Januar 14th, 2025

Davey Burdon (#221, 2023)

Posted in artikel, interview by Jan

(D)eine neue Lieblingsband

Es kommt ungefähr einmal im Jahr vor, dass da plötzlich eine Band auftaucht, die vorher nicht bekannt war und deren Musik sofort umhaut, weil sie beim ersten Hören schon so vertraut wie eine alte Freundin klingt. Natürlich ist bei solchen Ereignissen die Gefahr groß, dass es sich vielleicht nur um eine euphorische Alltagsfliege handelt.
Vielleicht passt die Musik beim ersten Hören einfach perfekt in diesen einen Moment, klingt am nächsten Tag aber schon abgestanden und schal wie ein altes Bier vom Vorabend, in das irgendein Arsch auch noch geascht hat. Wenn die Musik aber am nächsten Tag noch toller, schöner und heller klingt, als es am Vortag der Fall war. Und sich dieses Gefühl über die nächsten Wochen verfestigt. Dann ist vielleicht eine neue Lieblingsband gefunden.

So erging es jedenfalls mir mit dem Album „Thank You & Goodnight“ von DL Burdon. Den Trust-Lesenden mag Davey Lee Burdon vielleicht als Bassist von Leatherface ein Begriff sein. Obwohl ich durchaus eine Schwäche für die Band aus Sunderland, UK habe, würde ich mich nicht als Die-Hard-Fan bezeichnen.

Daher war mir der Name Davey Burdon vorher nicht geläufig und seine bisherigen beiden (akustisch geprägten) Soloalben liefen genauso an mir vorbei, wie seine vorherige Band Former Cell Mates. Da gibt es nun noch einiges aufzuholen und ich freue mich drauf. Zusammen mit Omar Zehery (Hit The Lights & Trophy) und Craig Dickman (Shitty Neigbours) bildet Davey nun das Trio DL Burdon & His Questionable Intentions.

Trotz meiner vorhandenen Euphorie für „Thank You & Goodnight“ versuchte ich im Vorfeld des Interviews etwas mehr über Band und Album rauszufinden. Allerdings ist das Internet erschreckend leer, wenn entsprechende Suchbegriffe eingetragen werden. Außer ein paar (sehr gut produzierte) Videos und den hundertmal kopierte und auf Blogs eingefügten Infoblatt fand sich nicht besonders viel zu diesem Album.

Das ist äußerst schade und hat das Werk keinesfalls verdient! Nun ist das Trust natürlich ein Printprodukt (was auch gut so ist), somit taucht dieser Text zumindest erst mal auch nicht im Netz auf. Aber immerhin ihr, die ihr jetzt dieses Heft in der Hand haltet (danke dafür – kann ja auch einfach mal gesagt werden), werdet euch nun hoffentlich mit DL Burdon & His Questionable Intentions beschäftigen. Bitte tut das!

Für die Band! Und für mich, damit das hier alles einen Sinn hat! So, nun aber zum Gespräch. Es sei nur noch kurz vorweggesagt, dass Davey während unserer Unterhaltung charmant, entspannt und gut drauf ist. Keine Spur von bitterness oder so was. Viel eher wirkt er wie jemand, der niemanden mehr etwas beweisen muss. Jetzt aber wirklich…

Hi Davey, wo steckst du gerade?
Ich bin in Dayton Ohio.

Okay, ich frage, weil manche Infoblätter immer noch von Sunderland sprechen, andere von Ohio. Wann bist du umgezogen?
In Ohio bin ich seit 2019, glaube ich. Da sind wir hierhergezogen.

Was war der Grund?
Ich verliebte mich in ein American Girl – classic story!

Wie wichtig war der Umzug in die Staaten für die Musik, die du jetzt spielst?
Sehr wichtig. Immer wenn ich umziehe, spiele ich mit anderen Leuten zusammen. Am liebsten mit Menschen, die diese vier Akkorde, die ich immer benutze, auf eine andere Art und Weise spielen, als ich es gewohnt bin. Darum klingen die Alben immer etwas anders. Denn eigentlich schreibe ich immer und immer wieder dasselbe Lied.

Dein jetziges Album bietet ein breites musikalisches Spektrum und viele unterschiedliche Einflüsse an. Spiegeln all diese Genres deinen persönlichen Geschmack wider?
Ja. Ich habe einen sehr breiten Musikgeschmack. Natürlich habe ich durch und wegen Rockmusik Gitarre spielen gelernt. Doch jetzt, wo ich älter bin, interessiere ich mich zum Beispiel tatsächlich für Jazz. Das hätte ich mir als Kid nicht vorstellen können. Da hörte ich Black Flack. Darum klingt das Album jetzt so abwechslungsreich. Ich mag unterschiedliche Stile. Welche Einflüsse hörst du auf dem Album?

Puh, die Punkrockwurzeln sind definitiv noch zu hören. Es steckt eine Menge Heartlandrock da drin. Du fürchtest dich nicht, ein Saxofonsolo einzubauen, was automatisch an Bruce Springsteen denken lässt, ohne dass du wirklich wie Springsteen klingst, er ist einfach bekannt dafür.
Das gefällt mir.

Ich mag die Orgeln, ich mag eigentlich immer Rockmusik mit Orgeln. Und dann gibt es noch ein paar Folk- und Countryelemente. Das gefällt mir schon alles außerordentlich gut. Eine Menge Einflüsse, aber am Ende ist der Kern des Ganzen doch irgendwie noch Punkrock. Und die Art und Weise, wie die Musik präsentiert wird, ist sehr punkig.
Ich bin mit Punk und Hardcore aufgewachsen, durchlief verschiedene Phasen im Leben, aber Punk war schon sehr wichtig, als ich jung war.

Ist das das Album, das du schon immer mal machen wolltest?
Sagen wir mal so, es ist eines davon.

Also hast du noch weitere Pläne?
Ich würde gerne noch ein wirkliches Akustik-Punk Album machen, mit Streichern und allem Drum und Dran. Nicht falsch verstehen, kein Folk-Punk oder so was, es soll eher so klingen, als ob Stiff Little Fingers „Astral Weeks“ von van Morrison spielen würden.

Das wäre dann aber immer noch very british! Oder (Nord-)Irisch.
Stimmt.

Wie ist es überhaupt dazu gekommen, dass du nach Former Cell Mates alleine weitergemacht hast?
Als erstes gründete ich eine Band mit dem Namen Anchor Bends als ich in Georgia war. Das war auch ein cooles Trio. Ich fing danach an alleine Musik zu machen, weil ich mich schuldig fühlte, ständig neue Bands zu gründen, die es bis zu einem bestimmten Punkte schafften, nur um sie dann aufzulösen.

Warum spielst du dann jetzt nach zwei Soloalben wieder mit einer kleinen Band?
Oh, das ist einfach so passiert. Ich wollte eigentlich ein neues Soloalbum aufnehmen und der Typ, dem das Studio gehörte und aufnahm, hatte dann einen großen Anteil an der Entwicklung der einzelnen Lieder. Er rief dann den Schlagzeuger an, den ich auch kannte, der auch noch mal was zu den Songs hinzugefügt hat. Ich wollte dafür nicht alleine die ganzen Lorbeeren einheimsen.

Deshalb gründeten wir eine Band. Ich wollte aber auch nicht komplett neu anfangen. So richtig interessieren sich die Leute nicht für meine Solosachen und für eine komplett neue Band würden sie sich noch weniger interessieren. Deswegen dieses „Ich & meine Band“ Sache. Die anderen beiden sollten jedenfalls ihren Teil vom Ruhm abbekommen.

Soll das eine einmalige Sache sein oder hast du weitere Pläne mit der Band?
Das erwähnte Akustik-Punk-Album werde ich wohl mit den gleichen Leuten machen, die auch auf dieser Platte zu hören sind.

Und dann musst du mir jetzt noch erzählen, was deine „fragwürdigen Vorhaben/Bestrebungen“ sind?
Haha, um ehrlich zu sein, sind meine Bestrebungen immer mit einer guten Absicht verbunden. Die fragwürdigen Bestrebungen sind das, was andere Leute in meinen guten Vorsätzen sehen.

Folgt das Album eigentlich einem roten Faden oder gibt es eine Art Hauptthema?
Nein! Oder doch? Jedenfalls nicht vorsätzlich. Ich bin wie gesagt in den Mittleren Westen gezogen. Ich glaube, viele Songs handeln von mir und den Dingen, die um mich rum passieren, ich aber nicht verstehe. Die mich immer wieder überraschen und manchmal auch verzweifeln lassen. Religion spielt hier immer noch eine wichtige Rolle. Das ist für mich als Engländer schwer zu begreifen. Und die Nachrichten! Da geht es immer mehr um Meinungen und nicht um Informationen. Darum ist Amerika jetzt vielleicht, wie es ist.

Für mich fühlen sich viele Songs so an, als ob ich sie auf eine politische Weise verstehen kann, aber auch auf einer persönlichen.
Als ich den ersten Mix vom Titelsong gehört habe, fragte meine Frau mich, wovon zum Teufel handelt das Lied. Nun, es geht darum, wie die Nachrichten in Amerika präsentiert werden. Alles wird sensationalisiert und vereinfacht dargestellt. Als Engländer ist es mir unerträglich Nachrichten anzusehen, da sie rein meinungsbasiert daherkommen.

Ich halte das für gefährlich, aber es wird auf beiden Seiten des politischen Spektrums weitestgehend akzeptiert. Ich glaube, das ist es, was du meinst. Es gibt durchaus einen politischen Kern in den Liedern, wenn du es so nennen willst, aber es wird aus meiner persönlichen Sicht darauf geschaut.

Kannst du mir in diesem Zusammenhang bitte noch etwas über das Artwork erzählen? Gibt es da eine Verbindung zu den Songs?
Das Bild fürs Album stammt von meinem guten Freund Jeremy Rays. Er hatte mir im Vorfeld schon angeboten, sich um das Artwork zu kümmern. Aber dann ist er umgezogen und war ziemlich beschäftigt. Also blätterte ich in seinem Katalog herum und fand die drei Bilder, welche ich für die Singles verwende. Zuerst habe ich das Kunstwerk rein aus ästhetischen Gründen ausgewählt.

Bei näherer Betrachtung stellte ich fest, dass jedes Stück etwas hatte, das es mit einem der Lieder in Verbindung brachte. Das Bild für das Cover von „Thank You“ – dem Song über den Einfluss der Medien – zeigt einen Schädel mit antennenartigen Hörnern und einem dritten Auge. „It’s Not Healing“ hingegen ist ein Lied über den Umgang mit Trauer und den Verlust eines geliebten Menschen.

Die Figur auf dem Artwork dieser Single scheint einen Anzug zu tragen und wirkt ängstlich, nervös und irgendwie melancholisch. Auf der letzten Single „Follow Them Down“ habe ich das gleiche Motiv wie fürs Album verwendet – eine illustrierte Marilyn Monroe als Totenkopf mit Hörnern und einem umgedrehten Kreuz auf der Stirn. Es verwischt die Grenzen zwischen dem klassischen amerikanischen Sexsymbol und Satan. Ich fand das so passend für ein Lied über Religion in Amerika und die Art und Weise, wie weiße Christen diesen wahnsinnigen Würgegriff auf Tugend und Moral entwickelt zu haben scheinen, ohne sich des Schadens bewusst zu sein, den er anrichtet.

Wow, du hast dir eine Menge Gendanken gemacht. Das hätte ich gerne vorher gewusst. Im Vorfeld zum Interview habe ich nämlich versucht, ein paar Sachen über dich, die Band und das Album zu recherchieren, habe aber nicht wirklich viel gefunden. Mit Absicht? Willst du das Ganze eher klein halten?
Ne! Es will einfach keiner hören.

Warum denkst du das? Ich finde, es ist ein sehr gutes Album.
Vielen Dank. Das freut mich zu hören. Keine Ahnung, mir gefällt es auch. Ich finde, es ist das Beste, was ich seit Jahren produziert habe. Die Jungs, mit denen ich zusammengearbeitet habe, drängten mich die Videos zu machen. Das war cool und wurde hier und dort auch gespielt. Vielleicht bin ich zu alt und hässlich.

Auf keinen Fall!
Was denkst du, warum will das keiner hören?

Keine Ahnung! Das hat sicherlich nichts mit der Musik zu tun. Mir ist bewusst, es ist nicht leicht, die Aufmerksamkeit der Leute zu erreichen. Zu viele Online-Blogs beschäftigen sich zu wenig mit der Musik und kopieren nur das Infoblatt und laden ein Foto hoch, aber das hat halt auch keinen Mehrwert. Immerhin ist es gut, irgendwo mit dem gleichen Bild aufzutauchen. Musikjournalismus ist eh am Ende und niemand unter 30 Jahre interessiert sich noch dafür.
Stimmt.

Ich lese aber immer noch gerne was über Musik und ich schreibe auch gerne drüber. Einfach weitermachen würde ich sagen. Das führt mich aber irgendwie auch schon zur nächsten Frage. Wie sieht es mit einer Tour aus?
Wir haben keine lange Tour geplant, nur ein paar Wochenende. Demnächst spiele ich in Florida und Georgia ein paar Daten. Dann zusammen mit Jon Snodgrass. Es gibt tatsächlich Pläne, nach Deutschland zu kommen. Wenn mir was angeboten wird, dann sage ich meistens zu.

Dann aber als Drei-Mann Band, ohne Saxofonisten?
Wer weiß!

Vielen Dank, das wars schon, mehr Frage habe ich gerade nicht.

Stattdessen grübele ich weiter darüber nach, warum es scheinbar so wenig Interesse an „Thank You & Goodnight“ zu geben scheint. Vielleicht ist eine Promoagentur (die Davey nicht hat, er hatte das Trust – also Dolf – direkt angeschrieben), in manchen Fällen doch hilfreich. Andererseits macht gerade der Umstand, dass Davey sich um solche Sachen alleine kümmert, dieses Album noch sympathischer, als es eh schon ist.

Aber mal ehrlich, eine gewisse Social-Media-Präsenz, Pay To Play oder Titelstory gegen Anzeige kann, soll und darf nicht über den Erfolg einer Band und eines Albums entscheidend sein. Und genau darum haltet ihr das Trust ja hoffentlich gerade in der Hand.

„Thank You & Goodnight“ beginnt mit dem Titelstück, einem knackigen Gitarrenriff und der Gesang setzt zusammen mit dem Schlagzeug ein. Noch ehe die Orgel den Rhythmus der Gitarre in der zweiten Strophe unterstützt, hat die Musik einen schon aufgesogen. Wer beim Refrain nicht schon tanzend und/oder luftgitarrespielend auf dem nächstgelegenen Tisch steht, hat keine Seele. Im ersten Moment sind die Texte dann ja erst mal egal, wenn es gut klingt.

Und selbst der melancholische Text vom darauffolgende „It’s Not Healing“ ist von einem stürmischen und euphorischen Gitarren-/Orgel-Gemisch unterlegt. Ehe zunächst ein Barpiano und dann das erwähnte Saxofonsolo folgt. Das Album ist knapp sieben Minuten alt und es geht einfach alles. Als wenn ein Zweitligist nach sieben Minuten 3:0 auswärts gegen Bayern München führt.

Die Single „Follow Them Down“ spielt mit Folk- und Country-Elementen, was einerseits an der Pedal Steel Guitar und andererseits am Basslauf in der zweiten Strophe liegt. Und das darauffolgende „Who We Thought We Were“ stürmt erneut mit Saxofon nach vorne.

Und so geht es dann eigentlich bis zum Ende weiter. Die Albumlänge übersteigt nicht eine Seite der guten alten TDK-Kassette und ist somit genau richtig. Langweilig wird es ebenfalls nie, dafür baut das Trio in jedem Song irgendeine kleine Abwechslung ein. Zum Schluss wird es bei „Anticipation And Regret“ noch mal (auch musikalisch) punkig. Das Stück ist nicht weit von Daveys ersten (Kult-)Band entfernt. Tja, und ganz am Ende singt ein Chor schließlich in Schleife „Welcome Back“ und alles ist vorbei und bereit für den nächsten Durchgang.

Keine Ahnung, ob das hier so reicht, um euch zu überzeugen, wenigstens mal reinzuhören. Ich wünsche es mir. Vielleicht findet ihr dann ja auch eine neue Lieblingsband. Wäre das nicht toll?

Text und Interview: Claas Reiners

Both comments and pings are currently closed. RSS 2.0