Dezember 31st, 2021

Franz Nicolay (#203, 2020)

Posted in interview by Jan

Franz Nicolay – „Ich war nicht immer unglücklich“

So heißt es wenigstens in dem Song „This is not a pipe“ vom Album „Luck & Courage“, auf welches später unter anderem noch genauer eingegangen wird. Dieses Interview soll zumindest einen kleinen Überblick über Franz Nicolays abwechslungsreiches zwanzigjähriges Schaffen als Musiker und Autor geben.

Kurz zur Person. Damit jeder weiß, um wen und was es sich handelt: Franz Nicolay wuchs im US Bundesstaat New Hampshire auf und ist den meisten Menschen wahrscheinlich als Pianist und vor allem Akkordeonspieler der Punkrevue Band THE WORLD/INFERNO FRIENDSHIP SOCIETY bekannt. Anderen ist Franz wahrscheinlich als Keyboarder von THE HOLD STEADY untergekommen. Manchen vielleicht bei beiden Stationen.

Wobei dazu bereits ein recht breiter musikalischer Horizont gehört. Was allerdings beide Bands eint, WORLD/INFERNO haben es gerade auf ihrem letzten Album wieder getan, ist der Hang zu großen, zusammenhängenden Geschichten, die auf den Alben erzählt werden, ohne dabei Gefahr laufen, ein Konzeptalbum abzuliefern. Die textliche Komponente schleicht sich ebenfalls in Nicolays Solowerk ein, welches ihn, nicht nur als Multiinstrumentalist, sondern auch hervorragender Texter ausweist. Nebenbei gilt Franz als Mitbegründer des Musikkollektives ANTI SOCIAL MUSIC und ist Mitglied des Balkan Jazz Quartetts GUIGNOL. Als Solokünstler verbindet er die musikalische Bandbreite aller Bands zu einem außergewöhnlichen Gemisch, der auf den folgenden Seiten näher beschrieben werden soll.

Nicolay spielte knapp sieben Jahre bei WORLD/INFERNO, die seit Gründung cirka 40 Bandmitglieder hervorgebracht hat. Einzig Sänger Jack Terricloth scheint die Konstante der Band zu sein. Im Jahr 2002, also kurz nach den Anschlägen von New York, erschien das Album „Just the best Party“, welches jüngst (zum ersten Mal auf Vinyl in Deutschland) von Gunner Records wiederveröffentlicht wurde.

Die Grundzutaten, die diese Band ausmachen, sind bereits hier vorhanden. Das Album ist eine einzige musikalische Party mit kritischen Zwischentönen. „Just the best Party“ ist eine Mischung aus Polka-Cabaret-Punk-Gospel-Swing, mittelalterlichen Folkanleihen und ein bisschen poppigen Ska (wie Madness ihn spielen würden – eben einen heavy, heavy Monstersound, was die Musik von World / Inferno vielleicht am besten beschreibt). Witz, Spaß und Freude wechseln sich mit politischen oder zumindest kritischen Zwischentönen ab. Diese Band wurde immer im Punkkontext, was durchaus Sinn ergibt, denn die Band trägt diese Musik mit einer Energie vor, wie es sonst nur im Punkrock vorkommt. Allerdings greift dieses Genre zu kurz. Zwar vermischt die Band verschiedene Formen von Volksmusik, Musik also, die im Einzelnen so existiert, zu einem irren Gemisch, aber in dieser Mischung und Herangehensweise eben Einzigartig ist.

Auch auf dem kleinen Indie-Dance-Hit „Only Anarchist are pretty“ ist Nicolay zu hören. („Ist das wirklich ein Hit?“, fragt Nicoaly. Und ich kann nur antworten: Ja, ist es! Oder war es, zumindest bei uns im Club.) Mehr noch, Franz schrieb die Musik am Ende der Deutschlandtour im Jahr 2005, vermutlich in Frankfurt, wo es im Keller des Clubs ein Klavier gab. Trotzdem war danach bald Schluss. Franz Nicolay hatte sich vollkommen THE HOLD STEADY angeschlossen, mit denen er bereits seit ein paar Jahren unregelmäßig arbeitete. Zwar wäre Franz gerne bei WORLD / INFERNO geblieben, wäre mit dieser Entscheidung aber beiden Bands nicht gerecht worden. Er musste eine Entscheidung treffen und hält den Ausschlag zu Gunsten von THE HOLD STEADY bis heute für die Richtige. Auch wenn Franz heute zugibt, dass sein Abgang aus der Band für ihn schmerzhaft und nicht besonders galant war.

Hi Franz, ich habe auf deiner Homepage gelesen, dass dein erstes Konzert außerhalb der USA in meiner Heimatstadt war. War das schon mit Anti Social Music? Und wie war das damals für dich nach Europa zu kommen und woran erinnerst du dich am meisten?
Das war mit World/Inferno. Zuhause hatte ich bereits ein paar Jahre mit verschiedenen Bands getourt, aber keine Platten aufgenommen. Die Liste auf der Seite ist auch nicht vollständig. Aber ja, das war meine erste Show im Ausland, eine sehr lehrreiche Angelegenheit, weil ich noch wirklich grün hinter den Ohren war. Zum Glück reiste ich mit einer Band, die schon einige Male in Deutschland auf Tour war. Immerhin wussten sie, was uns erwartete. Ich war jedenfalls von der Freundlichkeit, wie einer Band begegnet wird begeistert, es gab was zu essen und Betten in den Clubs. In Amerika ein Ding der Unmöglichkeit.

An einem Tag erinnere ich mich ganz besonders. Wir spielten an 9/11 in Hannover im Korn, als die Anschläge stattfanden und ich denke, es war eine der besten World/Inferno Shows. Der Mixer fing mitten im Set an das Konzert aufzunehmen. Das Bootleg habe ich immer noch. Und ich erinnere mich, dass unser Sänger Jack Terricloth in seine Tasche griff, eine Münze auf den Boden warf und rief: „There’s an American quarter. That’ll be worth something some day.“

Hatte deine Arbeit mit World/Inferno einen Einfluss auf deine ersten Schritte als Solokünstler? Oder war es andersrum, dass du den World/Inferno Sound beeinflusst hast?
Beide Aussagen passen nicht so richtig. Ich entwickelte eine musikalische Sensibilität in dieser Zeit, die ich in den verschiedenen Bands, in denen ich damals spielte, manifestierte. World/Inferno war eine demokratische neunköpfige Band, was den Sound maßgeblich beeinflusste. Ich denke, besonders auf meinem ersten Soloalbum verwende ich teilweise die DNA von World / Inferno und auch schon ein bisschen von Hold Steady. Aber auf manchen Stücken beziehe ich mich auf nichts von beiden. Ergibt das irgendeinen Sinn? Ich glaube nicht. Egal, jedenfalls hat meine Zeit bei World / Inferno einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen. Es war meine erste Erfahrung mit einer international tourenden Band und überhaupt, eine Vollzeitband, kein Hobby. Ich war mit älteren Musikern umgeben, die mich anleiteten und mich wissen ließen, wie ich rechtzeitig zur Show kam und was ich anzuziehen hatte, um auf der Bühne gut auszusehen.

Du hast daneben mit vielen anderen Bands, unter anderem, Leftover Crack kollaboriert. Gibt es eine Band, mit der du gerne mal zusammenarbeiten würdest?
Aber abgesehen von einem Gastauftritt beim Riot Fest 2016 (und dem Track „Soon we’ll be dead“ auf dem Album „Fuck World Trade“) habe ich nichts weiter mit ihnen gemacht. Wir bewegten uns damals in denselben Gegenden und das mündete eben in einer Zusammenarbeit. Eine wilde Szene war das.
Aber stimmt, ich finde es toll, mit fast jeder Band zusammenzuspielen. Mehr Leute sollten mich einfach fragen!

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Die Songs mussten schon geschrieben gewesen sein, als Franz bei Hold Steady ausstieg, als sein Album „Luck & Courage“ veröffentlicht wurde. Trotz mehrere erfolgreiche und sicherlich anstrengende Jahre in der Band, weißt Franz Soloarbeit mehr Referenzen an World/Inferno auf. Es war die Zeit, als jeder Punkrocksänger plötzlich Countrymusik für sich entdeckte. Nicolay grenzte sich als Solokünstler, der zwar aus derselben Szene stammt, musikalisch davon stark ab. Auf „Luck & Courage“ gibt es viele Orchesterarrangements, reine Klavierballaden, ein Stück fast ausschließlich mit Banjo gespielt, eröffnet wird „Luck & Courage“ mit einer Orgelmelodie – gepaart mit Franz tollen Leadstimme, die bisher bei seinen Bands nur im Hintergrund zum Einsatz kam. Ein kleines musikalisches Meisterwerk, welches viel zu wenig Beachtung fand. So ist es häufig mit Musik, die sich nicht eindeutig einem Genre zuordnen – sie stößt vor den Kopf und Menschen sind nicht bereit sich mit der Komplexität auseinanderzusetzen.
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Im Jahr 2007 fingst du an solo zu spielen. Was für Lieder hast du damals gespielt, schon deine eigenen oder Sachen, die du sonst mit deinen Bands spieltest?
Meinen eigenen Kram. Ich war vor meiner Zeit bei World / Inferno bereits Sänger von Bands oder trat alleine auf. Es war damals eher eine Rückkehr zu alten Pfaden. Besonders um 2007 und 2008 rum hatte ich eine Menge Material für das The Hold Steady Album „Stay Positive“ geschrieben, welches es schließlich nicht auf das Album schaffte. Darum war ich auf der Suche nach einer anderen Verwendung dafür.

Es kommt mir immer so vor, also ob dein Album Luck & Courage eine größere Geschichte erzählt, die ich noch nicht ganz entschlüsselt habe. Was gut zu der komplizierten Hold Steady Geschichte passt.(siehe TRUST #171)
Es gibt eine Geschichte über die Charaktere Felix und Adelita, aber ich bin mir nicht sicher, ob es wichtig ist, die zu kennen. Aber stimmt schon, die textliche Komponente war mir immer wichtig.

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Sein nächstes Solowerk „Do the Struggle“ erschien zwei Jahre nach Franz Ausstieg bei THE HOLD STEADY und hört sich einerseits wie ein Befreiungsschlag an. Wie von einem Mann gemacht, der zu lange unterdrückt wurde und endlich die Gelegenheit hat, zu zeigen, was alles in ihm steckt. Wild und euphorisch schlägt die Musik aus den Boxen, die Drums laut, der Gesang fordernd nach vorne gemischt und die Musik stürmisch bis hymnisch. Andererseits wurde der einmal eingeschlagene Weg vom Vorgänger behutsam weiterentwickelt. Die Orchesterarrangements wurden auf „Do the Struggle“ etwas zurückgenommen und auch reine Klavierstücke sucht man vergebens, als ob sich Franz hier besonders von seiner ehemaligen Band entfernen wollte. Ansonsten wimmelt das Album voller ungewöhnlicher Instrumentierungen und Arrangements. Kurze, eingängige Popsongs wechseln sich mit kompliziert aufgebauten Songstrukturen ab. So überschwemmen die beiden ersten Songs den Hörer geradezu mit Wörtern und existenzielle Fragen nach dem richtigen Leben, welches in abgewandelter Form im letzten Stück des Albums erneut aufgegriffen wird und so eine Klammer bildet.
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Wie schaffst du es eigentlich, dich an die (sehr langen) Texte von Liedern wie Heart of Boston oder Do the Struggle zu erinnern, besonders vor Publikum?
Die ersten paar Male, die ich mit solchen Liedern auftrete, sind wirklich problematisch für mich. Egal wie oft ich die Stücke übe, ich vergeige es grundsätzlich. Ich muss mich wohl öffentlich blamieren, damit diese Schmach die Texte in mein Gehirn brennt.

Hast du dich zwischenzeitlich entschieden, welches Leben das richtig ist? „The quiet life or the night life? Und wer drückt dich fester an sich, „your first love or your third wife“?
Immer noch meine erste und hoffentlich letzte Frau.

Kennt Frankie Stubbs deinen Song über seine Tränen?
Ja! Ich eröffnete mal eine Show in London für Leatherface und er sagte einen ihrer Songs mit den Worten an: „This song is called Franz Nicolay’s Smile“ – haha.

Denkst du manchmal deine Lieder, wie Did your broken heart hätte ein größeres Publikum verdient, weil es im Grunde tolle Popsongs sind?
Nett von dir das zu sagen. Natürlich denke ich, ein paar meiner Lieder hätten ein größeres Publikum verdient. Aber du kriegst eben, was du kriegst.

In diesem Lied zählst du ein paar Albumtitel auf, die sich alle um ein Album von The National drehen, aber diesen Titel eben nicht genau treffen. Absicht?
Ich kannte das National Album nicht, als ich den Song schrieb. Ich musste den Titel irgendwo gehört haben und mich daran als eine gute Phrase erinnert haben, ohne mich genau zu erinnern, welche Verbindung dahinter stand.

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Im relativ kurzen Abstand folgte Nicolays nächste Album „To us – The beautiful“ – Ein Album nach einem Trinkspruch benannt, der vollständig im gleichnamigen Eröffnungssong des Albums erklärt wird. „To us, the beautiful, may those who disagree fall their eyes out“. Stürmisch und krachend geht auch dieses Album los. Allerdings ist es weniger ausgefallen, für Nicolays Verhältnisse ist es sogar ziemlich simpel. Zwar werden im Cover weiterhin Banjos, Klaviere und Akkordeon als Instrumente aufgeführt, diese stehen aber längst nicht mehr im Mittelpunkt eines Liedes, sondern bleiben höchstens dezent im Hintergrund. Die Basis der Stücke bilden ein normales Rockoutfit, bestehend aus (E-)Gitarre, Bass und Schlagzeug. Die Lieder sind im Grunde nicht schlecht, versprühen allerdings nicht den Glanz und die Genialität der vorherigen Alben. Bis heute ist es Franz letztes Soloalbum.
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Dein nächstes Soloalbum war ein ziemlich direktes Rockalbum, lediglich mit Gitarre, Bass, Schlagzeug, während du vorher durch ausgefallene Orchester Arrangements, Banjos, Akkordeon und nicht zuletzt durch dein Klavier aufgefallen bist. Woher kam der Wandel zu eher simplerer Musik?
Ich hatte mir damals zum ersten Mal seit Ewigkeiten eine E-Gitarre gekauft. Und wie immer, wenn ich mir ein neues Instrument leiste, fange ich sofort an, neue Songs damit zu schreiben. Außerdem hatte ich damals nicht so viel Geld und eine Rockplatte aufzunehmen ist relativ günstig, weil jeder weiß, wie das funktioniert.

Du hast beinahe ein Jahr lang mit Against Me getourt aber meines Wissens nie etwas mit ihnen aufgenommen. Warum?
Ihr Album „White Crosses“ war gerade draußen und sie wollten einen Pianisten dabei haben, um ein paar der Songs von dem Album aufzuplustern. Inmitten zwischen zwei Alben verloren sie dann ihren Plattenvertrag und sagten alle Konzerte ab. Es war eine chaotische Zeit für die Band und sie wären beinahe daran zerbrochen. Aber Aufnahmen waren nie Teil des Plans.

Später wurdest du ein Autor?
Ich musste meine Musik zugunsten der Familie einschränken und brauchte eine kreative Ablenkung, die ich von zuhause aus machen konnte.

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Statt Songtexte verfasst und veröffentlich Nicolay mittlerweile regelmäßig Kurzgeschichten in illustren Zeitungen wie die New York Times. Als sein Hauptwerk kann seine Tourtagebuch „The humorless Ladies of Border Control“ über seine Konzertreisen (alleine, ohne Begleitung) durch ehemals kommunistische Staaten, angefangen in den Ländern des Balkans bis ins vordere Asien und der Mongolei. Derweil sind zwei weitere Bücher in der Planung. Zuviel soll aber (noch) nicht verraten werden.
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Letztes Jahr spieltest du mit World / Inferno zum Jubiläum des eingangserwähnen Albums eine Show in New York mit ihnen. Und du bist auch zurück bei The Hold Steady, wirst du auch wieder bei World / Inferno einsteigen?
Nein, sie haben jemanden, der das macht, was ich auch mache. Die Band, in der ich war, gehört zu einer bestimmten Zeit, Ort und auch Line Up. Die jetzigen World / Inferno sind eine andere Band, die einige der alten Lieder spielt.

Wenn wir schon von The Hold Steady sprechen, wie fühlt sich deine Rückkehr zur Band an?
Es ist großartig, um ehrlich zu sein.

Berühmte letzte Worte?
„I have not been unhappy my whole life”.

Text & Interview: Claas Reiners

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