Dezember 31st, 2022

Duophonic (#209, 2022)

Posted in interview by Jan

Vor einiger Zeit bin ich auf das Thema Re-Vinyl gestoßen und fand es interessant, da ich mir vorher wenig Gedanken über die Schallplattenproduktion und die Möglichkeiten einer nachhaltigeren Produktion gemacht habe. Das Thema fixte mich an und ich fand es so spannend, dass ich optimal media im Trust #207 zu ihrem Presswerk in Mecklenburg befragt habe.

Für mich war diese Art von Resteverwertung der Aufhänger, weil ich zum einen überrascht war, dass das nicht schon lange Normalität war und zum anderen es mich dennoch beschäftigte, was im Bereich Plattenpressen denn möglich ist, ökologischer zu produzieren. Zu dem Interview gab es sehr viel spannendes Feedback. Zum einen Komplimente, dem Thema Nachhaltigkeit mal intensiver nachzugehen, zum anderen aber auch die Frage, was denn andere Akteure machen, die der Punk/Hardcore-Szene vielleicht sogar noch näher stehen. Und überhaupt: Kann man das Thema Nachhaltigkeit überhaupt nur auf die ökologische Komponente reduzieren?

Müssen wir als Punk/Hardcore-Magazin nicht auch über soziale Kriterien sprechen – nicht im Ausschluss zur Ökologie, aber als Ergänzung? Und überhaupt, ist Nachhaltigkeit nicht schon längst ein sehr ausgelutschter, von der Industrie und seinen Verbänden gekaperter und erstellter Begriff? Alles und nichts ist mittlerweile nachhaltig, auch Wegwerfprodukte wie Kaffeekapseln oder Plastikeinwegbesteck. Auch im Vinylsektor kann Nachhaltigkeit viel, viel mehr sein als nur Re-Vinyl und Restverwertung. Daher hier der 2. Teil der kleinen Interviewreihe, dieses Mal mit duophonic aus Augsburg. Danke an David und Johannes für die Beantwortung.

Hi, Danke, dass Ihr Euch die Zeit nehmt zur Beantwortung der Fragen. duophonic hat auf seiner Homepage eine eigene Seite zum Thema Nachhaltigkeit. Mich würde interessieren, inwieweit ihr davon von sozialen Bewegungen, wie Fridays For Future beeinflusst werdet?
FFF hat uns nicht wirklich beeinflusst. Wir haben uns schon vorher mit dem Thema beschäftigt. Es ist schön, dass FFF das Thema Klimagerechtigkeit in die Öffentlichkeit bringt.

Wann und wie hat das Thema Nachhaltigkeit bei Euch angefangen?

Wir haben unser Geschäftskonto seit 2006 bei der GLS Bank, der ersten Umweltbank Deutschlands. Unsere Räume betreiben wir mit Ökostrom und versuchen seit Jahren unser Büro plastikfrei zu organisieren. Es geht um mehr als nur ein Produkt grün anzumalen. Der Begriff Nachhaltigkeit wird heute recht inflationär verwendet, das ist uns bewusst. Wir sind politische Menschen, die progressive Veränderung mittragen möchten, diese Veränderungen sind wichtig für ein gutes Leben für alle.

Gibt es eine externe Nachfrage nach nachhaltigeren Produkten? Wenn ja, könnt ihr sagen, welche Art von Kund*innen das eher nachfragen?

Ja, immer mehr. Da hat die aktuelle Klimadebatte auf jeden Fall einen Einfluss, das Bewusstsein wird geschärft. Das Spektrum ist breit gefächert und lässt sich schwer in Schubladen packen, von der Punkband über Indie Labels zu immer mehr Firmen, die sich mit Nachhaltigkeit identifizieren.

Auf Eurer Website beschreibt ihr Euer Vorgehen recht breit, aber auf einen Kritikpunkt geht ihr gleich zu Beginn ein, das Vinyl an sich. Ihr schreibt, „[d]ass Schallplatten aus Kunststoff sind ist uns bewusst. Wenigstens sind sie keine „Wegwerfprodukte“ – sondern ein Stück Musikkultur.“ Würde ich sofort unterschreiben, aber komme mir da manchmal auch vor, als würde ich mich selbst belügen. Wo seht ihr bei Euch Stellschrauben, daran zu arbeiten, die Schallplatte an sich zu verändern?
Warum belügst Du Dich da selbst? Da müsstest Du anfangen zu hinterfragen, wie die Musik entsteht, welche Instrumente gespielt werden, wie und wo diese unter welchen Bedingungen hergestellt werden. Wie wurde der Strom erzeugt, wie sind die Künstler*innen ins Studio angereist etc. pp.

Es geht um Musik – und Musik will gehört werden. Die Schallplatte ist eine Möglichkeit. Streaming ist bei der Klimabilanz wohl nicht besser, nur wird das gerne übersehen. Du kaufst ja nicht eine Platte und nach 10 Tagen Probehören schickst Du sie zurück oder gibst sie in die gelbe Tonne. Ein guter Anfang ist, wenn z.B. der Randabschnitt wiederverwertet wird. Wenn die Wärme, die beim Pressen entsteht, zum Heizen der Räume verwendet wird.

Ein weiterer Schritt ist es auf das Einschweißen in Plastikfolie zu verzichten. Oder die Grammatur der Platte wieder zu reduzieren. 140 Gramm oder 180 Gramm, alte Platten hatten nur 110 Gramm oder 120 Gramm, das hat am Klang auch nichts verändert. Es gibt seit neuem die gefütterten Innenhüllen mit Antistatikpapier statt der Plastikfolie innen. Es geht also in die richtige Richtung, in kleinen Schritten. Doch die Scheibe neu zu erfinden ist auch für uns schwierig.

Wie steht ihr zu Formaten wie Re-Vinyl? Da es sich ja bei „Re-Vinyl“ vor allem um „Abfallvermeidung“ handelt, was passiert mit Euren Vinylabfällen?
Ich möchte darauf hinweisen, dass wir nicht selbst pressen. Wir sind ein Vinylschnittstudio und wickeln Pressaufträge über Lieferanten ab. Das Recycling Vinyl ist eine Entwicklung in die richtige Richtung. Die Lieferanten, mit denen wir zusammenarbeiten, hören bei 10 bis 15 Prozent Zumischung von Regranulat auf. Sie sagen bei einem höheren Anteil von Regranulat leidet die Qualität.

Es gibt ja einige Entwicklungen und Ideen den Kunststoff bei den Schallplatten durch nachwachsende Rohstoffe zu ersetzen. Wie steht ihr zu anderen Rohstoffen für die Vinylgewinnung? Ist das für Euch schon eine Diskussion? Wo seht ihr die größten Herausforderungen?
Ich denke, dass aktuell am Material der Schallplatte nicht viel zu ändern ist. Es gibt Versuche aber so richtig zufriedenstellend war bislang noch nichts. Dafür ist der Markt zu klein und ob Bioplastik besser ist, ist auch sehr fraglich. Wenn Felder, die für Nahrung wichtig sind, für den Anbau von Plastikmaterial zweckentfremdet werden, ist das nicht besser. Wir sehen diese Entwicklung beim Bio Sprit – das ist Augenwischerei. Die Monokulturen begünstigen das Artensterben und die Bodenerosion.

In einem Interview mit Euch habe ich gelesen, dass ihr den Folien-Rohling produziert. Der ist – nehme ich an – auch aus Plastik. Im Presswerk wird dieser Rohling dann versilbert und in ein Galvanik-Bad gelegt. Dann lagert sich auf dem feinen Silberfilm Nickel ab, was wiederum anschließend die Nickelfolie wird, also ein Positiv der Rillen. Dieses Positiv kann auch abgespielt werden und wird archiviert. Habt ihr Wissen über die Herkunft der Rohstoffe Nickel und Silber für diesen Prozess? Oder gar einen Einfluss darauf, woher diese Rohstoffe kommen? Bei Silver weiß ich zum Beispiel, dass es eine gewisse Menge an Fairtrade Silber gibt (mehr Informationen dazu bei oronda.de). Bei Nickel hingegen dürfte man wahrscheinlich auf Konzerne, wie den russischen Nornickel-Konzern angewiesen sein. Nornickel wurde zuletzt immer wieder mit Umweltverschmutzung und Verletzungen von Rechten indigener Gemeinschaften in Russland in Verbindung gebracht. Gibt es da eine Debatte bei Euch? Kannst Du sagen, wie groß die Nickel- und Silbermengen sind (dürfte sich ja im Gramm-Bereich bewegen)?
Den Folien Rohling produzieren wir nicht selbst. Das ist nach dem Brand des weltweit größten Herstellers in den USA letztes Jahr aber eine der Achillesfersen der Schallplatten Herstellung. Der Rohling ist nicht aus Plastik. Das ist eine Metallplatte mit Lack. Unsere Masterfolien kommen aus Japan, vom einzig verbliebenen Hersteller. Diese werden per Schiff zum europäischen Vertrieb geschickt. Trotzdem wäre hier eine europäische Produktionsstätte sehr zu begrüßen, vielleicht tut sich hier ja was in nächster Zeit.

Die Silbermenge pro Schallplattenproduktion bewegt sich im Milligramm Bereich. Pro Platte ist die Menge zu vernachlässigen. Es wird hier eine Silbernitratlösung verwendet. Beim Nickel ist es schon mehr, je nach Verfahren. Ein Stamper wiegt circa 200 Gramm. Davon bracht man zwei Stück. Bei einer Auflage von 500 LPs also etwa ein Gramm Nickel pro Platte. Es finden hier S-Nickel Pellets Verwendung, wohl meist mit dem Ursprung Ontario (Anm. Mika: In Ontario habe ich nur Vale S-Nickel Pellets gefunden. Vale ist ein ursprünglich brasilianischer Konzern, der in Brasilien, Kanada, Neukaledonien und Indonesien Nickel abbaut. In Kanada hat der Konzern sieben Bergbau-Standorte, bei mindestens einem gibt es einen lang anhaltenden Konflikt mit der lokalen Bevölkerung und den Inuit. Tragische Bekanntheit erfuhr der Konzern, als am 25. Januar 2019 ein Rückhaltebecken seiner Eisenmine in Brumadinho brach und mehr als 270 Menschen in Folge dessen von der Schlammlawine ihr Leben verloren. Da der TÜV Süd kurz vorher noch das Rückhaltebecken – trotz anderem Wissen – eine Unbedenklichkeit beschien, wird momentan in Deutschland und Brasilien auch gegen den TÜV-Süd ermittelt. Mehr Infos u.a. auf: https://power-shift.de/). Verifiziert Nachverfolgen lässt sich die Herkunft für uns jedoch leider nicht.

In der Galvanik kommen natürlich noch weitere Chemikalien, wie Wasserstoffperoxid und Ammoniak zum Einsatz. Diese aber in sehr geringen Mengen.

Gibt es Anfragen von Kund*innen nach ökologischen Produkten, die ihr noch nicht bedienen könnt?
Wie du bei der vorherigen Frage siehst, wäre das genau das Produkt. Weiter ist das Einschweißen in Plastikfolie natürlich ein Problem. Wobei hier, hoffentlich wie bei Büchern, ein Umdenken stattfinden wird, vor allem im DIY Bereich. Hier bieten sich auch Schutzhüllen an, die dann mit im Plattenregal landen und nicht entsorgt werden.

Wie unterscheidet sich die Vinyl-Schallplatte von der Einzelanfertigung auf PVC aus ökologisch / nachhaltiger Sicht?
Hier wird die Musik direkt in das Material geschnitten so dass der ganze chemische Prozess der Galvanik, die sog. Masterfolien und die dampfbetriebenen Pressen wegfallen. Sie werden direkt bei uns im Studio hergestellt und die Maschinen laufen mit Naturstrom. Allerdings ist der Prozess viel zeitintensiver (es wird in Echtzeit geschnitten) und so sind die Kosten höher, bzw. die Stückzahlen geringer.

Auf der Website gebt ihr an, dass ihr die Gemeinwohl-Ökonomie unterstützt. Was bedeutet das für Euch (persönlich), aber auch als Unternehmen? Macht ihr keine Gewinne bzw. spendet die dann? Wählt ihr auch Zulieferer und Kund*innen nach solchen Aspekten aus?
Mir persönlich ist ein anderes Wirtschaften sehr wichtig. Die Gesellschaft muss sich hin zu einer solidarischen Ökonomie entwickeln. Die Gemeinwohl-Ökonomie ist ein Anfang und daher unterstützen wir diese Idee. Wobei ich die Gemeinwohl-Ökonomie Bilanz nicht so ganz einfach finde. Leider ist diese Art zu Wirtschaften noch zu unbekannt und müsste auch institutionell von Seiten der Politik gefördert werden. Aber welche Partei setzt sich schon dafür ein?!

Wir versuchen mit Firmen zu arbeiten, die wir kennen und hoffen, dass die Mitarbeiter*innen ordentlich behandelt und bezahlt werden. Wir unterstützen immer wieder Projekte und spenden. Aktuell unterstützen wir einen Soli Sampler für Vio.me in Griechenland (Anm. Mika: Vio.me ist ein Industrie-Betrieb in Griechenland, der in der Krise von den Mitarbeiter*innen besetzt wurde und seitdem gleichberechtigt selbst-verantwortlich betrieben wird. Sie stellen aus Olivenöl ökologische Seifen her). Der Sampler erscheint jetzt: https://seiferei.noblogs.org/soli-sampler/

Zentraler Punkt in Eurer Nachhaltigkeit ist die klimaneutrale Produktion. Was bedeutet das für Euch? Geht es dabei nur um Kompensation von CO2-Emissionen?
Wir finden, dass es eine Möglichkeit ist etwas zu tun. Gerade beginnt die Diskussion, ob ein Produkt klimaneutral sein kann. Vielleicht ist das in Zukunft nicht die korrekte Bezeichnung, wir werden sehen. Aber wenn das Geld in regionale Aufforstungsprojekte fließt, ist es besser, als gar nichts zu machen und zu sagen: „Ich kann ja eh nichts verändern!“ und dann wieder zu Netflix zu gehen und sich eine Serie oder Doku über das Ende der Welt anzuschauen.

Im Vergleich zu Optimal Media (Trust #207), die mit ClimatePartner kooperieren, zu deren Kunden auch u.a. der Ölhersteller TOTAL oder die Deutsche Bank gehören, arbeitet ihr bei der Kompensation von CO2 mit NatureOffice zusammen. Die haben eher kleinere Kunden, Familienunternehmen. Warum ist die Wahl auf diesen Anbieter für CO2-Kompensation gefallen?
NatureOffice fanden wir aus o.g. Gründen sehr sympathisch. Die Konzerne, die Du aufzählst, sind Teil des Problems. Kann TOTAL oder die Deutsche Bank nachhaltig sein? Ich denke nicht! Das meinte ich auch damit, dass der Begriff Nachhaltigkeit inflationär verwendet wird. Amazon verkauft sich als Nachhaltig, obwohl sie Neuware bei Retouren vernichten. Es geht um die Strukturen dahinter, wo fließt Geld hin, was wird damit finanziert. Das Geld der Subkultur sollte auch in der Subkultur bleiben, um diese zu unterstützen. Damit es eine unabhängige Kultur bleibt, vor allem auch im Punk und Hardcore Bereich. Eine VANS Tour ist nicht Punk. Es braucht eine unabhängige Kultur. Das sind Themen die auch bei Optimal zu hinterfragen sind, die ja zur Edel SE & Co. KGaA gehören einer europäischen Aktiengesellschaft usw. usf.

Habt ihr einen Überblick, wieviel CO2-Emissionen bei einer 1.000er Auflagen-Pressung (mit einfachem Cover) bei Euch entstehen?
Wir rechnen mit ca. 2t CO2-Emissionen bei einer 1.000er Auflage.

Da ihr ja auch CDs herstellt, wo siehst Du ökologisch die größten Unterschiede zwischen Vinylherstellung und CD-Produktion?
Das ist für uns leider schwierig zu beantworten, da wir bei der CD-Produktion nicht jeden einzelnen Produktionsschritt mitbekommen.

Ihr geht auch auf die Unternehmensstrukturen bzw. Firmenhierarchien ein. Ihr betont darin, dass alle Mitarbeiter*innen das gleiche Mitspracherecht haben und Entscheidung gemeinschaftlich beschlossen werden. Wie viele Mitarbeiter*innen habt ihr und wie setzt ihr das um?
Wir sind aktuell zu viert. Wir entscheiden Sachen, die von Belang sind kollektiv. Es gibt in dem Sinn keinen Chef, wir versuchen auf Augenhöhe zu agieren.

Mich würde interessieren, was ihr als nächstes noch vorhabt und was Eure Utopie für einen nachhaltigen Musikgenuss ist?
Wir haben da so ein paar Ideen im Hinterkopf – da die Marktsituation und das Weltgeschehen momentan aber sehr schwer vorherzusehen sind, gibt es fürs erste keine ganz klare Zukunftsvision. Ich denke es ist das Beste wenn wir etwas anpassungsfähig bleiben. Unsere Utopie? Schmeiß dein Handy und deinen Plattenspieler weg und schnitz dir ne Flöte. Oder stream doch direkt über deinen Neuralink-Chip.

Kontakt: duophonic, Tel. 0821 4300757, https://duophonic.de/
Checkt auch Davids Band: https://drdrexler.bandcamp.com/
Mika

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