Dezember 31st, 2021

Lande Hekt (#203, 2020)

Posted in interview by Jan

LANDE HEKT

Wenn ich ein Wort wählen müsste, um die Frontperson der Muncie Girls zu beschreiben, es wäre: umtriebig. Es gibt kaum eine Person, die ich häufiger auf Bühnen gesehen habe (und manchmal auch davor, wie als wir uns in London bei Bikini Kill über den Weg liefen). Dazu gehört unter anderem ein Auftritt in Melbourne zusammen mit den unbeschreiblich genialen Camp Cope, oder auf dem Groezrock in Belgien, aber auch unzählige Male in den diversen DIY-Läden die Köln zu bieten hat (ca. 2). In einem der beiden spielt LANDE auch auf ihrer ersten Solotour und dort treffe ich sie vor dem Konzert. Sie hat ein Soloalbum veröffentlicht und obwohl dieses ruhig ist, hat es viel Wut in sich. Genauso wie Lande selbst, deren Hauptthema im Moment der (Queer)Feminismus zu sein scheint. So sprudelt es auch direkt aus ihr heraus…

Ich habe ganz früher Schlagzeug in einer Riot-Grrl-Band gespielt, das würde ich gerne wieder machen. Das war aber zusammen mit meiner Schwester, und die hat gerade ein Kind bekommen und unsere Person am Bass hat schon ein zweites Kind bekommen, deswegen wird das schwierig aber ich glaube schon, dass wir irgendwann wieder zusammen auftreten werden. Es war immer eher eine auf unseren Ort begrenzte Sache.

Aber wenn man sich als Riot-Grrl-Band wieder zusammenfinden will, dann jetzt…

Auf jeden Fall (lacht). Bei dem Bikini Kill Konzert, wo du auch warst, war ich auch mit meiner Schwester. Und in Australien sind Camp Cope so beliebt, das Konzert, wo du uns gesehen hast, wäre sofort ausverkauft gewesen, wenn sie vorher angekündigt hätten, dass sie da auch spielen.

Das ist irgendwie auch interessant, dass trotz der soziale Medien und der Globalisierung jemand dort so angesagt sein kann und hier erst langsam ankommt. Auf jeden Fall hat deren Frontperson Georgia Maq jetzt ja fast zeitgleich mit Dir ihr Soloalbum veröffentlicht…
Wobei das natürlich ganz anders klingt als ihre Band. Mir sagen die Leute immer, das das Soloalbum genauso klingt wie die Muncie Girls.

Aber du wolltest ja offensichtlich mal etwas anderes machen, ging es dabei auch um die Herausforderung, auf sich allein gestellt zu sein?
In gewisser Weise schon. Ich wollte schon immer ein Soloalbum machen, aber nicht unbedingt auch damit auf Tour gehen. Mir ging es vor allem darum, alle Instrumente selber einzuspielen, weil ich mir vorstellte, dass das Spaß macht. Diese Idee hatte ich also schon seit Ewigkeiten, aber habe nie genug Motivation gehabt das auch wirklich umzusetzen. Mein Kumpel Ben David, der bei der Band Hard Aches spielt, hat ein Studio in Adelaide und als ich dort mit einer Tour fertig war, fragte er mich, ob ich nicht bleiben wolle, um ein Album aufzunehmen. Und das haben wir dann gemacht. Er hat mir das ermöglicht, und deswegen hat es geklappt. Ich hätte von selbst keine Studiozeit gebucht. Die Veröffentlichung und die Tour kam dann, weil wir Muncie Girls zum ersten Mal eine Pause machen. Es war also vor allem der Zeitpunkt, der jetzt passte. Ich wollte nicht nicht irgendwie auf Tour gehen.

Der Grund für die Pause bei Muncie Girls ist also gar nicht deine Solotour?
Nein, gar nicht. Wir sollten eigentlich im November 2018 in die USA fahren aber ich bekam dafür kein Visum. Niemand ist mir bereit dafür einen Grund zu nennen. Es war ein absoluter Albtraum. Wir waren in Deutschland, wo unser Visum bearbeitet werden sollte und da haben sie mir meinen Pass nicht wiedergegeben, weil sie noch am Visum saßen. Das war alles super nervig. Wir haben sehr viel Geld für das Visum verpulvert and mussten die Tour dann absagen und irgendwie hat das dazu geführt, dass wir insgesamt weniger Konzerte geplant haben. Wir haben die Basement Culture Abuse Tour gemacht, und dann die Get Up Kids Tour gespielt, aber darüberhinaus haben wir nichts zugesagt.

Wir brauchten einfach eine Pause. Es war zwar traurig, dass das mit den USA nicht geklappt hat, aber irgendwie auch gut. Wir waren schonmal dort beim SXSW und The Fest, aber da war es auch schon stressig einzureisen. Wir haben das ohne Visum gemacht, aber wir hatten jetzt einen Bookingagenten und er hat uns gesagt, das wir es offiziell machen müssen. Außerdem wäre es ein 1-jahres-Visum gewesen, das wir noch weiter hätten nutzen können. Wir hatten auch eine Audiotree-Session geplant und andere coole Sachen. Das war wirklich schade. Ich glaube vor ein paar Tagen ist mein Visum tatsächlich bewilligt worden (lacht), und jetzt gilt das für ein Jahr, ich kann es aber nur nutzen um mit den Muncie Girls dort zu touren, aber es ist immerhin gut zu wissen, dass ich jetzt dort wieder einreisen dürfte, weil ich schon dächte ich stände auf irgendeiner schwarzen Liste.

Hattest du denn Bedenken, dass die anderen Muncie Girls eifersüchtig auf deine Solokarierre reagieren könnten?
(lacht) Das hätte schon sein können, aber wir haben alle immer auch noch in anderen Bands gespielt und wir haben im Moment eh nichts gemacht. Wenn wir jetzt eine Angebot für eine große Tour bekommen hätten, und ich da aber schon Solotermine gebucht hätte, vielleicht wäre es dann schwierig geworden. Aber das sind meine besten Freunde.

Würden die sich denn auch als Backupband für deine Solosachen eignen?
Nein, ich will das ohne Männer auf der Bühne machen. Das war ein weitere Grund für dies Projekt. Ich liebe Dean und Luke aber das sollte weiblich sein. Iona (von Shit Present) spielt in England Schlagzeug für mich, und eine weitere Freundin, Gabby, spielt Bass, aber heute Abend bin ich ganz alleine. Das Soloprojekt soll auch queerer sein. Ich wollte diese Themen stärker unterbringen. Bei Muncie Girls geht es auch ein bisschen darum, aber hier bestimme ich eben komplett die politische Stoßrichtung. Mein Traum wäre es, nur mit queeren Bands auf Tour zu gehen. Auf dieser Tor habe ich schon mehr darauf geachtet, queere Veranstalter*innen zu suchen. Bei den Muncie Girls waren es eben immer dieselben Leute, die die Konzerte veranstaltet haben, und wir haben nicht so darauf geachtet, dass diese diverse Hintergründe haben. Ich möchte mit den Solosachen nochmal ganz neue Strukturen nutzen und Kontakte knüpfen.

Als ich dein Album zum ersten Mal gehört habe ist mir diese Zeile am stärksten aufgefallen, wo du singst „I was fed up with boys“ und da geht es ja ums Touren, und davon könnten sich ja die Männer mit denen du tourst angegriffen fühlen.
Das stimmt vielleicht (lacht), aber diese Sorgen wollte ich mir gar nicht machen. Da geht es ja nicht nur um meine Band, sondern die ganze männlich geprägte Szene.

Im Allgemeinen schien mir, dass die Texte minimalistischer sind, als bei Muncie Girls, dafür aber viel direkter. Zum Beispiel bei The Future, da gibt es zwar ein „du“ aber es scheint sehr offensichtlich, dass du das selber bist, mit Vorsätzen, was du alles nicht mehr machen willst
Das stimmt total. Ich habe mir viel vorgenommen, aber nicht nur, womit ich aufhören will, sondern auch was ich neues ausprobieren möchte. Eines war nämlich, dass ich direkter werden wollte (lacht). Ich versuche mehr zu sagen, was ich brauche und will, und Dinge bewusster zu tun. Das gilt für das Touren ebenso.

Macht Dir das irgendwie Angst?
Während der Konzerte nicht, das ist ja das was ich immer mache, seit Jahren. Aber alleine unterwegs zu sein ist herausfordernd, aber es fühlt sich wie ein Erfolg an. Bei den Muncie Girls teilen wir uns die Verantwortlichkeiten auf, wer bucht die Konzerte, wer organisierte Sachen wie den Van oder Unterkünfte, und ehrlich gesagt nehme ich mich da oft etwas raus. Und jetzt bin ich ganz auf mich alleine gestellt! Ich kann natürlich Freund*innen um Hilfe bitten, aber es ist nicht gesetzt, dass sie Dinge übernehmen. Das kann stressig sein, aber es fühlt sich dann doppelt gut an, wenn alles klappt. Ich habe ein Auto gemietet und übernachte bei Freund*innen.

Laura von She Makes War ist hier sogar per Zug getourt.
Das ist auch eine coole Idee, aber es nervt, dass man sich darauf verlassen muss. Und oft ist es ja so, dass man nochmal irgendwohin zurück muss, oder sich ein Plan ändert, und dann bist du dem Transportwesen ausgeliefert, aber ich hatte das auch überlegt. Ich bin bald mit Kevin Devine in Großbritannien unterwegs, vielleicht mache ich das dort so. Das wäre sogar billiger, wenn ich Reisebusverbindungen nutzen würde.

Eine der Sachen, die du aufgegeben hast, ist ja der Alkohol. Ich muss ein bisschen lachen, weil du ja heute unter dem Banner „Mehr Saufen“ spielen wirst. Gerade wenn man alleine unterwegs ist, trinken Leute ja oft auch, um mit anderen ins Gespräch zu kommen.
Mittlerweile habe ich mich dran gewöhnt, dass alle um mich herum trinken. Es kann anstrengend sein, sich dann um sich selbst zu kümmern. Aber ich habe genauso viel Spaß wie vorher, und um Mitternacht gehe ich dann ins Bett und am nächsten Morgen kann ich dann früh aufstehen und mir die Stadt angucken, in der ich da gelandet bin. Heute ist Samstag, es wird viel getrunken werden, aber das stört mich nicht. Nur wenn ich irgendwo bis drei Uhr nachts ausharren muss, weil die anderen noch saufen wollen, dann nervt mich das.

Wie erklärst du dir denn die Verbindung von Punk und Alkohol
Na ja, es ist ziemlich kindisch. Ich habe jahrelang exzessiv getrunken und da kommt eben die Aufregung auf ein Konzert zu gehen und die Aufregung zu saufen zusammen. Es gibt aber auch noch eine beunruhigende Erklärung, nämlich, dass viele Leute, die sich alternativen Szene zugehörig fühlen, psychische Probleme haben und oft sehr unglücklich sind und da hilft es sich abzuschießen, weil es dich woanders hinbringt. Aber obwohl dieser Zusammenhang besteht, geht es oft einfach um die Geselligkeit und das kann ich auch verstehen. Wenn sich Schachspieler*innen treffen trinken die wahrscheinlich weniger, weil es eine ruhigere Aktivität ist, als zu Konzerten zu gehen (lacht). Sich zu betrinken wird immer mit Rock’n’Roll assoziiert werden und es fällt den Leuten schwer das zu abzulegen, Aber dann lernt man Leute kennen, die Konzerte organisieren und nichts trinken und man merkt, dass das alles noch besser ist, wenn man nüchtern bleibt.

Das ist irgendwie absurd, weil Punks ja sonst auch nicht Rock’n’Roll-Poserei übernehmen wollen…
Ich glaube du überschätzt die Leute ein bisschen (lacht). Nicht jeder setzt sich damit auseinander, wie bestimmte Sachen zusammenpassen und ob man jetzt absolute Stereotype bedient. Ich glaube viele Leute verstecken sich hinter Punk, damit es wirkt als wären sie sozialkritisch, wollen aber eigentlich Rock’n’Roll sein, und verhalten sich deswegen nicht besser als andere Idiot*innen in der Gesellschaft. Womit ich nicht sagen will, dass alle die trinken Idiot*innen sind.

In dem Zusammenhang ist es auch total interessant zu beobachten, wie Punkbrauereien aus dem Boden sprießen, die immerhin versuchen die DIY-Idee zu übertragen
Absolut. NOFX haben auch ihr eigenes Bier rausgebracht. Ehrlich gesagt ist das für mich auch ein absolutes Männerding, auch an wen sich das als Zielpublikum richtet, diese Craft-Bier-Touren und so. Ich fühle mich da überhaupt nicht zugehörig oder angesprochen. Ich verstehe das nicht. Selbst als ich noch jeden Tag getrunken habe, hat es mich nie interessiert, wer das Bier hergestellt hat. Alkohol ist super, um sich den Kopf wegzuballern, aber mach es nicht zu etwas, was es nicht ist, indem du es erhöhst und zu einem Merchandiseartikel erklärst. Das macht es nur noch schlimmer.

Es gibt ja auch die Hypothese, dass es feministisch sei, nicht zu trinken, weil Gewalt gegen Frauen oft unter Alkoholeinfluss passiert …
So kann man das betrachten, klar

Du hast ja eben selber schon psychische Krankheit angesprochen, was ein Thema ist, dass du in den Texten oft aufgreifst, wo du sogar genau singst, was für Medikamente du in welchen Situationen genommen hast. Wie stehst du zu dem ganzen Psychiatriekomplex?
Das kommt drauf an, weil ja jeder unterschiedliche Probleme hat. Aber wenn es ein langfristiges Problem ist, dann geht es ja eher darum das unter Kontrolle zu kriegen. Therapien helfen Leuten dabei, in ihrem täglichen Leben klarzukommen. Ich bin keine Expertin, aber es gibt schon Leute, die irgendwann an den Punkt kommen, die Therapie nicht mehr zu brauchen und manche werden das immer weiter machen. In Großbritannien ist das psychiatrische System total beschissen, weil da kein Geld reingesteckt wird. Seit der Austeritätspolitik der Tories, also seit 2010, wird das Budget dafür immer mehr gekürzt. Selbst bei Notfällen und Krisen müssen die Menschen auf extrem lange Wartelisten gesetzt werden und es dauert Monate bis sie Unterstützung bekommen, was schrecklich ist. Da scheint es überhaupt nicht mehr besser zu werden.

Andererseits wird mittlerweile mehr über psychische Probleme gesprochen, was gut ist, aber wenn keine Hilfe verfügbar ist, dann reden die Leute eben nur miteinander, was gut ist, aber vielleicht nicht ausreichend. Es gibt sogar einen Verein, der Gesprächstherapien für Musiker*innen finanziert, aber es hat nichts mit Punk zu tun, und ich glaube nicht, dass die meine Probleme verstehen würden. Wenn man sich mit den schrecklichen Dingen in unserer Gesellschaft auseinandersetzt, fühlt man sich natürlich auch nicht besonders gut und wenn dann Therapeut*innen nicht auf der selben Wellenlänge sind, können sie dir nicht helfen, auch wenn die durch NHS finanziert werden (also in Großbritannien für alle kostenfrei sind).

Meine letzten Sitzungen der kognitiven Verhaltenstherapie haben gezeigt, dass der Person überhaupt nicht klar ist, was meine Sexualität zum Beispiel für Auswirkungen auf meine Wahrnehmung in der Gesellschaft hat. Es war absurd, dass ich mit jemanden sprach, der so viele falsche Annahmen über mich hatte. Es sollte da mehr Angebote für Punks oder politische aktivistische Menschen geben.

Und seit der Wahl von Johnson ist das ja eher noch unwahrscheinlicher geworden
Ja, es ist schlimm, wir haben versucht es zu verhindern.

Puh, vielleicht können wir mit etwas Positiverem enden: Kannst du „romantisch“ definieren?
Nein! (lacht) Das ist ja die Idee bei dem Song! Ich bitte jemand anderen, es für mich zu definieren. Es ist ein Mysterium.

Aber genau das ist ja die Definition: In der Epoche der Romantik ging es darum, dass Geheimnisvolle im Alltäglichen zu finden.
Cool! In dem Song geht es ja auch um Therapie, aber auch um den guten Reim (lacht)!

Interview: Alva Dittrich

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