrrl Bands generell auf die Szene in Deutschland ein?

Hoffentlich tendenziell steigend, mit einem hoffentlich höheren Bewusstsein für Intersektionalität, als noch in den 90ern.

Momentan ist die Diskussion um Repräsentation von Bands mit FLINTA* sowie sexistische Strukturen und Verhaltensweisen innerhalb der Szene ja nicht zuletzt durch #Punktoo und Bands, Beiträge auf Social Media, in Fanzines etc. recht lebendig. Siehst du da eine positive Entwicklung, um genau solche Strukturen nicht nur kritisch zu benennen, sondern letztendlich hoffentlich auch immer weiter aufzubrechen und zu überwinden? Und was braucht es dafür noch?

Nine, [03.03.2022 21:35]
Uff.
Nine, [03.03.2022 21:36]
Bin gerade einfach viel zu faul Sexismus in der Punkszene zu erklären und was man besser machen könnte.
Nine, [03.03.2022 21:36]
Hab ich einfach schon zigmal gemacht.
Nine, [03.03.2022 21:36]
Bin kurz davor zu copypasten.
No hard feelings, aber ich bin wirklich müde. Kurz: Yes, es ist besser, yes, es ist immer noch anstrengend (und/oder gefährlich). Es braucht: Menschen, die Privilegien checken und bereit sind ein Stück vom Kuchen (der Bühne, des Raums whatever) abzugeben. Und eine Kultur, in der Call Outs nicht zu Beißreflexen, sondern zu Reflexion führen. Halbe Miete!

In eurem Song „sleepy seed“ heißt es u.a.: „girls are quiet or hysteric. False tune, every blister is generic.“ Kann das als eine Anspielung auf verschiedene kaum zu erfüllende Anforderungen an Weiblichkeit, die in der Gesellschaft existieren, verstanden werden? Also im Sinne von: egal was du als weiblich gelesene Person tust, es ist entweder zu laut, zu leise, zu viel, zu wenig, zu erfolgreich, zu wenig erfolgreich usw.? Und was kann Punk deiner Meinung nach leisten, um sich von solchen Anforderungen möglicherweise freimachen zu können?

Erstens: Ja, kann es! Zweitens: Siehe oben. Punk kann sich sicherlich nicht davon „freimachen“, dafür müsste. es mehr platz für softness geben. laut genug ist er schon.

Wenn ihr einen Soundtrack zu einem bereits existierenden Film eurer Wahl hättet beisteuern können, für welchen Film hättest du dich entschieden?

Ist schwierig, weil: Filme, die man mag, mag man ja oft auch gerade wegen des guten Soundtracks. Man kann ja nicht einfach einem guten Film die Musik abjagen oder der Musik den Film!
Was mich hingegen immer wahnsinnig macht und dringend mal jemand ändern müsste: die immer – wirklich immer! – überdramatisierte Musik in Tierdokus. Würde sehr gerne Molly Punch hören, wenn ich Hyänen oder Hamstern beim Gebären zusehe.


Was steht bei euch dieses Jahr noch an?

Hoffentlich viele schöne Konzerte mit Kater und Kabelsalat – wir sind seit neustem bei PlasticBomb Booking und freuen uns riesig auf den vollen Sommer. Ende des Jahres wollen wir uns außerdem an ein neues Album wagen. Danke dir für deine Fragen!
Danke für deine Zeit!

Interview/Text: Nils Dornhauser

www.mollypunch.de

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