Dezember 18th, 2019

JOLLY GOODS (#129, 2008)

Posted in interview by Thorsten

Die Kraft des Krachmachens

Ich kann mich noch gut an das erste Konzert erinnern, welches ich von euch besucht habe. Das war vor fast drei Jahren, als ihr zusammen mit The Gazoz, einer ehemaligen Band von Edi und Tamer, die heute Teil von MIT sind, in Köln gespielt habt.
Ihr und die Jungs von MIT waren damals noch ziemlich am Anfang, bis heute scheinen sich MIT und die Jolly Goods nahezu parallel entwickelt zu haben und immer wieder schneiden sich eure Bandgeschichten …

Tanja Pippi: Gut beobachtet Herr Musikjournalist! Tatsächlich haben die Jolly Goods und die MITs eines Tages begonnen Musik zu machen. Es entwickelte sich bald zu einem manischen Wettstreit der beiden Bands. MIT gewannen, klar sie sind ja auch Männer. Sie brachten zuerst eine EP heraus. Seither rede ich kein Wort mehr mit dem lieben Edi. Wir allerdings konnten als erste einen Longplayer auf den Markt werfen. Somit sind wir mal mindestens gleich auf.

Du hast es bereits erwähnt, was die Veröffentlichungen angeht waren MIT euch voraus. Seit November vergangenen Jahres ist nun auch euer schon angesprochenes Debüt und die dazugehörige Singleauskopplung erhältlich. „Her.Barium“, so heisst das erste Album, hat dann auch durchweg gute Kritiken erhalten, so manch einer aus der Presselandschaft sieht in euch gar das Comeback des Grunge. Wie groß ist der Anteil der Produzenten Moses Schneider und Tobias Levin am Sound der Platte? Beide haben sich in den letzten Jahren vor allem mit Produktionen für Tocotronic, die Beatsteaks und Kante einen Namen gemacht und dürften ihre Handschrift auch auf „Her.Barium“ verewigt haben – oder täusche ich mich da?

Tanja Pippi: Die beiden Herren in diesem Fall Produzenten zu nennen, ist etwas gefährlich. Es könnte leicht der Eindruck entstehen, sie hätten unsere Platte produziert. Wir haben uns Tobias und Moses nur als Mischer gewünscht. Beide mochten den Grundsound den wir in einem Studio live eingespielt hatten und vorallem wie frei, simple und roh wir klingen. Beiden verstanden sofort worum es uns ging und es gab wenig zu klären. Wiedermal alles total langweilig. Berühmte Produzenten, wow.

Was meint ihr, spielt heutzutage, in dem Fall die Musik, wirklich immer noch die Hauptrolle bei der Entscheidung ob wir einen Künstler gut finden, oder doch eher das Image?

Tanja Pippi: Ich finde, dass jeder Mensch automatisch ein sogenanntes Image mit auf die Bühne, das CD-Cover, in die Musik oder was immer er auch macht bringt. Manchmal funktioniert es über Inhalt, aber auch über Auftreten, sei es verkleidet, ungeschminkt oder nackt. In diesem Fall Musik und sogenanntes Image sind untrennbar. Bei dem was wir unter Musik vertstehen kommt ein Image wohl am ehesten über den Inhalt und die Bühnenpräsenz. Wir wollen uns mit unserer Musik ausdrücken und da bringen wir unser Wesen, unsere Gefühle, unseren Look usw. automatisch mit. So gesehen ging das sogenannte Image in der Musik, in der gesamten Kunstgeschichte immer Hand in Hand mit der vom Künstler dargebotenen Kunst.

Apropos Image: Angy, auf yourtownisnext.de sprachst du davon, das es für dich nichts besonderes sei in einer Band zu spielen die nur aus Frauen besteht.
Die Meinung scheinen allerdings nur wenige zu teilen, lässt doch kein Bericht über euch unerwähnt, dass ihr weiblich seid – und jung noch dazu …

Angy: Leider werden die meisten Artikel immernoch von Gender-Diskurs-unaufgeklärten Menschen geschrieben, so zum Beispiel eine Story über die Blood Red Shoes und uns in der Spex. Wir schrieben dem Autor des Textes daraufhin auch diesbezüglich einen Leserbrief. Der Redakteur bemerkte in seinem Artikel, er bewundere es, dass die Sängerin von den Blood Red Shoes es ganz selbstverständlich nimmt die Frontfrau an Gitarre und Gesang zu sein.
Verkehrte Welt!
Es war noch nie ein Problem für Musikerinnen sich selbstverständlich zu nehmen. Das Problem obliegt dem Musikjournalismus bzw. dem Publikum. Und das ist was ich mit: »Finde ich nicht besonders in einer Band die nur aus Frauen besteht zu spielen« gemeint habe.

Ihr greift gerne auf die Riot Grrrl-Bewegung zurück, Feminismus spielt eine große Rolle …

Tanja Pippi: Wir treten damit eigentlich nicht nach Außen. Unsere Plattenfirma hat den Begriff Riot Grrrls in die Runde geworfen und seither werden wir gerne so betitelt. Wir finden das nicht schlecht, natürlich sind wir Fans von Bands die starke Meinungen haben in denen wir uns wiederfinden. Nur ist dieser Vergleich sehr zweifelhaft, wenn es einfach steil gefunden wird uns so zu betiteln, ohne den Hintergrund dieser Bewegung zu kennen….

Lasst uns noch mal ein paar Monate zurückgehen. Musiker geben zwar oft und gerne zu Protokoll das sie alles, was nicht primär mit dem Musikmachen an sich zu tun hat, nicht sonderlich interessieren würde, oft gar nerve, in den letzten Monaten jedoch hat sich bei euch eine Menge getan, zu viel um daran desinteressiert zu sein: Ihr habt bei Louisville Records unterzeichnet, eure Platte wurde veröffentlicht und die Promo-Arbeit fing an. Nicht zu Vergessen das ihr jetzt mehr Konzerte spielen könnt, eure erste mehrtägige Tour, viel rumgekommen seid.

Angy: Das hat meiner Meinung nach alles viel mit Musik zu tun. Es gab Interviews, unser Song kommt in manchen Radios, es kommen mehr Leute zu unseren Konzerten. Nicht sonderlich spannend, wir machen einfach unser Ding und fühlen uns unterstützter bei dem was wir tun. Das ist toll. Das Problem ist nur, dass die Leute die nichts verstehen, nichts verstehen. Wir erklären Journalisten unser Ding und am Ende schreiben sie nur, dass wir brüllen, laut sind, klein und schöne Haare haben.
Oberflächlicher Journalismus – auch Faulheit genannt…

Kann man das so stehen lassen, das es erst richtig losging nachdem du nach Berlin gezogen bist, Tanja? Eure Entwicklung vereinfacht und beschleunigt, auch vor allem was das Drumherum Abseits der Musik angeht, hat der Umzug doch mit Sicherheit ?
Inwiefern schlägt sich das in Musik und Texten wieder ob man nun in einer Metropole wie Berlin oder einem wenige hundert Seelendorf wie Rimbach, eurer hessische Heimat wohnt ?

Tanja Pippi: Ich bin aus sehr privaten Gründen nach Berlin gezogen. Unabhängig von unseren Kontakten zum Geschäft mir der Musik. Das war sowieso äußerst unspektakulär eine bekannte Musikerin von uns, Hans Unstern, gab unser Demo Louisville und die fanden es super, fertig. Ich denke die Band leidet eher unter der räumlichen Distanz. Zum Beispiel können wir nicht mehr so regelmäßig Proben.

Du wohnst in Berlin, wie du schon sagtest, Angy noch in Hessen.
Ist euer, von uns Musikjournalisten oft herbeizitierte Dorf Rimbach,
die (Ein)öde, die den Antrieb hinter eurer Musik darstellt oder wie definiert ihr diesen Begriff?

Tanja Pippi: Alles scheint still zu stehen. Nichts bewegt sich. Ich schreibe Texte, male Bilder, singe und schreie um diesem Gefühl zu entgehen.
Ich wandere in meinem Kopf.
Somit ist es doch Teil des kreativen Prozesses. Ein Zwiespalt also, wie hörten sich unsere Songs ohne tagtägliche Belanglosigkeit an?
Wir meinen damit Ödnis auf Vielerlei Arten, überall im Alltag – unabhängig davon ob man nun in einem Dorf oder einer Metropole wohnt. Einöde fängt an im Kopf des Menschen der sich langweilt und verloren fühlt. Eine größere Stadt kann helfen, muss aber nicht.

Auf jeden Fall bietet eine Großstadt schon an sich mehr Möglichkeiten Langeweile gar nicht erst aufkommen zu lassen oder zumindest zu bekämpfen. In Berlin, Tanja, hast du diese und nutzt sie auch. Du bist Mit-Organisatorin der alle zwei Wochen stattfindenden Akkustik-Konzertreihe „Acoustic Wednesday“ im Berliner Club „Ä“.
Nebenbei fotografierst du viel, eine erste Vernissage von dir fand vor kurzem statt. Für diverse Artworks, zum Beispiel von euren Platten oder Flyern, zeichnest du dich ebenfalls verantwortlich.

Tanja Pippi: All diese Dinge haben den gleichen Ursprung: Ich habe das Bedürfnis etwas zu erschaffen, mich auszudrücken, zu kotzen. Dafür nehme ich gerne jedes Ventil. Artwork, Fotografie, Musik. Letzteres ist mir dabei das liebste Abenteuer.

Ihr habt jetzt zwei Touren hinter euch, eine kleine mit Killed By 9V Batteries, dem folgte anschließend eine erste längere durch große Städte in D, A und CH zusammen mit der Kölner Electro – Künstlerin Dillon. Zwischendurch ging es gar bis nach Paris. Seid ihr zufrieden?

Tanja Pippi: Unterwegs zu sein macht uns, wie wohl jeden anderen Musiker auch, besonders froh, denn es ist die Art wie wir es mögen unsere Songs zu präsentieren. Live, echt, brüllen, zertrümmern, weg.
Jolly Goods auf Platte zu hören ist echt hart, aber live kann es schon mal unerträglich werden.

Weitere Konzerte sind längst gebucht, so werdet ihr unter anderem erstmals für einen Gig in Schweden spielen und die WDR-Rocknacht mit Bands der Größenordnung The Hives und Velvet Revolver.
Da zwickt man sich sicher schon mal …

Tanja Pippi: Das neue Jahr ist ein fieses hinterhältiges Scheusal, es definiert sich über Zeit und wir stellen immer wieder fest, dass selbst wir dieser Einheit unterlegen sind.
So müssen wir langweilige Pläne machen wie wann und warum wir wohin gehen um neue Lieder auszuprobieren.

Welches Festival wird wohl ohne hoppelnde Eichhörnchen zwischen den Zelten auskommen? Und welche Story müssen wir erleben um einen rasenden Reporter zu beeindrucken?
Wird die Tapete in meinem Zimmer den Klimawandel standhalten?
Oder wird sie sich grün färben? Die Zukunftsmaschine hat ihre großen Pläne wahrscheinlich ohne uns gemacht.

jollygoods.net

Text: Kevin Goonewardena
Fotos: David Biene [live ] / Joa la rock [shooting]

Both comments and pings are currently closed. RSS 2.0