Dezember 31st, 2024

Güner Künier (#223, 2023)

Posted in interview by Jan

In dem folgenden Interview gibt es interessante Einblicke in das bewegende Schaffenswerk von Güner Künier die in der Türkei geboren, in Flensburg aufgewachsen und nun seit einigen Jahren in Berlin lebt. Es geht um das Ausbrechen aus konventionellen, traditionellen Rollenbildern und wieso es so wichtig ist seinen eigenen, selbstbestimmten Weg zu finden. Und natürlich geht es auch um die tolle Musik von Güner Künier die im Post-Punk, Electrosynth und Darkwave anzusiedeln ist.
Auf monotone, hypnotische oder treibende Drum & Percussion-Beats und Gitarrenriffs kommt Güners eindringliche Stimme die mich gelegentlich an Siouxsie & The Banshees erinnert. Meines Erachtens kann Güner Künier locker mit dem internationalen Post-Punk-Standard mithalten, auch wenn sie diesen gar nicht wirklich bedient. Vielmehr halte ich Güner Künier für eigenständiger und authentischer, weil sie unter anderem alles selbst einspielt und ihre Songs mehr auf persönliche Stimmungslagen, als auf reproduzierbare Eingängigkeit aufgebaut sind. Bisher erschien die Tape-EP „Flexel“ und das Tape-Album „Ask“, welches über Flirt 99 nun auch auf Vinyl herauskam. Auf „Ask“ wechselt auch der Gesang zwischen englischen und türkischsprachigen Gesang, was dem Ganzen nur noch mehr Individualität und Ausdruck verleiht.

Hallo Güner, du stammst aus der Türkei, bist in Flensburg aufgewachsen und bist letztendlich nach Berlin gezogen? Wie war für dich das Leben in Flensburg und warum hast du dich entschieden nach Berlin zu ziehen, welchen Reiz strahlt diese Stadt auf dich aus?
Ich habe in Flensburg gewohnt bis ich 18 war, bin also dort zur Schule gegangen und habe zusammen mit meiner Familie gelebt. Flensburg ist eine süße Hafenstadt, jedoch nicht besonders aufregend als Teenie. Dennoch gab es Möglichkeiten Bands zu gründen, Veranstaltungen zu organisieren und Konzerte zu spielen, a la Jugendclub halt. Bevor ich nach Berlin gezogen bin war ich im Ausland. Danach war mir eigentlich klar, dass wenn ich in Deutschland bleibe, dann nach Berlin ziehe. Nun ist Berlin mein vertrautes zu Hause, damals strahlte die Stadt Freiheit und Selbstverwirklichung für mich aus.

In dem Kickdrum Magazin heißt es: „Güner Künier fing bereits im Alter von 10 Jahren an, Gitarre zu spielen. Mit 13 begann sie, in Bands zu spielen und Shows zu organisieren.  Dann ließ sie aufgrund ihres kulturellen Hintergrunds alles hinter sich. Ein Jahrzehnt später, mit einem Master-Abschluss in Wirtschaft und Ingenieurwesen und Berufserfahrung in der Tasche, beschloss sie eine drastische Veränderung vorzunehmen und sich der Kunst und Musik zu widmen. Seit nunmehr vier Jahren präsentiert sich Künier als unabhängige Solomusikerin.“ Kannst du uns diesen Werdegang etwas näher beschreiben. Wieso hast du wegen deines kulturellen Hintergrunds erstmal alles hinter dir gelassen und dich dann doch für die Musik und Kunst entschieden?
Da ich schon sehr früh anfing Musik zu machen und auch große Freude an Schauspiel und Malerei hatte, war es für mich letztendlich doch nur eine Frage der Zeit, bis ich mich dem wieder bedingungslos widmen konnte. Mit 18 fiel es mir schwer aus gesellschaftlichen Konventionen auszubrechen. In meinem sozialen Umfeld wurde das nicht gelebt und in meinem kulturellen Umfeld waren konservative Rollenbilder stark vertreten. Zunächst hat es für mich eine persönliche Entwicklung, finanzielle Unabhängigkeit sowie das richtige soziale Umfeld gebraucht um diesen Schritt wieder zugehen. Das Verlangen danach war nie weg, nur stark unterdrückt.

In welcher Weise betätigst du dich dann in künstlerischer Form? Ich nehme mal an das du unter anderem deine stilistischen Coverartworks und Flyer selbst gestaltest.
Schauspiel und Malerei gehören dazu, jedoch liegt mein Fokus seit zwei Jahren sehr stark auf Musik. Alle meine bis jetzt veröffentlichten Cover-Artworks und Designs wurden von dem Künstler Magnus Krüger erstellt.

In einem TAZ-Artikel hast du erwähnt „Als ich anfing Musik zu hören, haben mir Bands wie Sonic Youth und Meat Puppets gefallen“ und du klingst auch ein bisschen nach Sonic Youth. Ich finde deinen Musikgeschmack sehr interessant weil wir vom TRUST große SST-Fans sind. Gibt es noch weitere SST-Bands die dir gefallen und was fasziniert dich an Sonic Youth und den Meat Puppets?
Hüsker Dü finde ich auch cool aus der SST Bande! Mich fasziniert vor allem an diesen Bands der Sound, unkonventionelle und schräge Gitarrensolos, Vocals und Klänge, experimentelle Songstrukturen und Radikalität.

Ich finde in deine Songs kann man fantastisch abtauchen, sie besitzen etwas Magisches. Wie gehst du an deine Songs heran, was ist dir wichtig beim Songwriting, was für ein Gefühl willst du damit übermitteln?
Ich schreibe meine Songs ohne mir einen Plan vorher zu machen, es kommt raus, was raus kommen muss. Ich habe nicht etwas was mir im Vorhinein wichtig ist beim Songwriting oder ein Gefühl was ich vermitteln möchte, ich erzähle unbewusst eine Geschichte und es entsteht das, was entstehen soll. Ich arbeite sehr intuitiv. Auch die Lyrics sind bis zum Schluss improvisiert. Erst ganz am Ende, vor den Studio Aufnahmen, setzte ich mich hin und schreibe die Texte und da wird mir erst klar, was entstanden ist; was ich erzähle.

Wieso singst du einen Teil deiner Songs in Englisch und einen anderen Teil in deiner Muttersprache auf Türkisch? Und über welche Themen handeln deine Songtexte?
Ich habe angefangen englische Texte zu singen und zu schreiben, weil das mein Haupteinfluss ist. Ich höre fast nur englischsprachige Musik, daher ist es sehr natürlich für mich. Auch hier habe ich einfach gemacht und das genommen was entstanden ist. Die türkischen Texte sind erst seit dem letzten Jahr dazu gekommen. Auch das ist sehr spontan entstanden und hat sich natürlich und einfach angefühlt. Das liegt sicher auch daran dass ich mich im letzten Jahr mehr mit meiner Herkunft und mit türkischer Musik auseinander gesetzt habe. Die Themen sind nicht vorgeben, ich schreibe über das was ich erlebe, was mich prägt, über intensive Lebensphasen und Gefühle.

Dein Album heißt „Ask“ was im türkischen für „Liebe“ steht. Wieso hast du dich für diesen Albumtitel entschieden? Was willst du damit ausdrücken?
Liebe ist nicht immer Glück. Für mich ist Liebe auch ein sehr dunkles Thema, das mit verletzten Gefühlen, Traumata oder Vertrauensproblemen einhergeht. Und ich spreche nicht nur von romantischen Beziehungen, sondern auch von der Liebe zwischen Freunden und Familie. So lässt sich der Titel interpretieren. Außerdem habe ich die ersten türkischen Lieder überhaupt geschrieben, und das hat mir sehr viel bedeutet. In vielen türkischen Liedern geht es um Liebe, aber um gebrochene Liebe, den Schmerz und das Leid, ich liebe sie. So kommt es auch zum Titel.

Bist du in der Türkei auch ein Begriff, spielst du dort Konzerte? Und wie groß ist die Postpunkszene in der Türkei?
Ich spiele keine Konzerte in der Türkei und habe keinen Bezug zu subkulturellen Szenen. Ich hoffe dass sich beides in Zukunft ändert, ich würde gerne Konzerte in der Türkei spielen und mehr über verschiedene Subkulturen erfahren.

Wieso gibt es deine Musik bisher nur auf Kassette?
Seit Ende April kann das Album nun auch auf Vinyl bestellt werden. Auf Kassette war halt bis dahin die günstigere Variante. Seit Anfang des Jahres erfahre ich nun Support durch meinen Verlag und die Vinylversion ließ sich dadurch realisieren.

Neben Güner Künier spielst du noch bei dem Punkduo Baby Spice. Leider gibt es auf Bandcamp nur zwei Songs. Ist Baby Spice noch aktiv?
Nein, ich spiele in keinen weiteren Projekten mehr. Ich habe bis Anfang diesen Jahres noch in Bands gespielt und mich dann aber dafür entschieden meinen Fokus auf ein Projekt zu legen.

Was hast du für das Jahr 2023 geplant, spielst du viele Konzerte? Steht eine Tour oder ein neues Album an?
Es stehen noch viele Konzerte an dieses Jahr, auf die ich mich sehr freue… eventuell zum Herbst eine Tour. Ich schreibe schon an neuen Songs und werde Anfang nächsten Jahres wieder ins Studio gehen.

Noch ein abschließendes Wort oder Lebensmotto…
Weiter machen!

(bela)

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