Dezember 18th, 2019

DEAD CHILD (#132, 2008)

Posted in interview by Thorsten

Die Knitting Factory in New York ist an diesem Abend eher mäßig gefüllt. 50, 60 Zuschauer tummeln sich im Untergeschoss des Venues – Megadeth spielen am gleichen Abend in Brooklyn, schwere Konkurrenz ist das. „Bei unserer ersten Show war der Club voll“, erzählt David Pajo, einer der beiden Gitarristen von Dead Child. Pajo – bei diesem Abend dürfte der ein oder andere Musikfan glasige Augen bekommen. Der Mann hat vor Jahren bei Slint gespielt, jener Touch-And-Go-Band, die heute vermutlich als einflussreicher gilt als noch zu „Lebzeiten“. Jetzt lebt Pajo seine Jugendliebe aus. Metal. Das Album ‚Attack‘ ist eine einzige Hommage an die achtziger Jahre, mit richtigem Sänger und sehr coolen Riffs. Live klingt die Band noch tighter, aber das kriegen an diesem Abend nicht viele mit. Und wer weiß, wann die Gruppe erstmals in Europa zu sehen ist. Zum Interview im Bandbus erscheint dann Pajo gemeinsam mit Sänger Dahm – Alkohol und andere Stoffe machen das Gespräch zunächst zwar etwas holprig, aber irgendwann wird es dann doch was…

Ihr seid ja alle nicht mehr in euren Zwanzigern, wenn ich das so sagen darf. Sind Dead Child sozusagen ein Besuch in eurer Kindheit?

Dahm: Definitiv.
Pajo: Oder ein Weg voller Rachegelüste ins mittlere Alter. Oder die Feststellung, was sich lange am besten angefühlt hat.

Viele hören Metal mit 14 oder 15, und dann suchen sie sich was anderes.

Dahm: Wir hatten nicht geplant, Metal zu machen. Das war einfach die Musik, die wir am liebsten hören, deswegen entwickelte sich die Band ganz natürlich in diese Richtung.
Pajo: Ich hatte keine Lust mehr auf Bands, die versuchen, die ganze Zeit möglichst clever zu sein. Ich wollte einfach nur mit Freunden Musik machen – laute Musik.

Was für Musik habt ihr denn mit 13 oder 14 gehört?

Dahm: Ich glaube, ich habe alles gehört von den Misfits bis zu den Pretty Things. Ich habe alles für mich entdeckt, Sex Pistols genauso wie Megadeth.
Pajo: Ich habe so viel Scheiß gehört damals. Ich stand nicht so sehr auf bestimmte Genres wie Metal oder Punk. Ich wusste eh nicht, was der Unterschied war. Für mich war das alles seltsame Musik. Ich liebte Van Halen, Black Sabbath, Led Zeppelin – die klassischen Bands. Und ich mochte einige extremere Sachen wie Slayer. Aber ich stand genauso auf ‚Jesus Christ Superstar‘.

Wer hat euch denn zu der Musik gebracht, die euer Leben wirklich verändert hat?

Dahm: Ich habe ältere Brüder, die mir gute Musik vorgespielt haben.
Pajo: Ich hatte auch ältere Brüder, aber ich habe deren Geschmack gehasst. Mein älterer Bruder war ein Punk, und ich war ein Metalhead. Ich dachte, dass diese Punks nicht mal richtig ihre Instrumente spielen können. Aber ich mochte die Dead Kennedys und die Sex Pistols. Die New-Wave-Sachen, die sie hörten, mochte ich überhaupt nicht. Irgendwann hab ich dann all meine Metal-Platten weggeworfen. Und dann fing ich an, die Sachen meines Bruders zu hören. Das war mit 16, und ich habe mich für meine Platten geschämt.

Ist Metal eigentlich ein Kleinstadt-Phänomen? In meiner kleinen Heimatstadt hab ich jedenfalls Hardcore viel später entdeckt als Hardrock oder Metal. Ich weiß ja nicht, wie groß Louisville ist…

Pajo: Das mag sein. Aber Metal ist zu gleich ein globales Phänomen, es gibt schließlich auch in Brasilien Kleinstädte voller Metalheads.
Dahm: …und es gibt dort Metalbands… Wir haben festgestellt, dass es wo auch immer wir spielen eine Gruppe von beinharten Metallern gibt. Es gibt bei unseren Shows Leute, die aus verschiedenen Gründen zu den Shows kommen. Aber wir haben definitiv immer Leute, die ganz einfach Metal lieben.

Das hab ich mich vor der Show gefragt: Wie viele Metaller werden wohl zu dem Konzert kommen, und wie viele Menschen sind da, weil ihr auf Quarterstick seid und du, Dave, bei Slint gespielt hast?

Pajo: Wir sind noch eine ziemlich junge Bands, deswegen dürften immer genügend Leute da sein, die einfach nur neugierig sind und herausfinden wollen, was wir machen. Je länger wir touren und Platten veröffentlichen, wird sich zeigen, wer uns tatsächlich hört. Das einzige Verbindende, das ich zurzeit sehe, ist wohl, dass die Zuschauer relativ offen für Musik sind – offene Indierocker, die nicht allzu elitär denken.

Hilft Quarterstick euch oder ist das Label ein Problem, weil es eigentlich keinen Metal macht wie meinetwegen Relapse?

Pajo: Ich sehe das nicht als Problem an, aber es mag schon Die-Hard-Metaller geben, die uns nicht hören, weil wir auf einem Indielabel sind.
Dahm: …oder die deswegen nie von uns erfahren werden.
Pajo: Aber Quarterstick waren sehr hilfreich.

War das ganz klar, dass ihr zu Touch And Go gehen würdet? Du hast ja lange genug mit Touch And Go gearbeitet.

Pajo: Das war eine völlig natürliche Entscheidung. Es gab mehrere Labels, die sich für uns interessiert haben. Aber Corey (Rusk, der Labelchef, Anm. ds) ist ein alter Freund, dem ich vertraue. Ich wusste, dass er gute Arbeit machen würde. Es war aber nicht so, dass wir an sie herangetreten wären. Alles in dieser Band ist bisher von selbst gelaufen, wir haben sehr wenig geplant.

Wie viel Ironie steckt in eurer Musik? Ihr habt so einen schönen Metal-Bandnamen und das passende Logo, das ist vielleicht nicht ganz so ernst gemeint.

Pajo: Ich war nie schlau genug, um ironisch zu sein. Wir sehen das alles locker und nicht verbissen. Wir sind keine Black-Metal-Band und halten nichts von all der Gewalt. Deswegen ist das alles nicht so ernst gemeint, aber es ist definitiv auch kein Witz. Wir finden das Logo cool. Und die Musik bedeutet uns sehr viel.
Dahm: Wir wissen, wo unsere Musik herkommt, und es ist uns auch wichtig. Deswegen ist das Logo in unseren Augen cool. Und der Bandname ist ganz einfach toll, der ist ganz und gar nicht tongue-in-cheek. Unser Bassist Todd kam damit an und meinte nur, er wüsste einen großartigen Bandnamen. Du hast vermutlich gelesen, dass wir eine völlig ironische Band seien. Aber das hat irgendein Kritiker erfunden, und davon ist nichts wahr.

Ich habe damit gar kein Problem. Würde ich eine Metalband starten, würde ich auch einen coolen Namen auswählen und ein tolles Logo haben wollen. Deswegen kann das dennoch mit einem Augenzwinkern ausgewählt sein.

Dahm: Klar benutzen wir Klischees. Aber es ist unsere Musik.
Pajo: Aber es gibt auch noch einen Unterschied zwischen Klischee und Tradition. Es gibt Traditionen im Metal, die wir cool finden, und andere, die cheesy sind.

Ich bin überzeugt, dass Venom sehr viel über die Dinge gelacht haben, die sie gemacht haben.

Pajo: Mit Sicherheit.

Zitiert ihr eigentlich bewusst andere Bands? Bei ‚Twitch of the Death Nerve‘ fühlte sich ein Freund an Thin Lizzy erinnert, und ich dachte an die späten Carcass.

Pajo: Ich glaube, das machen wir regelmäßig.
Dahm: Aber selten bewusst.
Pajo: Heute meinte jemand zu mir, dass er es total cool fand, dass ich drei Randy-Rhodes-Licks eingebaut hätte. Ich fragt ihn welche, und er hat mir erzählt, welche Licks ich wann gespielt habe. Er hatte sogar Recht. Wir mögen andere Bands so sehr, dass solche Referenzen in uns stecken. Ich weiß aber nicht, wie bewusst uns das ist. Bei ‚Twitch‘ dachte ich jedenfalls an Maiden, während unser Drummer Blue Öyster Cult erwähnte.
Dahm: Alles, was ich in dem Lied sehe, ist ein klitzekleines Stück Maiden. Und das ist definitiv nicht bewusst passiert.
Pajo: Manchmal braucht man eben 25 Jahre, um solche Einflüsse zu verarbeiten und sie wieder auszuspucken.

Dave, was ist denn der Unterschied beim Song schreiben für Slint und für Dead Child?

Pajo: Ich sehe da keinen großen Unterschied. Jemand hat ein paar Riffs, die gut klingen, und wir arbeiten gemeinsam daran. Das ist alles. Beides ist letztlich Riff-Rock. Wir hatten andere Intentionen bei Slint, aber der Arbeitsprozess ist der gleiche.

Waren Slint mehr Kopf, während Dead Child Bauch sind?

Pajo: Das macht Sinn für mich.

Wie schwierig ist es denn heutzutage, eine kleine Metalband zu machen? Gibt es dafür noch eine Szene?

Pajo: Die gibt es, und die ist sehr loyal. Aber ich glaube, die Metalheads vertrauen uns noch nicht so recht. Aber wenn man in seinem Musikgeschmack elitär sein möchte, sind wir tatsächlich nicht die richtige Band.
Dahm: Es gibt schon seltsame Leute, die in ihrem Geschmack etwas verwirrt sind.
Pajo: Wir haben online sehr viel Ablehnung bekommen. Leute glauben, dass unsere Musik nicht echt sein könnte wegen unserer Vergangenheit.
Dahm: Es gibt in dieser Band sehr viele Leute, die nicht Mitglied bei Slint waren. Ich bin der Sänger, und ich war vorher in sehr vielen anderen Metalbands. Dies ist nun die nächste Metalband, die mir etwas bedeutet. Alles andere ist Schwachsinn.

Das habe ich nicht gelesen, aber ich fand es bezeichnend, dass das eine Interview, das ich vorab fand, auf Pitchfork Media erschienen ist und nicht auf einer Metal-Webseite. Aber es macht keinen Sinn, dass eine Band nicht zählt, bloß weil jemand mal andere Musik gemacht hat.

Dahm: Eben. Es macht überhaupt keinen Sinn. Aber so ist das hier.
Pajo: Wir werden beurteilt aufgrund der Musik, die wir aufgenommen haben. Aber wir haben in vielen Bands gespielt, die nie etwas veröffentlicht haben – Heavy-Metal-Bands.
Dahm: Es ist schade, dass man auf diese „bestimmten Bands“ reduziert wird, wo wir doch eigentlich viele verschiedene Sachen mögen.
Pajo: Es gibt so viele Hardcore-Metalfans, die Coltrane oder Scott Walker mögen. Viele Metal-Gitarristen haben einen sehr breiten Musikgeschmack.

Ist es seltsam, immer auf die Band bezogen zu werden, die seit weit über 15 Jahren aufgelöst wurde?

Pajo: Slint gibt es sogar seit 1991 nicht mehr. Wir haben uns aufgelöst, bevor ‚Spiderland‘ veröffentlicht wurde. Wir haben dann nochmal kurz weiter gemacht, aber nicht viel getan. Ich glaube, dabei entstand ein Lied. Was ich von Slint gelernt habe: Ich habe zu schätzen gelernt, mit Freunden zu spielen. Musikalisches Können ist das eine, aber Persönlichkeit ist wichtiger. Ich bin lieber in einer Band mit Freunden als mit Musikern, die großartige technische Fähigkeiten haben.

Ihr kennt euch also schon ewig?

Pajo: Michael und Dahm sind miteinander aufgewachsen, Michael und ich ebenso. Wir haben sehr nahe beieinander gelebt und auch schon in verschiedenen Varianten in Bands miteinander gespielt. Wir haben eine lange Geschichte.

Aber du lebst nicht mehr in Louisville?

Pajo: Ich wohne drei Stunden entfernt, das geht schon. So schwierig ist das alles nicht, ich muss halt fahren. Wir müssen eben ein bisschen mehr planen. Für das Album haben wir uns eben Zeit genommen, da bin ich dann für einen ganzen Monat nach Louisville gefahren. Und dann machen wir eben längere Pausen. Das ist aber auch nicht so schlimm, weil wir alle noch andere Bands haben. Dead Child ist aber kein Seitenprojekt, sondern eine richtige Band. Ich habe zurzeit ohnehin nichts anderes als Dead Child.

Dietmar Stork

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