Dezember 31st, 2024

Dawn Ray’d (#223, 2023)

Posted in interview by Jan

Das Aufbegehren des britischen Black Metal
Interview mit Dawn Ray’d

Dawn Ray’d hat sich inzwischen aufgelöst. Dennoch bleibt ihr musikalisches Erbe und ihre soziale Botschaft unvergessen. Daher haben wir uns entschlossen, das Interview, welches wenige Wochen vor der Auflösung geführt wurde, zu veröffentlichen.
Der Sound von Dawn Ray’d war wie ein unaufhaltsamer Sturm, der über die Musikszene hinwegfegte. Ihre Gitarrenriffs peitschten durch die Luft wie strömender Regen, während die Drums wie donnerndes Grollen die Welt erschütterten. Die Stimme des Sängers war ein rauer Schrei, der die Botschaft der Band mit Inbrunst verkündete. Inmitten dieses Sturms gab es Momente der Klarheit und der Schönheit. Dawn Ray’d hatten es geschafft, Black Metal mit sozialer Kritik und politischem Aktivismus zu verbinden und damit eine neue Perspektive eröffnet.

Besonders charakteristisch für Dawn Ray’d waren die atmosphärischen Violinen von Simon Barr. Sie verbanden Elemente des traditionellen Black Metal mit melodischen Passagen. Ihren rasenden Gitarrenriffs, ihren rasiermesserscharfen Blastbeats und ihrer rohen unverfälschten Energie setzten sie dabei immer wieder folkloristische Einflüsse entgegen. Besonders prägend für das Trio waren dabei Bands wie Wolves In The Throne Room. Die Band nahm jedoch auch Anleihen aus dem Punk, was sich in ihrer rohen und rebellischen Herangehensweise widerspiegelte. Die Atmosphäre, die Dawn Ray’d erschuf, war düster und beklemmend, wie eine undurchdringliche Nebelwand, die sich über eine verlassene Landschaft legte. Doch zugleich war sie beseelt von einer kraftvollen Leidenschaft und einem rebellischen Geist. Wie die aufsteigenden Rauchsäulen eines brennenden Widerstands symbolisierte der Sound von Dawn Ray’d den Kampf gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung.

Eine musikalische Feuerrede
Was Dawn Ray’d von anderen Bands abhob, war ihre unerschrockene soziale und politische Haltung. Sie gingen über die typischen Black Metal-Themen hinaus und setzten sich für eine gerechtere Welt ein. Die Bandmitglieder bekannten sich zum Anarchismus und lehnten Hierarchien, Unterdrückung und soziale Ungerechtigkeiten ab. Ihre Texte spiegelten diesen ideologischen Standpunkt wider und ermutigten dazu, sich für Freiheit, Gleichheit und Solidarität einzusetzen. Die Band verband ihren einzigartigen Sound mit direktem politischem Aktivismus, engagierte sich in politischen Bewegungen und nutzte ihre Musik als Plattform, um auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam zu machen. Außerdem organisierten sie Konzerte, Spendenaktionen und unterstützten soziale Projekte, die sie als Teil ihres Kampfes für Gerechtigkeit sahen.

Die Bedeutung für Black Metal
Dawn Ray’d trotzte starren Genrestereotypen und bewies, dass Black Metal nicht nur nihilistisch und destruktiv sein muss. Statt über Satan zu singen, sangen sie über historische Widerstandsbewegungen. Ihre Musik und Texte brachten eine neue Dimension in den Black Metal und inspirierten Fans, über die Grenzen des Genres hinauszudenken. Dadurch haben Dawn Ray’d einen Dialog über politisches und soziales Engagement in der Szene angestoßen. Sie haben andere ermutigt, sich ebenfalls für ihre Überzeugungen stark zu machen und ihre Stimme gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung zu erheben. Ihr Einfluss reichte damit weit über die Musik hinaus und hat zur positiven Entwicklung der Black Metal-Szene beigetragen.

Musik als kraftvolles Mittel für soziale Veränderungen
Dawn Ray’d unterschieden sich von vielen anderen Black Metal-Bands durch die einzigartige Kombination aus brachialem Sound, politischem Aktivismus und anarchistischer Weltanschauung. Mit ihren politischen Texten und einer anarchistischen Weltsicht hatten sie einen Funken des Widerstands entzündet. Ihre Musik war wie eine brennende Fackel, die die Dunkelheit durchdrang und dazu aufforderte, die Stimmen zu erheben und für eine gerechtere Gesellschaft zu kämpfen. Ein Ruf in der Dunkelheit, der das Publikum dazu aufforderte, aus der Lethargie aufzustehen und für Veränderungen einzutreten. Dawn Ray’d war eine klingende Manifestation der Hoffnung, dass selbst in den schwärzesten Momenten des Lebens ein Funken des Widerstands entfacht werden konnte.
Schlussendlich kamen die Bandmitglieder allerdings zu dem Schluss, dass die Musik nicht mehr das adäquate Mittel im Kampf für Gerechtigkeit ist und im September 2023 löste sich die Band auf.

Sie veröffentlichten folgendes Statement:

“Dawn Ray’d ist am Ende. Diese Band hat 8 Jahre lang nicht aufgehört. Wir waren auf Tour, bevor wir überhaupt Musik aufgenommen hatten. Wir sind weiter getourt, als wir es uns je vorstellen konnten. Wir haben bei jeder Show, die wir je gespielt haben, über Ideen des Anarchismus und der Befreiung gesprochen, tausende Exemplare von Beyond Chaos in Merch-Bestellungen und bei Shows verteilt. Wir haben unser Bestes versucht, den Faschismus in dieser Szene bei jeder Gelegenheit frontal anzugreifen; wir haben versucht, jede Plattform, jeden Moment zu nutzen, um diese Ideen zu verbreiten.

Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem Dawn Ray’d nicht mehr das richtige Mittel für uns ist, um uns kreativ oder politisch auszudrücken. Wir haben gesagt, was wir zu sagen hatten, an Orten, die es hoffentlich hören mussten. Alle Shows ab heute werden abgesagt, wofür wir uns aufrichtig entschuldigen. Vielen Dank an alle, die sich dafür interessiert haben, und an alle wunderbaren Menschen, die wir getroffen haben. Alle Einnahmen und alle zukünftigen Merch-Bestellungen werden an Sea Watch gespendet, und alles Bargeld wird an das Liverpool Migrant Solidarity Network gegeben.
Wir sehen uns!” Fabian, Matthew, Simon.

Eine Black-Metal-Band, die konsequent antifaschistisch ist, so etwas gab es lange Zeit nicht. Ich interessiere mich für euren Hintergrund. Woher kommt eure antifaschistische Einstellung?
Ich bin mit Punk und davor mit Folkmusik aufgewachsen. Die erste Show, die ich je besucht habe, war Chumbawamba und Oysterband, das waren anarchistische Folk- und Folk-Rock-Bands. Ich hatte quasi keine andere Chance! Was speziell den Antifaschismus betrifft, sagte mir einmal jemand, dass Antifaschismus in der Verantwortung der Weißen liegt (obwohl es eine sehr diverse und schöne Bewegung ist) und als körperlich leistungsfähiger weißer Typ, der groß ist und im Baugewerbe arbeitet, schien mir das etwas zu sein, was ich tun sollte.

Es ist auch etwas, das mir sehr am Herzen liegt, der Ursprung der Bewegung in den 1930er/1940er Jahren und die Entwicklung bis heute ist so inspirierend und ich bin stolz, ein Teil davon zu sein. Ich hab einmal jemanden sagen hören: Wenn Sie sich fragen, wie sehr Sie den Nazis/dem Holocaust widerstanden hätten, dann schauen Sie sich an, was Sie jetzt tun, und das ist ein ziemlich guter Indikator. Ich könnte es nicht ertragen, ein Feigling zu sein.

Was ist deine musikalische Sozialisation bzw. Herkunft?
Als ich jung war, habe ich Geige gelernt und begonnen, traditionelle Musik zu spielen. Fabian und ich waren vorher in einer Screamo-Band namens We Came Out Like Tigers.

Und wie bist du überhaupt zum Black Metal gekommen? Erinnerst Du dich an deinen ersten Berührungspunkt mit Black Metal?
Ich glaube, es war Wolves In The Throne Room, Black Cascade. Ich hatte Freunde, die sich schon davor für Mayhem interessierten, aber mir hat das nie gefallen, dann kam Wolves in the Throne Room und ich war sofort verliebt.Ich mochte schon vorher ziemlich extreme Musik, Bands wie Takaru, Army Of Flying Robots, Circle Takes The Square, jede Menge härtere Seiten der DIY-Musik, Screamo und Crust, also fühlte es sich ehrlich gesagt wie der nächste logische Schritt an, sich Black Metal zuzuwenden.

Eure Texte zeugen von viel Wissen über historische Widerstandsbewegungen. Woher kommt das?
Ich war schon immer „links“, komme aus einer politischen Familie und war auf der Suche nach Antworten, als ich das Buch „In Russian and French Prisons“ von Kropotkin geschenkt bekam, das bei mir großen Anklang fand. Dann ging ich zu einer Hardcore-Show und jemand hat dort einen Distro für Crimethinc gemacht. Die Person, die diesen Distro betrieb, sah, wie ich mir alles ansah und gab mir ein Zine mit dem Titel „Fighting For Our Lives“. In diesem Zine stand, dass, wenn man bestimmte Ansichten vertritt, man bereits ein Anarchist ist. Das hat mich sehr beeindruckt. Dieser Moment hat mein Leben völlig zum Besseren verändert.

Ich wollte diese Ideen immer hinterfragen und sicherstellen, dass sie Bestand haben, sicherstellen, dass ich das Richtige glaube, und eine Möglichkeit, dies zu tun, besteht darin, die Geschichte dahinter kennenzulernen. Ich finde Geschichten wie Kronstadt oder die Ukraine in den frühen 1920er Jahren so kraftvoll. Auch die Geschichten über die Gründung von Red Action und Antifascist Action in London und Manchester sind großartig. Es lohnt sich, sich damit auseinanderzusetzen!

Wurdet Ihr wegen eurer antifaschistischen Einstellung bedroht und woher kamen die Drohungen?
Ja! Oft! Es ist inzwischen weniger geworden, weil wir so viele Menschen in den sozialen Medien geblockt haben. Das dulden wir keine Sekunde. Wer in böser Absicht kommentiert, wird sofort gesperrt. Für solche Loser haben wir keine Zeit. Es sind lediglich Loser und Teenager online, so brutale Feiglinge einfach.

Wir moderieren die Kommentare zu unseren Videos auf YouTube allerdings nicht, was schade ist, da dort viel Negatives zu sehen ist. Aber ich habe gelernt, mich davon nicht beeinflussen zu lassen. Ich würde den ganzen Mist aber auch gerne löschen!

Nur einmal hat jemand persönlich etwas gesagt, ausgerechnet in Liverpool. Ein Typ meinte, er glaube an die White Power, und der Veranstalter und ich haben uns ziemlich schnell darum gekümmert … ha!

Seid ihr durch eure Musik in einen Diskurs über Politik im Black-Metal-Kontext getreten und hast du das Gefühl, dass du möglicherweise einen Einfluss darauf hattest, dass sich Menschen zum Besseren verändert haben oder sogar angefangen haben, über ihre eigene Macht nachzudenken?
Ich rede nicht häufig darüber, aber viele Leute haben uns erzählt, dass sie wegen uns Anarchisten geworden sind, was cool ist. Es gab jemanden, der sogar meinte, wir hätten ihn davon überzeugt, nicht zum Nazi zu werden. Das ist das allerbeste Kompliment für mich. Mein Leben wurde durch eine Band mit einem Zine-Distro verändert. Ich mag die Idee sehr, das an die nächste Person weitergeben zu können! Ich hoffe, dass wir mit all dem einen positiven Impact haben.

Hattest Du jemals Angst vor eurem Mut für eure Werte einzutreten und den damit verbundenen Konsequenzen?
Ja, absolut, aber wenn man gesehen hat, wie Neonazis die eigene Heimatstadt terrorisieren und wir versucht haben, das zu verhindern, dann erscheinen Dinge wie Musik viel weniger beängstigend! Ich bin mir sicher, dass jeder, der sich mit Aktivismus beschäftigt, weiß, dass die extreme Rechte und der Staat wirklich beängstigend sein können, daher fühlt es sich viel weniger beängstigend an, solche Themen durch eine Band zur Sprache zu bringen.

Es gab jedoch eine Show, bei der wir beschlossen haben, zu unserer eigenen Sicherheit Waffen/Werkzeuge am Merch-Stand bereitzuhalten. Bei zwei unserer Shows in den USA hatten wir wegen der Bedrohung durch die extreme Rechte in den Gegenden auch bewaffnete Sicherheitskräfte. In solchen Momenten fühlt es sich ziemlich real an. Aber scheiß drauf, wenn ich mich manchmal verletzlich fühle, gibt mir das lediglich einen Einblick, wie sich trans- und queere Leute, People of Color oder jede marginalisierte Person fühlen müssen, wenn sie mit Arschlöchern von rechts konfrontiert werden, und bestärkt nur meinen Entschluss, es besser zu machen!

Eure Meinung zur gesellschaftlichen Lage in einfachen Worten: Es ist verheerend und einigermaßen hoffnungslos. Korrigiert mich, wenn ich falsch liege. Aber ihr seid trotzdem immer noch voller Wut und gebt nicht auf. Was gibt Euch Hoffnung und wie bleibst du in dieser Welt stark und mental gesund?
An manchen Tagen ist es schwer! Aber so schlimm die Dinge auch sind, die Welt und die Menschen darin sind auch großartig! Liebe ist erstaunlich! Die Natur, die Musik, Freundschaft, all diese Dinge sind wunderschön und den Kampf um ihre Rettung wert!

Wir haben noch nicht verloren, und deshalb sollten wir mit aller Kraft um jedes letzte bisschen Gutes auf der Welt kämpfen. Es macht mir so viel Freude, Menschen auf unseren Shows zu treffen, und wenn dies die letzten Tage sind, dann haben wir die Verantwortung, für sie zu kämpfen, sie aber auch zu genießen und zu schätzen.

Was ist deine Meinung zu Waffen?
Ich denke, sie sind oft eine unangenehme Notwendigkeit. Also es hängt davon ab, was man unter Waffen versteht. Ich hasse zum Beispiel selbstverständlich das Militär, unterstütze aber voll und ganz das Recht der Menschen, ihre Gemeinschaften zu verteidigen, wenn es nötig ist.

Crass verurteilte in den 80er Jahren immer die Gewalt der Antifaschisten Aktion, aber als zu viele Nazis ihre Show angriffen, mussten sie Red Action um Hilfe bitten, und die Nazis wurden mit Schlägern, Rohren und Hämmern abgewehrt. Die Show wurde verteidigt und die Nazis haben nie wieder eine Crass-Show angegriffen. Jeder ist gegen Gewalt, bis er mit den Schlägern der extremen Rechten konfrontiert wird, und dann sucht jeder nach jemandem, der körperlich in der Lage ist, sie abzuwehren! Gewalt ist schrecklich, Messer und Waffen sind schrecklich, aber manchmal muss man sich wohl verteidigen. Ich möchte nochmal deutlich klarstellen, dass wir keine Waffen tragen, dies nicht dulden und dies auch nie getan haben, und ich bin froh, dass es im Vereinigten Königreich nicht viele Waffen gibt!

Viele Metalheads wollen, dass Metal unpolitisch ist. Haltet Ihr es für wichtig, Metal zu politisieren?
Ich denke, es ist wichtig, alles zu politisieren. Wir müssen dort kämpfen, wo wir stehen. Viele Menschen auf dieser Welt haben nicht die Möglichkeit, nicht über „Politik“ nachzudenken, weil die Politik quasi zu ihnen gekommen ist. Wir, die vielleicht privilegierter sind, sollten helfen, wo wir können, denn es spricht nichts dagegen, dass es hier keinen Faschismus geben könnte, sonst könnten wir vertrieben oder vom Staat bedroht werden. Es ist kein selbstloser Akt, sich zu wehren, man kämpft für andere, aber auch für sich selbst! Und Metal war sowieso schon immer politisch, die Leute haben manchmal so selektive Erinnerungen.

Konntet Ihr einen Wandel in der Black-Metal-Szene beobachten, seit Black Metal in den letzten Jahren immer populärer geworden ist?
Ja, absolut. Es klingt verrückt, aber im Jahr 2015 war es eine große Sache, zu sagen, wir seien eine antifaschistische Black-Metal-Band. Die Leute hassten es, es gab so wenige anarchistische Bands, jetzt gibt es eine ganze aktive Szene in RABM (Anm. d. Red. : Red and Anarchist Black Metal) und darüber auf Shows zu sprechen, fühlt sich fast so an, als würden die Menschen es von uns erwarten, anstatt davon überrascht zu sein! Wir werden mittlerweile viel weniger angegangen, weil es mehr solcher Bands gibt. Je mehr Leute sich behaupten, desto sicherer und stärker sind wir alle!

Was ist in Liverpool so los? Gibt es interessante Bands oder Orte, die man besuchen sollte, wenn man in der Stadt ist?
Es ist auf jeden Fall ein cooler Ort. Schaut Euch eine Band namens Tocky Horror an, einen Veranstaltungsort namens Quarry, es gibt einen coolen Buchladen namens Dead Ink, der einige Vorträge über politische Bücher hält, einen Plattenladen namens Dark Earth Records, und hier gibt es eine tolle Flüchtlingssolidaritätsarbeit. Ich liebe diese Stadt.

Was wäre das Festival-Lineup deiner Träume?
Propagandhi, Moscow Death Brigade, Skagos, Ethereal Shroud, Nechochwen, Ragana und wir.

Was hörst du gerade?
Ich interessiere mich im Moment sehr für Folkmusik der 70er Jahre. Es gibt eine Band namens Swan Arcade aus Bradford, die großartig ist, The Young Tradition und The Watersons. Radikale Menschen, die wilde und fröhliche Folkmusik machen. Ich bin besessen von einem Lied namens The Black Seam von Swan Arcade, das großartig ist.

Interview: Claude Müller
Kontakt: dawnrayd.bandcamp.com/
Fotos: Dawn Ray’d

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