Dezember 31st, 2024

FU´s (#219, 2023)

Posted in interview by Jan

Bisher hat kaum jemand Notiz genommen von der neuen 7 Song EP der Boston-Hardcore Legende F.U.´s. Dabei halte ich „Death Squad Nostalgia“ nicht nur für ein großartiges, fast nahtloses Comeback an ihre alten Tage bzw. zu ihrem letzten Album „Do We Really Want To Hurt You?“ von 1984, sondern „Death Squad Nostalgia“ ist für mich auch allgemein einer der besten Platten des Jahres 2022.

Denn F.U.´s spielen immer noch den gleichen fetten, druckvollen und hymnischen Hardcore wie früher. Leider erschien die Platte für den deutschen Markt bisher nur im Selbstvertrieb bzw. über ihre Bandcamp und Facebook-Seite. Was wirklich schade ist, weil „Death Squad Nostalgia“ eben viel zu goßartig ist um nicht auch für die Fans in Europa erhältlich zu sein. Aber andernfalls was soll´s? Früher habt ihr doch auch oft eure Platten über den großen Teich bestellt.

Wem dieses Unterfangen nachvollziehbarerweise zu kostenaufwendig ist, der kann sie letztendlich immer noch digital über Bandcamp hören oder kaufen. Und wer weiß vielleicht findet sich auch noch ein Label oder der ein oder andere Mailorder oder Vertrieb aus Europa, das Interesse an der Veröffentlichung zeigt. In dem Interview mit John Sox geht es über die Anfänge in der Boston Hardcoreszene und das sich die politische Grundstimmung der vergangenen Jahre unter Donald Trump noch schlimmer und beängstigender anfühlt, als zu den bereits schrecklichen Jahren unter Ronald Reagan.

Die Frustration und Wut die sich daraus entwickelte, sollte den textlichen Brennstoff für „Death Squad Nostalgia“ liefern. Weil F.U.´s mit Patriotismus gerne provozierten, wollte ich John natürlich auch befragen wie er den selbst zum Patriotismus steht. Seine Antwort von wegen: „Ich liebe mein Heimatland, aber ich hasse rassistische Arschlöcher“ war voraussehbar und mag für die deutsche oder europäische Szene nicht ganz nachvollziehbar sein. Aber wie wir wissen ist diese Einstellung in den USA relativ weit verbreitet.

Bevor wir mit dem Interview beginnen, muss ich dir noch von meiner affinen Liebe gegenüber den F.U.´s berichten. Ihr wart neben den Angry Samoans und Dead Kennedys die erste amerikanische Punk/HC-Bands die ich entdecken durfte und eure Musik hatte eine solch große Wirkung auf mich, so dass ich nach meinen Sauftouren total besoffen und total laut F.U.´s auflegte. Als Gitarrenersatz schrubbte ich so schnell ich konnte auf meinen Tennisschläger ein, so dass ich schon richtig ins Schwitzen kam. Das waren total euphorische Momente. Ich denke du weißt was ich meine, denn angeheizt von dem ganzen Hardcorespirit wurde in Boston dieser Schneller, Härter, Lauter-Wettkampf bis zum Exzess gnadenlos durchgezogen. Wie habt ihr euch als Jugendliche zu jener Zeit gefühlt? Wie fühlte sich für dich diese Aufbruchsstimmung an?
Vielen Dank für deine Loyalität! Ja es war ein Wettbewerb, aber größtenteils auf freundliche Art und Weise. Die ursprünglichen Gang Green hatten die Messlatte sehr hoch gelegt. Hardcore wird oft als männerlastig kritisiert. Ich denke die meisten jungen Männer haben eine Menge Wut, die sie in sich aufstauen. Ein Teil davon ist sozialisiert, weil die Machthaber wollen dass man ihre Kriege führt. Einiges davon ist natürlich, denn die innere Unruhe sagt dir dass es an der Zeit ist das Nest zu verlassen und auf eigene Faust loszuziehen. Aber dafür ist in der modernen Welt kein Platz. Junge Männer fühlen sich dadurch entmündigt. Hardcore ist ein positives Ventil für sie. Und der Glaube endlich Teil von etwas zu sein, das brandneu und einladend ist, ist der Grund, warum es meiner Meinung nach so schnell wuchs, obwohl es weder Internet noch kostenlose Ferngespräche gab.

Wie hat das mit den F.U.´s alles begonnen? Habt ihr zuvor schon in anderen Bands gespielt?
Ja ich war in ein paar Bands Ende der Siebziger. Ich sang in The Slaves, aus denen sich die Manics gründeten, die wiederum zu The M.I.A.’s wurden – nicht die gleiche Band mit ähnlichen Namen, von denen du vielleicht schon gehört hast. Die M.I.A.’s lösten sich auf, also fing ich an die Musikeranzeigen in den Kleinanzeigen zu lesen. Ich antwortete auf eine Anzeige von Al Barile, der einen Sänger suchte, aber er war nicht besonders beeindruckt. Später erfuhr ich dass er SSD gründete. Sie waren großartig, aber ich glaube ich bin einer Kugel ausgewichen. Dann las ich eine Anzeige von einem Schlagzeuger namens Bob Hatfield. Er liebte die gleichen 77er Punkbands wie ich und so begannen wir in der BC High School zu proben, wo er als Hausmeister arbeitete. Die Akustik war furchtbar.

Es war eine typische katholische Schule, nichts als Schlackensteine und nichts an den Wänden außer einer Uhr und einem Kruzifix. Wir ließen ein paar Sänger vorsingen und Steve kam mit der richtigen Einstellung und einer Tasche voller eigener Songs. Ich spielte Bass und sang die Leadstimme, aber ich wollte die Freiheit haben, auf der Bühne herumzutoben, also fanden wir Wayne und es ging los mit den F.U.´s.

Wie hast du den Übergang von Punk zu Hardcore wahrgenommen? Wie unterschieden sich die Boston-Punkrockbands der späten 70er mit den Hardcore-Bands der 80er?
Ich war von dieser Entwicklung begeistert. Einige der Punks des alten Stils mochten HC aber nicht, es war ihnen zu schnell, zu wütend, zu männlich und viele waren zu diesem Zeitpunkt zum Ska Revival und New Wave übergegangen. Der Unterschied in Boston war, dass es in den 70er Jahren nur sehr wenige Punkbands gab. Es gab La Peste, Unnatural Axe und die Neighborhoods aber die meisten anderen Versuche Punk zu machen, waren eigentlich nur Garagenrock, kurzlebig oder einfach nur scheiße. Mit HC gab es über Nacht eine ganze 12″-Compilation in Boston.

In Boston gab es unter anderem mit SSD und Negative FX eine aufkeimende Straight Edge Szene und zum anderen gab es HC-Bands wie euch oder The Freeze die eher einen trinkfreudigen Lebensstil pflegten. Gab es da untereinander Reibungen oder Sticheleien?
Es gab ein paar Reibereien und Sticheleien, aber man nahm es sich nicht zu Herzen. SSD, Negative FX und DYS waren nicht gerade Straight Edge. Sie waren Hardcore-Bands mit SE-Songwritern. Der Großteil der restlichen Bandmitglieder waren aber nicht SE, sie spielten einfach nur gerne diese schnelle, harte Musik. Jeder mochte Minor Threat ob er nun feierte oder nicht.

Welche Städte waren in den 80ern die Epizentren der amerikanischen Hardcoreszene? Oder gab es auch Städte die ein besonders schräges, kaputtes oder arrogantes Publikum hatten?
Nun die größten Szenen gab es in DC, New York und L.A.. Ich war stolz darauf, dass eine viel kleinere Stadt wie Boston so viele Bands und so viele Veröffentlichungen herausbrachte. Jeder wollte dass seine Stadt die beste ist, was ironisch ist, weil die HC-Szene eine Alternative zur konkurrierenden Sportlermentalität sein sollte.

Ihr wart bekannt dafür mit euren Provotexten die Grenzen zu überschreiten. Was war der Anreiz für euch zum provozieren? War die Szene damals schon so festgefahren, dogmatisch oder politisch korrekt?
Die Szene war in unseren Augen sehr festgefahren. Entweder man spielte nach dem HC-Regelwerk oder man war ein Außenseiter. Außerdem vertrat jede Band ihre eigene Version dessen was PC ist und jede versuchte es mit ihrer eigenen Agenda durchzusetzen. Ich verstehe allerdings, dass man sich für Politik einsetzt. Ich denke das politische Angelegenheiten wichtig sind, aber ich kann nicht erwarten dass das alle so empfinden wie ich.

Wie haben die Leute, die Hörer, das Publikum darauf reagiert? Gab es Momente wo ihr angefeindet wurdet?
Ja wir wurden von allen Seiten angegriffen. Das war toll und aufregend. Außer natürlich, wenn es zu körperlicher Gewalt überging. Denn wir hatten schon genug Gewalt von den Sportlertypen erlebt.

Euer Bandname F.U.´s steht für „Fuck You“ und beruht auf ein Interview mit der Plasmatics-Sängerin Wendy O. Williams, indem sie äußerte das Punkrock ein „Fuck You“ an die Gesellschaft darstelle. Was widerte euch an meisten an dieser Gesellschaft oder auch an der Punkszene an?
Ich war es, der das Interview sah und den Namen der Band nannte. Das eigentliche Zitat lautete: „Das ist eine tolle Art, der Gesellschaft F.U. zu sagen!“ indem Wendy O. Williams auf der Bühne Fernsehgeräte zerschlug.

Auf Wikipedia heißt es: „Insbesondere „My America“ fiel durch für die Punkszene ungewöhnliche politische Statements auf: Die Band sprach sich auf der Platte wie auch in mehreren Interviews für Patriotismus aus; unter anderem enthielt „My America“ eine Coverversion des Songs „We’re an American Band“ von Grand Funk Railroad.“ Siehst du dich als Patrioten, spielt Patriotismus eine Rolle in deinem Leben? Oder dienten die Texte, wie ich sie wahrgenommen habe, lediglich zur Provokation?
Es war als Schockeffekt und Satire gedacht. Wir haben die ganze Zeit über das Maximum Rock n Roll Interview gelacht, das wir als arrogant empfunden haben. Bin ich ein Patriot? Ich denke ich bin einer, je nachdem was ich unter diesem Wort verstehe. Ich sorge mich um mein Heimatland und seine Umwelt. Es hat viele atemberaubende Naturschönheiten. Sie schrumpfen immer weiter und ich finde das schade. Ich bin nicht fremdenfeindlich, obwohl manche Leute meinen, das sei eine Voraussetzung für Patriotismus. Ich halte aber den Hass auf Ausländer für dumm und rückständig.

Nun wurde Amerika durch Donald Trump von einer neuen Welle des Patriotismus überschattet. Wie hast du das politische Klima in den letzten Jahren wahrgenommen? Fühlt sich das so an, wie eine Rückkehr in die Reagan-Ära?
Ja das ist sehr beängstigend. Patriotismus bedeutet nicht das was diese Leute denken. Für sie bedeutet es jeden zu vernichten von dem man glaubt, dass er nicht so ist wie man selbst. In mancher Hinsicht ist es sogar schlimmer als in den Reagan-Jahren.

Desweiterem wird in den Medien auch immer wieder davon berichtet, wie lasch in den USA die Waffengesetze sind. Es scheint immer wieder Schießereien an Schulen oder auf offener Straße zu geben. Was hältst du von den Waffengesetzen in den USA?
Ich denke wir sollten uns ein gutes Beispiel an anderen Ländern nehmen, in denen es nicht jeden Tag zu Massenerschießungen kommt. Das erscheint mir als völlig logisch.

Ihr habt euch 2010 reformiert für ein Konzert in Boston, im Rahmen der Premiere des Dokumentationsfilms „All Ages: The Boston Hardcore Film”. Seid ihr seitdem wieder aktiv? Wie viele Konzerte folgten seitdem?
Seitdem sind wir sehr aktiv. Wir spielen fast monatlich Konzerte. Schaut doch mal auf unserer Facebook-Seite oder auf meine Instagram-Seite und ihr werdet sehen dass es viele Show-Ankündigungen gibt.

Und was waren die geilsten Konzerte, die ihr bisher gespielt habt? Wie verlief die Tour? Und besteht die Chance dass ihr wiedermal durch Europa tourt?
2010 im House of Blues für die Bosstones zu eröffnen, war schon sehr cool, weil die meisten Leute dort noch nie von uns gehört hatten, aber sie fanden uns trotzdem toll. Aus demselben Grund war es auch großartig drei Shows mit NOFX zu spielen. Wir haben auch auf dem Rebellion Festival in Blackpool und beim Bloodstains Festival in Leeds gespielt. Wir freuen uns schon darauf, dies im nächsten Sommer zu wiederholen.

Was zeichnete die Boston-Szene aus? Wart ihr wirklich so gut, das ihr es mit L.A. aufnehmen konntet 😉 ?
Ahh ja, dieser dämliche Songtitel hat eine Menge Aufmerksamkeit erregt. Der Titel war die Idee des Besitzers der Newbury Comics Kette. The Freeze haben den gleichnamigen Song geschrieben und sie waren dagegen das er als Albumtitel verwendet wird. Ich glaube sie wurden dafür nicht einmal konsultiert. Jello Biafra hat mir einmal gesagt, wenn der Titel nicht wäre, hätten die West Coast HC-Kids ihn geliebt.

Nun habt ihr mit „Death Squad Nostalgia“ ein überraschend gutes, neues 7-Song-Album veröffentlicht. Ich finde ihr schließt damit schon sehr nahe an eurem letzten Album „Do We Really Want to Hurt You?“ an. In welcher Besetzung habt ihr das Album aufgenommen? Was ist euer Eindruck von eurem neuen Album und wie wird es bei den Fans angenommen?
Das Lineup für die Platte sind die ursprünglichen 3 FUs mit Ian King an der Rhythmusgitarre und Jimmy Foul am Bass. Jimmy verließ die Band aber im gegenseitigen Einvernehmen.

Wie kam es zu der Entscheidung „Death Squad Nostalgia“ selbst zu veröffentlichen? Soweit ich das mitbekommen habe ist das Album bisher noch nicht in Deutschland erhältlich. Ist das Album über diverse Vertriebswege erhältlich oder muss man dafür euch kontaktieren?
Soweit ich weiß ist das Album in Deutschland noch nicht erhältlich. Doch dafür bekommt ihr es, über unsere Bandcamp-Seite fusmusic2.bandcamp.com.

Was waren die Bezugsthemen zu den neuen Songtexten? Über was handeln die Texte?
Es geht um Wut und Frustration, über die Rückkehr zu den Stammesfehden der Reagan-Jahre und darüber wie sich diese in eine Atmosphäre der Gewalt verwandelt hat.

Mit deutlich mehr Geschwindigkeit covert ihr den Kris Kristofferson-Song „Sunday morning coming down“, der mir bisher unbekannt war. Was brachte euch auf die Idee, genau diesen Song zu covern?
Es war Steves Idee und ich kannte eher die Version von Johnny Cash. Ich bin ein großer Cash-Fan, also habe ich es gerne gesungen.

Nach den F.U.´s wurden die STRAW DOGS gegründet. In welcher Weise unterschieden sich für dich die beiden Bands?
Wir haben einige Metal-Elemente hineingebracht, weil wir das Regelwerk des Hardcore für zu eng empfunden haben. Für mich klang es eher wie eine aufgepeppte Version der Musik, die ich vor dem Punk mochte.

Was hast du nach dem Ende von STRAW DOGS gemacht? Warst du noch in Bands aktiv oder hast du dir eine Pause von der Szene gegönnt?
Nach Straw Dogs konzentrierte ich mich darauf frisch verheiratet zu sein und in Teilzeit als Vater zu Hause zu bleiben.

Noch ein abschließendes Wort oder Lebensmotto.
Lasst euch von niemandem sagen, dass ihr wie Band X aussehen oder klingen müsst. Wenn ihr nur eine weitere Band einer bestimmten Zeit oder eines bestimmten Genres seid, werdet ihr dort stecken bleiben.
Thanks for the interview, Cheers from The F.U.s! – John Sox

(bela)

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