Dezember 6th, 2019

KULTUR SHOCK (#121, 2006)

Posted in interview by Thorsten

Lock Up Your Jobs!

Mit den Ausländern ist das so eine Sache – so eine wie mit den Arbeitern und der Unterschicht. Wir sollen sie nicht so nennen, weil sie das diskriminiere. Dabei ändert sich rein gar nichts dadurch, dass wir sie Migranten, Arbeitnehmer oder Prekariat nennen. Die Mitglieder von Kultur Shock gehören mehr oder weniger zu allen drei Gruppen. Und sie scheuen sich nicht, das zu antizipieren, was ihnen gern unterstellt wird: Dass sie kommen, um „uns„ „unser“ Jobs wegzunehmen. Dass es nach wie vor ganz andere sind, die entscheiden, warum wer eingestellt wird, sei hier auch noch erwähnt. „We Came To Take Your Jobs Away“ heißt das jüngste Werk der Band aus Seattle (die es schon seit zehn Jahren gibt), das Cover zeigt einen Mann, der in Latzhose und mit Kippe im Mund mit dem Pümpel vor einer Toilette kniet. Die Musik ist ein gutgelaunter Zug durch das globale Dorf, angetrieben von der Energie des Punk. Ein interessantes Konzept. Da fühlte ich mich motiviert, ein paar Fragen an diese Leute zu stellen. Die Antworten übernahm Gino.

Wer seid ihr?

Gino: Wir und unsere Eltern wurden in Bosnien, Kroatien, Japan, Bulgarien und den USA geboren. Kultura Dictatura hieß unser drittes Album nach „Live in America„ und „FUCC The I.N.S.„. Unser bis dato vollständigste und technisch ausgereifteste unserer Veröffentlichungen. Das Album und das zweite hat uns in Europa und den USA Aufmerksamkeit verschafft. Wir hoffen, dass uns „We Came To Take Your Jobs Away„ noch weiter bringt.

Mein erster Eindruck war, dass „We Came To Take Your Jobs Away“ ein Konzeptalbum ist. Eure Musik vermischt auf höchst unterhaltsame Weise eine Vielfalt vorwiegend osteuropäischer Stile mit einer gesunden Dosis Punkrock und galligen Kommentaren zum migrantischen Subproletariat. Wie seid ihr an das Album herangegangen? Repräsentieren die Stile euren jeweiligen familiären Hintergrund?

Oh nein. Unsere familiären Hintergründe könnten unterschiedlicher nicht sein. Einfache Arbeiter, Zen-Lehrer, buddhistische Mönche, Professoren, Lehrer für modernen Tanz, Geschäftsmänner und Richter sind da vertreten. Aber bei all diesen Unterschieden ist eine Sache ähnlich: Ich bin sicher, dass wir alle etwas anderes machen würden, wenn unsere Familien eine Wahl gehabt hätten. Man kann durchaus sagen, dass unser neues Album ein Konzeptalbum ist. Und gleichzeitig kann man sagen, dass wir als Band kein klares musikalisches Stilkonzept haben. Oder ist das unser musikalisches Konzept? Musikalisch sind wir unserem persönlichen Geschmack treu. Wenn wir uns mitten im Song anfangen zu langweilen, ändern wir es sofort. Das Album ist ohne Overdubs aufgenommen, ohne Gastmusiker, alles auf der Platte haben wir also selbst gespielt und kommt von unseren Platten unserem Live-Sound bis jetzt am nächsten.

Erlebt ihr auch eine Art Welle osteuropäischer Musik in den urbanen Zentren der USA (ausgenommen New York, wo es das ja schon länger gibt)? Wenn ja, was fasziniert die Leute an Balkan- und Gypsy-Musik? Romantische Vorstellungen eines „authentischeren“ Lebensstils?

Wenn die „Westler“ Weltmusik mögen, tun sie das auf ihre „westliche“ Weise. Sie haben immer noch das sagen und wollen, dass wir stille kleine Immigranten sind, zwischen Kerzen und in weißen Hemden. Sie würden gern das Exotische bekommen und unsere politischen Meinungen loswerden. Das gibt es aber nicht, weshalb die Musikindustrie ihre eigenen, rechtschaffenen migrantischen Künstler herstellt. Die Balkan- und Gypsy-Musik, der man ausgesetzt ist, weit weg von dem, was wir und unsere Brüder von Gogol Bordello anbieten. Unsere persönliche Geschichte hat nichts mit einer heilen, romantischen Seifenopernwelt zu tun. Wir kommen aus einer Welt voller Kriege, Armut, Verbrechen und ganz allgemein einer Welt der kleinen Armen und Verdammten. Wir haben natürlich „unsere“ Romanzen und singen darüber, aber wir singen auch über das Leben dort, wo wir herkommen und über das, was uns ärgert. Wir sind da draußen und wir gehen nirgendwoanders hin.

Die Ideologie, dass Fremde uns „unsere“ Jobs wegnehmen, gibt es natürlich nicht nur in Westeuropa. Wie ist die Stimmung in Seattle zurzeit?

Bildung, mein Freund. Das ist es, was auf der ganzen Welt fehlt. Wenn die Leute im Westen ein wenig mehr lesen würden, anstatt ihren faschistischen Führern zuzuhören, wüssten sie, dass wir hier sind, weil sich die Einheimischen zu gut für diese Jobs sind. Es ist nicht so, dass sie uns lieben und uns dieses harte Leben ersparen wollen. Jemand muss auch die Toiletten saubermachen. Dann sind wir in Ordnung und willkommen. Aber wenn wir die Papiere wollen, fragt man. „Wer ist deine Mutter, wer ist dein Vater?“ So einfach ist das. Wenn du sagst: Kultur Shock, denk nicht Rockband, denk: „Kebab Döner Leute“. Schließlich sind wir genau so. Der einzige Unterschied liegt in der Natur der Jobs, die wir machen. Deswegen habe ich die Gelegenheit, mit dir zu sprechen. Deswegen rede ich darüber. Jemand muss das tun. Wir können nicht vergessen, woher wir kommen.

Ich habe gelesen, dass ihr mit der Folk-Ikone Joan Baez aufgetreten seid. Sie soll es geliebt haben. Ihr Publikum auch?

Ich bin mit ihr aufgetreten. Joan und ich wurden Freunde, als sie, wie viele berühmte Leute, während des Kriegs nach Sarajevo kam. Ich machte damals mit befreundeten Musikern, Schauspielern und Tänzern eine Produktion des Musicals „Hair Sarajevo A.D. 1992“. Wir taten das, um normal und gesund in all dem Wahnsinn zu bleiben. Intellektuelle, Künstler und Prominente aus aller Welt kamen nach Sarajevo, um uns als eine Art Roten Teppich zu benutzen. Sie waren hungrig nach dem Spotlight und dieser Krieg mitten in Europa war äußerst bequem für ihre Eigenwerbung. Es war die „Safari von heute“. Wenn sie angesagte Autoren waren, wollten sie im Theater Regie führen, wenn sie Musiker waren, wollten sie Politiker sein, Philosophen wollten Reporter sein. Während sie die lokalen Künstler bevormundeten, waren die Resultate ihrer Missionen lächerliche Amateurtheaterstücke, Treffen mit unseren Politikern – sprich: Kriegsverbrechern – und Amateurjournalismus. Es wäre wirklich lustig gewesen, wenn es nicht schon eine Tragödie gewesen wäre. Anders als andere berühmte Idioten aus dem Westen kam Joan um zu tun, was sie liebt: singen. Sie kam zu unserer Show und es gefiel ihr wirklich. In jener Nacht hatten wir eine Party, auf der sie auf einem Tisch Bauchtanz machte, während ich spielte, und der Tisch unter ihr zerbrach. So wurden wir Freunde. Später, nach dem Krieg, trafen wir uns in den USA und spielten ein paar Konzerte zusammen. Damals waren Kultur Shock noch eine akustische Band. Sie ist ein toller, ehrlicher und normaler Mensch. Ihr Publikum… Ich glaube, sie mochten uns damals, aber ich weiß nicht, wie es wäre, wenn sie uns heute hören würden. Wie ich sagte waren wir eine akustische Band.

Ihr sagt, man habe euch aus der Folkszene geworfen. Kamt ihr zum Punkrock als Fremde oder war es eher ein Heimkommen?

Ich erinnere mich, dass wir die letzte akustische Show spielten und der Clubinhaber fast die Polizei rief wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses. Unser Publikum sprang herum und die Mädchen warfen ihre Bhs herum. Es war toll. Ewigen Dank, dass ihr uns herausgeworfen habt. Es ist eine Heimkehr, natürlich. Das sind übrigens keine Folkkreise, da sind Leute, die gern in der Folkszene wären. Ihre Großeltern kamen von einem Hügel, wo ein Schäfer Flöte spielte. Jetzt wollen sie in ihrer Freizeit, an Wochenenden, den Schäfer, die Flöte und den Hügel rekonstruieren. Nun, ich habe Neuigkeiten: Sogar der Schäfer arbeitet heute mit dem Computer. Als ihre Großeltern in eine neue Welt aufbrachen, blieb jemand dort und lebte weiter.

Intro & Fragen: stone

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