April 14th, 2020

Gastbeitrag zum Thema “Krise” von @sylvia bayram – Teil I aus #146, 2011

Posted in artikel by Jan

Letzte Runde der Gastbeiträge zum Thema „Krise“, Teil I

Anfang des Jahres 2010 erschien der erste Beitrag zum Thema „Wetltwirtschaftskrise“. Autor war Rainer Roth, von ihm ist das Buch „Nebensache Mensch. Arbeitslosigkeit in Deutschland“. Nachdem seine Analyse der Hintergründe der aktuellen Wirtschaftskrise in zwei Teilen in zwei Trust-Ausgaben zu lesen war, folge der zweite Gastbeitrag des Kollektives Wildcat, die ebenfalls für einen zweigeteilten Beitrag zugesagt hatten. Die Wildcat ist eine linksradikale Polit-Zeitschrift, die seit den 80er Jahren erscheint und uns im Trust durch ihre gut geschrieben (internationalen) Analysen begeistert. Nachdem der erste Teil im Trust Mitte des Jahres erschien ist, wurde uns die Zusammenarbeit von dem Autor der Wildcat aus zwei Gründen gekündigt. Ein Streitpunkt war die schlechte Platzierung seines Beitrags (er erschien ganz normal vorne bei den Kolumnen) und das schlechte Layout (was fehlerfrei war). Nachdem sich die ganze Aktion nicht als den erhofften Scherz herausstellte, schliesslich veröffentlichte selbiger Autor nicht zum ersten Mal im Trust, wir tauschten Anzeigen, und mehrere Gesprächsangebote per email oder Telefon ohne Antwort geblieben sind, entfiel leider der zugesagte Teil II der Wildcat. Wir finden die Wildcat weiterhin eine ganz wichtige Polit-Zeitschrift. Es ist sehr schade, dass die Zusammenarbeit (so) endete.

Jetzt kommt also die dritte und letzte Runde mit einem Gast-Beitrag für die „Krise“-Rubrik. Dieser Beitrag wird in der Ausgabe # 147 fortgesetzt und beendet.

Autorin ist Sylvia Bayram. Sie veröffentlichte vor einiger Zeit im Pahl-Rugenstein Verlag ihr sehr gutes Buch „Globalisierung Macht Krise“ (ich lobte es schon mal in einer älteren Kolumne). Sie war in verschiedenen sozialen Bewegung aktiv und setzt heute ihren politischen Schwerpunkt in der betrieblich/gewerkschaftlichen Bewegung. Sie ist u.a. aktiv in der LIDL-Kamapgne und bei Verdi. Dieser Beitrag ist ein genehmigter Auszug aus dem genannten Buch ( S. 7ff, S. 19 ff, S. 66ff, S. 98ff ).

Ein Gespenst geht um … Globalisierung!
GLOBALISIERUNG! Ein viel benutztes Wort, ein Wort in aller Munde. Bis zum heutigen Tag mischen sich in diesem einem Wort Dichtung und Wahrheit zusammen. Sie wird zu einem allgegenwärtigen allmächtigen Mythos aufgebaut und als Keule geschwungen, wann immer Menschen sich wehren wollen. Der Weltbesteller »Terror der Ökonomie« von Viviane Forrester – 1996 erschienen – ist so eine Keule. So schreibt sie von der »Vormachtstellung einer anonymisierten Privatwirtschaft, die durch massive Produktionsprozesse von weltweiter Größenordnung in komplexe, unentwirrbare Netze verwandelt wurde. Diese Netzwerke sind so mobil und von solcher Ubiquität (allgegenwärtigen Präsenz, S.B.), dass sie fast nicht mehr ausfindig zu machen sind.«

Winfried Wolf kommentiert sehr treffend: »Späth brachte am Ende seiner Buchbesprechung gut auf den Punkt, weshalb diese Art Globalisierungs-Literatur für die Bosse aller Konzerne und einen Kanzler der Bosse (damals noch Schröder, S.B.) gut verkraftbar und teilweise gut instrumentalisierbar ist: ›Das Hauptverdienst des Buches besteht darin, ein Thema hoher gesellschaftspolitischer Brisanz klar aufzuzeigen, ohne gleich von einem politischen Lager vereinnahmt werden zu können.‹ Also: Heftige Kritik an der Globalisierungs-Tendenz des Kapitals, aber bitte nicht von links, und in jedem Fall so, dass eingetrichtert wird: Widerstand ist zwecklos; real Verantwortliche gibt es nicht. Unternehmer, Top-Manager und der Obdachlose von nebenan – sie alle sind ohnmächtige Gefangene in der Ubiquität globalisierter Netze. (…)

Das Hauptproblem bei den meisten aus der Sicht der Arbeit argumentierenden AutorInnen und Ökonomen liegt darin, dass der Prozess der Globalisierung aus seinem geschichtlichen Kontext herausgelöst wird und sie auf dieser Basis zu falschen Schlussfolgerungen und Ratschlägen kommen. So gibt es zum Beispiel die These in der wissenschaftlichen Globalisierungsliteratur, dass sich durch die Globalisierung die Vorgänge, die sich in der Sphäre des Finanzkapitals abspielen – Aktienmärkte etc. – von den Vorgängen der Sphäre des produktiven Kapitals ganz oder zumindest teilweise abgelöst hätten. Eine solche Ablösung ist prinzipiell nicht möglich und dies wurde schon von Marx diskutiert und bewiesen. (…)

Internationalisierung, Monopolisierung und die Dominanz der Großmächte
Es sind aber nicht nur die weltweiten Privatmonopole, die dem Prozess der Globalisierung den Stempel aufdrücken, es sind ebenso bestimmte Nationen. Allgemein betrachtet können die verschiedensten Maßstäbe angelegt werden: Ob nun das Bruttosozialprodukt eines Landes, seine Mitgliedschaft in den mächtigsten Zirkeln der Welt, G7/G8, NATO und UN-Sicherheitsrat oder auch der Freiheitsgrad, die Häufigkeit und das Ausmaß der gewaltsamen militärischen »Einmischung« eines einzelnen Landes in andere Regionen und Länder usw. usf., es sind die nordamerikanische und die EU-Region sowie Japan und innerhalb dieser Ländergruppen ein Häuflein Länder, die den »Rest« der Welt dominieren.

Beispielsweise bestreiten allein zwei Länder der Erde – USA und Deutschland – mehr als ein Fünftel der Weltexporte; die nordamerikanischen und die EU-Länder machen fast zwei Drittel der Weltwirtschaftsleistung (Welt-Sozialprodukt) sowie knapp 90% des weltweiten Kapitalexports in Form von ausfließenden Direktinvestitionen (ausfließend: Direktinvestitionen, die in andere Länder fließen, einfließend: Direktinvestitionen, die andere Länder ins eigene Land investieren).

Gibt es nun zwischen diesen mächtigsten Ländern, den größten Kapitalgruppen und der Globalisierung einen Zusammenhang? Haben denn die mächtigsten Konzerne in der Welt eine nationale Färbung und wenn ja welche? Richtigerweise wird diese Frage in den meisten Texten zur Globalisierung anhand der Muttersitze der Kapitalgruppen beantwortet, z.B. wie folgt: »Wie schon vor einhundert Jahren sind es fünf Länder, die die Weltwirtschaft beherrschen, die Vereinigten Staaten, Japan, Deutschland, Großbritannien und Frankreich. Hier liegen fast sämtliche Zentralen der Großkonzerne (90% um exakt zu sein). 200 Megafirmen, vornehmlich durch die US-Militärmacht und auch die NATO geschützt, beherrschen weltweit sämtliche Wirtschaftsbereiche.« (»Globale Spiele «, S. 79)

Untersucht man zum einen ganz allgemeine Kenngrößen wie beispielsweise das Bruttosozialprodukt eines Landes und zieht zum anderen die nationale Herkunft der Mega-Unternehmen heran, so landet man beim gleichen Ergebnis. Machen wir die Probe aufs Exempel: Die wirtschaftliche Machtaufteilung der Welt nach Größe des Bruttosozialprodukts ist wie folgt. Absolut führend ist die USA, gefolgt von Japan mit ungefähr der Hälfte des Bruttosozialproduktes der USA. Die Nr. 3 – Deutschland – besitzt wiederum nur ungefähr die halbe wirtschaftliche Kraft wie Japan und hinter Deutschland folgen etwas abgeschlagen und mit etwa gleich großer Wirtschaftskraft Frankreich und Großbritannien.

Ein Spiegelbild dessen bietet nun die nationale Aufteilung der Megakonzerne. 76 der TOP 200 Multis haben ihren Sitz in den USA und sie vereinen fast 40% des Umsatzes der 200 Größten allein auf sich: Unter den TOP 200 ist die USA die absolute Nr. 1. Was die Zahl und den Umsatz der Unternehmen anbelangt, so teilen sie sich im Großen und Ganzen genauso auf wie das Bruttosozialprodukt der jeweiligen Länder. So stellt z.B. Japan ungefähr halb so viele TOP 200 Unternehmen wie USA, und Deutschland wiederum ungefähr halb so viele wie Japan (Japan: 40 BRD: 22) (»Fusionsfieber«) (…)

Er (Winfried Wolf) kommt zum gleichen Schluss wie Werner Biermann und Arno Klönne in »Globale Spiele«: »Im großen und ganzen lässt sich sagen: Die weltwirtschaftliche Macht liegt am Beginn des 21. Jahrhunderts dort, wo sie auch am Beginn des 20. Jahrhunderts lag: bei den Ländern, die vor hundert Jahren Kolonialmächte waren und die ihre Industrialisierung zu einem erheblichen Umfang mit der Ausbeutung und Ausplünderung derjenigen Regionen finanziert hatten, die heute als ›Dritte Welt‹ bezeichnet werden.« (S. 52, ebenda)

Es gibt allerdings unter den sich mit der Globalisierung wissenschaftlich auseinandersetzenden AutorInnen eine Diskussion, ob die größten Konzerne tatsächlich ›noch‹ an einen Staat gebunden sind oder ob sie mehr oder minder frei floatierendes, (im Sinne von fließendem) ungebundenes »Welt«kapital geworden sind und in dieser Eigenschaft in der Globalisierung allein die entscheidende Rolle spielen. Es ist also eine Frage, ob dem Sitz und dem Herkunftsland der großen Kapitalgruppen so viel Bedeutung zugemessen werden kann. Winfried Wolf pointiert diese Frage sehr treffend. »Die Nationalität dieser Großkonzerne wird in allen Statistiken der Welt – und auch in den in dieser Arbeit verwandten Aufstellungen – wie selbstverständlich als Teil der Unternehmensidentität notiert. Nirgendwo steht ›General Motors, Seychellen‹ oder ›Thyssen-Krupp, Liechtenstein‹ bzw. ›Toyota, Panama‹ oder ›Bosch, Nowhereland‹« (»Fusionsfieber«, S. 120).

Ob hinter Bosch Nowhereland statt Stuttgart/Feuerbach stehen könnte, wird weiter unten noch ausführlicher besprochen, hier nur so viel: es ist zunächst einmal ein Faktum, dass die Sitze bzw. die Mutterländer der großen Megakonzerne die Macht und Stärke bestimmter Ländergruppen wie des nordamerikanischen und des EU-Raums sowie einiger weniger Staaten wie USA, Japan etc. widerspiegeln; ihre Machtverteilung untereinander und die Machtverschiebungen über die Jahrzehnte hinweg werden geradezu seismographisch durch die nationale Herkunft der großen Kapitalgruppen aufgezeichnet. Angesichts dieser sehr harten Tatsachen die Frage aufzuwerfen, ob es ebenso »General Motors, Seychellen« heißen könnte, ist eine falsche und ahistorische Methode, da sie nicht von den realen ökonomischen Gegebenheiten ausgehend Schlüsse zieht. Erkennt man jedoch diese Gegebenheiten an, so drängt sich geradezu der Schluss auf, dass die mächtigsten Kapitalgruppen und eine Handvoll Großmächte miteinander verwoben sind und so – miteinander verquickt – innerhalb der Globalisierung die maßgebliche Rolle spielen. Es sind die großen Kapitalgruppen und ihre jeweiligen Großmächte, die in diesem ›Spiel‹ um das größte Stück des Kuchens miteinander heftig ringen und sich gegenseitig mit allen Mitteln bekämpfen. (…)

Internationale Monopole – seit wann?
Aber auch die These von der Nicht-Existenz von internationalen Monopolen vor 100 Jahren ist sachlich völlig falsch. Und hier gerade auf Siemens zu verweisen, ist nun das Allerfalscheste, weil gerade Siemens für die ununterbrochene Kontinuität der Existenz globaler Monopole steht. Siemens war schon vor hundert Jahren ein »Global Player«. (…) Am typischsten für die neuesten Fortschritte der Technik, für den Kapitalismus am Ende des 19. und am Anfang des 20. Jahrhunderts ist die Elektroindustrie. Sie entwickelte sich am stärksten in den zwei fortgeschrittensten der neuen kapitalistischen Länder, in den Vereinigten Staaten und Deutschland. (…) Auf diese Weise entstanden zwei Elektro›mächte‹. ›Andere Elektromächte, wenigstens von diesen beiden völlig unabhängige, gibt es auf der Erde nicht‹, schreibt Heinig in seinem Aufsatz Der Weg des Elektrotrusts. (…) Und nun schließen 1907 der amerikanische und der deutsche Trust einen Vertrag über die Aufteilung der Welt.

Die Konkurrenz wird ausgeschaltet. Die GEC [General Electric Co., S.B..] ›erhält‹ die Vereinigten Staaten und Kanada, der AEG werden Deutschland, Österreich, Russland, Holland, Dänemark, die Schweiz, die Türkei und der Balkan ›zugeteilt‹. Besondere – natürlich geheime – Verträge werden über die ›Tochtergesellschaften‹ abgeschlossen, die in neue Industriezweige und in ›neue‹, formell noch unverteilte Länder eindringen. Erfindungen und Erfahrungen werden gegenseitig ausgetauscht. Man versteht ohne weiteres, wie schwierig die Konkurrenz gegen diesen faktisch einheitlichen, die gesamte Welt umspannenden Trust ist, der über ein Kapital von mehreren Milliarden verfügt und seine ›Niederlassungen‹, Vertretungen, Agenturen, Verbindungen an allen Ecken und Enden der Welt hat.

Aber eine Aufteilung der Welt unter zwei mächtige Trusts schließt natürlich eine Neuaufteilung nicht aus, sobald das Kräfteverhältnis – infolge der ungleichmäßigen Entwicklung, von Kriegen, Zusammenbrüchen usw. – sich ändert.« (»Imperialismus «, W.I. Lenin, S. 250-252) (…) Es ist aus meiner Sicht sehr klar: es ist vor einem Jahrhundert nicht nur nicht ganz anders gewesen, sondern es gibt bis zum heutigen Tag eine fest geknüpfte Kontinuität in der Frage der Existenz von ›Global Playern‹. Die damaligen »Global Player« entstammten fast immer der Rohstoffindustrie, dem Transportgewerbe, der chemischen, der Elektro- und der Maschinenindustrie, kurz der Schwerindustrie. (…) Die Verteilung der internationalen Monopole auf die für den Kapitalismus zentralen Branchen ist – damals wie heute – sehr ähnlich. (…)

Die Globalisierung als Heuschrecken- und Raubtierkapitalismus hat apokalyptische Auswirkungen!
Die Auswirkungen der Globalisierung springen übermäßig ins Auge und nicht nur die Globalisierungsliteratur, sondern auch die Zeitungen sind voll von den geradezu apokalyptischen Auswirkungen der Globalisierung. (…) »Die Realität jedoch verweist die von der Weltbank und den neoliberalen ›Dienstleistungsintellektuellen‹ vertretene These von der zunehmenden Konvergenz zwischen Nord und Süd in das Reich der Fabeln, denn im ›globalen Dorf‹ herrscht die ›globale Apartheid‹, wie es Nitin Desai, Konferenz-Generalsekretär auf dem UNO-Gipfel in Johannesburg, formulierte. In diesem ›Welt-Dorf‹ lebe ›eine menschliche Gesellschaft, gründend auf Armut für viele und Reichtum für wenige, gekennzeichnet durch Inseln des Wohlstands, umgeben von einem Meer der Armut‹, sagte Südafrikas Präsident Thabo Mbeki.

Während die Metropolen und die angeschlossenen Produktionsinseln der kapitalistischen Peripherie mit Glasfaserkabeln vernetzt sind und die x-te Generation von Handys und Computern produziert wird, haben zwei Drittel der Menschheit noch nie einen Telefonhörer abgehoben und weit mehr als 90 Prozent noch nie ein Bild oder einen Text aus dem Internet gesehen. Während auf den Märkten der entwickelten Industrieländer die Wellnessbranche und die Schönheitsmedizin boomt, vergrößert sich in den unterentwickelten Ländern die Zahl der Kranken, die sich niemals ein Medikament werden leisten können, immer schneller.

Die globale Verelendung hat ein bisher unbekanntes Ausmaß erreicht: 1,2 Milliarden Menschen, ein Fünftel der Menschheit, müssen von einem Dollar pro Tag leben und sind zu einem Leben in extremer Armut verurteilt. Die Kluft wird größer, nicht kleiner. 1,6 Milliarden Menschen in den Entwicklungsländern leben heute schlechter als vor 15 Jahren. Die zwischen den reichsten und ärmsten Ländern bestehende Einkommensdifferenz, die 1960 das 37fache betrug, beträgt heute das 74fache. Vier Bürger der USA – Bill Gates, Paul Allen, Warren Buffet und Larry Ellyson – konzentrieren in ihren Händen ein Vermögen, das dem Bruttoinlandsprodukt von 42 armen Ländern mit 600 Millionen Einwohnern gleichkommt.

Das Vermögen der 385 reichsten Personen übersteigt das Jahreseinkommen der ärmsten 2,5 Milliarden Menschen, also fast der Hälfte der Weltbevölkerung. In ihrer heutigen neoliberalen Form wurde die Globalisierung zu einem furchtbaren Alptraum für Millionen von Menschen« (S. 1) Rasanteste Naturzerstörung, Megastädte, die zum größten Teil aus gigantisch großen total verelendeten Slums bestehen, furchtbare Kriege, die Liste ist lang: Das sind die Folgen der Globalisierung, für alle sichtbar und offen zu Tage liegend! Nur, waren die Auswirkungen des Kapitalismus davor nicht auch schon apokalyptisch?

Die Autoren der Globalisierungsfalle schildern die Auswirkungen der Globalisierung, indem sie viele Fakten als Folgen dieses Prozesses anführen. Bedienen wir uns dieser Methode, ziehen wir verschiedene Fakten und Ereignisse heran und beleuchten auf diese Art und Weise schlaglichtartig die Folgen des Kapitalismus in der Vergangenheit. Die entscheidenden Ereignisse des letzten Jahrhunderts waren extrem negative: die zwei Weltkriege. Die Menschheit, die zu diesem Zeitpunkt schon auf eine lange Geschichte von furchtbaren massenhaften Verbrechen zurückblikken konnte, sah sich im Zusammenhang mit diesen zwei Weltkriegen Verbrechen ausgesetzt, die tatsächlich eine furchtbare Steigerung alles bis dahin Dagewesenen darstellten und tatsächlich eine qualitativ neue Dimension der Barbarei erreichten. Dinge wurden wahr, die sich selbst die bis dahin schlimmsten Schlächter der Geschichte à la Nero in ihren kühnsten Träumen nicht ausmalen konnten.

Höhepunkt all dessen war die Auslöschung der europäischen Judinnen und Juden sowie der Sinti und Roma. Diese Menschen wurden im Sinne der Lehre von einer »reinen« Rasse kaltblütig ermordet, und bei ihrer Ermordung mischte sich finsterste, in dieser Art und Weise nie gekannte Barbarei mit höchster Zivilisation« des Tötens. Der Typ des KZ-Henkers, dessen ganze Leidenschaft darin bestand, mittels besonderer Peitschen oder anderer primitiver Folterinstrumente Menschen systematisch und langsam zu vernichten, war untrennbar vermischt mit dem Typus des Auschwitz-Kommandanten Höß, der kein Blut sehen konnte und der das industrielle System der Vergasung maßgeblich zur höchsten Perfektion entwickelte – des humanen Sterbens willen, wie er vor seiner Hinrichtung im Anschluss an die Nürnberger Prozesse im Gefängnis niederschrieb. Die Person des Arztes Mengele wurde zum Symbol dafür, wie sich in ein und derselben Person niederste barbarische Vernichtungsmethoden und »höchste« zivilisierte Barbarei untrennbar vermischten.

Der industrielle organisierte Völkermord an den Roma und Sinti, an den Jüdinnen und Juden stellt heute noch das verheerendste Verbrechen dar, das je in der Menschheit begangen wurde. Aber schon im Ersten Weltkrieg wurde eine neue einzigartige Dimension menschlichen Verbrechens erreicht, die die damalige Menschheit vor sich selbst schaudern machte! Heute ist der Erste Weltkrieg regelrecht verblasst gegenüber den Verbrechen des Zweiten Weltkrieges, aber nichts desto trotz ist der Erste Weltkrieg ein weiterer »absoluter« Höhepunkt in der gesamten Menschheitsgeschichte– in negativer Hinsicht. Das Buch »Im Wesen nichts Neues« ist zum Symbol geworden für die Beschreibung der niederschmetternden Auswirkungen des Ersten Weltkrieges.

Auch hier wieder paart sich höchste »Zivilisation « mit furchtbarster Barbarei, so z.B. in der Person des deutschen Chemikers Fritz Haber. Er war der Erfinder von Giftgas, das zum ersten Mal überhaupt in einem Krieg eingesetzt wurde, und er arbeitete nicht nur aus voller Überzeugung an dieser Erfindung, sondern musste daran auch hart arbeiten – unter vollem Einsatz seiner wissenschaftlichen Professionalität auf dem damals höchsten Niveau. Er war jedoch auch ein Wegbereiter von wichtigen der Menschheit dienlichen Erfindungen wie der Herstellung von Kunstdünger. Er war also gleichzeitig ein moderner hochbegabter Wissenschaftler und schlimmer Verbrecher.

Wenn man Geschichte nicht zu einem willkürlich zusammengewürfelten Rührstück verkommen lassen will, kein Anhänger des US Amerikaners Morgenthau werden möchte, der das deutsche Volk nach dem Zweiten Weltkrieg als Ganzes einfach dauerhaft wegsperren wollte, dann muss man nach der inneren Logik, nach den ökonomischen und politischen Gesetzmäßigkeiten fragen, auf deren Grundlage sich Geschichte entwickeln konnte. Wie konnten Hitler und Einstein im gleichen Land zur gleichen Zeit leben, zumindest bis 1933? Sicherlich war Hitler der schlimmste Verbrecher in der Geschichte, aber warum konnte solch ein Monster seine Phantasien und Pläne hundertprozentig ausleben? Ich habe schon weiter oben ausgeführt, dass die wesentliche Grundlage für die beiden Weltkriege die zu kurz gekommenen Großmächte und das große und schon international agierende Kapital dieser Länder waren.

Mit den Fakten dazu wurden ganze Bücher und Bibliotheken gefüllt, und es ist sehr richtig, wenn
Winfried Wolf schreibt: »Das ist nicht polemisch, das ist wissenschaftlich abgesichert. Die Forschung kann heute belegen, dass die führenden Industrieunternehmen und die sie beherrschenden Finanzinstitute beim Kurs auf den Zweiten Weltkrieg nicht Getriebene waren, sondern als Treibende agierten.« (»Fusionsfieber«, S. 180) Selbst die CDU postulierte unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg: »Die Zeit vor 1933 hat bereits zu großen Zusammenballungen industrieller Unternehmen geführt (…) Sie wurden für die Öffentlichkeit undurchsichtig und unkontrollierbar (…)Nach dem furchtbaren (…) Zusammenbruch als Folge der verbrecherischen Machtpolitik kann nur eine Neuordnung von Grund auf erfolgen. Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben (…) sein. Durch eine gemeinwirtschaftliche Ordnung soll das deutsche Volk eine Wirtschafts- und Sozialverfassung erhalten, die der Würde des Menschen entspricht« (ebenda, S. 248).

Aus heutiger Sicht unglaublich: Für eine solche Position würde eine Partei von der heutigen CDU als linksradikal verschrieen werden, aber 1949 sah sie sich eben dazu genötigt und schrieb dies in ihr Ahlener Programm. Es war das ganz große Kapital – Thyssen, Krupp, IG Farben, Daimler-Benz –, das in der Zeit zwischen 1933 und 1945 und auch im Ersten Weltkrieg oftmals sogar die besten Gewinne in der Firmengeschichte machte. So z.B. Daimler- Benz in beiden Kriegen; es präsentierte sich stolz als »nationalsozialistischer Musterbetrieb«, Geschäftsbriefe wurden mit »Heil Hitler« unterzeichnet, und Daimler-Benz profitierte bestens und aktiv wie die anderen Unternehmen auch vom ZwangsarbeiterInnen- und KZ-System des Hitlerfaschismus.

Im Zweiten Weltkrieg lieferte die IG Farben das Zyklon B zur Vergasung von Menschen. In der 1960er Jahren lieferten deutsche Chemiefirmen Trichlorphenolatlauge an die US-Firma Dow Chemical, einen Grundstoff zur Herstellung des hochgiftigen Agent Orange, von dem 40 Millionen Liter von der US-Armee über Vietnam versprüht wurden. Friedrich Flick (Vereinigte Stahlwerke AG) kam nach dem Zweiten Weltkrieg sogar zeitweise als Kriegsverbrecher hinter Gitter, um dann später wie eh und je als ganz großer Unternehmer zu fungieren und noch nebenbei die Republik zu schmieren. Zur Umstellung von der Zivil- auf die Rüstungsproduktion sagte Göring vor Industriegewaltigen auf einer Geheimkonferenz 1938: »Was bedeutet das alles, meine Herren, wenn Sie eines Tages statt Nachttöpfen Flugzeuge machen. Das ist doch einerlei.« (ebenda, S. 180).

Das kurze Intermezzo zwischen den zwei Kriegen – 21 Jahre – wurde unterbrochen von der bis dahin größten wirtschaftlichen Krise: die Weltwirtschaftskrise 1929. Alle Teile der Erde, die bereits in den Kapitalismus eingebunden waren, wurden von ihr erfasst. Während in den auch am weitesten fortgeschrittenen Ländern wie den USA und Deutschland Millionen Menschen einer verheerenden Verelendung ausgesetzt waren – sie mussten hungern und frieren – wurden Lokomotiven mit Weizen befeuert und Kohle ins Meer geschüttet. Dies sind keine kommunistischen Ammenmärchen, sondern die gesetzmäßigen Folgen kapitalistischen Wirtschaftens, die unerbittlich und unaufhaltsam wie eine Naturkatastrophe über die Menschen hereinbrachen. Nur so und nicht anders konnte der Markt bereinigt werden, denn der inneren Logik des Kapitalismus folgend bestand das Problem darin, dass zu viel produziert wurde, es aber keine zahlungskräftige Nachfrage gab.

Der tatsächliche Bedarf spielt dabei überhaupt gar keine Rolle: Weizen zum Heizen, auch wenn noch so viele Menschen verhungerten. Aber hörte das Elend nach dem Zweiten Weltkrieg auf? Die Tatsachen sprechen eine andere Sprache. Schon seit Jahrzehnten flimmern alljährlich zu Weihnachten die Bilder vom Hunger und von Krankheiten gezeichneter Kinder über den Bildschirm, verbunden mit dem Aufruf, zu spenden. Dadurch hat sich bis zum heutigen Tage gar nichts geändert. Schon vor 40 Jahren starben täglich allein Tausende von Kindern an den Folgen des Hungers und von Krankheiten. Schon vor 40 Jahren starben Menschen an Krankheiten, die in den industrialisierten Ländern ausgestorben sind oder die mittels weniger Euros hätten bekämpft werden könnten. Schon vor 40 Jahren lebten Millionen von Menschen unter menschenunwürdigsten Verhältnissen, im tiefsten Elend, in Slums, ohne Perspektive auf Besserung.

Und schon vor 40 Jahren gab es eine zutiefst ungleiche Weltordnung, die sich bis zum heutigen Tage fortsetzt, hier eine Handvoll wirklich mächtiger Staaten und dort der »Rest«. Und dies ist die Grundlage dafür, dass schon vor 40 Jahren Appelle zur Anhebung der Entwicklungshilfe Appelle blieben und die Entwicklungshilfe stattdessen der armseligste Posten in den Staatshaushalten blieb – wahlweise als Feigenblatt zu gebrauchen oder sogar noch zur weiteren Bereicherung der starken Länder an den ökonomisch schwachen Ländern. Und diese Weltordnung ist die Grundlage dafür, dass schon vor 40 Jahren der nach menschlichen Maßstäben Irrwitz betrieben wurde, den schwachen Ländern unter dem Vorwand der Hilfe Geld zu verleihen, nur um aus ihnen in den Jahrzehnten danach um so mehr Geld herauszuholen.

Der Kolonialismus setzt sich in anderen Formen fort. Und so können es sich solche Länder wie Deutschland leisten, sich zwar vor einigen Jahren endlich für den Völkermord des Deutschen Reichs an den Hereo und Nama-Völkern im heutigen Namibia verbal zu entschuldigen, aber jede Entschädigung abzulehnen. Wo immer es diese mächtigen Staaten für notwendig hielten, wurden Barbaren schlimmster Sorte, Faschisten, unter ihrer aktiven Mithilfe an die Macht gebracht. Namen wie Pinochet (Chile) oder Resa Pahlewi, Schah von Persien, (Iran) wurden schon vor 40 Jahren Symbole für die rücksichtslosen Interessen der großen Mächte und ihrer Unternehmer, die solche Verbrecher durch einen von ihnen finanzierten Putsch an die Macht brachten und sie an der Macht hielten.

Die Liste solcher Namen nach dem Zweiten Weltkrieg ist lang, und diese Politiker haben Millionen von Menschen auf dem Gewissen. Setzte sich nicht aus dem gleichen Grund die Kriegsmaschinerie unvermindert, wenn auch auf niedrigerem Niveau, auch nach dem Zweiten Weltkrieg fort? Dank des »Fortschritts« wurde die Zahl der Toten des Zweiten Weltkrieges schon nach wenigen Nachkriegsjahrzehnten kapitalistischen Alltags unter relativ stabilen Bedingungen übertroffen. Dank des »Fortschritts« konnte auf ein einziges Land – Vietnam – im sogenannten Vietnamkrieg eine Bombenlast im Umfang derjenigen des ganzen Zweiten Weltkrieges abgeworfen werden. Vietnam ist als besonderes Symbol der Kriegsbarbarei des Kapitals in die Nachkriegsgeschichte eingegangen.

Die USA haben aus rein machtpolitischen Gründen – im Übrigen sowohl unter republikanischen als auch demokratischen Präsidenten – versucht, ein Land in die Steinzeit zurückzubomben. Es existieren furchtbare Bilder von der Niedermetzelung wehrloser Zivilisten. Die USA versprühten per Flugzeug Entlaubungsmittel über den Wäldern Vietnams. Und doch gäbe es noch so viele andere Kriege nach dem Zweiten Weltkrieg aufzuzählen: der Algerienkrieg der 50er Jahre – die algerische Bevölkerung kämpfte für Fortschritt und die Befreiung vom Kolonialismus, Frankreich wollte »seine« Kolonie nicht aus dem kolonialen Völkergefängnis »entlassen« –; der langjährige Iran-Irak-Krieg der 80er Jahre, wo die USA, Deutschland und Frankreich beiden Seiten munter Waffen lieferten; die Vergasung irakischer Kurden mit deutschem Giftgas durch Saddam Hussein; die Bilder von Kindersoldaten aus den verschiedenen Ländern des afrikanischen Kontinents, wo bereits 10-12 Jährige zu stumpfen Tötungsmaschinen abgerichtet werden; Tretminen, deren Aussehen besonders Kinder anlocken soll… (…)

Die gänzlich rücksichtslose Naturzerstörung ist auch keine »Erfindung« der letzten paar Jahre. Die Rodung der Urwälder, der Autowahn, die Vernachlässigung der öffentlichen Verkehrsmittel für den Profit der Autokonzerne, die Förderung der Atomkraft trotz aller Pannen und Unfälle (Tschernobyl), der völlig ungeklärten Endlagerung der atomaren Abfälle, die völlig unzureichende Förderung alternativer Energien, die Verschmutzung der Flüsse und Meere usw. usf. all dies gab es auch schon vor 40 Jahren. Und erinnern wir uns noch an die »graue« Vorzeit, als die Unternehmer der 70er/80er Jahre des 20. Jahrhunderts sich öffentlich hinstellten und all dies schlicht und ergreifend ableugneten: die Fische im Rhein sterben nicht wegen der Verschmutzung, es gibt kein Waldsterben, kein Ozonloch, keine Klimaveränderung, keine Luftverschmutzung, alles Erfindungen von grünen Spinnern. Diese schrieben »und [erst] wenn der letzte Baum gerodet und der letzte Fisch gestorben ist, dann werdet ihr sehen, dass man Geld nicht essen kann.«

Sie jedoch machen weiter damit, die Natur bedenkenlos als Selbstbedienungsladen zu behandeln. Und heute dürfen wir erleben, wie mit CO2-Emissionen gehandelt wird, wie die größten Klima-Killer – die Großmachtsnationen – den ökonomisch rückständigen Ländern vorwerfen, sie seien Schuld an der Umweltmisere, die Menschen dieser Länder würden sich zu schnell »vermehren«. Und das alles obwohl Versicherungen uns schon heute auf Punkt und Komma genau die derzeitigen und die zukünftigen Schäden – selbstverständlich unter »rein« ökonomischen Gesichtspunkten – ausrechnen können und bereits anfangen, sich zu weigern, ökologisch besonders gefährdete »Zonen« und »Objekte« zu versichern.

Kurz und gut: the same procedure as every year und sie werden uns erzählen, dass man Geld essen kann, auch wenn der letzte Baum gerodet ist und der letzte Fisch… Und doch war bisher nur von den letzten 100 Jahre, von der Zeit des entwickelten Kapitalismus, die Rede. Gehen wir ins 19. Jahrhundert zurück, so gab es keine Global Player, keine Weltkriege, kein Giftgas und keine Atombombe, keinen Faschismus, und doch wissen wir, dass diese Zeit des frühen Kapitalismus wahrlich kein Zuckerschlecken war. Angstvoll wird heute in den Zeitungen darüber diskutiert, ob wir wohl demnächst wieder beim englischen Manchester- Kapitalismus oder beim amerikanischen Wildwest-Kapitalismus landen werden. Denn in diesen frühkapitalistischen Zeiten gab es für die Bevölkerung – egal in welchem Land – keine Krankenversicherung, keine Rentenversicherung, keine Begrenzung der Arbeitszeiten… Alles Weitere kann man bei Marx im Kapital nachlesen.

Dieser kurze Abriss der Auswirkungen des Kapitalismus auf die Bevölkerung veranschaulicht: die Auswirkungen der Globalisierung sind tatsächlich sehr krass und muten apokalyptisch an, sie sind jedoch keineswegs etwas gänzlich Neues oder gar eine völlig neue Qualität, sondern sie sind eine weitere Phase in der Entwicklung des Kapitalismus, der immer wieder auf einem höheren Niveau das scheinbar Unmögliche möglich macht – sich in seinen negativen Auswirkungen immer weiter zu steigern.

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