Dezember 31st, 2023

Hans-A-Plast (#211, 2021)

Posted in interview by Thorsten

Neben dem Ärzte-Interview mit Bela B., ist das vorliegende Interview mit Annette Benjamin von HANS-A-PLAST, erst das zweite Interview, das ich per Telefon geführt habe. Und ich muss schon zugeben, dass ich mindestens genauso aufgeregt war, wie bei Bela B.. Denn seit meiner Jugend feierte ich HANS-A-PLAST total ab und ich hatte auch immer einen großen Respekt, vor den guten, selbstbewussten, feministischen Songtexten. Als ich dann zuletzt in der TRUST # 209, über ihre zweite und dritte Platte schrieb, wurde mir erneut bewusst, wie wichtig, wegweißend und großartig diese Band doch nur war. Während des rund 1,5 stündigen Interviews, verflüchtigte sich dann auch rasch meine überflüssige Aufregung und Annette erwies sich als eine herzlich sympathische, coole Frau, die ihr Herz nach wie vor, am richtigen Fleck trägt. Sozusagen verselbstständigte sich das Interview wie von selbst und wir führten schon eher ein fließendes Gespräch. Es gab viel zum Erzählen über alte und neue Zeiten, über die Rolle der Frau in der Gesellschaft und im Musikbusiness, über Politik und über noch viel mehr… Das Interview hat eine Menge Spaß gemacht und es gab auch viel zum Lachen.
In letzter Zeit ist Annette auch nicht untätig gewesen und sie coverte mit den RAZOR SMILES, SLIME und den MIMMI´S diverse, alte HANS-A-PLAST-Songs. Zudem erschien die Tage, mit der alten NDW-Band Die RADIERER, die Single „Annette´s Reinkarnation“ und derzeit arbeitet Annette an einem neuen Bandprojekt mit Leuten von DRANGSAL, BEATSTEAKS, Die NERVEN und CASPAR, auf das ich schon sehr gespannt bin. Wenn es gut läuft, soll im kommenden Herbst eine Mini-LP erscheinen.

HANS-A-PLAST gründeten sich bereits 1978 in Hannover und waren einer der ersten, deutschsprachigen Punkbands, die feministische Inhalte aufgriffen. Somit behandelten sie schon Jahrzehnte zuvor, genau die Themen der weiblichen Selbstbestimmung, die in der aktuellen Me Too und Punk Too-Debatte stattfinden. Was HANS-A-PLAST auszeichnete, waren u.a. die aufmüpfig, frechen Texte, wo sich Annette als Frau sehr eloquent und geschickt in die Machorolle eines Mannes hineinvergab und den Männern ein Spiegelbild vorhielt, um sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Aber genauso spielten HANS-A-PLAST auch musikalisch, in einer ganz anderen Liga. Denn nach ihrem hervorragenden Punkdebüt, kamen spätestens ab ihrem zweiten Album auch diverse, schräge, intelligente Postpunk-Einflüsse hinzu, die sie vom Großteil der 0815 Pogopunkcombos deutlich unterscheiden ließ. Kurzum erschufen HANS-A-PLAST ihre ganz eigene Nische und im fließenden Einklang mit den ausdrucksstarken Texten, waren sie ganz klar eine Ausnahmeband für sich, die bis heute Bestand hat und unerreicht bleibt. Und natürlich schrieben sie auch eine Menge eingängiger Songs, die einen ein Leben lang in Erinnerung bleiben werden.

Anbei ein paar essentielle Anspieltipps, ihrer drei LP´s, auf ihrem eigenen Label No Fun Records.

st – 1979
„Rock´n´Roll Freitag”, “Für ´Ne Frau”, “Es brennt”, „Polizeiknüppel“, „Hau ab du stinkst“

2 (Schnittmuster) – 1981
„Spielfilm“, „Dicke Kinder“, „Sicherheit“, „Ich zünd mich an“

Ausradiert – 1983
„Ausradiert“, „Schwarz und Weiß“, „Sacco Di Roma“

Du bist so gut im Kinderkriegen. Du bist so gut im Tüten schleppen. Du bist so gut im Hintern wackeln. Du kannst auf hohen Schuhen gehen… Für´ne Frau, für´ne Frau echt gut. – „Für´ne Frau – 1979“

Ich gehe durch die Straßen und mir wird so warm, bei all den geilen Typen, die ich hier so sehe. Hey Kleiner, zeig mal was du so hast. Pack ich dir an den Arsch, werd doch gleich nicht böse. Die Nacht ist jung, komm mit zu mir. Lass uns doch ne Nummer schieben. Ich hab viel Zeit, komm mit zu mir. Ich bin dann auch ganz nett zu dir. Doch dann geht das Licht an, vor mir steht ein fetter Kerl, mit Pomade im Haar und Selbstgefälligkeit im Blick. Hau ab du stinkst, Hau ab du stinkst. Sieh lieber zu, dass du´s bei deiner Alten bringst. – „Hau ab du stinkst – 1979“

So in Sicherheit, die Prinzessin auf dem Diamant, hält auf Unvergänglichkeit, so in Sicherheit. „Sicherheit – 1980“

Wir haben ihnen zu viele Märchen erzählt, von einer schönen, fetten Welt. – „Fette Kinder – 1980“

In der Zeit vor HANS-A-PLAST hast du in London gelebt und als Initialzündung X-Ray Spex Live erlebt. Was hat dich nach London gezogen und was beeindruckte dich so sehr an Poly Styrene?

Ich bin 1977, als ich 17 Jahre alt war, von zu Hause abgehauen und bin über den Umweg Amsterdam nach London gekommen. Mit Freunden habe ich diverse Pub-Konzerte besucht. Pistols oder Clash hab ich nie live gesehen, aber dafür X-Ray Spex, UB40 und Elvis Costello, dessen Anfänge ich in Londoner Pubs verfolgte. Bei X-Ray-Spex‘ Poly Styrene hat mir gefallen, dass sie auf der Bühne so stark wirkte und alles herausschrie, was ihr auf die Nerven ging, Klischees und das ganze Schubladendenken thematisierte. Das hatte einfach eine Menge Kraft und Ausdruck. Die Art zu performen hatte nichts gemein mit den üblichen Posen, die Frauen in Bands zeigten.
Das war so ein Schlüsselerlebnis für mich, dass ich mir sofort die Haare abgeschnitten habe als Zeichen meiner Zugehörigkeit zu dieser neuen radikalen Art von Musik.

Wieso bist du denn von Deutschland weggezogen, hattest du Stress mit deinem Elternhaus?

Ja es gab Stress im Elternhaus und ich habe dann ein halbes Jahr in Amsterdam gelebt und dort gearbeitet, erst in einer Jugendherbergsküche, Kartoffeln schälen, dann im Hotel die Zimmer machen. Bald darauf lernte ich ein paar Leute kennen, mit denen ich nach London gezogen bin. Schon bald hatte ich eine eigene klitzekleine Wohnung im East End. Ich stand Modell für Kunststudenten an einer Kunsthochschule und hielt mich so finanziell über Wasser. Aber an meinem 18. Geburtstag in London hab ich gedacht, dass dieser Job nicht meine wahre Berufung sei. Ich traf eine deutsche Lehrerin, die in Braunschweig an einer Gesamtschule unterrichtete. Damals waren solche Gesamtschulen noch etwas sehr Fortschrittliches. Dort unterrichteten junge Lehrer innen, die das völlig ok fanden, wie ich herumgelaufen bin. Im Februar 1978 kam ich zurück nach Deutschland.

Gab es für dich bedeutsame Unterschiede, zwischen der englischen und der deutschen Punkszene?
Ich fand die englische Punkszene Mitte / Ende der 70er weniger dogmatisch, weniger ernst. Die „art school students“ haben dazu einiges beigetragen. Es gab viel subversiven Humor, Provokation und extrem viel Kreativität.

Das merkt man auch an den ganzen Postpunkbands wie Slits, Raincoats, Essential Logic, die waren ja doch ziemlich verrückt und so was verrücktes hatte es in Deutschland, bis auf ein paar wenige Beispiele, gar nicht wirklich gegeben.

Auch in Deutschland war es anfangs nicht so dogmatisch. In England gab es aber viel mehr Musiktradition. Wenn du dort in den Pub gegangen bist, dann saßen da nicht nur junge Menschen, sondern auch ältere Leute herum, die in den 50ern Teds oder in den 60ern Mods waren. England hatte immer eine viel breitgefächertere Musikszene, die die Fans selbstverständlich auch im Alter weiterlebten. Das gab es so in Deutschland gar nicht, diesen selbstverständlichen musikalischen Ausdruck im täglichen Leben.
Als ich nach Deutschland zurückkehrte, wollte ich sofort Punks treffen, um Musik zu machen. Glücklicherweise traf ich in meiner neuen Braunschweiger Schule auf einige Schüler, mit denen ich die Band Slime gründete.
Dann verließ ich die Schule wieder und zog 1979 zurück nach Hannover. Mittwochs und freitags war ich in der „Rote Kuh“, wo sich die Squaddies trafen, Engländer, die in der Umgebung stationiert waren. Punks, Rudeboys, Mods und Skins mischten sich, der DJ spielte englische „New Wave“, die unglaublich vielfältig war.

Das war bei Hans-A-Plast auch voll super, ihr wart da sehr weltoffen.

Ja würde ich schon sagen. Wir hatten einen eigenartigen Humor.

Eure Musik war halt auch legendär und ihr habt damit eine Vorreiterrolle eingenommen. Und gerade bei Hans A Plast war das schon extrem, denn schließlich lief Punk immer weiter und es gab auch nach euch, noch weitere Bands mit Frauengesang. Aber es gab eben meines Erachtens, keine Band, die euch das Wasser reichen konnte. Und ich glaube das mag auch an deinem gesanglichen Ausdruck liegen, mit den ganzen Höhen und Tiefen und Spannungen, die du in deinem Gesang einbaust. Meines Erachtens konnten da viele andere Sängerinnen einfach nicht mithalten.

Ab dem Moment, wo du dich auf eine Bühne traust, hast Du einen individuellen Ausdruck, ob Mann oder Frau. Ich hab mir keine Gedanken darüber gemacht, wie ich auf andere wirken würde. Für den Gesang war meine Chorausbildung sicher von Vorteil. Aber ehrlich gesagt, war ich ständig heiser bei den vielen Konzerten hintereinander. Da hat auch irgendeine Gesangstechnik nicht mehr geholfen. Es gab keine In-Ear- Verkabelung, nur schlechte Monitorboxen.

War es für dich eine bewusste Entscheidung, auf Deutsch zu singen?

Ich spreche sehr gut englisch und wollte ursprünglich mal Dolmetscherin werden. Als ich X Ray Spex Live gesehen habe, war mir aber klar, dass ich auch nur in meiner Muttersprache singen würde. Ich wusste zwar noch nicht wie, aber ich wollte es für den Ausdruck.

Das hat auch mehr Identifikationsfaktor. Ich denke, wenn ihr englisch gesungen hättet, dann hättet ihr vermutlich nicht den Kultfaktor erreicht, wie mit deutschen Texten, wo ihr viel mehr Leute ansprechen und bewegen konntet. Übrigens hast Du so ein bisschen Nina Hagen-Style. Irgendwie bist du für mich eh so die kleine Schwester von Nina Hagen.

Ich bin sehr groß. Aber das kannst Du natürlich durchs Telefon nicht sehen. Die ganze Hagen-Band bestand aus professionellen Rockmusikern. Das war ein völlig anderer Ansatz. Wir experimentierten freudig mit neuen Sounds und Texten. Unsere Inhalte wollten wir sofort live präsentieren, ohne vorher jahrelang im Übungsraum gestanden zu haben. Wir waren nicht perfekt und wollten es gar nicht sein.
Im Nachhinein begeistert mich immer noch die wunderbare musikalische Vielfalt der Frauen, die in dieser Zeit aktiv waren. Wir waren viele. Wir standen nicht als Deko herum.

Die folgende Frage stelle ich sehr selten, aber in deinem Fall würde es mich doch interessieren: In was für einen Elternhaus bist du aufgewachsen? Waren deine Eltern eher traditionell und konservativ geprägt oder eher weltoffen eingestellt?

Meine Mutter war geschieden und alleinerziehend. Eine starke Frau mit eher „weltoffenen“ Ansichten. Von meinem Vater weiß ich zu wenig, später habe ich erfahren, dass er gegen Ende des 2. Weltkriegs als „Halbjude“ in den Russlandfeldzug geschickt wurde. Er hat es überlebt und sich politisch nach dem Krieg nicht mehr geäußert.

Wie hat deine Mutter dann reagiert, als du angefangen hast bei Hans- A-Plast zu singen?

Ich war das schwarze Schaf der Familie. Eine Zeit lang hatten wir keinen Kontakt. Aber dann habe ich sie auf ein Konzert eingeladen und wir haben wieder gesprochen. Sie fand es toll, was und wie ich singe.

Ich halte HANS-A-PLAST für die beste, deutsche Punkband mit weiblicher Besetzung und ich denke mit dieser Meinung bin ich auch kein Einzelfall. Da bin ich echt kein Einzelfall, ich denke es gibt viele Leute, die euch für eine Legende halten. Du darfst deine Band nicht unterschätzen.

Haha, tu ich gar nicht. Meine Freundin Annette von Bärchen und den Milchbubis hatte mal gesagt oder so ähnlich formuliert, dass wir nie geplant hatten, als Legenden zu enden. Und als wir dann so 83/84 auseinandergingen, dachten wir sowieso, das war ́s jetzt. Wir haben eine super Zeit gehabt und viele tolle Erinnerungen. Nie hätten wir gedacht, dass das so einen Nachhall bis in die heutigen Zeit haben würde. Die Livekonzerte waren mir zum Beispiel persönlich damals viel viel wichtiger als deren Konservierung auf Schallplatten oder Tapes.
Glücklicherweise waren die anderen Mitglieder von Hans-A-Plast so klug und forcierten die Herstellung der drei LPs. Das Label No Fun wurde von unseren zwei Gitarristen Michael Posten, Jens Meyer sowie Hollow Skai (No Fun Fanzine) gegründet, da konnte uns keiner reinreden. Der Vertrieb wurde auch selbst organisiert. Deshalb kann man unsere drei Alben jetzt immer noch hören, obwohl wir nie bei einer Plattenfirma waren.

Und es lief ja auch ganz gut, was ich so mitbekommen habe.

Ca. 4 Jahre konnten wir einigermaßen von der Musik leben. Dann nicht mehr. Deshalb dachten wir auch, dass wir in Vergessenheit geraten würden. Schön, dass unsere drei LPs uns davor bewahrt haben. Aber die Livekonzerte waren für mich die intensivsten Momente. Studioaufnahmen gefielen mir später, weil ich mich zur Abwechslung einmal selbst gut hören konnte.

Eine Freundin behauptete einmal eher ernsthaft, als ironisch, dass eure emanzipierten Songtexte so überzeugend wirken, dass sie in den Schulunterricht einfließen sollten, um den jungen Mädels, ein stärkeres Selbstbewusstsein zu übermitteln. Was hältst du von dieser Idee?

Letztendlich ist es immer super, wenn Lehrer innen Songtexte im Unterricht analysieren. Drei Frauen bei Hans-A-Plast war etwas Besonderes. Wir sind in einer „Macho-Welt“ aufgewachsen. Das war ja selbstverständlich. Es gab keine Me Too-Bewegung. Wir haben halt
versucht, in unseren Songtexten die männliche Sicht umzukehren und indem wir in unseren Texten und in unserem Verhalten mit männlichen Klischees spielten, wurde der Männerwelt der Spiegel vorgehalten, das ganze Gebaren lächerlich gemacht. Früher konnten Männer tun und lassen, was sie wollten. Das wollten wir auch, in jeder Hinsicht. Wir haben uns selbst ermächtigt. Gleiche Rechte, die gleiche Freiheiten wollten wir haben.

Das hast du auch super gemacht.

Danke. Für ́ne Frau gut!

Haha so wollte ich das jetzt natürlich nicht sagen.

Den Song „Für ́ne Frau“, haben wir jedenfalls zu dritt geschrieben, da hatte jeder eine Zeile beigesteuert und jede hatte sofort ein Beispiel parat.

Was war damals für dich, neben dem Einfluss von X-Ray Spex, der Antrieb, solche rotzfrechen, emanzipierten Texte zu schreiben?

Zwei der emanzipiertesten Texte hat unsere Schlagzeugerin Bettina geschrieben, Hau ab Du stinkst und Lederhosentyp. Bei mir wars eher so indirekt: ich will nicht glücklich sein, ich zünd mich an. Ich tendiere zu nachdenklichen Texten. Je länger ich wieder in Deutschland war, desto nachdenklicher wurden die Songtexte.
Auf dem dritten Album „Ausradiert“ zum Beispiel „Da ist der Führer, der mich verführt, ich lern ihn lieben, ich seh ihn sterben“ In dem Text habe ich mich in die Rolle einer Tante von mir versetzt, die den ganzen Nationalsozialismus eher unkritisch gesehen hat. Das Thema hat mich wegen meiner eigenen Familiengeschichte väterlicherseits sehr mitgenommen, ohne dass ich es schon so deutlich formulieren konnte, denn damals Anfang der 70er sprach man nicht gerne über deutsche Verbrechen. Auf welcher Seite hätte ich damals gestanden? Wie „verführbar“ wäre ich gewesen? Meine Texte handeln davon.

Eine bedrückende Geschichte. Aber es werden auch oft Texte geschrieben, wenn es einem schlecht geht, wenn einen etwas sehr beschäftigt und die Texte wirken dann wie ein Katalysator, um seinen Frust zu befreien.

Absolut und die Musik ist ein Katalysator. Als dann aber am Anfang der Achtziger der Trend zur lustigen Neuen Deutschen Welle daherkam, ging Hans-A-Plast diesen Weg nicht mit.

Das war ja schon moderner Schlager.

Und dieses Schlagermäßige war dann auch nicht mein Ding. Wer es mochte, hat dort dann eben in dieser Richtung weiter Musik gemacht. Für mich war das keine Option, da habe ich dann lieber wieder englischsprachige Sachen gehört.

Wieso hast du nach dem Ende von HANS-A-PLAST nicht noch weiter in anderen Bands gesungen?Schließlich warst du einer der besten Punksängerinnen aus Deutschland, da hätte sich vermutlich doch anderweitig noch eine Möglichkeit ergeben.

Also erstmal fand ich das, was wir mit Hans-A-Plast erreicht hatten, sehr toll. Aber das Kapitel war musikalisch abgeschlossen. Die Band löste sich auf. Ich konnte als Alleinerziehende ohne Schulabschluss und Ausbildung nicht darauf vertrauen, Geld als Punk-Rockstar zu verdienen. Musik war aber weiter ein wichtiger Teil meines Lebens. Durch meine älteste Tochter habe ich 2005 die Gothszene kennengelernt und mit Bloody, Dead and Sexy „Monstertanz“ neu aufgenommen.
Andererseits habe ich auch klassischen Gesang weiterverfolgt. Schumann und Händel mochte ich besonders.

Du lebst jetzt in Münster. Auch Äni(x)Väx kommen daher. Kennst Du die? Von denen habe ich diese Woche erst ein Re-Release zum Besprechen bekommen.

Die hatten in den 80ern echt einen Namen in Münster. Adam Riese war der Sänger. Heute moderiert er die Adam Riese Show. Als wir uns in Münster trafen, lud er mich in seine Show ein. Thema: Punkvergangenheit. Dort habe ich mit einigen Mitgliedern der Götz Alsmann Band zwei Songs aus alten Zeiten gespielt, „Monstertanz“ und „Rock ́n ́Roll Freitag“. Als Höhnie mich dann fragte, ob ich bei seinem Höhnie Festival auftreten wolle, habe ich ja gesagt. Leider hatte ich gar keine Band. Höhnie vermittelte mir daraufhin den Kontakt zu den wunderbaren Razor Smilez aus Osnabrück mit ihrer Sängerin Anika. 35 Jahre nach Hans-A-Plast traten wir gemeinsam auf. Es war super. Als altmodische Person störte es mich nur, dass so viele Leute mit ihrem Handy filmten.

Das ist auch heutzutage schon krass, das circa 30-50 % des Publikums nur noch mit filmen beschäftigt sind und gar nicht mehr wirklich tanzen.

Ja. Total merkwürdig. Wilden Tanz und Pogo gab es beim Höhnie—Auftritt trotzdem. Zum Glück sind sehr viele Fans aus Ostdeutschland angereist, die uns ja früher nicht live erleben konnten. Das war überhaupt eine supertolle Party in Peine.

Die RAZOR SMILEZ sind auch eine ziemlich professionelle Coverband und ich war richtig überrascht, als ich mir ihre Songs auf Bandcamp angehört habe. Wie geht es mit den RAZOR SMILEZ weiter, habt ihr noch weitere Auftritte geplant oder war das eher ein einmaliges Projekt?

Das war jetzt erstmal ein einmaliges Projekt, aber wenn wir Lust darauf haben, kann es schon sein, das wir nochmals gemeinsam auftreten.

Und was ist aus den anderen HANS-A-PLAST-Mitgliedern geworden? Hast du noch Kontakt zu ihnen?

Ja, wir haben Kontakt. Aber die anderen sind bis auf Bettina, die Schlagzeugerin, nicht mehr musikalisch aktiv geworden.

Glaubst du, sie hätten jetzt Lust auf ein Revival?

Nein, es wird kein Revival geben. Unser Gitarrist Jens Meyer ist im Juli verstorben.

Aber du hast jetzt eine Single mit den RADIERER herausgebracht. Wie kam da die Idee dazu?

Die Idee kam von Florian Schück von Blitzkrieg Pop. Auf seinem Label erschienen auch die Singles mit den Razor Smilez. Als mir dann der Radierer Song-Text zugesandt wurde, wollte ich nicht nur gesanglich einen Beitrag leisten, sondern habe auch den Songtext gleich umgeschrieben. Die Radierer waren so freundlich und großzügig, mich einfach machen zu lassen. So kam es zu einer Singleseite. Das hat mich sehr gefreut.

Und wie stehen dann die Chancen, dass es noch mehr Lieder von dir zu hören gibt?

Mal schauen… Der Musiker Max Gruber von DRANGSAL kontaktierte mich 2019 für ein geneinsames musikalisches Projekt. Mit ein paar Songideen bin ich nach Berlin gefahren. Seitdem proben wir – wie es die Pandemie gerade zulässt. Neben dem großartigen Gitarristen Max Gruber sind noch andere wunderbare Musiker dabei: BEATSTEAKS-Schlagzeuger Thomas Götz und Julian Knoth von Die NERVEN (den ich zufälligerweise, einem Tag nach dem Interview in Kempten getroffen habe, wo er eine Freundin besucht hatte. Anmk. Bela die Welt ist klein 😀 Anmerkung Annette)

Wenn ich mir deine Livevideos ansehe, dann sehe ich auch den Spaß, den du wieder hast und du springst enthusiastisch wie ein Jungspund auf der Bühne herum wie eh und je.

Ich liebe ja auch nach wie vor die alten Songs und performe sie gerne. Wenn die Musik gut ist, spielt das Alter keine Rolle.

Ja klar, aber es gibt schon auch so steife Altherrenbands, wo du dir denkst das sie ihre besten Tage weit hinter sich haben und das merkt man jetzt bei dir nicht.

Ich entscheide, wie lange ich meine besten Tage haben werde. Mit den Mimmi ́s bin ich einige Male aufgetreten, da hüpft auch Fabsi noch herum wie ein junges Reh.

Gäbe es denn aktuell bestimmte Themen für dich, wo es dir ein besonderes Anliegen wäre, darüber Songtexte zu schreiben? Oder anders gefragt: Wo siehst du heutzutage, die größten Probleme in der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung?

Puh – Ich bin nicht so gut im Welt erklären. Ich beschäftigte mich in meinen Texten mit Themen des Zusammenlebens von Menschen – unterm Vergrößerungsglas. Ob das politisch oder gesellschaftlich relevant sein wird, weiß ich nicht. Meine Songtexte entstehen aus persönlichen Erfahrungen oder Beobachtungen. Ich fälle kein Urteil – ich mag Mehrdeutigkeit.

In letzter Zeit gab es in der Punkszene vermehrt die Diskussion, dass es zu wenig Frauen im Punkrock gibt. Und ich würde auch behaupten dass der Anteil von Frauen in Punkbands, bei gefühlt 10 bis max. 20 %, viel zu gering ausfällt. Ich halte die Diskussion für überfällig und wichtig, aber dennoch befürchte ich, dass diese Diskussion auch zu einer gewissen Spaltung in der Szene führen könnte. Wie siehst du diese Thematik?

Frauen und Männer sollten gemeinsam tolle Musik machen. Aber tatsächlich sind nach wie vor zu wenig Frauen als Musikerinnen in Rockbands. Hans-A-plast hat eine Zeit lang als gemischtes Team sehr gut funktioniert. Wenn Musikerinnen sich untereinander vernetzen, kann das sehr viel verändern. Ich bin sicher, dass das bereits passiert und auch bei Festival-Veranstaltern ein Umdenken stattfindet. Festivals, auf denen rein männliche Acts spielen, sind doch langweilig.

Ich denke dass der Großteil der Punkszene relativ tolerant ist. Also ich war jetzt auch schon auf etlichen, vielen Konzerten und ich kann mich erst an ein Konzert erinnern, wo ein paar Männer „Ausziehen, Ausziehen“ zur Bühne riefen und das war natürlich unter aller Sau.

Weißt du, diese Auszieh-Rufe, die gab es von Anfang an, gleich auf unserem ersten Konzert in der Markthalle 1979. Wir sind als Band damit klargekommen und haben uns mit unseren Mitteln gewehrt. Bettina, Renate und ich hatten Mikrofone und damit konnten wir viel lauter schreien als diese Idioten.
Die verbalen Ausfälle scheinen immer noch die gleichen zu sein, aber heute wird alles durch soziale Medien befeuert. Also wenn früher im Publikum „Ausziehen“ gerufen wurde, sind diese Leute während des Konzerts von anderen zum Schweigen gebracht worden. Denn sie konnten sich ja nicht verstecken. Heute rotten sich ein paar dieser Typen im Netz zusammen. Sie bleiben anonym. Sich dagegen zu wehren, ist schwer.
Also einfacher ist es auf keinen Fall geworden.

Das denke ich mir auch oft, dass die Mobbingvariante durch das Internet noch ausgeprägter geworden ist. Früher hast du im Grunde genommen einen Mensch auf der Straße oder am Telefon mobben können und mit dem Internet, ist noch ein viel breitgefächerter Kanal entstanden, um jemanden nieder oder fertig zu machen.

Seit Anbeginn aller Zeiten gibt es Männer, die ihren Hass oder ihre Verachtung für sich selbst an Frauen auslassen. Heute vernetzen sie sich in Foren, bleiben anonym. Ängste und Aggressionen werden geschürt, immer weiter befeuert. Wir sollten uns immer wieder fragen: wie gehen wir in unserer Gesellschaft mit Schwächeren um? Welche Regeln schützen neben den Gesetzen unser Zusammenleben? Reichen sie aus?
Verantwortlich zu handeln ist im Alltag schwer genug.

Es ist echt traurig, das Themen wie Rassismus und Sexismus immer noch topaktuell sind, obwohl die Gesellschaft sich im Grunde weiterentwickelt hat, aber die Denkstrukturen sind halt immer noch die gleichen oder gehen gar einen rückwärtsgewandten Weg ein.

All die sexistischen, rassistischen Acts könnte man boykottieren, indem man einfach nicht zu ihren Gigs geht.

Das sehe ich genauso. Weißt du, bei mir besteht der Großteil meiner Freunde aus Frauen und für mich ist das auch ganz normal und ich würde gar nicht auf die Idee kommen, Menschen sexistisch zu verurteilen oder irgendwelche sexistischen Äußerungen abzulassen. Aber vielleicht bin ich da auch anders sozialisiert worden.

Also ich hab dieses Haftbefehl-Interview auf dem Reflektor-Podcast (Ein Podcast von Jan Müller – Tocotronic, bei dem auch Annette befragt wurde) gehört und der Rapper meinte, da, wo er aufgewachsen ist, sei es normal gewesen, sexistische und antisemitische Sprüche von sich zu geben. Diese Normalität beunruhigt mich. Ich finde es bewundernswert, wenn man es wie Haftbefehl versucht, sich von den Einstellungen seines Umfelds zu emanzipieren.

Das Problem ist, wenn diese Einstellungen in den Mainstream übergehen. Das ist ja auch so mit der AfD und deren scheinheiliger Rechtanspruch und Wortverdrehereien. Das sind halt Rattenfänger, die jegliche Probleme und Ängste die die Gesellschaft hat, auffangen und ihnen eine Antwort servieren wollen. Da bleibt dann nur zu hoffen, dass es sich dabei nur um einen vorübergehenden Trend handelt.

Hoffentlich, glaub ich aber nicht. Populistische Einstellungen haben so schöne einfache Antworten, alles ist entweder Schwarz oder Weiß, total einfach zu verstehen. Deshalb verfangen die Theorien ja so gut.

Da komme ich gerade zu einer weiteren Frage: Du hast auch sehr gute und wichtige politische Texte geschrieben, wie z.B. „Rank Xerox“, „Polizeiknüppel“, „Machtspiel“, „Ausradiert“ oder „Tuaregs“. Wie hast du das politische Klima zu jener Zeit empfunden?

Als repressiv, mir war damals klar, dass noch ganz viel nationalsozialistisches Gedankengut in den Köpfen schlummerte. Das war alltäglich und unerträglich. Wenn wir früher als Jugendliche auf der Straße demonstrierten, riefen viele Ältere: Hitler hätte euch in die Gaskammer geschickt, euch hätte man vergasen sollen. Und die Polizei hat bei Demos immer gleich drauflos geknüppelt. Und wenn man damit eigene Erfahrungen gemacht hat, dann fließen diese Inhalte natürlich auch in Musik und Text ein.

Mit „Polizeiknüppel“ ist dir dann auch echt ein guter Text gelungen. Der Text war jetzt auch nicht so nach dem platten Schema, von wegen „Ich hasse die Bullen“ oder „Haut die Bullen platt wie Stullen“. Der Text war dann schon eher wieder sehr ironisch und deswegen war er vielleicht ergreifender, als wenn ich nur stur irgendwelche Parolen herunterdresche. Das habe ich Klasse gefunden bei dem Text.

Parolen sind nicht so meins. Ich finde sie oft merkwürdig komisch. Und deshalb ist der Text von Polizeiknüppel auch etwas differenzierter. Wir hatten sogar einige junge Polizisten als Fans. Die liebten Punk. Heimlich.

Ich wollte auch noch auf den Song „Es brennt“ zurückkommen. Denn damit ist euch echt ein wahres Meisterwerk der deutschen Musikgeschichte gelungen. Kannst du dich noch erinnern, wie es zu dem Text und Song gekommen ist?

Ich saß mit meiner Freundin zusammen und wir haben zum Thema Feuer philosophiert. Wir beide sind mal als Feuerschluckerinnen aufgetreten. Ich las Gedichte von Patti Smith und die Kunstrichtung Dada beeindruckte mich. So entstand ein Text, bei dem ich meine Gedanken habe laufenlassen.

Wie würdest du denn das Frauenbild der späten 70er und frühen 80er umschreiben?

In größeren Städten haben immer mehr Frauen gegen patriarchalische Vorstellungen gekämpft. Vor allem gegen das Klischee, wie eine Frau zu sein hatte. Eine Frau, die nicht nur Hausfrau und Mutter sein wollte, wurde ausgegrenzt. Alleinerziehend zu sein, war ein Makel. Bis in die Siebziger brauchten Frauen noch die Erlaubnis ihres Mannes, um berufstätig zu werden.
Als Band Hans-A-Plast konnten wir eine Menge Klischees ad absurdum führen. Am Anfang der Achtziger öffnete sich die Musikszene für Frauen, die nicht nur sangen, sondern auch Instrumente spielten, Schlagzeugerinnen, Gitarristinnen, Bassistinnen. Der Vorteil damals war, dass man in den Anfangszeiten des Punk musikalisch nicht perfekt sein musste. Heute stört mich der Optimierungswahn. Ende der 70er, Anfang der 80er bist du einfach auf die Bühne gegangen, egal ob du spielen konntest oder nicht.

Das war ja so allgemein die Befreiung im Punk.

Das war wirklich eine Befreiung. Das war ein Impuls, ein Anstoß, aber das bedeutet nicht, dass man sich darauf ausruhen könnte.

Ende der 70er entstanden auch die ersten Schmuddel-Sexfilme, wie „Schulmädchenreport“.

Aber nicht nur das, ich empfand auch die Mode als voll schrecklich. Die Männer trugen alle so ganz enge Hosen mit Schlag, was total scheußlich aussah und brutal hässlich war. Harte Drogen waren im Umlauf. Wenn heute Filme über die 70er gedreht werden, wirkt alles so hip. Und das war diese Zeit ganz und gar nicht. Das ganze Elend sieht man nirgends bei diesem 70´s Revival. Den ganzen Farbcharakter der damaligen Zeit fand ich unschön.

Also du meinst so dieses Orange, Braun? Und die Männer haben alle Bärte und lange Haare gehabt?

Ja schrecklich.

Obwohl diesen Bart-Trend, gibt es leider auch schon wieder seit ein paar Jahren.

Ja. Männer mit Bärten. Ich hoffe, du hast jetzt keinen Bart?

Nee ich habe nur mal einen Spitzbart gehabt, aber das ist jetzt auch schon wieder 15 Jahre her. Das war jetzt auch nicht so mein Schönheitsideal, mit Bart herumzulaufen.

Wunderbar.

Wenn man sich die alten politischen Reden von Franz Josef Strauß oder so anhört, die sind ja doch sehr aggressiv. Da scheinen die heutigen, deutschen Politiker in ihrer Wortwahl eher etwas eloquenter zu sein. Sie haben vielleicht die gleichen Ziele, aber sie bringen es nicht ganz so unversteckt heraus.

Es wurde sehr viel polarisiert. Es war halt eine Zeit, in der es hart auf hart ging. Es gab die R.A.F., die mit Gewalt gesellschaftliche Veränderungen wollte. Aber das führte aus meiner Sicht nirgendwo hin. Es ist natürlich viel schwieriger, Kompromisse zu finden, um etwas Neues aufzubauen. Manchmal dauern Veränderungsprozesse eben sehr, sehr lange.

Ich frage mich, ob es nochmal eine richtig neue Musikbewegung oder Richtung geben wird. Aber das glaube ich eher weniger, weil es wird sich halt alles mehr vermischen. Es wird vermutlich eher so eine Crossoverentwicklung stattfinden.

Ich denke, dass es immer wieder Jugendbewegungen mit eigener Musik geben wird.

Eine Frage wäre noch gewesen, wie ihr mit den Anfeindungen innerhalb der Hannover Szene umgegangen seid. Weil es gab da im Blitzkrieg-Umfeld ja auch einige intolerante Leute. Aber vielleicht muss man diese Frage auch gar nicht wirklich stellen. Denn es war halt so wie es ist und solche Extremisten wird es immer geben. Das habe ich ja auch nie verstanden, dass es Leute gibt, die immer nur Discharge oder das härteste vom Harten hören. Ich meine Musik ist ja viel zu breitgefächert und man hat auch viel zu viele verschiedene Launen, um sich immer nur das gleiche anzuhören.

Ja genau so sehe ich das auch. Ich bin immer neugierig auf neue Töne. Sich musikalisch nicht zu begrenzen oder einzuengen – diesen Ansatz verfolge ich auch mit meinen heutigen Projekten.

Denkst du dass mit den RADIERERN noch mehr entstehen wird?

Ich habe die Radierer noch gar nicht persönlich kennengelernt. Wegen der Pandemie ist das ganze Projekt virtuell entstanden. Und wahrscheinlich bleibt es erst einmal bei diesem einen schönen Projekt.

Hast du noch ein abschließendes Wort oder Lebensmotto:

Ruhe bewahren.

(bela)

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