April 14th, 2020

Gastbeitrag zum Thema “Krise” von Sylvia Bayram – Teil II/Schluss aus #147, 2011

Posted in artikel by Jan

Gastbeiträge zum Thema „Krise“, Teil II/Schluss

Willkommen zu der letzten Runde der Gastbeiträge zum Thema „Krise“. In Trust # 146 erschien der erste Teil, in Trust # 147 kommt nun der zweite Teil / Schluss. Wieder ist die Autorin Sylvia Bayram. Sie veröffentlichte vor einiger Zeit im Pahl-Rugenstein Verlag ihr sehr gutes Buch „Globalisierung Macht Krise“. Sie war in verschiedenen sozialen Bewegung aktiv und setzt heute ihren politischen Schwerpunkt in der betrieblich/gewerkschaftlichen bewegung. Sie ist u.a. aktiv in der LIDL-Kamapgne und bei Verdi. Dieser Beitrag ist ein genehmigter Auszug aus dem gennanten Buch ( S. 106ff, S. 116ff).

Der Kampf gegen die Auwirkungen der Globalisierung ist richtig – Globalisierung ist kein Phantom
Auch wenn im Zusammenhang mit der Globalisierung so viele unrealistische und falsche Ideen im Umlauf sind, kann die Globalisierung nicht abgetan oder heruntergespielt werden. Durch den Prozess der Globalisierung wurden die Widersprüche des modernen Kapitalismus noch weiter zugespitzt, siehe z.B. die extreme weltweite Ungleichheit, die sich vor allem in der wachsenden Zahl der Hungernden und der Menschen ohne Zugang zu genießbarem Wasser äußert. Einerseits zeigen sich immer heftigere Probleme wie Naturzerstörung, katastrophale Wohnbedingungen, krankmachende Arbeitsbedingungen etc. pp., anderseits gibt es jedoch immer größere Möglichkeiten, diese Probleme aufgrund des ungeheuren technischen Fortschritts zu lösen.

Trotzdem sehen wir die unglaubliche Unverfrorenheit, mit der die Regierenden in den verschiedensten Ländern diese Probleme immer weiter anwachsen lassen und die Arroganz der Macht, mit der sie die Interessen ein kleiner Minderheit durchsetzen. Durch die Globalisierung wurden diesen schreienden Widersprüche sehr deutlich. Die kleine Anzahl der Menschen, die die Gewinner der Globalisierung sind, benutzt natürlich ihre ungeheure Machtfülle, um noch lauter zu verkünden: »Die Globalisierung ist wie eine Naturgewalt; es gilt umso so mehr die Devise: ›Don’t beat the system, play it!‹ – Nicht gegen das System vorgehen, sondern nach dessen Regeln spielen!«

Gehört man nun gerade nicht zu den oberen Zehntausend Kapitalbesitzern und folgt dieser Devise, wird sich für einen selbst eben nach den Regeln dieses Spiels höchstwahrscheinlich gar nichts ändern: Man arbeitet hart – wenn man denn eine Arbeit hat –, ruiniert seine Gesundheit, hat trotzdem wenig Geld und die Früchte der eigenen Arbeit genießen andere. Da auf der einen Seite der Reichtum immer unermesslicher wird und auf der anderen Seite die offensichtlich lösbaren Probleme nicht gelöst werden, da uns stattdessen in immer stärkerem Maße »Lösungen« wie Rassismus, Nationalismus oder Faschismus angeboten werden, gibt es immer mehr Menschen, die sich gegen die Globalisierung wehren: die sogenannten Globalisierungsgegner. Und diese Gegenwehr ist mehr als notwendig und gerecht! Denn warum sollten wir den Kakao, durch den man uns zieht, auch noch trinken? Warum sollen wir diesem offensichtlichen Märchen Glauben schenken, dass die Globalisierung wie eine Naturgewalt wie ein Tsunami ist?

Die Globalisierung ist das Produkt der gesellschaftlichen Verhältnisse und die sind nicht durch Gott gegeben, sondern von Menschen gemacht. Warum sollten sie also nicht auch durch Menschen verändert werden? Ist das Spiel der Globalisierung nicht allzu durchsichtig? Gestern sagt der Konzern X, die Beschäftigten in Deutschland sind zu teuer, wir gehen nach Bulgarien oder nach Brasilien, morgen sagt der gleiche Konzern, die Beschäftigten in Bulgarien und Brasilien sind zu teuer, wir gehen nach Indonesien oder nach Usbekistan. Sollen wir dazu wirklich einfach Ja sagen? Sollen wir also zu Hungerlöhnen unsererseits sowie zu der Profitexplosion für die Kapitalbesitzer und den Millionengehältern »unserer« Konzernchefs auch noch Ja sagen?

Dazu sind viele zu Recht nicht bereit. Sie tragen ihren Protest zu den weltweiten Gipfeltreffen, ob nun in Mumbai, Seattle oder Genua! Denn dort sitzen sie ja, die wirklich Mächtigen dieser Erde, stecken ihre Köpfe zusammen, um die Welt in ihrem Sinne noch besser zu managen. Wir wissen aus Erfahrung, das heißt für uns nichts Gutes. Sie dort nicht in Ruhe zu lassen, sondern unseren lautstarken Widerspruch dorthin zu tragen, ist und bleibt richtig! Entscheidend dabei ist, wie wir gegen die Globalisierung kämpfen! Es gibt kein Zurück in die Nachkriegszeit – die kapitalistische Normalität kommt mit voller Kraft wieder. Die Frage ist allerdings, mit welchen Zielsetzungen, mit welchen Vorstellungen wir unseren Protest auf die Straße tragen? Was wollen wir erreichen, was können wir erreichen.

Da liegt der »Hase im Pfeffer«, denn es kursieren viele falsche Vorstellungen über das Wesen der Globalisierung in den Köpfen der Kritiker. Die Hauptlinie innerhalb der fortschrittlichen Globalisierungsliteratur ist, die Globalisierung aus ihrer historischen Kontinuität herauszulösen, indem ihr im Vergleich zu der Zeit davor eine »neue Qualität« zugesprochen wird. Was nun jeweils an der Globalisierung die »neue Qualität« ist, wird durchaus unterschiedlich gesehen, aber in den Schlussfolgerungen daraus sind sich praktisch alle einig. Eben weil durch die Globalisierung eine neue Ära des Kapitalismus, eine neue Zeit angebrochen sei, sei alles jetzt ganz anders und nichts mehr wie zuvor.

So wird dann geschlussfolgert, dass in dieser neuen Ära eine falsche und schädliche politische Entwicklungsrichtung eingeschlagen worden sei; die vier Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg seien sicherlich nicht perfekt, aber deutlich besser gewesen. In dieser Zeit sei der Kapitalismus ein durchaus mit starken Fehlern behaftetes System gewesen, aber im Vergleich zu der neuen Qualität von heute, ein besserer, für den es sich angesichts der heutigen düsteren Zeiten einzusetzen lohne. Das ist die Grundaussage der überwiegenden Globalisierungsliteratur, so unterschiedlich die Schattierungen auch sind.

So beispielsweise Winfried Wolfs Schlussfolgerungen, so richtig auch viele seiner Argumente innerhalb der Globalisierungsliteratur sind: „Jörg Huffschmid hat seine Analyse des Fusionsfiebers zu Recht in diesen Zusammenhang gestellt und bilanziert: ›(…) Es geht dabei um die Rückkehr zu einem Kapitalismus, der nicht nur in der Hauptsache, sondern ausschließlich durch die Interessen der Eigentümer gesteuert wird. Insofern ist er ein neues Programm und in der Tat eine Kampfansage an einen reformpolitisch gezähmten Kapitalismus. Es handelt sich darum, alles, aber auch alles, was nicht dem privaten Eigentum und der Mehrung des privaten Eigentums dient, rigoros zu beseitigen. Und da hat sich in den vergangenen hundert Jahren unter dem Druck der Arbeiterbewegung und demokratischer Kräfte so einiges angesammelt, was die ausschließliche Geltung der Eigentümerinteressen stört und beschränkt.‹ Diese Einsicht ist gegenwärtig noch eine minoritäre.« (»Fusionsfieber«, S. 250 (…))

In dieser Textstelle wird gesagt, dass der heutige »Turbokapitalismus« ein neues Programm, eine neue Politik ist, die eine Kampfansage an den alten »reformpolitisch gezähmten« Kapitalismus darstellt. Richtig ist, dass die vier Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Gesamtgeschichte des Kapitalismus insofern hervorstechen, als während dieser Zeit eine relative Stabilität des Kapitalismus herrschte. Ein Beispiel dieser relativen Stabilität ist, dass es zum ersten Mal in der Geschichte des Kapitalismus tatsächlich Länder gab, in denen die Masse der Bevölkerung nicht im Elend oder in sehr starker Armut lebte, sondern in einem bescheidenen »Wohlstand «.

Aber auch dort galt dies nicht durchgehend. So konnte in bestimmten Regionen dieser Länder bei größeren Teilen der Bevölkerung z.B. in Süditalien oder in den USA nicht von einem bescheidenen Wohlstand die Rede sein, sondern von starker Armut oder sogar von Elend. Die Stabilität dieser Zeit war auch insofern relativ, da weltweit betrachtet auch in dieser Zeit nur eine kleine Minderheit der Menschheit diesen bescheidenen »Wohlstand« genießen konnte; der größere Teil der Weltbevölkerung lebte im Elend oder bestenfalls in sehr großer Armut. Andere Merkmale der relativen Stabilität in dieser Zeit sind die Abwesenheit größerer Weltwirtschaftskrisen und die relativ geringe Wahrscheinlichkeit eines dritten Weltkriegs – abgesehen von einigen »Momenten« der Geschichte wie z.B. der sogenannten Kubakrise.

Diese Zeit war jedoch ebenso gekennzeichnet durch furchtbare Kriege, durch die Unterstützung einer langen Reihe faschistischer Regime, wo immer die Handvoll mächtigster Staaten dies für notwendig hielt. Sie war gekennzeichnet durch eine gigantische, ungehemmte Naturzerstörung, wann immer es für die Interessen der Konzerne notwendig wurde etc. Die stärksten Staaten der Erde sorgten auch immer fleißig dafür, das weltweite System der Abhängigkeit von ihnen aufrechtzuerhalten. Diese Phase im Weltmaßstab als »reformpolitisch gezähmt« anzusehen ist daher nicht zutreffend. Des Weiteren sind die Ergebnisse der Globalisierung nicht die Folge dieser oder jener Politik. Der Motor, die Triebkraft der Globalisierung ist nicht ein Politikwechsel, vorher die richtige reformpolitische Politik, die den Kapitalismus bändigen konnte, nachher eine falsche Politik, die den Kapitalismus nicht mehr zähmen konnte, ihn aus dem Ruder laufen ließ, ihn nicht mehr stabil halten konnte.

Die Unmenge an Fakten, Beobachtungen, Analysen in der Globalisierungsliteratur zeigen in eine eindeutig andere Richtung: Der Kapitalismus hat sich aus sich heraus – basierend auf seinen ökonomischen Gegebenheiten – in diese Richtung entwickelt; die Globalisierung ist eine Phase, die sich gesetzmäßig aus den davorliegenden Phasen herausgebildet hat. Es ist daher nicht möglich, zu den früheren Phasen zurückzukehren.

Auch wenn es nicht möglich ist, zu einer früheren – sagen wir hier z. B. zu einer »reformpolitisch gezähmten« – Phase des Kapitalismus zurückzukehren, heißt dies nicht, dass die reformpolitisch »un«gezähmte Phase des Kapitalismus keine politische Tendenzen, politische Bewegungen auf den Plan ruft, die von der früheren Phase (zum Teil) profitiert hatten und die von der Wiederkehr derselben träumen. Genauso wie der Handwerker oder der kleine Bauer in der Phase des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus von besseren Zeiten im Feudalismus träumten und zu diesem Zweck versuchten, das Rad der Geschichte zurückzudrehen, gehören auch in der Phase des Turbokapitalismus viele bis jetzt als privilegiert geltende Schichten der »reformpolitisch gezähmten« kapitalistischen Gesellschaft, wie z. B. die technische und wissenschaftliche Intelligenz, bestimmte Gruppen von Facharbeitern usw. zu den Verlierern der reformpolitisch »un«gezähmten Phase des Kapitalismus.

Ihre soziale Lage ist deutlich unsicherer geworden, der Abstieg in das selbst in Zeiten von Hochkonjunkturen große Heer der Arbeitslosen steht ihnen zunehmend drohend vor Augen. Sie können und wollen sich damit nicht abfinden und versuchen ihren verlorenen besseren Platz in der Gesellschaft wiederzuerlangen. Diese Schichten haben mit der Macht des Kapitals kein grundsätzliches Problem, sondern sie wenden sich nur gegen die zerstörerischen Tendenzen der neuen Phase des Kapitalismus.

Die Folgen des Kapitalismus als Ganzes sind bei ihnen nicht im Blickfeld und daher zielt ihr Alternativprogramm ausschließlich auf eine »Gegenwehr«: Für den Erhalt der Arbeitsplätze, für den »Sozialstaat «. Insbesondere wenn Winfried Wolf sagt, dass »diese Einsicht gegenwärtig noch eine minoritäre ist«, dann ruft er dazu auf, einem solchem Alternativprogramm zu einer mehrheitlichen Ansicht zu verhelfen. „Diejenigen, die für die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung, den Schutz der Umwelt und die Abwehr von Militarismus und Krieg eintreten«, sagt Winfried Wolf und fährt fort »müssen die zerstörerischen Tendenzen der Kapitalkonzentration benennen und bekämpfen.

Allein schon ein rein gewerkschaftliches Engagement für den Erhalt der Arbeitsplätze erfordert eine solche Parteinahme. Bereits die pure Verteidigung dessen, was unter ›Sozialstaat‹ verstanden wird, legt eine kritische Bilanz des Fusionsfiebers nahe. Wer Hunger und Armut in der ›Dritten Welt‹ bekämpfen will, muss den Zusammenhang erkennen, der zwischen diesem Elend und der Kapitalkonzentration im allgemeinen und den Tätigkeiten der großen Konzerne des Agrobussiness im besonderen besteht. Auch ein aufgeklärtes, bürgerliches Selbstverständnis, zu dessen Bestandteilen bisher Sozialversicherung, staatliche Infrastrukturvorsorge, allgemeiner Zugang zu Ausbildung und Bildung gehörten, erfordert ein Engagement gegen Privatisierungen und gegen das Fusionsfieber. Ebenso legen das christliche Bekenntnis und der Bezug von Parteien auf das Christentum ein Engagement gegen das Fusionsfieber und damit gegen die Konzentration immer größerer Macht in immer weniger Händen nahe.« (»Fusionsfieber«, S. 247-248, (…))

Wenn die Alternative nicht über den real existierenden Kapitalismus hinaus geht, sondern auf die »Gegenwehr« und den »Widerstand« gegen die zerstörerischen Tendenzen des Kapitalismus beschränkt bleibt, dann kann daraus eine entsprechende Bündnispolitik entwickeln werden: Deren Grundlage und Bindeglied stellen den Turbokapitalismus zähmende Reformen dar. Diese Art von Reformen fordern dann Gewerkschaftsfunktionäre, die nur die Verwertungsbedingungen der Ware Arbeitskraft verbessern wollen und Vertreter der kleinbürgerlichen Bildungsschicht, die eine kapitalistische Globalisierung ohne Hunger und Elend, einen kapitalistischen Staat mit »sozialem Antlitz« wollen. Dies reicht dann bis hin zu den christlichen Sozial-Konservativen, die dem Untergang geweihten Kleinhändlern, Kleinbauern und Handwerkern usw. das göttliche Paradies unter dem Sozialstaat predigen. Angesichts der großen Krise, die die Welt jetzt erlebt, werden die Tendenzen und Kräfte immer stärker und populärer, die Forderungen, den aggressiven Neoliberalismus zu zähmen, als Alternative formulieren. Sie werden dadurch aber nicht richtiger. (…)

Diese Nicht-Anerkennung der gesetzmäßigen Entwicklung des Prozesses der Globalisierung ist aber die Hauptlinie innerhalb der Globalisierungsliteratur, wenn es um die politischen Schlussfolgerungen geht. Nachdem faktenreich geschildert wurde, wie die Globalisierung gar wie in einem ökonomischen Showdown – offen, gradlinig, nach klaren Gesetzmäßigkeiten ablaufend – sich vollzogen hat und noch vollzieht, wird dies bei den Schlussfolgerungen kurzerhand beiseitegeschoben. »Es handelt sich zwar einerseits um Prozesse, die aus der inneren Logik des Kapitals erfolgen. Andererseits sind es keine objektiv notwendigen und schon gar nicht unaufhaltsamen Prozesse der Kapitalentwicklung. Diese Prozesse der Kapitalkonzentration sind nicht durch die stoffliche Beschaffenheit der Fertigung und Dienstleistungen bedingt. Vielmehr betreiben diejenigen, die von dem Fusionsfieber direkt und indirekt – durch eine Zunahme der Einkommen und vor allem durch die Zunahme an Macht und Einfluss – profitieren, die Kapitalkonzentration. Scheitern entsprechende Projekte oder werden sie verhindert, dann dreht sich die Welt im gleichen Rhythmus weiter.

Geändert hätte sich lediglich, dass es ›unten‹ einige Jobs mehr und ›oben‹ einigen Einfluss weniger gibt.« (»Fusionsfieber«, S. 246/247, …). Hier wird also behauptet, Fusionen während der Globalisierung seien keine objektiv notwendigen Prozesse mehr (davor schon!), sondern fänden statt, weil die Profiteure des Fusionsfiebers sich davon eine Zunahme ihrer Einkommen und/oder eine Zunahme an Macht und Einfluss versprächen. Ob Fusionen stattfinden oder nicht, liegt in der Hand der Unternehmenschefs, hängt im Wesentlichen von ihrem Willen ab. Und sie wollen Fusionen, weil sie gierig nach mehr Einkommen, nach mehr Einfluss, nach mehr Macht sind. Wenn wir ihnen durch richtig organisierte Gegenwehr genügend Druck machen, dann wird das Fusionsfieber nicht weitergehen und die Unternehmenschefs haben eben ein paar Euros weniger in der Tasche und wir ein paar mehr.
In dieser Argumentation werden die kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten ausgeblendet.

Natürlich gibt es die Gier nach Macht und Geld bei den Unternehmenschefs, aber diese Gier ist nicht die Triebkraft der Globalisierung, sondern nur Ausdruck der kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten. Sie müssen gierig sein, sie sind selbst Getriebene, »ein Kapitalist schlägt den anderen tot«, schrieb schon Marx. Fressen oder Gefressenwerden, das sind knallharte Gesetze des Kapitalismus und dies ist nicht der Geld- oder Machtgeilheit der Unternehmer geschuldet. (…)

Die gesamte Geschichte des Kapitalismus zeigt, dass der »außer Kontrolle geratene« Kapitalismus kapitalistischer Normalzustand ist. Dies sind nun einmal die Erfahrungen, die mit den Kapitalismus gemacht worden sind. Natürlich kann man dies dann Wildwestkapitalismus, Turbokapitalismus, Heuschreckenkapitalismus oder Raubtierkapitalismus nennen. Wenn man jedoch meint, man könnte diesen Kapitalismus zähmen, so wie man Raubtiere zähmt, oder meint, bei uns würde nie und nimmer der Wildwestkapitalismus kommen, weil wir schließlich hier in Deutschland und nicht in den USA leben, wenn wir meinen, wir bräuchten nur die Heuschreckenplage zu verscheuchen, um einen gereinigten, gebändigten, einigermaßen erträglichen Kapitalismus wiederzuerlangen, dann liegen wir falsch.

Denn das, was im Prozess der Globalisierung gerade passiert, ist gerade das Gegenteil: die Rückkehr des Kapitalismus von einer Phase mit bestimmten Besonderheiten zur Normalität. Auch in anderer Hinsicht muss die Frage gestellt werden, was – ausgehend von der Seite der Arbeit – die Aufgabe ist. Gehen wir einmal davon aus, international agierendes Kapital sei erst in der Globalisierung entstanden. Unabhängig davon, ob es möglich ist, Kapital wieder zu entflechten, wäre es überhaupt wünschenswert, nationale Monopole zu fordern? Sich also für eine »Renationalisierung « von Kapital einzusetzen? Angenommen, die großen Konzerne fühlten sich tatsächlich keinem Staat mehr »verpflichtet«, soll sich die Anti-Globalisierungsbewegung nun dafür einsetzen, dass die Konzerne und der Staat wieder zusammenkommen? Ohne es zu wollen, würden wir damit in ein gefährliches nationalistisches Fahrwasser geraten. Ob nun im Interesse deutschen oder »transnationalen« Kapitals Entlassungen durchgeführt werden, unsere Interessen zu verteidigen heißt, um jeden Arbeitsplatz zu kämpfen.

Was sollen, was können wir vom Staat einfordern? Winfried Wolf gibt folgende Antwort: »Was sind die Ursachen für dieses Versagen der ›Systeme‹? (…) Sind die Regierungen und Nationalstaaten tatsächlich so hilflos, wie sie sich geben? Sind die Gesellschaften, die offensichtlich zunehmend wirtschaftlichen Zwängen unterworfen werden, objektiv und unwiderruflich hilflos – oder werden sie hilflos gemacht und wird uns eingeredet, Gegenwehr und Widerstand seien aussichtslos? « (»Fusionsfieber«, S. 105, Hervorhebungen von mir) »Beides ist erforderlich: Das Ausnutzen des staatlichen Terrains – mit entsprechender Einflussnahme auf Regierungen und Parteien – und ein Prozess wachsender Information, Debatten und Koordination auf internationaler Ebene. Gerade angesichts der ständig ausgebauten internationalen Arbeitsteilung ist die Vernetzung des Widerstands auf internationaler Ebene oft eine unabdingbare Voraussetzung für erfolgreiche Gegenwehr.« (»Fusionsfieber«, S. 262, (…))

Was wird damit ausgesagt? Die Systeme versagen zur Zeit, weil die Gesellschaften zunehmend wirtschaftlichen Zwängen unterworfen werden, sprich den Zwängen des Kapitals. Die Regierungen und Staaten geben sich hilflos, sind es aber nicht und wenn die Gesellschaften – also die Bevölkerung und die Staaten – sich nicht länger – von den Unternehmern – einreden lassen, dass sie hilflos seien, dann kann durch die Gegenwehr der Bevölkerung und die Einflussnahme auf Regierungen und Parteien – also auf den Staat – ein durch staatliche Maßnahmen reformpolitisch gebändigter Kapitalismus erreicht werden. Winfried Wolf verspricht sich also letztlich eine Rückkehr zum Zustand vor der Globalisierung vom Staat – angeschoben und befeuert durch die Gegenwehr der Bevölkerung.

Damit aber verkennt er die Rolle des Staates. Die Rolle des Staates ist es, bestimmte Gesamtinteressen der Unternehmer durchzusetzen, wozu sie als einzelne Unternehmer nicht in der Lage sind. Der Staat nicht als Handlanger oder Befehlsempfänger der Unternehmer, sondern als »ideeller Gesamtkapitalist« vertritt die Interessen des Kapitals. Der Kapitalismus entwickelt sich heute jedoch zunehmend zum Raubtierkapitalismus, der, wie wir gesehen haben, der Normalzustand des Kapitalismus ist. Diese objektive Entwicklung die sich unabhängig von dem Willen Einzelner, selbst unabhängig von dem Willen der Unternehmer vollzogen hat und weiter vollziehen wird – bietet den Unternehmern viel größere Möglichkeiten, ihre Interessen in härterer und offenerer Gangart zu verfolgen.

Und genau so und nicht anders wird sich der Staat heute auch verhalten. Er moderiert und steuert – im Sinne von austarieren, nicht im Sinne von kontrollieren – die Gesamtinteressen der Unternehmer. Insofern ist die Tatsache, dass der deutsche Staat sich gegenüber Erwerbslosen heute so unbarmherzig, hart und brutal verhält, wo er sich früher doch so »sozial« und »nachgiebig« verhalten hat, nicht die Folge dieser oder jener (falschen) Politik, sondern die Folge der objektiven ökonomischen Entwicklung. Den Kapitalismus zu moderieren und zu verwalten stellt den Staat heute vor andere Aufgaben als gestern. Insofern stimmt es auch nicht, wenn Winfried Wolf auf Seite 250 schreibt »die SPD verleugnet ihre sozialen Traditionen und Wurzeln und bekennt sich seit 1998 in der praktischen Regierungspolitik zur Förderung der großen Konzerne im allgemeinen und des Fusionsfiebers im besonderen.«

Die SPD heute verleugnet nicht ihre sozialen Traditionen, sie verfolgt sie schon lange nicht mehr – in dem Sinne, dass sie sich den sozialen Interessen der Bevölkerung verschrieben hätte. Sie hat sich wie CDU/CSU/FDP/GRÜNE auch den Interessen der Unternehmer verschrieben und versucht mittels eines sozialen Mäntelchens bestimmte Wählerschichten anzusprechen. Wenn die SPD sich vor 1998 für bestimmte soziale Errungenschaften eingesetzt hat, die sie dann 1998 über Bord warf, dann ist das keine Änderung ihrer Politik, sondern nur ihre logische Anpassung an die neuen Erfordernisse der neuen kapitalistischen Zeit. Wenn der SPD und auch der CDU (ebenda, S. 250) soziale Traditionen zugesprochen werden, an die man anknüpfen könne, wo man auf »staatlichem Terrain« Einfluss nehmen könne, so wird der Bock zum Gärtner gemacht.

Der Staat ist in der Tat keineswegs passiv, sondern sehr aktiv, er ist ein Akteur im Sinne der Interessen der Unternehmer. Der alte »soziale« Kapitalismus, der Kapitalismus »mit menschlichen Antlitz« der Nachkriegsjahrzehnte ist passé, perdu, zu Staub zerfallen; er ist eine bestimmte Episode der Geschichte. Der Staat wird es sich im Traum nicht einfallen lassen, dorthin zurückzukehren, und er hat im Übrigen jede Menge zu tun, denn viele neue Aufgaben und Herausforderungen warten auf ihn, schließlich müssen »wir« uns endlich von den USA »emanzipieren«. Heute darf der deutsche Staat endlich auch die »deutschen Interessen« am Hindukusch verteidigen, so Struck von der SPD schon vor Jahren. Der deutsche Staat muss schließlich auch komplett umgebaut werden, unter dem Motto »Fördern und Fordern‹« werden gerade unsere sozialen Rechte zu Kleinholz verarbeitet usw. usf. Natürlich ist es richtig und notwendig, den Staat mit unseren Forderungen zu konfrontieren.

Bei der Durchsetzung der sozialen und demokratischen Rechte gibt es allerdings nur einen einzigen Akteur, das sind wir selbst, unsere Organisationen wie die Gewerkschaften oder gut organisierte Belegschaften, eine Bewegung der Erwerbslosen usw. Und nur unser konsequenter Kampf ist die Garantie dafür, staatliche Reformen im Interesse der Bevölkerung durchsetzen zu können. Kann eine solche Reform durchgesetzt werden, so ist der Staat damit aber noch lange nicht zum reformpolitischen Vorkämpfer mutiert.

Es gibt viele Möglichkeiten, sich der Offensive des Kapitals zu widersetzen und Reformen und Verbesserungen durchzusetzen. Es sind aber nicht wir, sondern die Konzerne, die die Mehrheit der Mittel auf ihrer Seite haben und somit die entscheidenden Gestaltungsmöglichkeiten in der Hand halten. Durch die kapitalistische Logik sind sie gezwungen, so zu handeln, wie sie handeln. Der stärkere Druck – entstehend aus dem Globalisierungsprozess – bringt sie dazu, in noch härterer Gangart ihr Streben nach möglichst großem Profit zu befriedigen. Aus diesem Grund sind die gnadenlose Erpressungspolitik der internationalen Konzerne oder Kriege, die den Interessen des Großkapitals dienen sowie das Ausspielen der KollegInnen verschiedener Nationalität unvermeidliche Folgen. Solange die gesellschaftlichen Aktivitäten den Interessen des Kapitals untergeordnet sind, lässt sich das Rad nicht zurückdrehen, sondern es wird zu einer verstärkten Ökonomisierung aller Lebensbereiche – Umwelt, Gesundheit, Bevölkerungspolitik etc. und zur Förderung von Zwangsverhältnissen aller Art kommen.

Das Eintreten für eine tatsächlich gerechte und lebenswerte Welt muss mit dem grundsätzlichen Nachdenken über die kapitalistische Realität als Ganzes einhergehen. Es ist richtig, wenn in der »Plattform der Gewerkschaftslinken« zu lesen ist: »Wir wenden uns aktiv gegen alle Bestrebungen, gewerkschaftliche Aktivitäten den Interessen des Kapitals unterzuordnen. Stattdessen wollen wir dazu beitragen, über die Grenzen des kapitalistischen Systems hinaus zu denken und Alternativen zu entwickeln.« (S. 4) GewerkschafterInnen, Linke können nicht in den Bahnen der Kapitallogik denken, sondern müssen nach gesellschaftlichen Formen suchen, bei denen die Bedürfnisse der Menschen im Mittelpunkt stehen und nicht die des Kapitals. Es ergibt sich, dass eine solche gesellschaftliche Formation ein ganz anderes Gesicht haben muß. (…)

Wir müssen uns organisieren
In dem Prozess der Globalisierung nimmt die Frage der betrieblichen und gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen eine fundamentale Stellung ein. Richtig ist, dass die Globalisierung auf alle Lebensbereiche starke Auswirkungen hat und haben wird; Kern und Triebkraft der Globalisierung sind die Veränderungen auf der Kapitalseite, Internationalisierung der Produktion, vermehrte Dominanz des Geldkapitals etc. Das entscheidende Spannungsverhältnis innerhalb dieses Prozesses ist das Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit. In diesem Verhältnis stehen gewaltige Veränderungen an. Daher ist die Richtung, die Stellung in betrieblichen und gewerkschaftlichen Kämpfen eine zentrale Frage.

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