Dezember 31st, 2022

L.A.-Reisebericht I: Punkrock-Sightseeing in Los Angeles (#212, 2022)

Posted in artikel by Jan

„I don´t like Los Angeles“, Ruth whimpered. “I haven´t been there in years. I hate L.A.”
“So do I. But we must learn to live with it: it´s there“.
(Gekürzt aus Philip K. Dick: Flow my tears, the Policeman said)

Punkrock-Sightseeing in Los Angeles 2022

Ihr merkt schon bei dem Untertitel: „Hier kann was nicht stimmen, USA ist doch dicht für Touristen*innen?“! Natürlich habt ihr Recht (Ende 2021 entstand dieser Artikel). Neulich telefonierte ich mit Dolf und wir sprachen auch über das Reisen (nach USA). Theoretisch wäre ich 2020 und 2021 längst wieder in L.A. gewesen, um auf den Spuren von meinen Punkrock-Heros zu wandeln, um eben diverse Popkultur-Sighs in meiner Lieblingsstadt abzuklappern und diverse Homies kennenzulernen. Laut Stand neulich Ende des letzten Jahres war erst Kanada und dann tatsächlich die USA wieder offen und ein Bekannter war dann direkt in L.A., um Mike Watt zu besuchen.

Für mich würde es aber eben noch ein Weilchen dauern, Booster-Impfung und so – und ich frage mich sowieso: wie wird das dann mit den USA sein, muss man dem CIA täglich rapportieren? Ist das dann wirklich „safe“ da, will man dann auch dahin (einerseits ja, andererseits: wenn man doch positiv ist, 14 Tage Quarantäne im fremden Land, bei aller Liebe zu L.A., aber…) und sowieso ganz allgemein: wie wird das Fern-Reisen in der Zukunft aussehen, wenn es wieder möglich ist (und kommt dann die fünfte Welle und was dann)? Alles total unklar. Klar ist hingegen: ist es nicht gerade tatsächlich das Reisen in die Nähe und Ferne, das wir neben Gigs so vermissen und kramen wir nicht gerade alle in alten Foto-Alben, sind wehmütig, das wir nicht dahin fahren können, wo es uns so gefällt oder gefallen könnte? Natürlich, First World-Problems, schon klar.

Um das Fernweh zu mildern, da dachte ich mir, ich führe von meiner „L.A.-Punk-Sightseeing“-Liste mal einige Ziele auf, die ich eigentlich längst besucht HÄTTE, aber wo ich eben noch nicht war. Zu L.A.-Punk brachte ich 2020 ein eigenes Fanzine „DURST: MY L.A.“ (70 Seiten A4, farbig) raus, mit alten Trust-Kolumnen aus Hollywood, Auszügen aus meinen 22 L.A.-Interviews aus alten Trusts und Berichten und eigenen Fotos diverser schon besuchter Punk-Popkultur-Sightseeings in der Stadt. Die 50 Copies sind ausverkauft, ich schicke euch gerne das PDF zu, denn vielleicht erwähnte ich da schon Ziele (Greg und Raymond Ginn-Elternhaus, The Masque blabla), die ihr hier vermisst.

Ein Grund für diesen fiktiven „Reisebericht“ ist auch dieser: es könnte doch eigentlich viele Fanatiker*innen unter euch geben, die so was auch lieben: deine Lieblingsstadt irgendwo auf der Welt mit Punkrock-Sightseeing vor Ort. Vielleicht habt ihr Lust, für uns dazu einen kleinen Bericht zu schreiben, d.h. einfach ein paar Locations beschreiben, einige nette Schnappschüsse dabei und ab dafür! Beispiel: ihr habt euch Kölner-Punk-Locations angeschaut, wart bei der Adresse vom Proberaum von Cotzbrocken? Oder in New York habt ihr von der 53rd and 3rd-Kreuzzung bis Dancetaria alles gesehen, ihr wisst, wo dort Sid Vicious immer zum Frisör ging! Oder was ging bei euch mit Punkrock/HC-Sightseeing in New York, Rio, Tokio, ich meine: wo lebt dieser verdammte GISM-Sänger eigentlich? Meldet euch bei mir unter jan@trust-zine.de.

Ich gebe zu, dass es mit L.A. sehr einfach ist: berühmte Locations gibt’s hier, die Punkszene ist wahrscheinlich die größte der Welt und die ganzen Strassennamen hören sich für mich schon so toll an. Lasst euch davon nicht abschrecken, in meiner Heimatstadt Leverkusen gibt es auch tolle Punk-Locations, z.B. einen Friedhof-Partyort von OHL aus den 80er, aber ich schweife ab.

Entschuldigt im Folgenden den etwas trockenen Detaillistenstil, normalerweise sind solche Ziele immer nur nette Anlässe, die Stadt mal ganz anders zu entdecken und dementsprechend drüber zu schreiben. Denn sein wir ehrlich: oft ist das eigentliche Ziel nicht besonders aufregend, Motto „Soso, hier war also vor x Jahren mal irgendwas mit Punk?“. Der Weg dahin ist oft interessanter, ganz wie bei einem Konzert oft auch alles, was nicht mit der Band zu tun hat, lustiger ist. Sonst müsste man ja auch nie mehr wegfahren und kann sich alles im Netz anschauen. Live in L.A. überlagerten immer ganz andere Eindrücke den Trip: oft war es superlaut, sehr heiß, es waren sehr viele Menschen unterwegs und die Obdachdachlosen zelten überall unter Palmen, derweil die LAPD diese anpöbelt. Das macht einen ganz anders fertig, es ist längst nicht alles wie im TV, sondern brutale unmenschliche Realität inmitten einem Alptraum von Verkehr, umrahmt von der der schönsten Landschaft in der Welt: links Pazifik, rechts Berge, drinnen: 30 Millionen Menschen im Großraum L.A., Hauptsprache Spanisch. Versuchen wir es trotzdem mit „Trockenschwimmen“, die schönste Freude ist doch auch die Vorfreude!

Was ist die geilste Punk-Band von L.A.? Schwer zu sagen, auf jeden Fall mit die berüchtigsten waren die GERMS. Sänger Darby Crash´s Elternhaus befand sich auf der 1567 Barrington Ave, an einer Überdosis gestorben ist er in der 137 N Fuller Ave in Hollywood und sein Grab ist auf dem Holy Cross Cemetery, 5835 W. Slauson Avenue in Culver City im Zentrum der Stadt (danke Daniel für den Tipp!).

Sieht man von den old school Punk-Bands der 70er ab, dann ist heutzutage wohl NOFX mit die berühmteste Punkband aus der Stadt. Fat Mike wohnt ja auch wieder in L.A., das Internet spekulierte, dass er in Van Nuys im Norden der Stadt an der Kreuzzung Woodman Ave und Weddington St lebt. Klar ist hingegen, dass sein Elternhaus in der 10531 Ashton Ave war. Sein erstes Label für die „Liberal Animation“ hieß ja Wassail Records, das betrieb er von dem 225 N Irving Blvd aus. Zur Schule ging er auf die Fairfax Highschool in der 7850 Melrose Ave. Doch kann man NOFX erwähnen, ohne von ihren Mentoren Bad ReligIon zu sprechen? Natürlich kann man sich dann also die Ursprünge von Bad Religion im San Fernando Valley im Nord-Westen der Stadt anschauen, wie wäre es mit der Schule, auf der sich die Kernmitglieder kennenlernten? Das ist die El Camino Real Charter High School, 5440 Valley Cir Blvd in Woodland Hills. Sicherlich möchtet ihr nun zunächst einen Kaffee trinken, das könnt ihr zum Beispiel im Dogtown Coffee/Zephyr Shop in der 2003 Main Street in Venice erledigen und dabei ein wenig old school Skateboard-History schnuppern. Da um die Ecke, in der 809 Brooks Avenue in Venice, befand sich die frühere WG von Herny Rollins und seinem Anfang der 90er bei einem Einbruch dort ermordeten Mitbewohner/Roadie/Freund Joe Cole.

L.A.-Punkrock wurde Ende 70er und den kompletten 80er aus meiner Sicht hauptsächlich durch ein Label – SST RECORDS in Lawndale – geprägt (in den 90er war es dann natürlich bis irgendwie heute Epitaph Records auf dem 2798 Sunset Blvd in Silverlake) und ich liebe deren Sound bis heute. Kein Wunder also, dass es in der Hinsicht unglaublich viele Ziele für mich gab und gibt: ein altes Atelier von Raymond Ginn befand sich auf dem 719 Lincoln Blvd in Santa Monica. Ihr könnt da ziemlich cool mit dem Bus dran vorbeifahren. Nehmt dazu einfach die blaue Buslinie #3 in Santa Monica Richtung Lincoln, das ist übrigens der legendäre „blue bus“ aus dem „The End“-Stück der Doors, der Bus ist halt blau, das ist alles. SST Records ihr Personal kommt aus der Beachtown-Szene im Süd-Westen der Stadt, lasst uns also erstmal ins Lighthouse an der 30 Pier Ave in Hermosa Beach gehen und einen „Ozzie Burger“ essen! Der Vater von Black Flags Dez Cadena, Ozzie Cadena, war in dem Laden Jazz-Booker, als er starb, benannte man seinen Lieblingscheeseburger nach ihm. Von er dort ist es ein Katzensprung zu dem alten Studio des SST-Produzenten SPOT, das Media Art Studio in der 111 Pier Ave.

Das Studio wurde übrigens von dem Gebäude der legendären „The Church“ gestützt, Joe Carducci von SST beschrieb mir die Lage so: „It was upstairs above the Sushi restaurant on the northeast corner of Pier Ave and Hermosa Ave in Hermosa Beach. It is just a couple doors west of Java Man Coffee, you cross an alley and the stairwell up is there. Don’t know what is up there, maybe offices”. Um die Ecke befindet sich „The Würmhole“ (1201 The Strand), das war die Location des Proberaums von WÜRM, Chuck Dukowski´s Band vor Black Flag Mitte der 70er (ihr Stück „Modern Man“ wurde später von Black Flag neu aufgenommen, das Original haut auch ganz gut rein). Der erste live-Black Flag-Auftritt fand in der Moose Lodge statt (516 N Pacific Coast Hwy) und ein skandalöser Gig in ihren frühen Jahren war in dem Polliwog Park in Manhattan Beach, direkt um die Ecke von Redondo Beach.

Das SST-Sublabel Cruz Records, das uns u.a. ALL gab, befand sich auf dem 2485 Long Beach Blvd in eben Long Beach und dort existierte ja nun auch – wie wir jetzt alle durch die neue Descendents-LP wissen – der alte Proberaum der Descendents an der Kreuzung 9 th und Walnut. Zurück in Redondo Beach könnt ihr euch die Location vom legendären Punk-Laden The Fleetwood anschauen (260 N. Harbor Dr.), aber jetzt wird es wirklich Zeit für ein Bier oder? Dazu könntet ihr in die immer noch existierende Spelunke Tom’s Thirsty Club (2705 Artesia Blvd) gehen und einen heben. Der Laden ist Punkrock-technisch prominent geworden durch die „Thirsty and Miserable”-LP von Saint Vitus, es ist der Laden, vor dem die stehen bzw. liegen

Das schöne in L.A. sind natürlich noch die zahlreichen weiteren Popkultur-Sights, die aber einen Punk-Bezug haben, denn ich weiß es doch genau: tief im Inneren mögt ihr GNR doch, sie lebten in den 80ern kurz vor ihrem Durchbruch in einer WG beim Whiskey a-go-go um die Ecke in der 1114 N Clark St. Von Spuren von Slayer in South Gate sind mir leider keine bekannt. Und wenn wir schon mit GNR bei den „Bad Boys“ der 80er sind, wer dächte da nicht an Compton-South-Cental-Gangsta-Rap! Lustigerweise machten ICE-T und Personal von N.W.A. ihren ersten Rap-Gehschritte jedoch in Downtown in dem Juz Radiotron in der 715 S Park View St – vielleicht tatsächlich das „CBGB“ des L.A. Hip-Hops. Und lasst uns auch nicht die Poesie für Punkrocker*innen vergessen und wer würde da nicht an CHARLES BUKOWSKI denken! Die Post, in der er arbeitete und über diese Zeit dort er in seinem ersten Roman „Post Office“ (1971, Deutsch: „Der Mann mit der Ledertasche“) schrieb, liegt hier: United States Postal Service, 900 N Alameda St., Chinatown. Ein Bierchen trank er wohl immer gerne im Frolic Room (6245 Hollywood Blvd), zum Pferderennen ging es dann auf den Santa Anita Racetrack (285 Huntington Dr, Arcadia) bzw. den Hollywood Park Racetrack (1050 S. Prairie Ave). Teilweise sind diese Ziele Wissens noch in Betrieb, ich check das beizeiten vor Ort für euch!

Ihr sagt jetzt, „Schön und gut Jan, nerv uns bitte nicht mit deinem Musiknerdscheiss, was geht mit Punkrock-Film-Locations, Junge?“ und ihr habt Recht. Man darf tatsächlich die Mira Costa High School in Manhattan Beach nicht vergessen, die in dem RAMONES-Film „RocknRoll Highschool“ als die uns wohlbekannte Vince Lombardi High School fungierte. Ich meine, es gibt auch noch ein bis zwei weitere Film-Locations und eine völlig unauffällige Industrie dazu! Lasst uns zum Abschluss noch einen schönen Cocktail trinken, zum Beispiel in L.A. Downtown in der HMS Bounty Bar (*1962), der Punkrock-Kontext ist zu geil: der Besitzer der Bar war ein gewisser Gordon Fields. Er war der Vater von Robbie Fields, dem Gründer von Posh Boy Records Ende der 70er, der uns mit diversen frühen L.A.-Orange County-Klassikern wie zum Beispiel dem „BEACH BLVD“-Sampler (1979) verwöhnte (Vgl. zur Bounty-Bar seinen Blog-Eintrag unter postposhboy.blogspot.com/2007/08/this-is-my-dads-story.html). Das Straßenschild findet ihr natürlich immer noch leicht, weil es diese Straße in Huntington Beach ja immer noch gibt. Warum Beach Blvd? Die Amis machen das immer ganz einfach: diese unfassbar lange Straße entspringt irgendwo im Asphalt-Dschungel von Orange County und endet am Strand von „Surf City“!

Tja, die besten Reisen (auch die billigsten und umweltfreundlichsten!) sind doch die, die man im Kopf unternimmt oder! Ich wünsche euch jedenfalls eine gute Reise, bleibt gesund, erholt euch gut und: bringt uns bitte rare Punkplatten als Geschenke mit, ihr verdammten Punks, ich meine, warum machen wir das denn alles hier überhaupt?! Saufen und Platten kaufen! Habe fertig, Budweiser leer!

Text: 1L
Quellen: zu 80% die Autobiografien der Bands, Bücher über sie, Flyer auf/in ihren Plattenbookletts (die „First Four years“ von Black Flag bietet zum Beispiel auf einen Blick auf dem Backcover fast alle wichtigen Punk-Konzertstätten der frühen 80er, ich sag nur „Hong Kong Café“. Rest: Reiseführer, Netz, Zufall, Tipps von Leuten, die schon lange vor mir da waren und „locals“. Thx!
Fotos: Netz

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