Dezember 4th, 2017

MAXIMUM ROCKNROLL FANZINE (#106, 06-2004)

Posted in interview by Jan

Interview mit Mike Thorn über Mike Thorn, San Francisco, Punk und Mainstream und seinen Job als Koordinator des Fanzines Maximum Rock’n’Roll (MRR)…

Mit Mike hatte ich seit einem halben Jahr per email durch die Gegend geplant. In San Francisco machten wir per Telefon den Interviewtermin für Donnerstag, den 16.3. um 13:00, aus. Dann, oh schreck, in der April 2004-Ausgabe von MRR, die man in den USA schon Anfang März überall kaufen konnte, schrieb Mike aber, dass er nicht mehr der MRR-Chef-Koordinator sein, sondern lieber Spoken –Words in Europa machen will. Das war allerdings, wie er dann meinte, ein Aprilscherz gewesen.

Mike gab mir dann die Adresse, ein unscheinbares Haus ca. 10 Minuten Fußweg von Haight-Asbury, dem Hippie-Viertel, entfernt. Es ist seit 7 Jahren das neue MRR-Haus, Mike und 2 andere wohnen hier und machen hier das Heft und die Radio-Show. Die suchen übrigens auch Praktikanten für 1-2 Tage die Woche und gerade war auch eine da. Nette Küche, sonniger Innenhof, aber Mike wollte raus und so schlenderten wir zu einem netten Cafe. Nachdem Mike Wraps gegessen hatte, zückte ich unauffällig das Diktiergerät, er orderte noch Eiswasser-Nachschub, ich noch Kaffee und einen Aschenbecher und dann ging es los.

Hi Mike, kommst du ursprünglich aus San Francisco?

Nein, ich komme eigentlich aus Alabama.

Oh, “sweet home Alabama”?

Ja sicher, ähem, also, ich bin dann aufgewachsen in Ohio, dort zur Schule gegangen, u.a. in Columbus, und habe dann in verschiedenen Teilen von Ohio gelebt.

Weißt du, viele Leute, die ich während meines Praktikums in Huntington Beach und später in Los Angeles getroffen habe, meinten, dass San Francisco die schönste Stadt der USA wäre – findest du das auch?

San Francisco ist aus meiner Sicht die beste Stadt in diesem ganzen Land. Ich meine, landschaftlich ist es sehr schön in Ohio, aber das Leben hier in San Francisco ist einfach interessanter. Die Stadt hat eine lange Tradition als Magnet für kreative Leute. Ohio ist im Vergleich dazu dann eher etwas „closed-minded“. Der Hauptunterschied zwischen Ohio und hier? Na ja, San Francisco doesn´t suck, haha. Also, hier passiert viel, ich kann jeden Tag Konzerte mit aufregenden Bands sehen und es laufen immer interessante Kunst-Ausstellungen. Das Wetter ist hier natürlich sehr gut, klar. Und natürlich ist es auch wegen den ganzen „dot.com“ –Yuppies ziemlich teuer, hier zu leben.

Da alle beim MRR ehrenamtlich arbeiten, fände ich es ganz interessant zu wissen, womit du dir deinen Lebensunterhalt verdienst – was arbeitest du, gehst du oder warst du studieren oder so?

Ich helfe bei dem Plattenlabel eines Freundes aus, für diese Arbeit werde ich auch bezahlt. Hinzu kommt, dass ich eigentlich ganz gut darin bin, Platten für 50 Cent zu kaufen und die etwas teurer weiterzuverkaufen. Ja, für die Arbeit bei MRR bekomme ich kein Geld, aber ich kann hier im MRR-Haus, was du eben gesehen hast, wohnen, ohne Miete zu bezahlen, insofern ist das ein Punkt, um den ich mich nicht kümmern muss. In Ohio bin auf die University in Columbus gegangen, aber, weißt du, es ist schon ziemlich lange her, dass ich die verlassen hatte. Ich habe 4 Jahre die Fächer Wissenschaft und Geschichte belegt, hatte dann aber kein Bock mehr. Dann habe ich angefangen, Konzerte zu organisieren und bin dann hier gelandet.

Wie sieht ein typischer “Mike Thorn Routine Tag” aus?

Es kommt natürlich auf den jeweiligen Tag an. Meistens steht immer die Arbeit bei dem Label meines Freundes an. Also, ich stehe so zwischen 7:30 und 8 auf und checke dann erstmal meine Emails.

Wie viele Emails wegen MRR bekommst du?

Manchmal gibt es Tage, wo nur drei kommen, dann wieder welche, wo über 100 kommen, die Tage mit nur drei mag ich natürlich lieber, klar, oder? Dann beantworte ich die Mails. Wir haben bei MRR eine Checkliste, wo in einer step-by-step Reihenfolge festgehalten ist, was an jedem Tag erledigt werden muss. Diese Checkliste arbeite ich dann regelmässig jeden Tag ab und vergewisser mich lieber noch mal, ob ich das von gestern auch wirklich gemacht habe.

Das finde ich gut, mit so Listen und Zettel machen, gefällt mir.

Ja, das ist halt einfacher, um sich zu organisieren, indem man sich das aufschreibt. Ich frühstücke dann, gehe shoppen und Platten kaufen, na ja, und was der jeweilige Tag halt so mit sich bringt. Und dann ist es auf einmal wieder 6 oder 7 Uhr abends und ich frag mich: „oh Gott, wie kann es nur wieder so spät sein, ich habe doch eben noch gemütlich Kaffee getrunken.“ Dann gibt es noch Tage, wo ich aufstehe, meine Freundin ruft mich an, ich besuche sie, so was halt eben auch, schöne Tage.

Ist ja cool, also dann ist schon jeder Tag irgendwie anderes, mit Abwechslung?

Ja. Aber dieser Plan fürs MRR, der wird immer abgearbeitet und das kann auch gar nicht anderes funktionieren. MRR ist so weit ausgefächert, da muss man so etwas haben. Damit passiert dann auch fast nie, dass wir eine Woche vor der Veröffentlichung plötzlich da stehen und uns siedenheiß einfällt, dass wir ja noch gar nichts vorbereitet haben. Die Post kommt täglich und muss verteilt werden, für die Review-Leute, die Anzeigenanfragen auch, dann gibt es Tage, wo nur Layout-Arbeit auf einen wartet, dann wieder ein Tag mit nur Anzeigen-Arbeit, manchmal nur Reviews.

Kompliment an dich zu deiner wirklich nett aufgemachten Kolumne mit dem Backcover-Foto des Hardcore California Buches und dem Gang Green Songtitel “Another wasted night”, gefällt mir sehr gut.

Danke für das Kompliment, das Foto ist von einem von Wasted Youth aus Los Angeles.

Du schreibst neben deiner Kolumne auch Plattenbespechungen, so dass ich davon ausgehe, dass du dich nicht “nur” als der Typ siehst, der im Hintergrund die Fäden zusammenzieht?

Ich liebe es, zu Konzerten zu gehen, normalerweise besuche ich mindestens drei Konzerte pro Woche, aber es gibt auch Zeiten, wo ich 10 Abende hintereinander Konzerte sehen könnte, und manchmal halt auch, wo gar nichts ist. Einfach involviert zu sein, mit den Leuten in touch zu bleiben, ist für mich unheimlich wichtig. Es gibt so viele gute Bands da draußen, die mich umhauen. Ich liebe es, über Musik zu schreiben, das Radio und Interviews zu machen und zu organisieren. Außerdem denke ich, dass es eine gute Basis für ein qualitatives Zine ist, wenn die Leute, die die Hauptarbeit dort machen, und das sind Awren und ich, involviert bleiben.

Wann hast du beim MRR angefangen und wann war es klar, dass du der Chef-Editor wirst?

Im Oktober 2000 habe ich als Chef-Koordinator angefangen, dass lustige ist, dass ich davor eigentlich nichts mit dem MRR zu tun hatte ausser, dass ich seltsame Briefe, die nie abgedruckt worden sind, ans MRR geschickt hatte. Von Tim Yohannan hatte ich mir manchmal Tipps geholt, wenn es im Rahmen meiner Booker- Tätigkeit um bestimmte Bands ging; “Hey, Tim, soll ich die Band nehmen?” “Ah, tell them to fuck off”. Im August 2000 war ich bei diesem Interviewprozess anwesend, ca. 40 Leute haben mich für 2,5 Stunden in dem MRR-Haus über alles Mögliche befragt, nach meinem organisatorischen Talent und früheren praktische Erfahrungen.

Was, 40 Leute?

Ja, es war ziemlich voll. Nach dem Interview ging es in einen Kaffee-Laden, und nach einer Besprechung von denen untereinander haben sie mich dann gefragt, ob ich Lust hätte, den Job als Chef-Koordinator zu machen und ich hatte Lust. Im Oktober 2000 bin ich dann hierher gezogen. Awren ist seit November 1988 bei MRR. Als ich dann hier anfing, war sie die Person, die mir alles zeigte und es gab wirklich viel Neues zu lernen. Es hat über 6 Monate gedauert, bis ich wirklich selbstständig hier meine Arbeit machen konnte und bis ich als Koordinator auf gleicher Höhe mit ihr war. Es gibt halt so viel zu tun und man trägt eine große Verantwortung.

Haben sich Sachen geändert, nachdem Tim Yohannan gestorben ist?

Ich denke, ja, Sachen haben sich verändert und Sachen verändern sich immer noch. Es war wirklich eine sehr seltsame und chaotische Zeit, als Tim gestorben ist.

Wann war das noch mal, 1998 oder? Er ist an Krebs gestorben?

Das war im April 1998, als er gestorben ist, an der gleichen Art von Krebs, an der auch Joey Ramone gestorben ist. Das Heft und die ganzen Leute brauchten mindestens 6 Monate, bis sie wieder einigermaßen weitermachen konnten, diese Periode nach seinem Tod war völlig chaotisch, was man dem Heft dann ja auch anmerkte. In dieser Periode waren es in relativ kurzen Abständen vier oder fünf verschiedene Leute, die als Koordinator tätig waren und dann das Heft verlassen haben.

Hektische Zeit, hektisches Heft. Später gab es dann eine starke Anstrengung, dass das Heft wieder exakt, aber wirklich exakt wieder so zu machen, wie Tim es gemacht hatte. In dem Sinne, dass die fundamentalen Prinzipen, auf denen Tim das Heft gegründet hatte, völlig intakt bleiben sollen und das finde ich, sind sie auch. Wir nehmen keine Anzeigen von Major-Labels oder besprechen keine Bands, die auf Labels sind, die irgendwie von Majorlabels lizenziert sind. Der Grund dafür ist, dass die Majorlabelbands das Spiel einfach spielen, sie brauchen unseren Support nicht, dafür haben sie ihre eigenen Wege. Und warum sollen wir uns mit so etwas beschäftigen, verstehst du?

Wir wollen Leuten und Bands zu mehr Bekanntheit verhelfen, die wirklich unsere Hilfe benötigen können, und das brauchen Majorbands eben nicht. Eine Hardcore-Band aus Osteuropa oder eine Band, die in South Dakota Musik macht und über die nie etwas geschrieben würde, dass sind welche, über die wir denken, dass über die durch ein Review berichtet werden muss. Ich meine, warum braucht Green Day unseren Support, warum Rancid? Sie spielen das Mainstream-Spiel, dass mag ok für sie sein, aber ich spiele lieber mein eigenes Spiel. Punk und Unabhängigkeit, dass ist ja auch ein Grundfundament, dass wir halt eine Alternative schaffen möchten. Naja, ok, du meintest, dass wir auf das Thema noch zu sprechen kommen, macht das aber irgendwie Sinn für dich, was ich hier erzählt habe?

Ja, ist angekommen, am besten gehen wir direkt zu der Major-Frage über oder? Ach so, natürlich noch herzlichen Glückwünsch zu 250 Ausgaben von MRR im Jahr 2004 – obwohl euer Heft immer die schlechteste Beurteilung im Zine Guide bekommt, lese ich es immer gerne, wenn auch unregelmäßig.

Danke für deinen Glückwunsch, ach, der Zine guide, der ist einfach eifersüchtig.

Denkst du nicht, dass ihr Bands aus dem Untergrund verpasst, wenn ihr euch nur auf Punk-Bands konzentriert?

Und glaubst du, dass es nicht auch eine spannende Aufgabe für euch sein könnte, zu dem Phänomen Majorpunk-Bands eine Position zu beziehen? Also, in dem Sinne, dass ihr die Majorpunkbands nicht völlig ignoriert, sondern kommentiert, was alles (richtiger- oder fälschlicherweise) unter dem Namen Punk abläuft?

Ich werde erstmal auf deine zweite Frage antworten, lass mich mal kurz drüber nachdenken.

Ich hoffe, du hast die zwei Fragen verstanden, waren jetzt zwei komplexe Fragen auf einmal.

Doch doch, so die Richtung, das wir zwar keine Majorpunkanzeigen und so nehmen, aber warum wir über Majorpunkbands nicht schreiben?

Ja, genau, und die erste Frage ist, ob ihr euch nicht selber limitiert, wenn ihr euch nur auf Punk-Bands konzentriert, dabei gibt es ja im „Untergrund“ noch andere gute Bands aus anderen Musikstilen.

Ok, also, die zweite Frage, warum wir nicht kritisch über Majorpunkbands und so schreiben. Ich weiß nicht, ob ich dafür die richtige Person bin, die Sache ist, Tim hat so etwas gemacht, z.B. als Hüsker Dü damals in den 80igern bei einem Major unterschrieben haben oder die Sache mit Hole, ich weiß nicht mehr, ob es ein Interview oder so etwas war, müsste ich mir noch mal die genaue Ausgabe anschauen, auf jeden Fall erklären sie da ihre Hintergründe, warum sie bei einem Major unterschrieben haben. Für mich selber ist es sinnvoller, wenn ich mich auf die in der Szene involvierten Bands konzentriere.

Du meinst also, dass es nicht wichtig wäre, mit Green Day über ihre Sicht von Punk zu diskutieren?

Für mich sind Green Day und was sie jetzt repräsentieren völlig irrelevant. Das ist vielleicht damit vergleichbar, als mich MTV USA vor ein paar Tagen angerufen hatte, und die wissen wollten, ob ich Lust hätte, an einer Runden Tisch Diskussion teilzunehmen.

Was, MTV hat dich angerufen? Das ist ja vollkommen wahnsinnig.

Ja, es sollte irgendwie über Musik und Strukturen gehen, und die haben im MRR Haus angerufen, aber ich habe das Gespräch verweigert, weil, dass ist die Sache: erstens habe ich keinerlei Kontrolle über das Gespräch, ich weiß nicht, wie die mich darstellen werden, ich mein, nachher werde ich als Idiot dargestellt, dabei bin ich ja ein vollkommenes Genie, haha, nee also, ich hab dass nicht in den Händen, was die da mit mir anstellen. Und die andere Sache ist: es interessiert mich auch nicht. Weißt du, Punkbands, die auf dieser Ebene von MTV repräsentiert werden, dass interessiert mich nicht, weil es bei Major-Labels halt einfach nicht um die Musik geht, die sind einfach nur an Kohle interessiert.

Da spielt es bei denen wohl auch keine Rolle, ob ihr jeweiliges Produkt nun gerade eine Punkband ist oder eine neue Seife, so lange das Geld stimmt, meinst du?

Ja, so ungefähr, sie interessieren sich halt nur für das, woraus sie Geld machen können.

Seife oder Punk, scheiß egal…

Ja, und da habe ich halt einfach keine Lust, bei so einer Sache mitzumachen. Ich denke z.B., dass die Bay Area-Szene hier über 10 Jahre gebraucht hat, um sich von dieser “Green Day unterschreibt bei einem Major-Sache” zu erholen und bis das alles wieder in normale Dimensionen gesetzt wurde. Weißt du, diese ganze Szene um die Gilman Street wurde durch Green Days Durchbruch so bekannt, dass auch MTV-Kameras vor der Gilman Street waren und so ein Mist.

Irgendwie will ich nicht, das so etwas noch mal passiert, obwohl so etwas noch mal irgendwann passieren wird, aber zumindest muss ich da nicht mitmachen. Na ja, vielleicht sollte ich doch zu der Diskussion hingehen, und mit diesen glatt gegelten Leuten über Punk diskutieren, vielleicht ist auch Mike Dirnt da, und redet über die gute alte Zeit, als sie noch im Warenlager gewohnt hatten. Aber ganz ehrlich: ich würde mich z.B. für meinen Freund freuen, wenn seine Band größer wird, die vor 500 Leuten in der Gilman Street und wo anderes auftreten würden, ich bin nicht die Person, die sagt, ihr müsst immer in diesen kleinen Kellern spielen .

Aber dann, wenn man wo anderes auftritt, sollten andere Magazine oder andere Medien darüber berichten?

Ja, Punk hat in diesen Zeiten das Problem, dass es sich auf der einen Seite zu ernst und auf der anderen Seite nicht ernst genug nimmt. Mit letzterem ist gemeint, dass Punk nicht das Potential sieht, dass es schon hat, es wird nicht gesehen, wie viele kreative Leute in der Punkszene aktiv sind. Die heutigen Sachen werden einfach nicht genug geschätzt, also, was da für eine Arbeit rein gesteckt wurde von den Leuten. Stattdessen tendiert Punk dazu, in die Vergangenheit zu schauen. Nach dem Motto „1982 war die beste Zeit für Punkrock und alles nach 1985 war Mist” Ich meine, ich liebe die ganzen alten Bands, völlig klar.

Ja, das ist ein guter Punkt, in Deutschland ist zur Zeit dieses Punk`n`Roll-Ding ziemlich populär, also, irgendwie etwas, was ich immer als den totalen Gegensatz von Punk empfinde, diese Glorifizieren von MC 5 damals, es fehlt irgendwie das Frische.

Richtig, was wichtig für mich ist, ist das, was jetzt gerade passiert und was die Leute jetzt gerade machen. Und das ist dann der Punkt, wo Punk sich zur gleichen Zeit nicht ernst genug und dann wieder zu ernst nimmt. Ich denke da an diese sinnlosen und zeitraubenden Diskussionen, die immer wieder an das MRR herangetragen werden (Anm: zählt einige Sachen auf, die ich aufgrund der Cafe-Hintergrundgeräusche leider beim besten Willen nicht verstehen kann).

Meinst du dieses “left-wing fascists”?

So ähnlich, also so von wegen “ach, wie kann das sein, dass ihr das und das gemacht habt” usw., wo mir dann nur immer einfällt, „Mann, wenn dir das MRR nicht gefällt, du musst es nicht lesen, dann mach dein eigenes Heft.“ Das ist einfach auf die Dauer ziemlich ermüdend.

Tim hatte ja Anfang der 90iger Jahre Punk definiert, von wegen “das ist Punk” und “das ist aber nicht Punk”. Na ja, ich meine, ich mochte auch all die Bands, die er unter Punk aufführte. Aber warum nur sollen die wenigen Fanzines, die schon so lange existieren, so allbestimmend sein? Warum sollten diese wenigen dann wieder so wichtig sein? Sind das die ganzen Zines, auf die es ankommt?

Ich meine, wenn du das MRR nicht magst, ok, das ist in Ordnung für mich bzw. ist es mir dann auch egal, die Leute verschwenden so viel Zeit und Energie, dieses und das am MRR zu kritisieren, und das ist dann der Punkt, wo ich denke, wo Punk sich wieder zu ernst nimmt. Schau mal, warum sollte es nicht möglich sein, dass eine Person bestimmte Projekte am Laufen hat, ein Fanzine, oder eine Band oder so, und dann sage ich zu dieser Person, “Hey, deine Band gefällt mir nicht, aber das bedeutet nicht, dass ich dich als Person nicht akzeptiere”. Zwar finde ich auf der einen Seite deine Band oder so vielleicht nicht gut, aber auf der anderen Seite schätze ich dein Engagement für die Szene sehr, halt eben, dass du involviert bist.

Das finde ich eine richtige Auffassung zur Kritik, die aber auch schwierig ist zu realisieren.

Weisst du, ich kann deine Band ziemlich unwichtig finden, aber das heißt doch nicht, dass ich dich als Person zum Kotzen finde, verstehst du, was ich sagen will?

Ja, definitiv, ich denke, du hast auch recht, so ein Umgang mit Kritik und Selbstkritik ist richtig und wichtig. Aber es ist schwierig, oft tendieren die Leute dazu, dass eine Kritik an den konkreten Projekten direkt so aufgefasst wird, als ob man die Personen dahinter auch völlig aburteilen will. Du meintest eben, dass die Sachen heute wichtig sind. Was ist eigentlich eure gegenwärtige Druckauflage?

Meistens über 10.000 Exemplare, manchmal schwankt es so auf 9500, dann geht’s wieder hoch. Es kommt auch immer darauf an, wie viel die ganzen Vertriebe bestellen.

Hast du eine Idee, wie viele Exemplare ihr nach Europa verkauft? Weißt du, wie viele Abos ihr in Deutschland habt?

In Europa versuchen wir gerade, die Leute dazu zu bewegen, die MRR-Hefte bei den jeweils aktiven Vertrieben und Leute und Verkäufern direkt zu bestellen, in Deutschland z.B. bei Plastic Bomb. Wir mussten unsere Preise in USA gerade wieder erhöhen, so dass es eigentlich für die Leute aus Europa jetzt wirklich lächerlich teuer geworden ist, hier bei uns das MRR zu bestellen und sie sollen ja auch zu den billigeren Vertrieben in Europa gehen und da bestellen. In Deutschland haben wir momentan so 500 Abos. Sicher, die meisten Abos sind aus den USA. Das war übrigens auch eine Sache, die ich ehrlicherweise nicht so mochte, als ich zu MRR kam.

Es sollte mehr internationaler werden, meinst du?

Ja, auf jeden Fall, es ist natürlich auch schwieriger, Leute außerhalb der USA zu erreichen, aber wenn was in Deutschland passiert, oder wo anders, fände ich es toll, wenn die Leute merken, “ach, ich kann zum Inhalt des MRR beitragen und da gibt es Leute in den USA, die sich dafür interessieren und das auch lesen”.

Ja, das ist wahr, ein internationales Punkrockheft mit einer dominierenden USA-Perspektive wäre ja auch nicht international…

Ja genau, aber ich glaube, dass wir uns verbessert haben und mehr über Punk in anderen Ländern berichten. Ich versuche normalerweise, Bands auf das Cover zu platzieren, wo die meisten Leute in USA mich erst fragen, “häh, wer?” Z.B. haben wir diese Band aus Frankreich, La Fraction, auf das Cover getan und die Leute meinten, “wer zur Hölle ist La Fraction”? Aber es hat der Band wahrscheinlich auch geholfen, weil als die einige Monate später auf Tour waren, dachten bestimmt einige Leute, “ach das ist die im MRR interviewte Band aus Frankreich, lass uns die mal auschecken.” Für mich war und ist das immer völlig erstaunlich, wie viele Leute auf der Welt in Punk aktiv sind, und das es wichtig ist zu zeigen, dass es so etwas gibt.

Du meinst dieses Netzwerk von verschiedenen Leuten.

Ja dieses “network of friends”; weisst du, ich bin ein absoluter Musik-Verrückter, aber…

Die Menschen dahinter zählen dann doch mehr als die Platten?

Ja klar, auch in dem Sinne, dass ich die Leute total respektiere, das sie Punk in ihrem kulturellen Kontext versuchen, zu etablieren, als Alternative zu dem ganzen Anderem. Und dieser Respekt ist unabhängig davon, ob ich, wie gesagt, die jeweils individuelle Musik der Band gut finde oder nicht.

Ja klar, du meinst, es sollte halt nicht so sein wie von wegen “du bist eine Fatwreck- Band, wir sind eine Grindcore- Band, deshalb finden wir euch Scheiße”?

Genau, du hast recht, ich meine, klar, ich sehe eine Menge Bands, die Mist verzapfen, aber das sagt nichts über deren Persönlichkeit aus. Sie machen was für die Etablierung der Szene, dafür habe ich dann wieder großen Respekt. Das zählt für mich. Der Punkt von wegen, ob wir keine Bands aus dem Untergrund verpassen, wenn wir uns nur auf Punk konzentrieren; vielleicht tue ich das und wir tun das in einer gewissen Weise, ist ein guter Punkt, ehrlich gesagt, vielleicht stimmt es und wir haben dieses Problem auf einer bestimmten Ebene bei MRR; aber, vielleicht ist es auch, dass wir verschiedene Meinungen über Musik haben…(freu)

Ja, das kann auch sein.

Naja, auf jeden Fall, keine Ahnung, aber … ich liebe wirklich Slime.

Ja, die sind geil. Ich habe mitbekommen, dass ihr die Radio-Show seit einiger Zeit wieder am Laufen habt. Wie läuft es? Es muss doch irgendwie ein lustiges Gefühl sein, wieder an die Wurzeln von MRR, dass ja Ende der 70iger Jahre als Radio-Show angefangen hat, zurückzukehren.

Ja, es hat als eine Radio-Show 1977 angefangen und wurde 1982 zu einem Fanzine. Als es Tim mit seiner Krebserkrankung wirklich schlecht ging, wurde es zu schwierig weiterzumachen und wir haben 1997 mit der Radio-Show aufgehört. Allerdings hatten wir auch immer Probleme mit dieser kalifornischen Hippie- Radiostation, die unsere Sendung ausgestrahlt hatte, da waren immer Diskussionen über den Inhalt – na ja, Hippies halt…. (lach)

Einer von MRR, der seit 1983 dabei ist, schlug dann vor, das wir das als Internet-Radio weitermachen könnten, und die Leute die Show dann downloaden können. Das klappt auch ganz gut, wir bekommen zwischen 3000 und 5000 Downloads per Woche und sind seit 2 Jahren wieder zurück. Die Show dauert eine Stunde und die Struktur ist, dass wir mit älteren Sachen anfangen.

Ich meine, du hast ja eben unsere Praktikantin kennen gelernt, so Bands wie die Dicks etc waren alle schon nicht mehr aktiv, bevor sie geboren wurde. Insofern soll es eine Mischung sein zwischen “alten Bands den Jüngeren vorstellen” und natürlich den neuen Sachen. Wir bekommen sehr viel Material aus den USA, aber auch viel aus Deutschland, so dass wir manchmal die Bands nach Regionen unterteilt vorstellen, z.B. einen Asien-Schwerpunkt. So das die Leute merken, da passiert noch was auf der Welt, da gibt’s nicht nur eine Punkband in Malaysia, sondern mehrere. In Taiwan passiert was, Punk ist international.

Ja, das ist sinnvoll, weil dann die Leute, wenn sie mal das Land besuchen, vielleicht die Band kontaktieren und sich mit denen treffen können.

Ja, das ist wirklich wichtig, so etwas geht durch MTV halt verloren. Ich meine, was hat Green Day oder Rancid schon für Punk getan? Sicher, die haben auch mal unbekannte Bands mit auf Tour genommen, aber jetzt sind die einfach nicht mehr involviert – aber es ist ok, ich kümmere mich nicht darum, sie sollen machen, was sie machen wollen, für mich geht es halt immer darum, verbunden mit Leuten zu sein in der Szene.

Du hast vor dem Interview schon erzählt, dass der von MRR gegründete Plattenladen Epicenter 1999 zugemacht hat. Bestehen noch enge Verbindungen zu dem doch ebenfalls von euch ins Leben gerufenen Konzertladen, die 924 Gilman Street?

Klar, ich buche da auch Shows und eine Menge Leute sind parallel beim MRR und in der Gilman Street aktiv, von daher gibt es schon noch Zusammenhänge. Ich meine, die Bay Area ist einfach auch riesig groß: es gibt Tage, wo mehrere Punk-Konzerte an einem Abend hier stattfinden, und bei jeder Show sind um die 500 Leute, also, es ist wirklich groß, aber wie es vielleicht in jeder anderen Stadt so ist, der Kern aus aktiven Leuten ist dann doch wieder sehr klein und meistens überschneidet er sich; die selben Leute, die bei der Radio-Show von MRR mithelfen, helfen auch in der Gilman Street. MRR plant auch, eine Buchdokumentation über die Geschichte der Gilman Street herauszubringen..

Oh wirklich? Da ist doch jetzt gerade auch so eine DVD über die Gilman Street herausgekommen?

Ja, gerade erschienen; sie haben vor einigen Tagen die Erst-Vorführung in dem Laden gemacht. Also, Gilman geht’s wirklich gut.

Ja, schön zu hören, wir wollten morgen zur Gilman Street gehen, weil ich so langsam keinen Bock mehr habe auf diese Konzerte von Punkbands in diesen American Sport Bars, mit 5 Tv`s und so, das macht irgendwie keinen Spaß. Ich hatte dir ja erzählt, dass ich in Huntington Beach China White in so einer Sportbar gesehen hatte und da war ich wirklich geschockt – aber andererseits, es gibt wohl da nur als einzige Auftrittsorte diese Bars, weil es halt nicht in Orange County und LA diese Jugendzentren-Tradition gibt…oder zu wenig squats?

Oh, da in LA gibt schon einige squats, The smell z.B. Hier gibt’s Platten-Läden, wo dann im Hinterzimmer Konzerte veranstaltet werden. Oder die Leute besetzen hier leerstehende Gebäude. Aber China White ist vielleicht ein gutes Beispiel; die wissen vielleicht gar nichts mehr darüber, wie es heute so abgeht. Wenn du die Wahl hast, in der Gilman Street oder in so einem Rockclub aufzutreten und du entscheidest dich für den Rockclub, dann wahrscheinlich, weil du da Festgeld garantiert im voraus bekommst, während es in der Gilman Street auf die am jeweiligen Abend anwesenden Besucher ankommt. Ich meine, ich bin nicht dumm, ich verstehe, dass Punkbands auch wirtschaften müssen, aber auf der anderen Seite sehe ich auch, dass der Support für die Szene auch wichtig ist.

Die Bay Area ist ja dafür bekannt, dass für ein Konzert einfach ein leerstehendes Haus besetzt wird; es gibt hier einfach unglaublich viele kreative Leute, dass hatte ich ja schon am Anfang gesagt. Das Problem ist hier deshalb auch dann nicht, ob überhaupt ein Haus besetzt werden soll, um da ein Konzert zu machen, sondern eher, wo das gemacht werden soll. Natürlich hast du auch Recht, manchmal gibt es Orte, wo es keine alternativen Auftrittsorte gibt. Manchmal ist es gerade bei den älteren Bands so, dass die von den heutigen Möglichkeiten auch wirklich nichts mehr wissen, weil sie halt nicht mehr involviert sind und einfach dieses Musikindustrie-Teil, Platte aufnehmen und Konzerte spielen, mitmachen…weil, wenn du von solchen alternativen Plätzen wüsstest, dann solltest du auch da auftreten.

Lieber Mike, danke schon mal bis hier. Wir sind eigentlich fast durch, ich mache am Ende von Interviews gerne immer noch so ein kleines Spiel, kurze Fragen, kurze Antworten, hast du Lust dazu? Ok, was hälst du von den folgenden Bands in einem Wort bitte?

AC/DC?

Cockrock.

Born Against?

Brillant.

N.W.A.?

Äh, Compton, Compton…keine Ahnung.

Hast du die mal live gesehen?

Ja, in der achten Klasse.

Wie lange siehst du dich noch als Fanzine Koordinator?

Noch mindestens 5 Jahre länger.

Wie alt bis du eigentlich?

Fast 30.

Was ist eure Verbindung zum Punk Planet Fanzine, seid ihr eine Crew oder mehr so Geschäftspartner?

Du meinst, ob wir so eine Art Kameraden sind? Ich hatte Dan vor Punk Planet kennen gelernt, und wir haben seit Jahren nicht mehr miteinander gesprochen und ich denke, dass der korrekte Name für das Heft “Indie-Rock America” wäre.

Weißt du, was aus dem Flipside Fanzine geworden ist?

Al Flipside nimmt jetzt Heroin und hat seine Plattensammlung verkauft.

Huch, Heroin?

Ja.

Aber er lebt doch noch ?

Ja.

Aber er ist nicht in dem Razorcake mit dabei?

Nein, Todd von Flipside macht da mit.

Warum schreibt eigentlich Ben Weasel keine Kolumne mehr fürs MRR?

Na ja, Tim hat ihn vor die Wahl gestellt: du kannst entweder auf Tour mit Green Day gehen oder weiter fürs MRR schreiben, und er hat sich für die Green Day Tour entschieden. Ich meine, ich lese wirklich gerne seine Kolumnen, er schreibt ja auch welche auf seiner Webseite, da gehe ich immer gerne drauf, er ist einfach “funny as hell”; Screeching Weasel haben ja gerade ihre Reunion Show gespielt…

Ja, hab ich gesehen, in Chicago oder?

Ja, warst du da bei der Show?

Nee, leider nicht, ich habe das nur im Internet gelesen, ich liebe Screeching Weasel ja.

Ich auch, die sind brillant.

Dolf hat mir ein nettes mexikanisches Restaurant im Mission District empfohlen, Pancho Villa – würdest du das unterstützen oder wo sollte man als Touri in San Francisco unbedingt mal essen gehen?

Pancho Villa ist nicht meine Lieblings-Taqueria, es liegt neben dem Epicenter und Martin Sprouse ging da immer hin. Es hängt davon ab, ob du Vegetarier bist oder nicht, ich bin vegan, von daher gehe ich lieber zu der Taqueria namens Esteqa, weil dort der Reis nicht in dem gleichen Sud wie die Chicken gemacht werden, da bin ich mir bei Pancho Villa nicht sicher.

Meinst du, wir sehen uns morgen in Berkeley bei der all girl AC/DC -Tribute Band namens AC/DShe?

Ist nicht von aus zugehen.

Warst du schon mal in Deutschland?

Ja zweimal, ich war in Bremen, Berlin, Karlsruhe, Hamburg und Köln.

Oh Köln, da komme ich ja aus der Gegend; hat’s dir gefallen in Deutschland?

Ja sehr.

Ich hatte das ja auch in dem Szenebericht Leverkusen geschrieben, dass ich in Leverkusen Mitglied in so einer Konzertgruppe war. Wir haben dann immer amerikanische Bands gefragt, was sie als Hauptunterschied zwischen USA und Europa sehen, und es war egal, welche Band du gefragt hattest, die Straight Edger Kill Your Idols oder Das Klown, die ein eher offenes Verhältnis zu Drogen haben; alle meinten, dass der Hauptunterschied der ist, dass die Leute in Europa mehr rauchen…

Sie rauchen mehr, sie trinken mehr und als Band auf Tour bekommt man Frühstück, leckeres Brot und Tartex, ich bin wirklich abhängig geworden von diesem Tartex, schlimm.

Mike, das Tape ist zu Ende, aber der Gruss muss ja noch drauf. Ich dreh mal um, so, noch einen Gruß an das Trust?

Ja klar, schickt mir Tartex. Nein, im Ernst, bleibt interessiert und…

Tragt zum Heft bei?

Ja, schickt uns euer Zeug, MRR ist das, was die Leute daraus machen, Interviews oder Szene-Reports.

Die meisten Leute wollen wohl immer direkt eine Kolumne schreiben oder?

Ja, alle wollen immer Kolumnen schreiben, weil alle verrückt sind, haha, ne, aber einen Szene–Report zu schreiben über die eigene Szene vor der Tür ist immer am besten und dann entwickelt sich das.

Auch, wenn man aus so ganz kleinen Städten kommt, dann sollte man auch darüber schreiben?

Ja klar, wenn da was passiert, immer das mitteilen, weil, wenn du den Bericht nicht schreibst, wer soll es sonst machen? Nicht der Spin, nicht Rolling Stone, nicht…

Spex?

Genau, keine Spex…

Oh, du kennst die Spex?

Nein.

Oh ok, alles klar, also, die Message ist, schreibt was, Szene-Reports…

Ja bitte, auf jeden Fall, schickt Platten und schickt mir Tartex.

 

Alles klar, Mike, danke für das Gespräch.

Links und Rechts:

www.maximumrocknroll.com

Interview: Jan Roehlk

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