Dezember 31st, 2022

Alva (#210, 2021)

Posted in interview by Thorsten

„Die wichtigsten Musikerinnen waren für mich zunächst die sogenannten 90ies Women, vor allem Sheryl Crow habe ich als Neunjährige gerne gehört und wegen ihr auch angefangen, mir selber Englisch beizubringen. Dazu zähle ich noch Fiona Apple, die ich bis heute als geniale Texteschreiberin und Musikerin empfinde, die im Mainstream krasse feministische Aussagen unterbringt, ohne dass das unbedingt alle direkt so auffassen. Im Punk war für mich Cinder Block von Tilt die erste und bislang beste Offenbarung, dass eben auch Frauen in diesem Genre erlaubt sind und sich durchsetzen können. Ich liebe ihre Texte, ihre Stimme und ihre Bühnenperformance, die ich zum Glück mit dreizehn in Essen erleben durfte. Und dann ist da natürlich meine absolute Ikone Courtney Love. Es gibt keinen größeren lebendigen Mittelfinger gegen das Patriarchat. Wie viele Leute wünsch(t)en ihr den Tod an den Hals und haben sie trotzdem nicht kleingekriegt! Mal ganz zu schweigen davon, dass Hole die beste Grungeband aller Zeiten ist“.

Interview mit Alva

Es hat nichts mit der Intention für dieses Gespräch zu tun, dass Trust-Schreiberin Alva aus dem Rheinland eben auch fürs Trust schreibt, aber über das Trust lernten wir uns circa 2005 kennen. Ich war da schon beim Heft bei, wohnte wieder im Rheinland, Alva kam neu hinzu in Bonn und 2006 machten wir auch ein Konzert zusammen während dem bislang letzten Trust-Redaktionswochenende im Kult 41 in der früheren Bundeshauptstadt. Ich erinnere mich auch, dass ich Alva mal mit einer WG aushelfen konnte, als sie im nördlichen Rheinland praktikumierte.

Toilet Paper

Well, Alva macht natürlich – wie viele unserer Schreiber/innen – nicht „nur“ Trust, sondern ist auch in anderen Bereichen aktiv, spielt in Bands, macht DIY-Booking und publiziert auch ihr eigenes Perzine „Toilet Paper“. Zu diesem Zine wurde sie auch mal vor Jahren interviewt auf grrrlzines.net/interviews/toiletpaper.htm, das Heft befindet sich auch genialer Weise im Online-Katalog einer australischen Bibliothek (catalogue.nla.gov.au/Record/7385483), es gibt einen schönen Text von Alva zu ihrem Zine auf sellfish.de/archive/www.sellfish.de/toilet_paper_fanzine.html und ausführliche Interviews mit ihr, u.a. im Underdog Fanzine, vor ner guten Dekade.

This Girl will selfdestruct

Ich bin also schon länger Fan von ihren vielfältigen Tätigkeiten im Punkrock und dann fiel mir ja auch auf: fuck, ich schreibe ja für ein Fanzine, wieso habe ich Alva nicht schon längst interview, mal nachhören, was aktuell so gerade bei ihr los ist! Mehr Infos zu ihren alten Bands findet ihr in diesem Internet und mit einer ihrer aktuellen Punk-mit-Geige-Band, This Girl will selfdestruct, ist Alva gerade auch auf einem digitalem Soli-Mix-Tape-Sampler für das AZ Köln vertreten, support it, please hier unter autonomeszentrumkoeln.bandcamp.com (es gibt dat Teil jetzt auch als limitiertes Tape und nicht „nur“ digital). Viel Spass jetzt mit Alva!

Alva, schön, dass du Zeit hast für ein Interview. Erst mal noch Glückwunsch zu eurer Hochzeit vor einiger Zeit, ihr wart dann irgendwie Honeymoonen in Australien oder wat? Wie lebt es sich momentan im schönen Köln, du warst sicher „unfassbar“ traurig, dass Karneval nicht stattfand? (lacht)

Hey Jan, hmm, also ich bin ja auch immer der Meinung, irgendein Konzert war vor zwei Jahren und dann war es vor fünf, aber tatsächlich hat unsere Hochzeit im Jahre 2013 stattgefunden, damals gab es die „Ehe für alle“ noch nicht und deswegen haben wir dann fünf Jahre später das Upgrade beantragt und sind beide Male danach in die USA gefahren, einmal eher in den Westen und einmal eher in den Ostern. Es lebt sich hier in Köln gerade wohl so wie in den meisten Städten Deutschlands, nur dass unsere Ausgangsbeschränkung früher greift. Ich vermisse die subkulturellen Veranstaltungen sehr. Da ich allerdings seit acht Wochen Mutter bin, würde ich auch ohne Pandemie seltener ausgehen als früher, aber den Karneval habe ich tatsächlich nicht vermisst, gerade weil ich in dessen Epizentrum wohne. Allerdings gibt es ja auch nette linke Karnevalsveranstaltungen, die dieses Jahr mit viel Liebe in Online-Räumen umgesetzt wurden.

Sag mal, gibt es dein „Ego-Zine“, das wunderbare A5er „Toilet Paper“ noch, da hattest du auf Englisch ziemlich frei deine Gedanken zu persönlichen und politischen Themen runtergehauen, fand ich immer sehr erfrischend.

Ich arbeite an einer neuen Ausgabe, aber wofür ich sonst drei Monate brauchte, da könnte es jetzt eher drei Jahre dauern. Ich kann dem Format nach wie vor super viel abgewinnen und habe dadurch ja auch ganz viele tolle Menschen kennengelernt, nicht zuletzt Dolf, aber wenn ich die gerade nicht von Hand zu Hand geben kann auf Konzerten, fühlt es sich auch komisch an.

Du hast ja eh ein Faible für gedruckte Zines, generell die Zine-Culture und dazu auch diverse Workshops, Vorträge, Ladyfest-Aktionen gemacht, wenn ich mich nicht irre? Oder hing das auch zusammen mit deinem Job an der Uni Köln?

Ich habe nie an der Uni Köln gearbeitet und auch mein Lehrauftrag an der Uni Bonn, der lange zurückliegt hatte damit nichts zu tun (da ging es um Psychiatriefilme, da ich mich sehr für Psychiatriekritik und Medienwirkung interessiere und das so perfekt verbinden konnte). Mein erster Vortrag zu Zines und damit auch Riot-Grrrl war auf dem Ladyfest Stuttgart-Esslingen, da war ich achtzehn. Das mache ich sporadisch immer wieder, aber gebe auch Workshops/Vorträge zu anderen Themen wie Normierungen oder queerer Geschichte und Praxis und organisiere immer wieder feministische Festivals. Das Wort Faible finde ich interessant, für mich war das immer das beste und notwendigste Werkzeug, um sich zu vernetzen. Ich habe Zines mit Leuten aus aller Welt getauscht und (damals tatsächlich noch) Brieffreundschaften geführt, die wieder zu neuer Inspiration und Austausch über mir wichtige Themen geführt hat. Nur so bin ich überhaupt auf bestimmte Sachen und Bands/Personen aufmerksam geworden.

Ich finde im Trust immer deine Reviews so super, knapp, und auf den Punkt, cool! Was mich mal interessieren würde: was ist schwieriger, kurz zu schreiben oder lange, meiner Erfahrung nach ist lang schreiben einfach, aber wirklich es knapp halten, das dauert, d.h. weniger zu schreiben ist mehr Arbeit! (lacht)

Ich glaube, das war keine bewusste Entscheidung und im Toilet Paper waren die Rezensionen auch immer länger, weil ich da eher nur Labels angefragt habe, bei der die Trefferquote höher ist und wenn ich etwas mag, fällt es mir leichter, darüber mehr zu schreiben. Beim Trust weißt du ja nie, was du bekommst und zu manchen Genres fallen mir dann auch wenige Referenzen ein. Ich versuche immer, so zu schreiben, dass der beschreibende Charakter überwiegt, es sei denn, die Veröffentlichung hat mich aufgeregt, weil ein Text oder Bild für mich nicht klar ging.

Hast du auch so „tolle“ Erfahrungen mit Reaktionen bezüglich kritischer Reviews gemacht, von wegen Bands und Labels melden sich aggressiv bei dir, stach da was besonders dämliches oder auch vielleicht sehr schönes bislang hervor? Was heulen eigentlich Bands und Labels immer rum, wenn sie scheisse besprochen werden? Ein geiler Verriss ist doch lustig und eine Auszeichnung! Klar, es steckt Geld, Zeit und Liebe in einer Platte, aber man muss doch auch Kritik aushalten können. Jede Band sieht sich doch sowieso als die allergeilsten der Welt, aber man muss doch eben auch verstehen, dass manche das eben anders sehen. Klar, jede/r hört lieber gerne ein Kompliment, aber Herrgott, Punkrock und Arschlecken und Kritik nicht als „menschliche Aburteilung“ nehmen und so?!

Da ich selber in Bands spiele, kenne ich beide Seiten und kann schon verstehen, wenn Bands das Gefühl bekommen, dass man ihnen gar keine richtige Chance gegeben oder nicht richtig recherchiert/zugehört/gelesen hat. Aber wie du schon sagst, kommt es ja auch auf den Hintergrund der Rezensent*innen an. Wir haben mit Blockshot mal in Chemnitz zu hören bekommen, wir klängen wie Alanis Morissette und dann wieder von jemand anderem, wir würden Heavy Metal machen. Beides kann ich nicht ganz nachvollziehen, aber in der Welt der Hörer*innen hat es eben genau diese Assoziation ausgelöst. Immerhin bewirkt die Musik überhaupt irgendetwas bei den Leuten, so sollte das gesehen werden und dann ist das hoffentlich amüsant oder eben irrelevant für die Bands selber.

Ich fands schade, dass du nicht mehr Kolumnen schreibst, weil du hattest ja mal welche am Start, aber dann wieder nicht, ist mit einem Comeback zu rechnen in dem Format, „Territorial Cuz she can“ oder dergleichen? (lacht)

Ich behalte mir schon vor, immer wieder eine Kolumne zu schreiben, aber mache das immer so von meiner Monatsform abhängig und was mich gerade so umtreibt, und ob das dann eben ins Trust „passt“.

Mir ist unangenehmerweise mal aufgefallen, dass wenn du nicht immer so vorbildlich die Riot Grrrls-Szene durch Interviews dokumentieren würdest, dass dann wirklich wenig Frauen interviewt werden, Männer interviewen gerne Männer, es ist echt krass, ich achtete irgendwann drauf, es stimmt. Überhaupt ist die Punk-Fanzine-Szene ja sehr männlich geprägt, die Punk-Zines der letzten vierzig Jahren, in denen Frauen auch Chefs waren/sind, das waren 2 Hand voll, Hudley Flipside als bekanntestes Beispiel vielleicht. Eigentlich bitter, das 30 Jahre nach den Riot grrls immer noch festzustellen oder?

Das würde ich mit „jein“ beantworten, aber wie du schon andeutest, leben wir alle in bestimmten Blasen und in meiner habe ich schon das Gefühl, dass viel mehr Frauen und andere Nicht-Cis-Männer die Szenen am Leben erhalten und andere treffen kaum auf Räume, die nicht so geprägt sind. Was mir aber aufgefallen ist, und das war zu Hoch-Riot-Grrl Zeiten auch so, ist, dass die Aufmerksamkeit des Mainstreams anscheinend immer nur für ein bis zwei Bands reicht. Nimm eine Band wie War On Women, die ich auch toll finde, gerade weil sie sehr unmissverständlich und explizit sind, die dann von Ian MacKaye bis Fat Mike in den Himmel gelobt werden und in jedem Zine zu finden sind. Dadurch entsteht irgendwie auch der Eindruck sie seien jetzt die absolute Ausnahmeerscheinung. Das will ich niemanden vorwerfen, aber ich wünsche mir mehr Schneeballeffekte im Punk/Hardcore, wenn zum Beispiel eine größere Band ihre Reichweite nutzt, um kleineren Bands eine Plattform zu bieten. Wir sind doch nicht Google und müssen immer nur die ohnehin obenstehenden Ergebnisse klicken, wenn du verstehst, was ich meine. Aber was Zines angeht, so hatte ich schon immer den Eindruck, dass das doch ein recht weibliches Metier ist. Ich habe im feministischen Archiv in Bonn damals die Grrlzine-Abteilung angelegt, und die war riesig. Selbst das Plastic Bomb hat ja mittlerweile eine „Chefin“.

Du hast natürlich nicht „nur“ Riot Grrrls-Prominenz wie Sleater Kinney, The Gossip ganz früh, Peaches, Chicks on Speed, Kill Rock Stars, Amanda Palmer & The Grand Theft Orchestra, Melissa Auf Der Maur und Le Tigre interviewt, sondern auch 7 Seconds, Anti-Flag, No Use for a Name und jüngst sehr genial wieder die Petrol Girls… Was waren deine besten Interviews so far? Was war superblöd gelaufen, Kathleen Hanna?

Ich glaube, das mit Kathleen ist eine Legende. Die habe ich nie interviewt, sondern Johanna Fateman von Le Tigre, was eine supertolle Begegnung war. Das Interview mit Ani DiFranco war wirklich ein Erlebnis und das mit Melissa auf der Maur sowieso, also wenn jemand, den du eh schon abfeierst, in deinem Ansehen noch steigt, ist das eine krasse Leistung. Ich fand aber auch viele der von dir erwähnten Gespräche super, wo ich gar nicht so viel erwartet habe, zum Beispiel mit Joey Cape (Lagwagon) oder Lou Koller (Sick of it all). Das soll jetzt nicht so klingen, als würde ich bei manchen Leuten mehr oder weniger erwarten, aber manche Bands sind ja absolute Herzensangelegenheiten und andere guckt man sich mehr „zum Spaß“ an. Mir gefallen Interviews immer dann gut, wenn sich die Partner*innen als Teil derselben „Szene“ ansehen und auf Augenhöhe kommunizieren. Ich bin aber auch der Meinung, dass schlechte Tage und Unlust auf Interviews bei tourenden Bands völlig legitim sind, weshalb ich hier auch keine Namen nennen will, bei wem es nicht gut lief. Vielleicht ist aber diese etwas traurige aber coole Anekdote eine Alternative. Ich habe vor etlicher Zeit den mittlerweile verstorbenen Tony Sly von No Use For A Name interviewt. Einige Jahre später traf ich ihn wieder und er hat sich bei mir für das schlechte Interview entschuldigt. Das fand ich echt süß.

Du bist immer noch in Bonn im Kult 41 aktiv oder? Wie ist die Lage dort momentan für Alien She Concerts, hält der Laden die Pandemie durch, ich hoffe es sehr. Im AZ Köln ist hoffentlich auch noch Hoffnung, dort hängst du irgendwie auch mit drin… und das war ja an Szene-Aktivitäten neben Fanzines noch längst nicht alle, du machst Booking für Freunde ihr Label F-Spin Records, trommeltest bei A Boy Named Sue, spieltest Gitarre und sangst bei Blockshot, deine aktuellste Band ist This Girl will selfdestruct… hey, dann habe ich ja alle drei Bands auch in Frankfurt live gesehen! (lacht) Wie organisierst du dir deine Übersicht über die verschiedenen Teller, die du in der Luft halten musst? Oder isses einfach nur die gesunde vegan-Edge-Lebensführung (lacht) oder wie kommst du runter von Punk und „machen und tun“?

(lacht) Du scherzt zwar, aber ich finde das nicht so abwegig, dass weniger Drogenkonsum auch die Wachzeiten und damit das aktivistische Potenzial erhöht. Jedenfalls sind beide Läden, Kult 41 und AZ, natürlich schon hart getroffen, da kaum Veranstaltungen stattfinden können/konnten. Seit meinem Umzug nach Köln im Jahr 2009 habe ich mich allerdings zunehmend auf diese Stadt verlagert, obwohl ich ab und an noch in Bonn veranstalte. Die Läden sind aber auch sehr unterschiedlich organisiert, weswegen im Kult der Verein und die Rücklagen noch einiges auffangen konnten und in Köln auch aus anderen Gründen die Existenz des AZ dauerhaft bedroht ist. A Boy Named Sue gibt es, glaube ich, seit über zehn Jahren nicht, aber ich spiele aktuell bei Flat Hierarchy Schlagzeug. Blockshot gibt es noch, aber wir suchen eine neue Bassistin und This Girl Will Self-Destruct geht es gut, wobei natürlich durch Corona vieles erlahmt ist. Es ist aber tatsächlich existenziell, sich zu fragen, ob „alles ein bisschen“, was immer mein Motto war, auf Dauer wirklich cooler ist als eine Sache absolut fokussiert zu tun. Solange es aber noch Spaß macht, ist es ja mein Lebenselixier und kein Job, der zu erledigen ist, deshalb brauche ich da auch kein „Runterkommen“.

Es gibt von der früheren Bratmobile-Sängerin und riot grrrl-„Ikone“ Allison Wolfe das coole Zitat „Nicht auf irgendeine Art feministisch zu sein, das kommt mir wie Selbsthass vor. Solange noch Sexismus existiert, solange muss es Feminismus geben. Psychologisches Überleben“. Fand ich ´ne gute Aussage. Dazu mal: es begann ja irgendwie vor ungefähr zwei Jahren mit der prominenten Kritik am „nur-Männer-Lineup“ diverser (Punk-) Rock Festivals von Linus Volkmann. 2020 schrieb Diana Ringelsiep einen vielbeachteten Artikel über Sexismus im Punkrock auf dem Blog des Kaput Mags (das von Linus und Thomas „intro“ Venker betrieben wird), es gibt nun #Punktoo, der „Tatort“ thematisierte neulich toxische Männlichkeit bzw. Incels… ist die Lage total beschissen momentan oder war es schon immer so, es artikuliert sich jetzt nur mehr wegen Netz oder wie schätzt du das ein? Das alles sind ja Themen, mit denen du dich schon sehr lange und ausführlich in wissenschaftlicher Auseinandersetzung beschäftigst.

Ja, es war schon immer so und es wird auch noch lange so bleiben. Das ist jetzt gar nicht pessimistisch gemeint, aber natürlich sind über Jahrhunderte gewachsene sexistische und frauenfeindliche Strukturen in der Gesellschaft nicht durch einen Aufschrei in diversen Medien plötzlich kurz vor der Abschaffung, aber es ist natürlich total begrüßenswert, dass mehr über Übergriffe geredet wird. Das wäre ja eine perfide Logik, deswegen anzunehmen, dass der Sexismus zunimmt, weil er jetzt stärker angeprangert wird. Also Fakt ist, wie du schon sagst habe ich mich auch in Zines früh als Betroffene geoutet, und so ein Medium hat natürlich weder die Außenwirkung noch die Zugänglichkeit eines Hashtags. Beides ist aber gut und wichtig, also bitte redet über Vorfälle, redet über strukturellen Machtmissbrauch, redet über Angsträume, etc., auch wenn die Masse an Informationen und Beiträgen dazu führt, dass einige Leute so tun als müssten sie jetzt plötzlich Angst haben, das Falsche zu sagen oder zu tun. Die Angst hätten sie immer haben sollen, denn nur so kann Konsens entstehen. Ich bin Verfechterin der Definitionsmacht und da ist jede Grenzüberschreitung thematisierbar. Ich finde es trotzdem wichtig, zu differenzieren, dass es Abstufungen gibt, aber bei dem Schritt sind wir, glaube ich, noch gar nicht. Das Hauptproblem ist doch, dass Lippenbekenntnisse nur solange aufrechterhalten werden, bis die Kritik einen selber oder das enge Umfeld erreicht. Selbsthass, den du ja anfangs erwähnst ist, glaube ich, allgegenwärtig, auf allen Seiten, aber der erklärt ja nichts. Auch Frauen verinnerlichen Frauenhass, natürlich, und auch Selbsthass kann zu Gewalt gegen andere führen. Aber wahrscheinlich wolltest du eher auf den Rest des Zitates abheben, dass alle Menschen sich zum Feminismus bekennen sollten, solange Unterdrückungsmechanismen wirken, und da stimme ich natürlich zu.

Sind für dich eigentlich die ganzen akademischen Feministen wichtiger als Punkrock, Donna Harroway oder Judith Butler oder…? Ich finde Feminismus super und hatte Butler an der Uni in Politische Theorie, aber sie ist ja sehr schwer zu verstehen, wie Foucault oder Adorno… Ich frage, weil: oft öffnet Punk ja Türen zu solchen Theoretikerinnen und Theoretikern, bei mir waren es tatsächlich Dead Kennedys und Propagandhi. Als ich dann die Bücher lass, gefielen mir die dann aber besser als die Texte beider Bands. (lacht) Lässt du dich heute noch gerne von Punkrock inspirieren oder kennt man doch alles, weil viele Themen wiederholen sich ja… Hast du so Lieblingstheorie-Leute, auf die du immer wieder zurückkommst?

Ich bin der Meinung, dass vielfältige Zugänge zu Themen ausschlaggebend für deren „Verbreitung“ sind, und deshalb sollte auf allen Ebenen mit diesen umgegangen werden. Ich liebe aber durchaus die klare Trennung, denn meine Leidenschaft würde ich nicht gerne zum Beruf machen. Andere tun das, aber ich würde in einer Uniabschlussarbeit eben nicht gerne die Definition von Punk diskutieren. Umgekehrt geht das schon eher, also dass ich einen Punksong über Foucault mache, da muss man halt aufpassen, nicht so elitär rüberzukommen. Aber ich stelle meist den kulturellen Aktivismus, also die Sichtbarere Praxis, über das theoretische Fundament. Ich finde es auch nicht so wichtig, dass Leute immer alles aus erster Hand haben. Als ich muss nicht jeden durch akademische Texte peitschen und kann deren Ideen auch anders verpacken. Das ist ohnehin ein cooler Ansatz, auch diese Barrieren durch alternative Veranstaltungen abzubauen. In Köln gibt es zum Beispiel die Reihe Linke Basics, bei der ohne Wissen vorauszusetzen und ohne Fremdwörter zu benutzen Themen verhandelt werden, die wichtig für die politische Arbeit sind. Aber ob ich eine Lieblingstheoretikerin habe? Vielleicht Kimberlé Crenshaw, weil der Intersektionalitätsansatz so vielseitig anwendbar ist um die Komplexität unseres Zusammenlebens zu erklären?

Welche Frauen in der Musik vor Punk waren für dich wichtig oder von welchen bist du Fan, gibt dir die Musik von Wanda Jackson, Maureen Tucker, Janis Joplin oder Joan Jett was? Oder waren es dann doch ausschließlich die „Punk-Indie-Frauen“ wie Eve Libertine, Joy de Vivre, Kira Roessler, Patricia Morrison, Kim Deal, Poison Ivy, L7 und Kim Gordon?

Bisschen witzig, dass ich bei keiner der aufgezählten extrem viel empfinde. Die wichtigsten Musikerinnen waren für mich zunächst die sogenannten 90ies Women, vor allem Sheryl Crow habe ich als Neunjährige gerne gehört und wegen ihr auch angefangen, mir selber Englisch beizubringen. Dazu zähle ich noch Fiona Apple, die ich bis heute als geniale Texteschreiberin und Musikerin empfinde, die im Mainstream krasse feministische Aussagen unterbringt, ohne dass das unbedingt alle direkt so auffassen. Im Punk war für mich Cinder Block von Tilt die erste und bislang beste Offenbarung, dass eben auch Frauen in diesem Genre erlaubt sind und sich durchsetzen können. Ich liebe ihre Texte, ihre Stimme und ihre Bühnenperformance, die ich zum Glück mit dreizehn in Essen erleben durfte. Und dann ist da natürlich meine absolute Ikone Courtney Love. Es gibt keinen größeren lebendigen Mittelfinger gegen das Patriarchat. Wie viele Leute wünsch(t)en ihr den Tod an den Hals und haben sie trotzdem nicht kleingekriegt! Mal ganz zu schweigen davon, dass Hole die beste Grungeband aller Zeiten ist. Dann wären da aber noch etwas weniger bekannte Heldinnen wie zum Beispiel Bonfire Madigan, ein cellospielendes Riot-Grrl der ersten Stunde, das sich sehr im Bereih „alternative mental health“ engagiert oder meine Freundin Steffi Müller von Beißpony, die seitdem ich sie kenne (ca. 15 Jahre) so krass ihr Ding durchzieht und so wunderbar verquer dabei ist.

Apropos: du hast ja auch ein Herz für Fat Wreck und ihre Sounds, ich ja auch. Es gibt generell im Pop-Punk die Tendenz, über Un-PC-Themen zu singen und Frauen kommen teilweise (!) nur als völlig psychotische oder ständig betrügende/Fremdgehende Charaktere vor… Das alte Problem wird da immer sichtbar: die Typen dürfen fremdgehen und feiern es ab, besonders penetrant in diesem RocknRoll-Oldie „The Wanderer“: aber wenn das gleiche dann die Frau macht, „Schlampe!“. Stören dich so Tendenzen in Musikstilen, die du magst oder ignorierst du das? Es ist ja immer total einfach, (Texte von) Bands ganz krass zu kritisieren, wenn einem ihre Musik nie was gab. Schwieriger ist es, wenn man glühender Fan einer Band ist oder?

Ich glaube, dass ich lesbisch bin, vereinfacht das teilweise. Also ich ignoriere krasses Gehabe natürlich nicht, aber wenn in Songs so Vamps besungen werden, zum Beispiel wie „Knockout“ von Social Distortion oder „Skull City“ von Rancid, kann ich dem ästhetisch etwas abgewinnen, weil ich den Blickwinkel verändere. Und es ist ja nicht so, dass ich gegen jeglichen sexualisierten Inhalt etwas einzuwenden habe. Manchmal ist leider Ansichtssache, was jetzt schon Abwertung ist und was einfach Anziehung. Und wenn man wütend auf eine ehemalige Beziehungsparterin ist, darf man sich auch mal Luft machen. Das kann witzig sein, wie in „Power Bitch“ von No Use For A Name, weil da eben immer klar bleibt, die angebetete Frau hat ganz offensichtlich die Oberhand und lässt sich gar nichts anhaben. Wenn solche Frauen beschrieben werden, finde ich das teilweise sogar empowernd, weil wir ja auch nicht alle immer korrekt handelnde Heilige sind oder seien wollen. Ich denke aber, dass ich auch in Rezensionen klar mache, wo für mich die Grenze liegt, egal ob ich die Band vorher mochte oder nicht. Das ist auch meine Definition von PC nicht. Selbst die von dir schon erwähnten Propagandhi haben ja manchmal so Vorschulhumor drauf, aber der ist eben harmlos. Nicht politisch korrekt ist es, Leute zu misgendern, oder rassistische Wörter auszusprechen, weil es irgendwie provokant wirken soll. Das ist aber teilweise auch schwer vermittelbar, wenn die Lebensumstände so unterschiedlich sind. So sollten wir immer ein gewisses Augenmaß nicht verlieren. Ich möchte ja nicht, dass Leute etwas nicht sagen, weil sie Angst vor meiner Reaktion haben, sondern weil sie für sich erkannt haben, dass das verletzend sein kann.

Danke dir für deine Zeit, liebe Alva und bis bald mal wieder.

Interview: Jan Röhlk

Kontakt: facebook.com/thisgirlwillselfdestruct, thisgirlwillselfdestruct.com

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