März 25th, 2020

Konzerttourismus: Mein allerliebster Laden Vol. 1: Schlachthof Wiesbaden aus #79, 1999

Posted in interview by Jan

KONZERTTOURISMUS: Mein allerliebster Laden Vol. 1: Schlachthof Wiesbaden

Unter dieser Rubrik sollen die geneigte Leserin und der geneigte Leser in loser Reihenfolge von unterschiedlichen Aktivisten im Kampf gegen den Musikkommerz über geheime und verschwiegene Orte unterrichtet werden, die jedem audiophilen Gourmand mit der ein oder anderen akustischen Erquickung ersprießliche Stunden und hundertprozentig garantierte Befriedigung verschaffen können…
Jeder, der sich für Musik und Konzerte interessiert, kennt das: Die eigene musikalische Vorliebe kann im Schnitt mit drei bis vier Bands im Monat, verteilt auf zwei bis drei Läden, zufriedengestellt werden. Das heißt jedoch auch manches Mal Strecken bis zu 150 km oder sogar mehr auf sich zu nehmen. Denn nicht jede Stadt weist ein Angebot wie beispielsweise Berlin auf und erschlägt einen mit der Qual der Wahl. Eher im Gegenteil…

Es gibt bekanntere Veranstaltungsorte, aber auch minikleine D. I. Y.-Sachen, die hier vorgestellt werden sollen. Denn – sind wir mal ehrlich – jeder geht zwar hin, aber keiner weiß, wie der Laden eigentlich funktioniert, wie die Veranstaltung überhaupt zustande gekommen ist. Und daß da Leute dahinter stehen, die sich den Arsch abarbeiten, damit das Konzert stattfinden kann, darüber wird ja wohl auch ganz gerne hinweggesehen. Hauptsache das Bier ist kalt genug…

Den Anfang in dieser Reihe macht der Schlachthof in Wiesbaden, der Laden mit eigener Halfpipe. Zwei Mitglieder des Kollektivs, nämlich Üni und Strubbel, hatten eine Menge Informationen weiterzugeben. (Die Interviews wurden mit einer Zeitverschiebung durchgeführt….)

Stell‘ den Schlachthof doch mal ein bißchen vor für die Leser, weil inzwischen ist das ja schon ein relativ bekannterer Laden in Deutschland.
Üni: Also ich bin ja ganz alter Schlachthofler… Der Schlachthof ist so an sich unsere Heimat, für mich jedenfalls, denn ich bin von Anfang an mit dabei gewesen und am Schlachthof findet superviel statt. Es gibt, glaube ich, 30 Proberäume, es gibt einen kleinen Veranstaltungsraum, die Räucherkammer, in die passen so 300 Leute maximal. Und es gibt die Halle, die ist groß bespielbar und auch quer bespielbar, in die kleine Halle passen dann so, sagen wir mal, 600 und groß ist dann richtig fett, 2000 waren schon drin, 2 1/2. Und so wie’s am Schlachthof läuft, ist es ein großartiger Laden.

Wie habt ihr euch in den Schlachthof reingesetzt?
Es gab einen Verein (KUK – Kultur- und Kommunikationsverein) und der hat sich auf dieses Projekt eingeschossen, auf diese Räumlichkeiten auch. Wir haben immer gefordert und gesagt, wir wollen es und eines Tages sind wir halt da rein, haben es nicht direkt besetzt, aber wir haben es aufgebrochen und entrümpelt, haben also Aktionen gemacht. Das ganze war dann schon nicht so radikal. Wir haben irgendwann einen Mietvertrag bekommen über eine gewisse Zeit, zwei Jahre, dann nochmal zwei, mittlerweile ist es so, daß der Schlachthof nicht mehr wegzudenken ist und auch die Politiker können da nix mehr machen….

Wie arbeiten die Leute im Schlachthof?
Üni: Der Schlachthof ist ein Kollektiv. Es gibt ein offenes Plenum, Mittwoch abends reden wir uns die Köpfe heiß und planen den Laden, planen alles, es wird alles versucht so zu besprechen, daß es Konsens ist. Es ist so, daß ein paar Leute, dadurch, daß der Laden immer größer und immer fetter geworden ist und daß es immer mehr Arbeit geworden ist, einige Leute glücklicherweise ihr Leben so umstellen haben können, daß sie eben am Schlachthof arbeiten. Das heißt, wir zahlen uns auch selber Geld. Wir bezahlen uns aber nach unseren Bedürfnissen. Es ist so, daß es jetzt keinen Zeitrahmen gibt, z. B. du mußt 15 Stunden arbeiten und kriegst dann das dafür. Sondern es heißt, wieviel Kohle brauchst du im Monat, wie läufts bei dir und dann sagste ok, ich mach das und das, ich könnte 600 Mark vertragen.

Es sind schon zwei Leute fest angestellt, das kostet natürlich Unmengen Geld, aber wir können auch den Laden nicht mehr laufen lassen, ohne daß eben Leute mehr Zeit investieren. Aber es läuft total viel auch ehrenamtlich. Das gilt explizit für Veranstaltungen, da kriegt keiner Geld. Es geht jetzt keiner abends nach Hause und sagt, toll, jetzt habe ich meine vier Stunden Theke gemacht, jetzt krieg‘ ich meine 100 Mark. So wird’s gemacht und so läuft’s im Moment auch ziemlich gut. Und das ist, glaube ich, auch der einzige Weg, wie man so einen Laden unkommerziell laufen lassen kann, wenn man das noch so nennen kann. Da scheiden sich ja die Geister. Dafür haben wir eine eigene PA, zahlen GEMA und den ganzen Bürokratenscheiß, das müssen wir machen.

Manchmal sehne ich mich danach, einfach irgendwie zu sagen, klar, ihr seid eine kleine Punkrockband, ihr könnt bei uns spielen, kein Problem, aber wir haben uns halt so reingewirtschaftet, daß das fast nicht mehr möglich ist. Du kannst es machen, und wir machen es auch, wir subventionieren Sachen, wir sagen, wenn drei, vier, fünf Leute von uns darauf Bock haben, dann wird es gemacht, und wenn’s halt 2-3000 Mark Miese macht.

Wie seid ihr auf die Idee gekommen, so eine monatlich wiederkehrende Veranstaltung wie zum Beispiel die „Midlife Crisis“ Disco einzuführen?
Strubbel: Das ist die älteste Veranstaltung, die es hier gibt. Die ist gewachsen seit fünf Jahren, seitdem es den Schlachthof gibt und hat angefangen mit 100 bis 200 Leuten pro Abend und mittlerweile sind es 1500 bis 2000 Leute. Also es ist keine Veranstaltung, die als Großevent geplant war, sondern sie ist tatsächlich zu dem geworden. Mittlerweile ist es auch nicht das schlechteste für uns, denn wir verdienen damit schon viel Geld und sind dadurch in der Lage, andere Veranstaltungen, die plusminus Null aufgehen oder Miese machen zu subventionieren bzw. haben durch diese „Midlife Crisis“ dann auch ein bißchen Geld übrig, um z. B. hier was in den Bau zu stecken, um Büromaterialien zu kaufen oder Computer. Kostet seit fünf Jahren auch nur 5 Mark Eintritt!

Kriegt ihr überhaupt keine öffentlichen Gelder?
Üni: Nicht regelmäßig. Wir kriegen wohl mal Geld und zwar ist uns der Ortsbeirat in dem Stadtteil, in dem wir uns befinden, sehr wohlgesonnen und spendet ab und zu mal viel Geld, meistens ist es aber zweckgebunden, das ist ja mit städtischen Geldern dann immer so. Dann heißt es, ihr müßt damit das und das machen, dann machen wir mit dem Geld eben die Decke in der Halle, so ne Schallgeschichte, damit man da einen besseren Sound hat.

Wer darf alles Konzerte machen?
Üni: Es muß gemeinnützig sein, das heißt, es muß für alle sein, es darf keine Privatparty sein, klar gibt es auch Privatparties, aber die sind dann ganz selten, wenn z. B. ich mal meinen Geburtstag feiere, aber normalerweise ist es so, daß da keiner daran Geld verdienen darf außer Gagen.

Gibt es Bands, die ihr nicht machen würdet, egal aus welchen Gründen?
Üni: Ganz klar aus dem Background, aus dem wir herkommen, steht das erst einmal gar nicht an, daß man was zweifelhaftes macht. Wir machen natürlich Musik, die uns gefällt, auf die wir Bock haben und es gibt natürlich Ausnahmen, wie z. B. Leute, die sagen geil, Absolute Beginners, da haben wir Bock drauf, die wollen wir machen und dann gibt’s Leute, die sagen nö, Hiphop, aber das wird dann mitgetragen. Es geht über die Musikschiene und es geht auch ein bißchen so was gut geht. Die politische Auseinandersetzung bei solchen Sachen kommt meines Erachtens etwas zu kurz, das liegt auch daran, daß es total viel Action ist und total viel zu tun ist und wenn wir Plenum haben, dann geht es halt oft bis um eins oder halb zwei Uhr, und es kommt etwas kurz, aber z. B. der Strubbel ist so jemand, der sich damit gerne auseinandersetzt und das finde ich auch gut.

Strubbel: Klar, wir haben ein Eintrittspreislimit, das liegt bei 20, maximal 25 Mark (bei Festivals und größeren Veranstaltungen), das ist aber wirklich schon die absolute Superobergrenze und wenn eine Bands also jetzt verlangt, daß wir mehr nehmen müßten, kann sie bei uns schlicht und ergreifend nicht spielen. Allerdings muß man auch sagen, daß es tatsächlich schon einige gemerkt haben, daß niedrigere Eintrittspreise wiederum mehr Publikum ziehen, so daß unter’m Strich derselbe Betrag als Gage ausgezahlt werden kann und das bei mehr Publikum und bei einer weniger geschröpften Geldbörse für den einzelnen. Das ist natürlich auch ein Konzept von uns.

Kultur verstehen wir als ein menschliches Grundbedürfnis, insofern muß Kultur für jeden finanzierbar sein, also auch für den Arbeitslosen oder das Kid, das aus einer Arbeitslosenfamilie kommt, muß es möglich sein, vier, fünf Mal auf eine Veranstaltung im Schlachthof zu gehen. Oftmals haben wir tatsächlich Besucherzahlen, die viermal so hoch sind wie der Durchschnitt einer Tour. Und ansonsten lassen wir natürlich, das ist jetzt natürlich ein platter Spruch, aber weder sexistische, faschistische noch rassistische Bands auf die Bühne, aber das macht ja wohl kaum jemand mehr heutzutage, insofern ist es nichts besonderes. Wir haben eher das Auswahlkriterium, welche Bands holen wir auf die Bühne, als welche Bands holen wir nicht auf die Bühne.

Was bekommen die Bands bei euch zu Essen und zu Trinken?
Strubbel: Was sie wollen. Wir haben mittlerweile einen extra Koch, der arbeitet hier natürlich nicht nur als Koch, sondern auch ganz normal im Kollektiv mit, schwerpunktmäßig aber beim Veranstaltungscatering. Der hat, glaub‘ ich, in Hamburg in einem Vier-Sterne-Hotel gelernt und entsprechend gut ist das Essen. Wir machen da auch keine Unterschiede, es ist egal, ob hier die Absolute Beginners vor vielen Leuten spielen oder irgendeine relativ schräge Elektrocombo vor nur 30, die Bands werden alle gleich gut bekocht und nach ihren Bedürfnissen.

Das Bier und der Äppler im Schlachthof sind superscheiße…
Üni: Also das Bier ist zum Kotzen, finde ich auch, das Problem ist folgendes, es gibt natürlich von den Brauereien…..

So’n Knebel?
Üni: Nee, nee, gar keinen Knebel, sondern es ist so, daß die halt Kohle springen lassen für so Sachen und man muß sich dann natürlich überlegen, was man dann… es ist gar nicht so knebelig, es findet dann meistens so etwas wie ’ne Produktparty statt, die dann mit, sagen wir mal, 10.000 Mark subventioniert wird. Wir haben damals irgendwie eine Techno-Party gemacht, haben total viel Kohle eingenommen und haben noch von denen 10.000 Mark gekriegt, also es war ein Superdeal. Wir haben von denen überhaupt keine Abnahme…..

Also könnte es da auch nächste Woche Licher geben, damit man gutes Bier hat.
Üni: Wenn die uns mehr Geld geben würden. Das ist echt eine Geldfrage, weil wir kriegen ja keine regelmäßige Kohle von der Stadt, der Schlachthof ist ja kein fester Haushaltsposten….
Kommen wir zu Anekdoten…

Strubbel: Das Problem ist, das dieses Veranstaltungsgeschäft gar nicht so lustig ist…

Dann erzähl mir darüber…
Strubbel: Einmal habe ich dem Sänger von Madball erzählt, daß die Salami, die ich gerade auf’s Büffett gelegt habe, ‚horse penis‘ ist und er hat’s geglaubt, das war ganz lustig. Aber das ist vielleicht auch keine richtige Knüllergeschichte. Dann… wir haben mal jemanden in die Räucherkammer eingesperrt und als das Licht aus war, ist dem schwindelig geworden. Der ist dann auf die Bühne gegangen und hat über’s Gesangsmikro gekotzt, war auch nicht wirklich lustig. Natürlich gibt’s hier dauernd Betrunkene und die sind immer lustig, der Punker, der auf’m Sofa einschläft und sich vollpinkelt. Und auch Stagediver, die total betrunken sind und von der Bühne nicht runtergehen. Einmal hatten wir eine total schmuddelige Punkerin hier, die stand, ich glaube, bei Ignite auf der Bühne und wollte runterspringen, aber vor ihr war immer ein leerer Halbkreis, keiner wollte sie fangen und die Band stand auch immer ziemlich weit weg von ihr. Ich weiß gar nicht mehr, wie die von der Bühne gekommen ist, aber ich glaube, die hat irgendwann aufgegeben. Das war auch eher traurig, eigentlich.

Habt ihr schon mal kraßere Szenen gehabt, Prügeleien, Bullen… Und wie oft kommt das vor?
Strubbel: Das kommt hier ganz selten vor, superselten und meistens auch nur bei ganz speziellen Veranstaltungen. Die Veranstaltungen mit dem aggressivsten Potential sind Techno-Veranstaltungen und bestimmte Hiphop-Veranstaltungen, also die Hiphop Veranstaltungen, wo nicht nur das übliche Chartfan Publikum hinkommt, sondern wo so ein bißchen die Vorstadtszene hier antanzt, aber hauptsächlich bei Techno- oder House-Geschichten. Da gibt es schon ab und zu Probleme, teilweise ätzende Leute, seien das z. B. Dealer, draußen zu halten oder unter Kontrolle zu halten. Mittlerweile laufen solche Veranstaltungen auch nur noch mit Security, weil wir schon wollen, daß hier eine okaye Atmosphäre ist.

Wen engagiert ihr da?
Strubbel: Mehr oder weniger befreundete Leute, also keine Security-Firma, die hier mit kugelsicheren Westen und Knarren stehen. Nein, es sind Leute, die nett sind, die soft sind, die nicht auffallen, die absolut deeskalierend sind und die eigentlich nur von den Leuten wahrgenommen werden, die sie wahrnehmen sollen. Es sind meisten Leute aus irgendwelchen Taek-Won-Do-Vereinen, die relativ fit sind. Vor allem was natürlich auch relativ wichtig ist, daß es am besten auch Leute sind, die die Sprache von denen sprechen, die herkommen und Ärger machen.

Es ist immer ein Unterschied, ob ein Marokkaner von einem Marokkaner abgewiesen wird oder von einem Deutschen. Ansonsten hatten wir auch schon aufgeschnittene Backen, wo man in den Mund reinschauen konnte oder richtig miese Schlägereien, Leute, die auf Drogen umgegangen sind, aber richtig schlimm war es hier noch nie. Die Leute nehmen den Laden schon als tatsächlichen Ort wahr, der anders funktioniert als eine profitorientierte Kneipe oder Club und entsprechend respektieren sie uns auch. Die Leute sind freundlich zu uns, sie finden es gut, daß es hier billig ist, sie nehmen wahr, daß die Leute, die hier arbeiten auch freundlicher sind, ein anderes Verhältnis zu ihrem Publikum haben und zu der Veranstaltung selber haben und entsprechend verhalten sie sich, es werden z. B. nie Flaschen auf die Bühne geschmissen und auch unsere Leute werden nie angepöbelt.

Das bestätigt ein bißchen das eigene Projekt hier auch, also daß du halt den Laden machen kannst, der vielleicht nicht in jeder Phase explizit politisch ist oder vielleicht bei bestimmten Veranstaltungen auch gar nicht, aber trotzdem eine bestimmte Message rüberkommt, also die Leute nehmen das schon als einen Platz wahr, der alternativ zum anderen Konsumbetrieb funktioniert. Das ist schön und das macht dann auch Spaß hier, da arbeitet man dann manchmal auch gerne wieder umsonst.

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Hinzuweisen ist an dieser Stelle natürlich auch auf die unzähligen Graffitis, die die Außenfassade des Schlachthofes schmücken und von regionalen aber auch überregionalen Künstlern stammen. Jährlich findet am Schlachthof das ‚Wall Street Meeting‘ statt und wer nun überhaupt keine Möglichkeit hat, nach Wiesbaden zu kommen, um sich alles anzuschauen, kann die Pieces auf der Homepage auschecken: www.schlachthof-wiesbaden.de.

Adresse: Gartenfeldstr. 57, 65189 Wiesbaden, Tel.: (06 11) 73 12 12, Fax: (06 11) 73 12 17
Infoline: (06 11) 7 14 66 22, email: schlachthof@wiesbaden-online.com

Interviews: Andrea Stork/Al Schulha
Photo Credits: Conny Krummeck

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