Dezember 6th, 2019

NO WEATHER TALKS aus # 184, 2017

Posted in interview by Jan

„Ansonsten wären die perfekten Lyrics für mich eine Mischung aus verschwurbelter Metaphorik wie bei den Smashing Pumpkins und so ein missionarischer Ruf nach Kommunismus und Hedonismus, wie zum Beispiel bei der (International) Noise Conspiracy“.

NO WEATHER TALKS

Ja, es gibt sie noch, die total guten aktuellen Bands! Mucke geil, live cool (zum Beispiel in Frankfurt im Elfer vor einiger Zeit), auf Platte spannend, Inhalte kritisch und progressiv, aber eben auch zu Partyspielen aufgelegt, yes! Ich möchte euch die wunderbaren NO WEATHER TALKS aus Norddeutschland – zusammengesetzt aus Mitgliederinnen von zum Beispiel TACKLEBERRY, MATULA und JURI GAGARIN – ans Herz legen. Wunderschöner Punkrock mit diesem berühmten „jroßem Jefühl“. Emo-Politik-Punk ohne Geweine.

2017 gibt es die Band fünf Jahre, man spielte auch schon mehrmals auf dem The Fest in Florida und veröffentlichte bereits auf No Idea Records und Gunner Records. Anfang 2017 sprach ich mit Sängerin Flicke (die lustigerweise bei unserer ByteFM-Radiosendung in Hamburg zu unserem SST-Special in Trust # 133 von 2008 dabei war, unser Stone sprach mit ihr und Klaus Walter) und NWT-Rhythmus-Gitarren-Sektion- Nummer 1-Jens [den ich mit seiner anderen Band namens Panzerband mal in Leverkusen live sah] über verschiedene Aspekte einer gerne tourenden Bands, über Bromance, Männerbünde, Sexismus, Ramones, Radio und noch einiges darüber hinaus (spitzen Cliffhänger oder?!). Alle reden vom Wetter, wir auch, mit diesem super Witz gebe ich ab ins Interview. Wie es die Band selbst so schön formulierte auf einer Single: „More Passion Less Paycheck“!

Ihr kommt alle aus anderen Bands, das waren u.a. TACKLEBERRY, MATULA oder JURI GAGARIN – warum gibt es diese Bands nicht mehr?
Flicke: Meine vorherigen Bandprojekte sind tatsächlich an Ehestreit-ähnlichen internen Konflikten zerbrochen. Wobei ich darüber, zumindest in einem Fall, auch nicht allzu traurig war.

Jens: Einige unserer alten Bands existierten für eine lange Zeit. Die hatten dann ihre musikalische Mission erfüllt. Irgendwann ist es an der Zeit, weiter zu ziehen. Ansonsten halt die üblichen Sachen. Wie Flicke schon andeutete, ist eine Band oft wie eine Ehe mit mehr als zwei Beteiligten. Die erwähnten Matula existieren aber durchaus noch; in dem Falle sieht es aber so aus, dass der betreffende Mensch schon seit Jahren nicht mehr Teil von NWT ist.

Konntet ihr etwas aus diesen Projekten lernen für No Weather Talks?
Jens: Ja und nein, würde ich sagen. Klar haben wir unser DIY-Einmaleins alle schon vorher drauf gehabt. Also so grundsätzliche Sachen wie: wie organisiere ich eine Tour, wer veranstaltet wo Konzerte und wie läuft das da ab? Wer bringt die Platten raus und wie geht das? Wir konnten da auf jeden Fall sehr sicher einsteigen und waren von daher schnell am Start. Andererseits, muss ich aber rückblickend sagen, sind viele Probleme trotzdem dieselben geblieben und aus unseren alten Bands übernommen worden.

Zum Beispiel: fünf Leute sind einfach mehr als drei. Entsprechend lang ist mittlerweile die Liste der Ex-Bassisten und Ex-Gitarristen. Rückblickend war das bereits der erste Sargnagel für NWT – eine weitere fünf Personen Band aus dem Boden zu stampfen, statt die Menschenmasse zu reduzieren. Regelmäßig habe ich auch den Eindruck, dass wir ein super Fall für eine Gruppentherapie wären. Da helfen alle vorherigen Banderfahrungen oft leider nur bedingt. Man sollte meinen, dass die zwischenmenschlichen Problematiken in der x-ten Band endlich mal keine Rolle mehr spielen würden. Aber: Pustekuchen.

Wie seid ihr auf den genialen Bandnamen gekommen? Ich dachte, das kommt aus der 68er Bewegung, alle reden übers Wetter, wir nicht… aber dem ist ja nicht so.
Jens: Ich fasse das mal kurz zusammen – der gewissen Dringlichkeit, die der Name impliziert, sind wir uns natürlich bewusst. Aber dahinter steht tatsächlich eine kleine Geschichte über das Wetter. Berliner Freunde von mir hatten sich vor einigen Jahren für das Fluff-Fest in Tschechien extra eigene Spaß-Buttons angefertigt. Da im betreffenden Jahr der Wetterbericht vorab eher durchwachsen ausfiel, stand auf einem dieser Buttons folgerichtig „no weather talks“. Das ist alles. Der Dualismus der Bedeutung ist aber natürlich gewollt und das von dir erwähnte Ding mit dem „alle reden übers Wetter….“-Plakatmotiv geistert schon seit Jahren durch unsere Köpfe, als Idee für Aufkleber oder ähnliches.

Flicke: Ich glaube, du bist der erste Mensch der unseren Bandnamen „genial“ und nicht kompliziert, unförmig oder anmaßend findet. Danke.

In einem anderen Interview habt ihr gesagt „Wir hatten einfach irgendwann keine Lust mehr auf Hardcore, das hat uns vereint. Wir sind alle recht vielseitige Musikhörer, letztlich ist Punk aber immer der gemeinsame Nenner.“ Warum eigentlich keine Böcke mehr auf HC?
Jens: Da ich das wahrscheinlich gesagt habe: wir sind wir hier im Trust, da dürften viele Leser unter HC etwas anderes – viel älteres – verstehen, als das, was unsere drei Leute mit „HC-Background“, Peder, Mäxchen und ich, in unseren alten Bands Tackleberry und Just Went Black so mitgemacht haben. Wir sind alle, entsprechend unserem Alter, in den 90er musikalisch sozialisiert worden und fingen dann so um die Jahrtausendwende herum an, massiv Konzerte mit unseren Bands zu spielen.

Da waren viele von uns aber auch schon über zwanzig, muss ich dazu sagen, nicht alle von uns haben gleich mit 16 in Bands losgemuckt. Beide Bands haben im weitesten Sinne „melodischen Hardcore“ gespielt. Also das, was heute gerne „modern HC“ genannt wird und mittlerweile eine Art eigene Sub-Szene zu sein scheint. Davon reden wir also vor allem.

Vieles davon, was da so lief, gerade in den letzten Jahren vor unserer jeweiligen „Auflösungen“ im Jahr 2012, haben wir als eher negativ wahrgenommen. Es schien, als ob dieser ganze „Bier und Stiefel“-Hardcore, wie wir so Mainstream-Kram à la Agnostic Front, Ignite etc. gerne nennen, immer mehr in die DIY-HC-Szene einsickerte – mit entsprechenden Attitüden. Plötzlich spielten wir im AZ Hinterfurzingen mit Berliner Nachwuchsmoshern zusammen, die auf jeden Fall ähnliche Vorstellungen von Publikumsreaktion, Groupies, Catering und vor allem von ihrer Gage hatten, wie ihre großen Vorbilder. Das war für uns schwierig und einfach nicht unsere Welt. Entsprechend war es eine Befreiung, mit NWT in andere Bereiche des DIY-Punk auszuweichen.

Seid ihr mit einer konkreten Message an den Start gegangen oder wolltet ihr so viel zocken wie es geht?
Flicke: Es wurde kein Schlachtplan ausgearbeitet. Aber ich denke, dass jede/r von uns eigene Schwerpunkte hat, was ihm oder ihr wichtig ist in und mit einer Band. Einige von uns könnten aber als quasi „Tour“-süchtig bezeichnet werden. Jens: Ich würd´s so beantworten: ja und ja. Das Ziel war gleich, Konzerte zu spielen, weil unsere alten Bands das am Ende eher selten bis nie taten, aber es war natürlich auch gleich klar, dass es eine Band mit entsprechender Message wird.

Doofe Frage bei einer weiblichen Sängerin, aber: steht ihr für riot grrrl, Feminismus? Worum geht es so in euren Texten oder sind die nicht so wichtig? Ihr sagtet ja in einem Interview kürzlich zum Feedback zu eurer neuen Platte… „Angesichts der Tatsache, dass wir während des aktuell laufenden Deutsch-Revivals auf Englisch singen und dass auch noch mit Texten abseits von Bromance und Saufen können wir uns über das Feedback wirklich nicht beklagen.“ Politisch progressive Texte immer gerne, aber zu PC aber auch nicht, Politik und Party wäre ja irgendwie am besten, wie bekommt ihr das hin?
Jens: Du beziehst dich hier auf ein Interview, das ich vor circa 1,5 Jahren gemacht habe, als unsere LP rauskam. Derzeit ist ja „deutscher Punk“ in aller Munde, siehe einschlägige Musikmagazine und so weiter. Da wir aber fast ausschließlich amerikanisch und oder englisch sozialisiert und inspiriert sind, bieten wir hier wenig Schnittmenge mit diesem Kram. Eine deutsche Band, die US-Punk spielt, will in ‚Schland keine Sau sehen. In dem von dir erwähnten Zitat bezog ich mich auf die Tatsache, dass man vielen Reviews zu unserer Musik anmerkt, das die Leute die Texte entweder nicht durchgelesen oder einfach nicht verstanden haben. Das findet sich oft zwischen den Zeilen.

Klar machen wir auch mal Witze in Richtung „Ey Flicke, ich hab keinen Plan, von was für ´nem Scheiss du in dem Lied schon wieder singst.“ Aber unterm Strich ist uns das natürlich keineswegs egal, was wir für Inhalte transportieren. Die Sozialisation in den 90er macht uns vielleicht besonders anfällig für dieses „more than music“. Das ist sicher ein bisschen kleben geblieben und ja, wenn du willst, kannst du da auch gerne den „Riot Grrrl“ Aufkleber drauf kleben.

Flicke: Ich persönlich verstehe mich als radikale Feministin und empfinde mich durchaus von sogenannten Riot Grrrl-Bands und Szenen sozialisiert und inspiriert – ob aus den 90er oder aktuelle. Auf unserer LP finden sich auch durchaus ein zwei Songs beziehungsweise Texte, welche aus einer feministischen Perspektive Kritik an gesellschaftlichen Zuständen formulieren. „Reclaim the Night“ ist zum Beispiel im Geiste der coolen Tradition der „Nachttanz-Demos“ am Vorabend des 1. Mai geschrieben. Da geht es darum, sich als „weiblich“, trans-, inter-, queer-,*- identifizierende Person die nächtliche Öffentlichkeit, die Straße und die dunklen Gassen, mal zurückzunehmen.

Es geht darum, darauf hinzuweisen, dass es Kacke ist, aufgrund der eigenen, gesellschaftlich marginalisierten Körperlichkeit nicht nur Nachts immer mit Pfefferspray im Anschlag rumlaufen zu müssen – und Scheissangst vor Männern bzw. Gewalt zu haben. Wenn ich so etwas thematisiere, dann auf jeden Fall aus einer individuellen Ebene heraus, weil es mich persönlich beschäftigt. Politik in Musik wird meiner Meinung nach schnell langweilig, wenn mir was von „Smash the State“ erzählt wird. Ja, will ich auch, aber wie geht das denn – und wo fängt das in meinem kleinen Leben an?

Riot Grrrl spielt für mich auch auf jeden Fall eine wichtige Rolle, über die es sich immer lohnt, zu reden, wenn es darum geht, dass es nach wie vor cooler und normaler werden darf, dass nicht-„männliche“, „nicht-hetero“-Personen auf Bühnen oder Fußböden stehen und Musik machen, Bands gründen und so weiter. Der Slogan „girls to the front“ sollte von uns allen, die wir irgendwas mit Musik und DIY-Szenen zu tun haben, auch als „girls on stage“ oder am DJ-Pult, im Studio… gedacht werden, finde ich.

Was meintet ihr mit „Bromance“, guter Begriff, diese Männerbünde sind damit gemeint? Oder die „Brohym“ von Pennywise oder wat?!
Jens: Dabei ging´s mir um diesen Bart-Punk amerikanischer Prägung, dem wir ja musikalisch witziger Weise nicht allzu fern sind. Also: Karohemd, Rauschebart, Tättowationen, Whiskey aus der Flasche, rauher Männergesang, „Bro“ hier und „Dude“ da. Obwohl wir im Prinzip ähnliche Musik machen wie viele dieser Kapellen, werden wir (zum Glück?) völlig anders wahrgenommen, weil erkennbar eine Frau singt. Da fallen dann schnell Begriffe wie „Poppig“ oder „Zuckersüss“. Ich finde allerdings nicht, dass melodische Musik gleich ´nen Zuckerguss drüber kriegt, nur weil die Tonlage vom Gesang in einem als weiblich wahrgenommenen Frequenzbereich liegt. Und, nochmal, inhaltlich sehe ich da nicht viel Zuckerschlecken bei uns.

Noch ´ne doofe Frage: man bekommt oft von Bands erzählt, wie schnell sehr tief das Niveau auf einer Tour sinkt und dass das Ganze auch ungewollt immer so ´ne Männerbünde-Sache ist und dass das gebrochen wird, wenn eine Frau mit dabei ist, also dass man dann sich etwas gewählter ausdrückt und nicht die schlimmsten Witze macht etc. pp. Stimmt das, vielleicht im Vergleich zu euren früheren Bands und heute?
Flicke: Von schlimmen Witzen (und Fürzen) wurde ich, auch in dieser Band, noch nie verschont. Auch wenn sie’s nicht zugeben, denke ich, dass die anderen sich schon teilweise anders verhalten, als es früher zum Beispiel im Tackleberry-Tourbus üblich war. Aber ich denke auch, dass das allein deshalb unumgänglich ist, da wir alle dahingehend sozialisiert sind, Geschlechtscharaktere in bestimmten Situationen anzunehmen oder abzulegen.

Jens: Ich erinnere mich, dass sich eine Person in den Anfangstagen der Band diesbezüglich äußerte („Da muss ich mich jetzt aber zusammenreißen“). Diese Person war nur kurz in der Band.

Flicke, du meintest mal, dass die große Plattenindustrie eine „endlos sexistische Industrie“ wäre, wie meintest du das?
Flicke: Wow, da war ich aber scheinbar geil aggro drauf, haha. Naja, also „DIE Plattenindustrie“ gibt es ja eigentlich sowieso nicht. Musik produzieren, spielen, vertreiben, promoten und verkaufen (lassen) findet ja leider, auch im DIY-Bereich, nicht in einer Blase statt. Um´s jetzt mal studentisch zu sagen: Die heteronormative kapitalistische Gesellschaft ist überall. Aber gerade im „Musikbiz“ gibt es traditionelle Rollen, in die „Frau“ (und „Mann“) quasi geboren scheinen – Groupie, Merchgirl, Tontechniker, Labelboss etc. – und die sind noch nicht ausgestorben. Ich persönlich wurde auf Tour schon mehrmals von Veranstaltern und anderen gefragt, ob ich „mit der Band unterwegs“ sei, no Joke.

Die Ramones haben mal gesagt, dass Touren niemals „boring“ sind – wie habt ihr das Touren bislang so erlebt? Wie war´s eigentlich an der Ami-Ostküste?
Flicke: Nee, also „boring“ sind wirklich nur die paar Stunden jeden Tag, wo regelmäßig auf der Autobahn oder sonst wo im Stau gestanden wird, obwohl noch vierhundert Kilometer vor einem liegen. Unsere kleine East-Coast-„Tour“ war super. Tunker, unser Gitarrist, durfte gleich am ersten Tag frittierte Oreos probieren und vor allem in Philadelphia und Richmond wurde uns ein „warm welcome“ bereitet. Wir haben außerdem mit tollen Bands von da spielen dürfen, Worriers und Sea of Storms, um nur zwei zu nennen. Aber die größte, vor allem auch logistische Unterstützung, kam von unserer Lieblingsband Dan Webb & the Spiders aus Boston, mit denen wir auf Tour waren. Checkt die mal, falls noch nicht passiert.

Überhaupt, die Ramones, eine Konsensbands bei euch?
Jens: Äh, gute Frage. Das ist schon so eine Band, über die man eigentlich nicht viel diskutiert, oder? Ich würde sagen, keine/r von uns ist richtig Nerd, was die Ramones angeht. Aber sicher kennen und mögen auch die Retro-Kostverächter in unserer Kapelle (will heißen: alle außer Flicke und mir) mehr Hits dieser Band, als ihnen lieb wäre. Ich selbst bin schon Fan, muss ich sagen. Wie könnte ich es nicht sein? Einfach unzerstörbar. Musikalisch gesehen sind unsere Inspirationen aber anderswo zu suchen. Unsere direkteste Verbindung zu den Ramones dürfte ein bei uns bandintern legendär gewordenes Zitat von unserem Freund Vonni (Red Tape Parade, Salsa Shark) sein: „Die Ramones sind nicht für euch gestorben, damit ihr in kurzen Hosen über die Bühne hüpfen könnt.“

Flicke: Genau, unzerstörbar und Pioniere, im besten Sinne. Wenn wir bei der Musik bleiben. Bin Fan.

Jens: Guter Punkt, von einigen, zum Beispiel von Johnny Ramone geteilten Ansichten, war ich eher gar kein Fan.

Gibt’s auch Bands, die ihr alle total scheisse findet?
Jens: Oh Ja. Ehrlich gesagt: wir versüßen uns lange Autofahrten sehr gerne damit, darüber wettzueifern, welche Bands wir aus genau welchen Gründen so richtig Scheisse finden. Wir kennen da auch meist keine Gnade, vor allem, wenn uns Mitglieder dieser Bands als Arschgeigen aufgefallen sind. Mir fällt auch sofort eine Kapelle ein: im weitesten Sinne der norddeutschen Szene zuzuordnen, die sind in den letzten zwei Jahren mal so richtig geil von null auf hundert durchgestartet mit ihren (natürlich deutschen) Texten, coole Bühnenoutfits, teilweise an norditalienische Identitätsrockbands erinnernden Frisuren, ihrer medialen Selbstdarstellung und ihrem einfach wahnsinnig eigenständigen Sound.

Da ist einfach alles Knaller, bis hin zu den Funkgeräten, mit denen die superwichtigen Roadies sich beim Bühnen-Aufbau verständigen tun. Ich werde jetzt keinen Namen nennen, denn an den dahinter stehenden Personen haben wir nichts auszusetzen, es geht wirklich nur um die Musik und das Auftreten an sich. Diese Kapelle ist bei uns jedenfalls Hass-Konsens und wir zelebrierten das im letzten Jahr regelmäßig.

Oft ist es ja so bei den ganzen Ami-Pop-Punk-Bands, dass ihre Texte dämlich bzw. „unpolitisch“ und immer sunny funny sind; ich meine, klaro liebe ich die Queers, Groovie Ghoulies und die ganzen Lookout-Helden der 90er, aber da geht´s ja inhaltlich um nix, vielleicht bei Screeching Weasel um einen Hauch Sozialkritik und einen Hauch nicht nur „Tralala, die Sonne scheint mir aus dem Arsch“… dann wiederum sind mir Musikstile, in denen es total plakativ um Krieg und Kritik geht wie im D-Neat/Grind/Powerviolence oft zu „stereotyp“ und irgendwie auch oberflächlich, obwohl es da nicht nur um tragische Liebschaften zu Frauen geht… deshalb finde ich euch ja so super, gute Musik, gute Texte! Äh ja, was meint ihr?
Flicke: Zu manchen Musikstilen passen love- oder hate-Storys einfach am besten. Ein aktuelles großartiges Beispiel für tolle befreiende Plakativität sind zum Beispiel Mean Jeans. Songtitel wie „Don’t stop partying“ oder „Michael Jackson was tight“ sind einfach eine krasse Ansage. Sowas liebe ich. Die meinen das ernst. Ansonsten wären die perfekten Lyrics für mich eine Mischung aus verschwurbelter Metaphorik wie bei den Smashing Pumpkins und so ein missionarischer Ruf nach Kommunismus und Hedonismus, wie zum Beispiel bei der (International) Noise Conspiracy.

Was macht ihr neben der Band? Habt ihr noch andere musikalischen Projekte am Laufen?
Flicke: Ich hab letztes Jahr angefangen, Bass zu spielen, um mal vom Mikro wegzukommen und mucke hier und da mit Freunden rum. Die Band heißt Mood Change.

Jens: Alle von uns haben andere Projekte, ja, wobei da aber aktuell keines davon wirklich viel aktiv ist. Peder und Mäxchen spielen, zumindest auf dem Papier, bei den leider wenig aktiven Diane Parker’s Little Accidents. Tunker und ich werkeln an einer neuen Band, die eher so im Postmetal-Bereich angesiedelt ist.

Flicke, du hast ja mal bei ByteFM unseren Trust-Kollegen Stone bei der SST Records-Sendung kennengelernt, bist du noch bei dem Radio in Hamburg? Nee, weil du jetzt in Kiel studierst oder wie war das?
Flicke: Nee, derzeit nicht, da ich noch in Kiel studiere. Danach dann aber hoffentlich mal wieder. Radio und vor allem ByteFM schockt! Und solche Sendungen wie damals das SST-Special, wo Nerds zu Nerds sprechen dürfen, aber trotzdem versuchen, hörbar zu bleiben, sind in der hiesigen Radiolandschaft ja ansonsten ausgestorben. ByteFM ist eine wichtige Instanz, in der Angelegenheit.

Was geht so in Kiel bzw. Hamburg mit der Punk-Szene? Gibt´s gute Auftrittsmöglichkeiten, gibt’s „unity“ oder kocht jede Band ihr Süppchen?
Flicke: In Kiel gibt es, trotz des vorherrschenden Kleinstadt-Stigmas, außergewöhnlich gute Konzertmöglichkeiten. Seit letztem Jahr veranstalte ich selber mit einer Gruppe von Leuten regelmäßig Konzerte. Alte Meierei, Hansa 48, Medusa, um nur ein paar der coolsten Schuppen zu nennen, die DIY-mäßig relevant sind.

Jens: Natürlich ist Hamburg als Großstadt musiktechnisch der totale Overkill, jeden Tag geht irgendwo irgendwas und das schließt den DIY-Bereich nicht aus. Da gibt’s viele gute Läden von kleinsten Klitschen („Linker Laden“ oder „Fährstrasse“ etwa) bis hin zu extrem langlebigen Institutionen („Störtebeker“ oder „Rote Flora“ natürlich) und Clubs/Kneipen, welche zwar „richtige“ Konzertvenues sind, aber doch den DIY-Bereich sehr unterstützen („Hafenklang“ zum Beispiel).

Ich glaube, im Trust wurdet ihr ambivalent besprochen, mal gut, mal schlecht, eine Frechheit, wie ich finde, denn ihr seid auf Platte schon geil, aber live die Macht. Sind euch Fanzine-Reviews wichtig oder Arschlecken?
Flicke: Eigentlich egal, auch wenn es natürlich cool ist, wenn der eigene Output gut ankommt, Leute irgendwie begeistert. Was allerdings richtig nervt, ist wenn die Genderkeule geschwungen wird, um die Musik zu „bewerten“. Das ist einfach langweilig. Frauen-Stimme nervt, Front-Frau rockt etc. Alles schon gelesen.

Jens: Ich zitiere in etwa aus dem OX: „Musik find ich ja ganz gut, aber schooon wieder ´ne Frau am Mikro, das find ich ja nicht so gut, echt langweilig“.

Ihr spielt seit einigen Jahren auch auf dem No Idea-Fest in Florida, wie ist es da so? Ist das nicht typischer ami-Wahnsinn mit den 45 000 Bands in der Stadt? Ich stelle mir das wie die komplette Reizüberflutung vor… kann dat wat? Seid ihr da die Exoten als deutsche Band? Sind die meisten Bands, die dort spielen, nicht auch ein wenig textlich unterkomplex?
Jens: Um mit letzterem Punkt anzufangen: ich weiß, was du meinst. Wir haben dazu einen bandinternen Schnack, der das auf den Punkt bringt. Wir sagen dann: „Das sind keine Vegan-er, sondern Amerikan-er.“ Die amerikanische Punk-Szene unterscheidet sich in ihrer Struktur und den Attitüden der Leute doch sehr stark von unserer hier, um nicht gleich mit Worten wie „unpolitisch“ um sich zu werfen. Jetzt speziell auf das FEST in Gainesville bezogen, bei dem wir in diesem Jahr zum fünften Mal in Folge dabei waren (danach reicht´s dann aber auch für eine Weile, würd‘ ich sagen): Das FEST ist natürlich auch kein sozialwissenschaftliches Kolloquium von Adorno-LeserInnen.

Aber an der Organisationsstruktur dieses Festivals mit immerhin irgendwie 15 Venues und circa 350 Bands und an dem generellen Ambiente gibt es doch viele Details, die ich richtig gut finde. Zunächst erstmal: das ist überhaupt nicht vergleichbar mit den großen kommerziellen Festivals. Natürlich gibt es ein paar Sponsoren, wie zum Beispiel die obligatorische US-Billigbiermarke „Pabst Blue Ribbon“, die Logos dieser Lorke sind auf dem FEST überall. Aber das FEST ist nicht wirklich groß – vielleicht 6000 inclusive der Bands etc. ungefähr – und die Stimmung vor Ort ist wirklich einzigartig. Das zieht auch Leute wieder hin, viele kommen jedes Jahr.

Ich bin ja auch schon ein alter Sack und habe daher natürlich meine Probleme damit, mich immer wieder neu für aktuelle Bands oder Szenesachen zu begeistern. Aber als ich vor fünf Jahren zum ersten Mal da war, konnte ich es einfach nicht fassen, wie geil es war. Natürlich spielen da auch große Bands auf großen Bühnen. Aber gerade die vielen kleinen Läden, zum Teil richtig kleine Bars, in denen zahllose Bands aufspielen, von denen niemand je was gehört hat, machen den Reiz aus.

Die Leute sind mega-enthusiastisch. Ich habe eigentlich noch nirgendwo solche Publikumsreaktionen, auch bei unbekannten Bands, erlebt. Und es ist alles sehr friedlich, es sind nur sehr wenig bis keine Frat-Boy-Arschlöcher unterwegs. Da wird explizit darauf geachtet seitens der VeranstalterInnen – daher spielen auch sehr wenige, ich sag mal, „richtig harte“ Bands aus dem HC- oder Metal-Bereich usw. und das FEST fällt jedes Jahr „rein zufällig“ immer mit einem Auswärtsspiel der Florida Gators (das örtliche Football-Team) im benachbarten Jacksonville zusammen.

Es sollen eben keine Prügelleute angezogen werden. Des Weiteren wird peinlich genau darauf geachtet, dass sich die Bands alle ordentlich benehmen und sich an die Spielregeln halten. Das wird ganz genau abgefragt: Du hast deine Spielzeit überzogen, du hast die Stage-Managerin blöde angepupt, weil das Bühnenwasser lauwarm war, du hast dich nach dem Konzert besoffen und auf’m Klo rumrandaliert – Konsequenz: deine Band wird nie wieder eingeladen. Und das funktioniert hundertprozentig.

Wie seid ihr eigentlich zu Gunner Records gekommen? Und von da zu No Idea?
Flicke: Da dies eine Geschichte ist, die schon oft erzählt wurde, fasse ich zusammen: Jahrelange Bekanntschaften, gemeinsame Freundschaften, Zufälle auf Tour, Auslandsaufenthalte und Menschen, die aufopfernd, nett und risikofreudig genug sind, einen kleinen Teil ihres wenigen Geldes in eine kleine Band zu stecken.

Noch einige kurze Fragen… Cider oder Bier?
Jens: Im Vereinigten Königreich gerne beides. In Deutschland Cider nur als Importware aus’m durchgentrifizierten Hipstersupermarkt um die Ecke.

Bikini Kill oder L7?
Flicke: Beides.

Jens: Was, ey? Das muss ich ganz klar mit Bikini Kill beantworten. L7 ist lahmer Schnarchrock.

Fußball, Ficken, Alkohol?
Jens: „Das nächste Lied handelt von Bier und fickööhn.“

Flicke: Ich nehm nur Alkohol. Da weiß ich, was ich hab.

Spex oder intro?
Jens: Pest oder Cholera?

Flicke: Beides studiert.

Crass oder Cock Sparrer?
Jens: Cock Sparrer „Shock Troops“, aber nur heimlich, bei geschlossenem Fenster.

Kiss oder AC/DC?
Jens: „Ich nehm Highway to Hell von ADAC!“

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Leider hat die Band inzwischen bekanntgegeben, dass sie sich auflösen und ihr letztes Konzert am 16. Juni in Hamburg spielen werden.

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Interview: Jan Röhlk
Kontakt: http://noweathertalks.blogspot.de

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