Dezember 6th, 2019

JERICHO’S END: Punk in Israel (#115, 2005)

Posted in interview by Thorsten

Ein Interview mit Liz Nord

Punkrock in Israel: Das klingt ein wenig so wie diese Szene-Berichte im „Maximum Rock’N’Roll“, die wir früher immer gelesen haben. Über die Szene in einem kleinen exotischen Land, mit ganz vielen Adressen am Ende, um die Bands anschreiben und um Demotapes bitten zu können. Macht heutzutage natürlich keiner mehr – wir haben ja das Internet und überhaupt, diese ständige Reizüberflutung mit tausenden neuen Bands selbst in der eigenen Stadt. Wer will da noch wissen, wie Punkrock in Kirgisistan klingt, in Gabun oder Belize.
Nun gibt es über diese israelische Szene gleich einen ganzen Film, die Amerikanerin Liz Nord hat ihn gedreht: „Jericho’s Echo – Punk Rock in the Holy Land“ heißt die Dokumentation. Und die ist extrem spannend geworden, was interessanterweise nur bedingt an den Bands liegt. Es gibt sie in dem Film einmal quer durch den Hardcore- und Punkrock-Garten. Useless I.D. etwa sind die israelische Variante des Fat-Wreck-Sounds und haben auch hierzulande einen gewissen Bekanntheitsgrad. Die restlichen Bands sind alle vollkommen unbekannt und spielen Streetpunk genauso wie Emo oder sogar NYHC. Das ist zumeist sehr nett und hörbar, aber wenig originell. Und ehrlich gesagt: Gäbe es am Ende der Dokumentation eine Liste von Adressen der Bands, der Zuschauer würde nichts verpassen, würde er die Bands nicht anschreiben.
Warum aber ist „Jericho’s Echo“ trotzdem so ein spannender und unbedingt sehenswerter Film geworden? Weil Punk und Hardcore hierzulande oder in den USA so beliebig geworden ist, weil wir uns heute entscheiden können, ob wir lieber Punk oder HipHop oder Bruce Springsteen hören wollen, ohne dass das einen Unterschied machen würde. In Israel hat diese Entscheidung allerdings massive Konsequenzen.
Wie also denken Punks als ungeliebte Minderheit in einem Land, dass selbst eine ungeliebte Minderheit in seiner Region darstellt? Wie sehen sie ihre Gesellschaft, wie den Konflikt mit den Palästinensern? Das Gute an Liz Nords Film ist, dass er Klischees nicht bestätigt: Als Außenstehender möchte man gerne Henne und Ei im Konflikt zwischen Israel und Palästina finden. Aber so wie wir nie ergründen werden, was zuerst da war, hat es keinen Sinn, einen Schuldigen in dem Konflikt zu suchen. „Jericho’s Echo“ versucht das erst gar nicht und erlaubt deswegen einen unverstellten Blick auf die Situation in dem Land. Ein Interview mit Regisseurin Liz Nord.

Das ist dein erster Langfilm. Warum ausgerechnet eine Dokumentation über die Punkszene in Israel?

Mir war schon lange klar, dass ich gerne Filme machen wollte – und zwar Dokumentationen. Es gibt so viele tolle wahre Geschichten in der Welt, dass ich keine erfinden muss. Es reizte mich sehr, was über Punk in Israel zu machen, weil Israel seit Beginn der letzten Intifada vor vier Jahren ständig in den Nachrichten präsent war. Aber der Blick war sehr begrenzt; Man sah entweder Soldaten oder Regierungsvertreter – oder Selbstmordattentäter. Ich wusste, dass das nicht alles ist, weil ich Punks aus Israel kannte – die Story war also größer als die, die wir zu Gesicht bekamen. Genau davon wollte ich berichten. Und wer wäre dafür besser geeignet als die Punks?

Soweit ich weit weiß, wolltest du erst eine Doku über die Band Useless I.D. drehen. Und dann wurde etwas Größeres daraus. Wie kam das?

Ich traf Useless I.D. vor circa acht Jahren, als ich eine Show für sie in Boston buchte. Das war sehr witzig: Die vier Bandmitglieder brachten sechs Roadies aus Israel mir. Wir hatten also zehn verrückte Israelis in meiner Wohnung. Das war der Ausgangspunkt für den Film: Diese Band kommt aus so einer kleinen Szene, und plötzlich sind sie eine international bekannte Band, die in Europa, in den USA, in Japan und Australien tourt. Aber als ich dann nach Israel kam, interessierten mich die jungen Bands mehr. Sie hatten nicht so sehr diesen internationalen Blick auf die Geschehnisse, sondern eher einen regionalen. Deswegen waren ihre Erzählungen unmittelbarer. Useless I.D. sind immer noch Teil des Films, aber sie haben sozusagen den „erwachseneren“ Blick auf die Dinge, zumal sie wesentlich älter sind.

Die Bands, die du zeigst, sind nicht die besten Bands der Welt. Auch Useless I.D. sind zwar sehr nett, aber nicht wirklich aufregend. Und trotzdem ist der Film extrem spannend, weil er über die Musik hinausgeht.

Das stimmt schon, die Musik ist nicht sehr originell, die Bands sind auch recht amateurhaft. Aber was sie einzigartig macht, ist der Inhalt ihrer Lieder, die sich um den Alltag in Israel drehen. Außerdem haben sie eine Leidenschaft für ihre Musik, die amerikanischen Bands heutzutage abgeht. Hier wollen Leute einfach nur in einer Band sein, während es in Israel immer noch sehr rebellisch ist, Punk zu sein. Für mich wurde die ganze Idee von Punkrock wieder wesentlich realer. Hier ist diese Idee sehr verwässert.

Das macht der Film auf jeden Fall deutlich – dass es nicht einfach ist, in Israel Punk zu sein. Bei amerikanischen Bands habe ich das Gefühl, als wäre es eine Karriere-Entscheidung, Punkrock zu spielen.

Während die Aussichten in Israel, Geld mit Punkrock zu machen, praktisch gleich Null sind. Viele der Bands in dem Film haben nichtmal Platten, weil sie überhaupt nicht die Möglichkeiten haben. Useless I.D. sind da wiederum eine Ausnahme, weil sie ein amerikanisches Label haben und international bekannt sind.

Wie schwer war es, die Bands zur Mitarbeit zu bewegen? Bist du einfach aufgetaucht, hast gesagt, was du vorhast, und schon konntest du loslegen?

Nein, es war nicht einfach. Zunächst hatte ich weniger Probleme mit den Behörden als erwartet. Ich konnte meine Kamera ohne weiteres nach Israel einführen, ich bin auch nicht einmal von der Polizei gestoppt worden. Aber einige der Punks waren sehr zynisch: „Wer ist dieses amerikanische Mädel? Ich kenne die nicht, warum sollte ich also mit ihr reden?“ Das ist allerdings sehr israelisch – die Leute haben eine sehr harte Schale. Aber sobald du die durchdrungen hast, sind die Menschen sehr herzlich. Und ich glaube, am Ende habe ich ein paar sehr gute Freunde gewonnen.

Das ist sicherlich auch ein Problem: Einerseits ist es besser, dass du ein Outsider bist, weil du nur so einen Blick aus der Distanz behalten kannst. Andererseits musst du erst einmal eine gewisse Nähe schaffen, um überhaupt das Vertrauen der Leute zu haben.

In der DVD-Version, die wir vorbereiten, gibt es einige Special Features, die ich gedreht habe, als ich nach Israel für die Filmpremiere zurückkehrte. Ich habe alle noch einmal interviewt, um zu zeigen, was die Leute heute machen. Viele von ihnen reden über genau dieses Problem: wie seltsam es für sie ist, dass ein Outsider solch einem Film dreht. Andererseits hätte ein Insider niemals die politischen Fragen gestellt, weil das für ihn nicht interessant wäre. Die Punks verstehen nicht einmal, warum ihre politische Meinung überhaupt für andere Leute interessant wäre.

Insofern verstehe ich aber den Zynismus: Als jemand von außerhalb ist es schwierig, die Politik in Israel zu beurteilen. Natürlich ist es einfach, über die Besetzung des Gaza-Streifens oder des Westjordanlands durch Israel ein Urteil zu fällen. Andererseits wissen wir auch nicht, wie es sich anfühlt, jederzeit Opfer eines Attentats durch einen Selbstmordattentäter werden zu können.

Deswegen habe ich auch versucht, meine eigene Meinung außen vor zu lassen. Ich habe nichtmal einen Erzähler eingebaut. Ich finde auch, dass die Meinungen, die in dem Film zu hören sind, zwar relativ ähnlich sind, aber trotzdem ein großes Spektrum präsentieren. Da gibt es extrem linke Bands und extrem rechte – und alles dazwischen. Ich hoffe also, dass die Zuschauer ein wenig ihre eigenen vorgefassten Meinungen über Israel überdenken.

Ich war trotzdem recht froh, dass meine persönliche – nennen wir sie humanistische – Meinung am stärksten präsent ist. Das Gefühl, dass es Extremismus auf beiden Seiten, bei Israelis wie Palästinensern, gibt und darunter viele andere leiden müssen. Ich bin mir andererseits nicht sicher, ob das den Mainstream wiedergibt. Hast du denn auch mit „normalen“ Israelis geredet?

Ich sagte ja schon, dass es unter den Punks viele verschiedene Ansichten gibt. Andererseits tendieren die meisten von ihnen in Richtung Frieden. Das fand ich übrigens sehr interessant: Es gibt das Stereotyp, dass Punks gefährlich, wütend und aggressiv sind. Aber in Israel ist der Wunsch nach Frieden bei den Punks größer als im Mainstream. Sie sind diejenigen, die eher vergeben und mit Palästinensern reden wollen. Sie sind offener für die Wünsche der Palästinenser. Das ist bei Israelis grundsätzlich seltener der Fall. Aber das hab ich definitiv gelernt: Die ganze Angelegenheit ist viel komplizierter, als wir uns das vorstellen.

Du hast diese rechtsgerichtete Band – Retribution – interviewt, die behauptete, dass das eher jüngere Bands seien, die von Frieden reden würden. Und dass sie lernen würden, wenn sie älter seien. Glaubst du, dass das richtig ist? Ändern sich die Leute nach ihrer Armeezeit?

Die Menschen ändern sich auf jeden Fall während der dreijährigen Armeezeit. Ihnen wir ja jeden Tag eine bestimmte Meinung eingetrichtert. Andererseits gibt es Leute wie die Bandmitglieder von Useless I.D., die sogar noch älter sind als die Mitglieder von Retribution. Guy von Useless I.D. war 29, als ich den Film gedreht habe, und er ist sehr Friedens-orientiert – trotz seiner Armeezeit. Also kann man auch nicht sagen, dass nach der Wehrpflicht niemand mehr an Frieden interessiert wäre. Auf jeden Fall leidet darunter die Punkszene. Leute spielen in Bands, wenn sie jung sind, gehen dann zur Armee und haben anschließend keine Lust mehr, Teil der Szene zu sein. Mittlerweile ist es etwas normaler, den Wehrdienst zu verweigern, weshalb auch die Szene etwas älter wird.

Das hat mich sehr beeindruckt, dass einige deiner Interviewpartner verweigern wollen, obwohl die Nachteile dadurch sehr groß sind. Das ist eine sehr mutige Entscheidung.

Dieses Thema hätte ich auch gerne stärker behandelt, aber niemand sprach darüber so, wie ich es mir erhofft hatte. Und da der Film eine Dokumentation ist, konnte ich das keinem in den Mund legen. Der Punkt jedenfalls ist der: Die Leute haben einen Ausweis, der in dem Film irgendwann gezeigt wird. Wenn ihnen die Armeezeit erlassen wird, weil sie – Zitat – „Psychopathen“ sind, dann wird das in den Ausweis gestempelt, was sie für den Rest ihres Lebens begleitet.

Es heißt tatsächlich „Psychopath“?

Im Prinzip schon, auch wenn das nicht die wörtliche Übersetzung ist. Aber letztlich gelten diese Menschen als geisteskrank. Diese Politik ist meiner Meinung nach wahnsinnig. Denn auch wenn diese Menschen als geisteskrank eingestuft werden, gibt es für sie keine Behandlung – nur den Stempel im Ausweis. Ich als etwas ältere Außenseiterin war einerseits stolz auf die Kids, weil sie solch eine wichtige Entscheidung treffen. Andererseits machte ich mir Sorgen über sie. Denn jetzt sind sie jung und stellen die Musik in den Mittelpunkt. Aber in zehn Jahren, wenn sie einen Job suchen, bereuen sie vielleicht ihre Entscheidung. Es ist also sehr mutig, aber auch sehr naiv.

Lass uns nochmal über Retribution reden. Sie wirkten wie Außenseiter in einer Außenseiter-Szene. Wie viel Kontakt gibt es denn zwischen ihnen und dem Rest der Szene? Oder gibt es noch eine weitere rechte Szene mit pro-israelischen Hardcore-Bands?

Es gibt noch mehr rechte Bands in der Metal-Szene. Aber die habe ich außen vor gelassen, weil das ein ganz anderes Thema ist. Retribution sitzen ein bisschen zwischen den Stühlen, weil sie Metalcore spielen. Aber die Bands reden untereinander nicht über Politik. Sie mögen zwar andere Meinungen haben, aber sie sind dennoch Freunde. Und Retributions politische Ansichten kommen nicht so oft zum Vorschein.

Aber es gab diesen einen politischen Song, den die Band in deinem Film spielt.

Das Lied kann allerdings in verschiedene Richtungen interpretiert werden. Das war verrückt, als ich den Film in Israel zeigte und alle Bands im Kino saßen: Sobald eine linke Band was sagte, standen die Jungs von Retribution auf und buhten. Und das gleich passierte umgekehrt, sobald sich die Retribution-Mitglieder über politische Themen äußerten. Ich hatte schon Angst, dass es zu einer Prügelei kommen würde. Aber am Ende gingen alle sehr freundlich miteinander um. Viele der Jungs sind schließlich auch zusammen aufgewachsen, und die Szene ist sehr klein.

Lustig fand ich, dass ausgerechnet diese rechte Band Musik von so dumpfen New York Hardcore Kapellen kopiert.

Ja, sie lieben 25 Ta Life, Madball und so.

In dem Interview mit dir im „Punk Planet“ stand die Frage, ob den Mitgliedern von Retribution klar ist, dass in Europa und den USA rechte Ideen oft mit Antisemitismus einher gehen. Danach dachte ich, aber dass mittlerweile Anti-Islamismus eine wichtigere Rolle spielt. Ich bin mir also nicht sicher, ob Retributions Ideen ein Widerspruch sind oder sich genau diesem Anti-Islamismus annähern. Was meinst du dazu?

Retribution sehen natürlich wie Skinheads aus, was genau das Gegenteil von ihren Ideen wäre. Aber ich sehe dennoch keine Parallelen. Retribution drücken sehr wohl einen Wunsch nach Frieden aus. Sie haben nur keine Hoffnung, dass sich dieser Wunsch verwirklich ließe. Retribution würden aber niemals sagen, dass sie den Palästinensern den Tod wünschen würden.

Gibt es eine religiöse Hardcore-Szene in Israel, ähnlich wie diese Christencore-Bands, die in den USA so populär sind? Das war in deinem Film nicht zu sehen.

Nein, jedenfalls ist mir das nicht aufgefallen. Das liegt aber wohl daran, dass Judaismus für sie den Mainstream darstellt. Das ist Teil der Gesellschaft, gegen die sie rebellieren. Für mich als Amerikanerin war es immer rebellisch, jüdisch zu sein, weil wir eine so kleine Minderheit darstellen. Aber das funktioniert in Israel natürlich nicht. Deshalb rebellieren sie gegen ihre religiösen Wurzeln statt sie zu feiern. Aber nebenbei erwähnt: Eine der Bands, die ich nur ganz kurz zeige, namens Man Alive bezeichnet sich selbst als „missionarische Juden“, sie sind also sowas wie „Jews for Jesus“. Sie werden langsam populär in der christlichen Rockszene in den USA.

Wie religiös bist du denn? Und wie wichtig war dein Glaube für diesen Film?

Ich versuche normalerweise meine persönlichen Einstellungen aus Interviews herauszuhalten, weil ich möchte, dass die Personen in dem Film für sich selber sprechen sollen. Aber ich glaube, dass ich nicht dieses Interesse an Israel hätte, wäre ich nicht jüdisch in den USA erzogen worden. Deswegen wollte ich überhaupt Israel besuchen. Auf der anderen Seite wollte ich der jüdischen Gemeinde hier zeigen, dass nicht alles in Israel so ist, wie sie glauben. Aber ich bin nicht streng gläubig: Ich mag einige Traditionen, gehe manchmal in die Synagoge und versuche, die wichtigen Feste zu feiern. Aber ich beachte nicht den Sabbat oder esse koscher oder so.

Ich kann mir vorstellen, dass das die Filmarbeiten noch ein bisschen komplizierter macht: dass du Jüdin bist, aber nicht in Israel lebst.

Nein, nicht wirklich. Die Punks waren allerdings überrascht, dass jemand jüdisch sein kann, weltlich lebt, aber bestimmte jüdische Traditionen ausübt. In Israel ist man entweder weltlich oder extrem religiös, dazwischen gibt es nicht. Ich hatte eher Probleme mit amerikanischen Juden, von denen ich dachte, dass sie meine Arbeit unterstützen würden. Aber tatsächlich waren sie besorgt, dass ich ein – Zitat – „schlechtes Bild“ von Israel zeigen könnte.

Ich fand das Bild eigentlich sehr positiv.

Eben. Aber die Leute hatten offenbar Angst, was ich zeigen könnte.

Der Umgang mit der Gewalt in Israel hat mich verwirrt. Wenn ich an die Szene denke, wo die Jungs von Useless I.D. erzählen, wie dieses Mädchen aus einem ihrer Videos bei einem Selbstmordattentat ums Leben kommt. Es wirkt zunächst so, als würden sie das völlig emotionslos sagen. Aber dann merkt man, dass sie die Geschehnisse einfach nur auf Distanz halten. Wie war das, dieses Thema anzusprechen?

Ich glaube, dass das mit dieser Schale zu tun hat, mit der sich Israelis umgeben. Das hat mich die ganze Zeit über verwundert, wie sie über die Attentate reden. „Man gewöhnt sich daran“ – das sagte jede einzelne Band. Kann man sich wirklich daran gewöhnen, dass ein Freund von dir in einem explodierenden Bus stirbt? Das ist doch Wahnsinn. Ich glaube, sie gewöhnen sich nur daran, damit sie mit ihrem Alltag weitermachen können. Aber so etwas hat einen immensen Einfluss auf die Psyche einer ganzen Nation.

Das ist kein guter Vergleich, der mir dazu einfällt: Aber die Artikel in den Zeitungen über Attentate im Irak oder in Israel werden bei uns auch immer kleiner. Das sagt ja auch jemand in deinem Film, dass die Medien in Israel immer weniger darüber berichten. Aber der Vergleich ist natürlich insofern nicht gelungen, weil es in Israel das Leben der Menschen ganz konkret bedroht, während wir aus der Distanz in unseren sicheren Wohnzimmern darüber lesen.

Aber die Menschen sagen dort ebenfalls, dass ein Bombenattentat weit weg ist – etwa wenn es in Jerusalem passiert, und sie in Tel Aviv leben. Dabei liegen gerade drei Stunden Autofahrt zwischen den beiden Städten.

In dem Film gibt es keine palästinensischen Bands. Das wäre natürlich auch ein anderes Thema. Aber mich würde trotzdem interessieren, ob es überhaupt Hardcore in Palästina gibt.

Ich habe jedenfalls nie von einer palästinensischen Hardcore-Band gehört. Das liegt unter anderem daran, dass die Gesellschaft dort noch weniger weltlich ist, was es einer Jugendkultur wie Punk noch schwieriger macht, sich zu entwickeln. Es gibt allerdings eine große HipHop-Szene, was sehr interessant ist, aber ein anderes Thema.

Um über den Film als solchen zu reden: Wie schwierig war es, den Film zu finanzieren und Wirklichkeit werden zu lassen?

Das war extrem kompliziert, und zwar auf mehreren Ebenen – vermutlich weil „Jericho’s Echo“ mein erster Film ist. Wer will schon jemandem Geld geben, der vorher noch nie etwas gemacht hat? In den USA gibt es zudem immer weniger Kulturförderung, weil mehr und mehr Geld in die Armee fließt. Wir haben ohnehin keinen Kulturfonds für junge Filmemacher wie etwa in Deutschland oder in Europa. Vielleicht hätte ich den Film nie angefangen, hätte ich vorher gewusst, wie viel Zeit ich für den schönen Teil – die Dreharbeiten – brauchen würde und wie viel für die geschäftliche Seite. Selbst jetzt, einige Monate nach der Fertigstellung, arbeite ich noch für den Film – jetzt geht es darum, Promo zu machen und „Jericho’s Echo“ zu zeigen. Insofern bin ich froh, dass ich diese ganze DIY-Mentalität verinnerlicht habe – ich kenne viele Leute, die in Bands spielen, und hab selber für Labels gearbeitet. Deswegen weiß ich, dass es immer Wege außerhalb des Systems gibt.

Allerdings kann eine Band ein Album für 1000 Dollar aufnehmen und es dann selber pressen lassen. Und das können die Bandmitglieder aus ihren eigenen Ersparnissen nehmen. Während Filme viel teurer sind.

Das war ein ziemliches Abenteuer. Deswegen kann ich nur hoffen, dass ich es nach diesem Film, der gelungen ist und gute Rezensionen bekommt, etwas einfacher habe, wenn ich mich an den nächsten mache. Diesmal hatte ich ein echtes Graswurzel-System für die Finanzierung: Man konnte auf meiner Webseite für den Film spenden. Darüber hab ich dann auf verschiedenen Punk-Webseiten informiert. Ich habe kleine Spenden von überall in der Welt bekommen. Jetzt haben so viele Leute in den Film investiert – finanziell wie emotional -, dass ich die ganze Zeit wusste, dass ich diesem Film fertig stellen musste, auch wenn es mal nicht so richtig lief.

Hast du den Film jetzt komplett finanziert?

Nein, ich bin noch ungefähr 30.000 Dollar in den Miesen. Ich hoffe, dass ich ein bisschen Geld einnehme, wenn ich den Film nun überall zeige, und später durch die DVD. Ich würde ganz gerne meine Kosten wieder reinbekommen.

Soll der Film denn noch regulär in die Kinos kommen?

In Kanada ist der Film in den Kinos zu sehen. Aber hier in den USA mag ich es lieber so wie es ist. Ich kümmere mich eher darum, dass der Film im Fernsehen zu sehen ist und auf DVD erscheint. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass „Jericho’s Echo“ in Europa sehr gut im Fernsehen laufen könnte, weil die Menschen bei euch wesentlich politischer sind.

Und was ist dann dein nächstes Projekt?

Erst einmal, mit diesem weiter auf Tour zu gehen. Danach gibt es nur vage Ideen.

Dietmar Stork

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